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We arm ourselves with the wrongs we've done
Lucien & Skadi
Szenen-Informationen
Charaktere Gast
Datum 23 Mai 1822
Ort Untergrund von Silvestre
Tageszeit nachts
Crewmitglied der Sphinx
für 0 Gold gesucht
dabei seit Nov 2015
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#1
We arm ourselves with the wrongs we've done
Skadi & Lucien
23./24. Mai 1822 | Nachts | Untergrund von Silvestre


Metall. Es flirrte überall. Auf dem Boden. In der Luft. Lag schwer auf ihrer Zungenspitze. Leuchtete hell rot auf ihrer Haut. Skadi musterte ihren Handrücken. Spuckte zur Seite und schluckte den Schmerz hinab, den der Kerl vor ihr so selbstverständlich in ihren Körper schleuste. Sie hatte sich auf die Zunge gebissen. Das erste Mal seit einer Ewigkeit. Und spürte wie sich ein fahles Lächeln auf ihre Züge stahl. Funklend huschten die Augen binnen eines Herzschlags aufwärts. Umkreisten das vor Anstrengung puterrote Gesicht, ehe sie zu lachen begann. "Das war also alles? Wofür vergeuden wir hier unsere Zeit?" 30 Minuten hielt der Kampf schon an, in dem sie ihn von einer Ecke zur anderen lockte. Seinen Schlägen weitesgehend ausweichen und ein paar Tritte zielsicher in seine Seite platzieren konnte. Es war langweilig, zugegeben. Für ihren Geist. Weniger für ihren Körper, der sich von den vergangen Tagen noch immer nicht ausreichend erholt hatte. Das Brummen, das ihr jäh entgegen schwappte, genauso wie der wütende Aufschrei, hinterließen nichts auf den feinen Zügen der Nordskov als ein kämpferisches Grinsen.
Erneut wich sie zur Seite. Duckte sich unter der ausladenden Faust und rollte sich über den Boden ab. Erhob sich hinter ihm erneut und trat ihm spielerisch gegen den unteren Rücken. Lachte hämisch und sah dabei zu, wie er voraus kippte und sich Wut entbrannt herum wandte. Doch noch ehe er sich regen, erneut nach ihr schnappen und sie zu Boden ringen konnte, ertönte die Glocke am Rand des Rings. Und verkündete das Ende dieser mickrigen Schlacht. Ein Raunen erhob sich. Einige Buhrufe, die die Nordskov jedoch nicht mehr wahrnahm, als sie sich abwandte und auf Lucien zulief, der wie so üblich Teil dieser nächtlichen Aktion geworden war. "Wenn das weiter so geht, fange ich an mich extrem zu langweilen."


Um ihn herum johlte die Menge, tat ihr Missfallen mit lauten Buhrufen kund. Lucien konnte sich ein spöttisches Schmunzeln nicht verkneifen, als er schräg hinter sich einen dürren Lagerarbeiter meckern hörte: „Was soll das für ein Kampf sein? Die rennt die ganze Zeit durch den Ring, wie ein aufgescheuchtes Huhn!“„Wart‘ mal ab. Das hält die nicht ewig durch und was kann so ein Weib schon mehr, als ein bisschen ausweichen und einstecken?“, feixte sein Begleiter großspurig. „Der Nächste macht Kleinholz aus ihr!“
Der junge Captain unterdrückte ein Schnauben. Sie hatten sich nicht abgesprochen, die Wetten mit irgendeiner Strategie in die Höhe zu treiben. Nutzten die simple Tatsache, dass Skadi eine Frau war. Meist reichte das vollkommen aus. Doch besser als jetzt hätte es gar nicht laufen können. Der letzte Kampf hatte sich geradezu endlos in die Länge gezogen, und obwohl Skadi ein paar ordentliche Treffer gelandet hatte, gewann sie dieses Mal hauptsächlich dank ihrer Technik. Und das war in der Regel nicht die Art von Kampf, die der einfache Pöbel sehen wollte. Denen verlangte es nach Blut, Schmerz und roher Gewalt. Möglichst viel davon in möglichst kurzer Zeit. Die Art, wie Skadi gerade spielte, trieb die Menge in die Raserei – und die Wetteinsätze in die Höhe, wie Blutgeld.
Lucien konnte nicht leugnen, dass auch ihn dieser Rausch gepackt hatte. Adrenalin pumpte durch seine Adern, glühte in den grünen Augen, als er der Jägerin entgegensah. „Das geht nicht nur dir so. Die Leute wollen Blut sehen.“, erwiderte er amüsiert. Er hatte sich mit verschränkten Armen auf die oberste Sprosse der Absperrung gelehnt, die den Ring umgab, und ließ nun lässig einen Arm nach unten baumeln. Sein Blick huschte dabei musternd über das dunkle Veilchen unter ihrem Auge, die Prellungen und Blutergüsse, die ihre Haut blau färbten. Doch der Schmerz gehörte dazu. Sie beide nahmen ihn in Kauf, wenn sie zu ihren nächtlichen Ausflügen aufbrachen. „Die meisten glauben wahrscheinlich, du gewinnst nur, indem du Zeit schindest, und irgendwann muss dir ja mal die Puste ausgehen. Mach noch ein, zwei Kämpfe so weiter und wir gehen mit dem Zehnfachen von dem raus, womit wir gekommen sind. Sofern dir nicht wirklich die Puste ausgeht?“ Mehr Frage als Aussage lag am Ende in seiner Stimme. Denn ihm war durchaus bewusst, dass Skadi heute nicht gänzlich unbelastet angetreten war. Nicht alle ihre Schnitte, Prellungen und Blutergüsse stammten von diesem Kampf.


Die Leute wollten Ablenkung - in erster Linie schnelles Geld. Und womöglich war es das, was sie so sehr daran störte. Dass man mit einer Frau im Ring kaum gewinnen konnte, weil niemand auf sie setzte. Pech für sie. “Ich will mal einen von denen im Ring sehen.“, gab sie mit einem provokanten Blick zur Seite an Lucien zurück und sprach mehr als nur beabsichtigt lauter als zuvor. Schon allein der Blick des Mannes eine Armlänge von ihrem Kapitän entfernt reichte, um der Siegessicherheit nachzuspüren, die in ihrem Kopf brannte. Da waren die Beschimpfungen des Fremden nahezu Balsam für ihre Seele. Getroffene Hunde bellten bekanntlich am lautesten.

“Bevor mir die Puste ausgeht, haben die sich 10 Kilo an meinem Lauftraining abgearbeitet.“ Sie wandte den Blick herum. Hob eine Hand in einer wischenden Geste über ihre Schulter und glitt mit dem Rücken zum Publikum gegen die Holzbohlen, über denen Lucien hing.
“Ansonsten… kratz mich einfach vom Boden und versteck mich bei Gregory. Ich werd schon nicht draufgehen.“ Geschweige denn die Situation in Kauf nehmen, dass Talin und Enrique sie so sahen. An Liam dachte sie gar nicht mehr - er hatte deutlich genug gemacht, dass es ihm ab sofort egal war, was sie tat.
“Was brauchen die denn so lange?“
Ihr Blick war auf die andere Seite des Rings gerichtet. Direkt auf den braunen Haarschopf des Veranstalters, der emsig mit einem jungen Mann in Uniform diskutierte. Er gehörte nicht zur Marine, soweit Skadi es aus dieser Entfernung erkennen konnte. Doch sein Aufzug war gut situiert genug, um nicht zumindest einem hohen Handelshaus oder Unternehmer zu gehören.
Dann schnellte eine Hand nach oben. Das Zeichen für den Gong und start der neuen Runde.

“Mast und Schottbruch mein Freund.“, raunte Skadi noch in Luciens Richtung, ehe sie ihm grinsend gegen den Oberarm klopfte und sich vom Holz abstieß. Sie war bereit noch einmal alles aus sich heraus zu holen.

Mit hüpfenden Bewegungen lockerte sie ihre Muskeln. Erreichte fast die Mitte des Rings, als sie abrupt stehen blieb. Der Anblick ihres Kontrahenten brachte sie schlagartig aus dem Konzept. Die dunklen Haare, der tätowierte Körper. Selbst der eindringliche Blick aus goldbraunen Augen. Zu spät realisierte sie das Startsignal. Sah den Koloss auf sich zu rennen und bereits ausholen, ehe sie sich zur Seite warf und über den Boden abrollte. Dann blinzelte sie, schüttelte den Kopf. Rappelte sich noch im rechten Moment auf, ehe der Fremde erneut zu einer Attacke ansetzte und fast ihre Schulter streifte.  “Hast du etwa Angst Mädchen?“
Ein Grinsen schob sich über die fremde Miene, deren Züge noch heimtückischer wirkten, als zu Beginn. Skadi brummte verärgert, blähte die Nasenflügel auf. Und setzte zu einer Erwiderung an, die sie Minuten lang durch den Ring schickte. Immer und immer wieder krachten Knochen auf weiche Haut. Bedeckte feiner Staub, blutende Gesichter. Die Masse gröhlte bei jedem Schlag, den die Nordkov einsteckte und buhte, wann immer sie auswich oder ihren Fuß im Gesicht ihres Kontrahenten versenkte. Doch eines spürte vor allem Lucien genau - der Kampf war seltsam. Anders als noch zuvor. Skadi wirkte abgelenkt, fast fahrig. Strauchelte, wenn sie nicht straucheln sollte - kämpfte verbissener und waghalsiger als zuvor. Als wäre ihr Kopf ausgeschaltet. Und ihr Verstand beherrscht von… schmerzhaften Erinnerungen. Immer wieder konnte er einen Blick auf ihr Gesicht erhaschen - den dunklen Ausdruck um ihre Augen, das wölfische Knurren und Rümpfen ihrer Nasenspitze. Dieser Kampf dreht sich nicht mehr um Geld und Macht - er wandelte sich Minute um Minute in „Leben oder Sterben“. Und je mehr Skadi einsteckte und je verbissener der Fremde versuchte sie mit Worten und Fäusten zu verletzen, desto blinder und brutaler reagierte die Nordskov.


Das beherzte Klopfen gegen seinen Oberarm quittierte der junge Captain mit einem freundschaftlich spöttischen Schnauben. Ihr Selbstbewusstsein war nach wie vor unerschütterlich und ihr Kampfeswille noch immer ungebrochen, obwohl sie bereits die halbe Nacht im Ring stand. Was auch immer es war, das die Nordskov umtrieb: Sie brauchte das hier gerade und sie brauchte sehr viel davon, um sich wieder ins Lot zu bringen. Oder zumindest, um zu vergessen, nicht zu denken, abzuschalten und den Kopf frei zu bekommen. Er verstand sie gut.
„Mast und Schottbruch,“ wünschte er ihr seinerseits Glück. „Ich besorg dir was zu trinken für hinterher. Und warte mit dem Vermöbeln, bis ich unsere Wette platziert habe.“ Die Belustigung in seiner Stimme war ungebrochen, selbst als Skadi sich bereits von ihm abwandte und in den Ring zurücktänzelte.
Lucien blieb nicht, um zu sehen, wer ihr Gegner sein würde. Auch sein Vertrauen in die Fähigkeiten der Jägerin war nach wie vor ungebrochen und – wenn sie einmal ehrlich mit sich waren – hatten sie sich bisher nie einem Kontrahenten gegenüber gesehen, der ihr das Wasser hätte reichen können. Dementsprechend verhielt er sich in diesem Moment wohl sträflich unbedarft. Doch er dachte nicht darüber nach, als er sich abwandte und sich durch die Menge schob, bis er sich in jenen Strom wettwilliger Gaffer einreihte, der ihn zum Buchmacher brachte.
Zwei Minuten später hatte er die Hälfte dessen, was sie heute Nacht bereits eingenommen hatten, erneut auf einen Sieg Skadis gesetzt und dafür ein paar spöttische Kommentare geerntet. „Hast du dir den Kerl mal angesehen, mit dem sie es zu tun hat? Der macht Kleinholz aus der Kleinen.“ Lucien gab auf das Gerede nicht viel, hatte in den letzten Stunden schon Ähnliches gehört. Tatsächlich erfüllte ihn diese Einstellung mit tiefer Zufriedenheit. Hieß sie doch, dass die meisten von ihnen weiterhin gegen Skadi wetten würden und die Ausbeute der beiden Piraten bei einem Gewinn entsprechend höher.
Mit einem innerlichen Lächeln auf den Lippen machte Lucien sich auf den Rückweg zum Ring, nahm dabei einen kleinen Umweg zum Rand der Halle, an der eine Reihe gewaltiger Bierfässer aufgestellt worden war, und füllte der Jägerin wie versprochen einen Krug des kühlen Hopfengetränks ab, bevor ihn das Gejohle der Menge zurück in die Arme des Schauspiels zog. Schon auf halbem Weg beschlich den Dunkelhaarigen allerdings ein ungutes Gefühl. Es war die Art und Weise, wie die Umstehenden brüllten. Die Häufigkeit des Jubels. Hin und wieder sogar ein spöttisches Gelächter, so voller Genugtuung. Und all das konnte sich nur auf eine Person beziehen.
Umso zügiger drängte Lucien zurück zu seinem Platz am Ring, ignorierte das protestierende „Ey!“ eines Schaulustigen, den er mit dem Ellenbogen zur Seite drängte. Dann fiel sein Blick auf Skadi und ihren Gegner und was zuvor nur ein Gefühl gewesen war, manifestierte sich nun zu verwirrender Gewissheit. Da stimmte etwas ganz und gar nicht. Auch wenn der junge Captain nicht hätte sagen können, was dieses ‚etwas‘ sein sollte. Vielleicht war es der Ausdruck in ihren Augen, die Verbissenheit auf ihren Zügen. Eine Regung, die er von der Frau im Ring so nicht kannte. Etwas, das aus den Untiefen ihrer Seele heraufzuschwappen schien und selbst das überlagerte, was sie heute Nacht hier her geführt hatte.
Unwillkürlich stellte Lucien das Bier am Fuße des Ringes ab, trat noch einen Schritt näher an die Absperrung heran und runzelte die Stirn. „Skadi!“, rief er in der wagen Hoffnung, ihre Aufmerksamkeit über das Gebrüll der Schaulustigen hinweg auf sich zu lenken. Sie schien trotz aller Verbissenheit nicht ganz bei der Sache zu sein. Oder bei einer anderen Sache. Und das konnte gefährlich enden.


Blut. Es klebte nahezu überall an ihren Händen. Verzog sich zu tiefroten Schlieren, sobald sie sich übers Gesicht und den Schweißt von der Stirn wischte. Der Geschmack von Blei brannte regelrecht auf ihrer Zunge und fand dennoch keinerlei Beachtung. Zu einnehmend waren die Worte und der Blick des Gegners, in dem sie sich verbissen hatte, und an dessen Schläfe mit den anbrechenden Morgenstunden ein schönes Veilchen blühen würde. Vergessen waren die Umstehenden, dessen Grölen zu einem einzigen Klangteppich verwoben war. Kein Wort erreichte die Nordskov, die sich vom Boden aufrappelte und raubtierhaft um den Hünen herum schlich. Ein feines Rinnsal zog sich von seiner Augenbraue über seine Wange hinweg und befleckte den staubigen Boden mit dunklen, feinen Spritzern.

“Na Prinzessin. Schon aufgegeben?“ Sein Lachen hallte durch den Raum und kratzte mit scharfen Krallen an ihrer Selbstbeherrschung.
“Solltest du nicht bei deinem Mann zu Hause sein? Am Herd stehen. Die Beine breit machen? Oder ist dir der Kerl schon weggelaufen… Mannsweib.“

Es war nicht das was er sagte, was sie so dermaßen in Rage versetzte. Es waren vielmehr seine Blicke, die sich durch ihre Seele bohrten und Erinnerungen zu Tage förderten, die sie als ausgestorben geglaubt hatte. Seine Bemalungen. Die Kraft, die seine reine physische Existenz zur Schau stellte. Dieses schmierige, lüsterne Lächeln auf den schmalen Lippen. Es widerte sie an. Hinterließ ein Brennen auf ihrem ganzen Körper, das sie verzehrte.
“Ich seh schon. Du redest wie du kämpfst… erbärmlich.“, gab sie mit einem wölfischen Grinsen zurück, an dessen feinem Rand Blutlust schimmerte.
Schlag um Schlag, Schritt um Schritt, Biss um Biss verschwamm  die Zeit vor ihren Augen. Zähe Minuten und Sekunden, bis sie das Gefühl für diesen Kampf gänzlich verlor.  Reagierte. Einsteckte. Immer waghalsiger parierte. Der Boden glich nunmehr dem Hinterhof eines Schlachthauses. War übersät mit Blut und Schweiß. Und selbst als Skadis Beine zu zittern begannen, ihre Lunge wie Hölle brannte und sie sich das Blut des Kontrahenten vom Mund und aus dem Gesicht wischte, wagte sie es nicht einmal auch nur an Aufhören zu denken. Hatte die Außenwelt vollkommen vergessen. Kämpfte nur für einen Zweck, der sich unverkennbar in ihre Züge brannte: endgültige Vernichtung.

Selbst dann, als etwas Schimmerndes in der Mitte der „Arena“ aufblitzte. Ein Messer, dessen scharfe Klinge ihr Ende sein sollte. Skadi verharrte jäh in ihrer Bewegung. Beobachtete, wie der Hüne den Kopf herum wandte, seine Partner für einen Augenblick kritisch musterte und dann mit einem breiten Grinsen nach dem Metall bückte. Doch sie hatten sich getäuscht, wenn sie glaubten, dass sich die Jägerin von so etwas beeindrucken ließ.


Sie hörte ihn nicht. Oder wollte ihn nicht hören. „Scheiße...“, fluchte er leise, biss kurz darauf die Zähne zusammen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich das Schauspiel anzusehen und zu hoffen, dass sie keinen derart großen Fehler beging, um am Ende doch zu verlieren. Oder Schlimmeres. Und schon nach den wenigen Sekunden, die er diese Szene nun verfolgte, erschien ihm das plötzlich gar nicht mehr so unwahrscheinlich. Das Gegröle der Menge rückte in den Hintergrund, wurde zu einem dumpfen Nebengeräusch, als sich sein Puls unwillkürlich beschleunigte. Adrenalin peitschte durch seine Adern und Sorge fraß sich bis an den Rand seiner auf Skadi fokussierten Aufmerksamkeit.
Provokante Worte fegten durch den Ring. Dann wieder Schlag um Schlag. Das dumpfe Geräusch von Fleisch auf Fleisch, in roher Gewalt aufeinanderkrachend. Und im Blick der Jägerin stand nicht mehr nur der Wille, zu gewinnen. Sondern die blanke Vernichtungswut, die jeden Rest Vernunft aufzufressen schien. Lucien ahnte, was er da gerade sah. Es war diese Düsterkeit, die die beiden Piraten verband. Der Schatten dunkler Erinnerungen, die sich nicht heilen ließen. Vielleicht niemals. Und die es nur mit selbstzerstörerischem Wahnsinn zu bekämpfen und in Schach zu halten galt. Doch auch wenn er diesen Weg jederzeit freiwillig beschritten hätte – jemandem, den er so hoch schätzte, wie Skadi, dabei zuzusehen, wie sie sich auf gleichem Wege in Gefahr begab, war etwas völlig anderes.
„Jetzt kriegt die kleine Schlampe endlich, was sie verdient hat!“ Der laute Ruf in seiner unmittelbaren Nähe riss Lucien aus seiner Starre. Er riss den Blick von Skadi los, bemerkte im gleichen Moment den kleinen, glänzenden Gegenstand, der urplötzlich in der Mitte des Ringes gelandet war und nach dem sich Skadis Kontrahent nun mit einem widerwärtigen Grinsen bückte. Die Menge rastete aus vor schierer Entzückung. Sie gierten nach Blut, Gewalt und Tod.
Bevor der 21-Jährige einen klaren Gedanken hätte fassen können, hatte er sich schon in Bewegung gesetzt. Nun war ihm gleich, was Skadi von seiner Einmischung hielt. Kein Ringrichter würde den Kampf angesichts der Stimmung im Raum abbrechen. Blutgier bedeutete nur mehr Geld.
Er tauchte unter den Latten der Absperrung hindurch und war innerhalb von Sekundenbruchteilen an Skadis Seite, schob sich zwischen sie und ihren Angreifer, bevor der die Waffe hätte heben können. Er behielt den Mann aus dem Augenwinkel im Blick, doch seine Worte galten Skadi, während er die Hand auf Höhe ihres Brustbeins hob, um sie aufzuhalten, sollte sie sich an ihm vorbeidrängen wollen. „Ich denke, wir belassen es für heute dabei“, wies er sie eindringlich an, während seine Rechte sich demonstrativ in Richtung der Pistole an seinem Gürtel bewegte. Eine Drohung, die nicht der Jägerin, sondern ihrem Gegner galt und ihn zumindest für einen Moment darüber nachdenken ließ, ob angreifen jetzt eine gute Idee wäre.


Ein abgekartetes Spiel. Das war, was sich gerade wie eine Erkenntnis vor den Augen aller ausbreitete und scheinbar nur bei Skadi und Lucien auf Verbitterung stieß. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, ein Ehrenkodex, dass jegliche Nutzung von Waffen außerhalb des Rings untersagt war. Doch was hatte sie eigentlich erwartet, in einem Untergrundkampf, der die Unterwelt der Stadt wie Motten das Licht anzog. War es nicht vielmehr eine Frage der Zeit gewesen, bis das passierte?
“Feigling.“ Das Grinsen auf dem verzerrten Gesicht wurde jäh breiter. Spieh ihr ein wortloses jetzt bist du machtlos, was? entgegen. Jäh ballten sich ihre Hände zu Fäusten. Zitterten regelrecht vor Wut und Frustration. Und mit einem Mal, aus dem Nichts wie es schien, schob sich ein Körper zwischen sie. Baute eine Barriere auf, die ihr einem Hammerschlag gleich gegen den Kopf donnerte.
Mit zusammengezogenen Brauen sah die Nordskov auf. Erkannte halb verschwommen Luciens Profil. Grüne Augen, die sie eindringlich musterten. Und eine Stimme, die ihr nahe lag, freiwillig aufzugeben. Doch sie dachte nicht einmal daran. Spürte, wie sich ihr augenblicklich die Kehle zuschnürte. Bei allen sieben Welten konnte nicht einmal er sie jetzt noch aufhalten. Nicht nach allem, was bereits geschehen war. Bei den Worten, die durch den Ring schwappten. All der Hohn. Der Hass. Die Nordskov würde nicht klein bei geben, weil es schwierig wurde. Niemals.
“Geh mir aus dem Weg.“ Sie wollte es spüren. Dieses Zittern in ihren Fingern. Dem nachgeben, was sich da hässlich durch ihren Verstand fraß und nur zu bereitwillig in Richtung des Fremden davon gejagt hätte. Der Blick der auf dem jungen Kapitän lag, trug keinen Funken Wut. Und die Bereitschaft zu töten, die darin eingepfercht war wie ein wildes Tier, galt genauso wenig seiner Entschlossenheit und vielmehr dem Hünen auf der anderen Seite. Verwundert war dieser stehen geblieben. Wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht und verschmierte seine hässliche Fratze zu einem noch obszöneren Antlitz. Angestachelt vom wütenden Mob am Rande des Gefechts, baute er sich zur vollen Größe auf. Ließ ungeachtet seiner schmerzenden Glieder die Muskeln spielen und demonstrierte seine metallene Überlegenheit. Labte sich an den Rufen in seinem Rücken, die ihm versicherten dem Kleinen Miststück ihre gerechte Strafe zuzuführen. Und eben diese Selbstgefälligkeit war es, die das Fass zum Überlaufen brachte. Skadi fauchte. Senkte den Blick. Suchte fieberhaft nach etwas, um diesem selbstgerechten Schweinepriester das Grinsen aus dem Gesicht zu reißen. Doch da war nichts. Nur ein Totenkopf der sie höhnisch von der Hüfte ihres Freundes aus auslachte. Ihr zuflüsterte, dass sie sich geschlagen geben sollte, um den kläglichen Rest ihrer Ehre vom Boden aufzulesen.
“Dolch.“, kam es flüsternd zwischen ihren Lippen hindurch. Rau wie Sandstein. Schlagartig klärte sich etwas in ihrem Blick. Schob den Nebel aus Raserei zur Seite, der wie schwarzes Gift an ihrer Iris klebte. Noch ehe Lucien reagieren konnte, umklammerten die langen Finger ihrer Hand den weichen Griff des Dolches und zogen sich ratschend aus der Scheide. Im selben Moment versuchte sich die Nordskov an ihm vorbei zu drängen und schob ihre freie Hand mit all ihrer verbliebenen Kraft gegen seine Brust. Sie wollte diesem Kerl zeigen, was Schmerz bedeutete. Ein für allemal.


Lucien hatte vom ersten Augenblick an nicht damit gerechnet, dass sie sich seiner Aufforderung fügte. Dass ihre Vernunft Oberhand gewann und ihr Einhalt gebot. Und doch hoffte ein kleiner Teil in ihm, sie zumindest zum Nachdenken zu bewegen. Ihr klar zu machen, dass sie dieser Auseinandersetzung im Moment nicht gewachsen war.
Wie wenig dieser Versuch fruchtete, wurde deutlich, als er Skadi ins Gesicht sah. Als er jene Dunkelheit in ihrem Blick erkannte, die auch ihn im Innersten erfüllte. Und – bei allen Welten – wie versucht war er, sie diesen Weg doch noch gehen zu lassen. Er wusste, wie sehr sie es brauchte, wie alles verzehrend sich der Wunsch anfühlte, auszuleben, was sie in diesem Augenblick beherrschte. Wie das krankhafte Verlangen nach Alkohol, weil nichts anderes die Erinnerung in Schach hielt. Wie das brennende Gefühl von Rachsucht, die als Einzige in der Lage war, die Vergangenheit auszulöschen und am Ende nur kalte Asche hinterließ. Eben jener Teil in ihm wollte ihrer Aufforderung folgen und zur Seite treten, wissend, wie gut es sich für sie anfühlen würde, das Leben ihres Gegners zwischen ihren Fingern hindurchrinnen zu lassen. Welche Schatten auch immer es waren, die er in ihr geweckt hatte.
Doch er trat nicht zurück. Und nicht der Gedanke an die Konsequenzen war es, der Lucien davon abhielt, sondern das Wissen, dass Skadi nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte war.
„Sicher nicht“, erwiderte er nur mit einem Knurren in der Stimme und warf einen prüfenden Seitenblick auf ihren sich aufspielenden Kontrahenten. „Ich hatte vor, dich heute noch lebend zurück aufs Schiff zu schleppen.“
Es war vielleicht jener kurze Augenblick, in dem er nicht auf sie achtete, der ihr letztlich die Gelegenheit bot. Lucien spürte nur einen kurzen Rück an seinem Gürtel, dann hatte die Jägerin seinen Dolch gepackt und aus der Scheide gezogen, setzte im nächsten Sekundenbruchteil dazu an, sich an ihm vorbei zu drängen.
Der Dunkelhaarige reagierte einen Augenblick zu spät, bevor er sich gegen ihren Arm stemmte, der ihn zur Seite drückte. Was ihr beinahe genug Spielraum einräumte, sich doch noch auf ihren Gegner zu stürzen. Gerade noch rechtzeitig griff Lucien nach jenem Handgelenk, mit deren Hand sie seinen Dolch umklammerte, schob sich mit seinem ganzen Körper vor sie und drängte sie ein Stück zurück, den Blick dabei unverwandt in ihre dunklen Augen gerichtet. „Skadi, bei allen Welten, komm wieder zu dir!“


Ein eiserner Griff legte sich wie ein Schraubstock um ihr Handgelenk und riss sie jäh auf ihren Platz zurück. Drängte nicht nur ihren Körper, sondern gleichsam ihre Aufmerksamkeit dorthin, wo sie den lärmenden Stimmen und der ernüchternden Machtlosigkeit ausgesetzt war. Skadi brummte. Fixierte den Hünen am anderen Ende mit solchem Hass, dass dieser innehielt. Grinsend, selbstgefällig, weil ihn nicht nur die Männer in seinem Rücken, sondern ihr eigener Kapitän vor ihrer blutigen Rache schützten. Das Rauschen in ihren Ohren schwoll zu einer schieren Flutwelle an, die ihren Körper durchströmte. Gegen ihre Kehle schwappe und fast vor Übelkeit vorn über kippen ließ. Sie wollte das hier nicht. Sich beherrschen. Wollte das, was sich in ihrem Magen regte wie ein knurrender Panther, hinaus lassen. All die angestauten Empfindungen von sich schütteln, die ihre Vergangenheit, die Enrique und Liam aufgerüttelt hatten. Sich einmal mehr nicht wie das kleine Mädchen von damals führen, das sich dem Schicksal hatte ergeben müssen.
“Wen kümmert es schon.“, wollte sie Lucien entgegen speien. Ihn ansehen wie einst Liam, kalt und gefühllos. Liam, dessen Mitgefühl und Sorge sich wie Salzsäure in ihr Rückgrat gefressen hatte und unendlich viel Bitterkeit dort hinterließ, so seine Liebe keine Löcher mehr stopfen konnte.
Doch jedes Wort verkeilte sich bereits  tief in ihrer Brust, noch ehe es überhaupt über ihre Lippen kriechen konnte.  Und statt sich überschlagendem Hass, trat Verzweiflung in ihren Blick. Wut. Enttäuschung. Sie gab der Kraft seiner Hand nach. Sackte für einen Moment in sich zusammen und kämpfte mit den Tränen. Starrte in diese tiefgrünen Augen und fühlte sich wie in zwei ungleichmäßige Teile gerissen.
“Glaub ja nicht, dass es vorbei ist.“ Der dunkle Schopf hatte sich erneut ihrem Kontrahenten zugewandt. Mit funkelndem Blick und einer Kälte auf den Zügen, die zuvor nicht da gewesen war. “Genieße die letzten Nächte deines erbärmlichen Lebens, bevor ich dich finde.“ Worte die im Gejaule und Gelächter der Umstehenden nur noch für Lucien zu hören waren.
Dann wandte sie sich ab. Presste ihrem Kapitän den Dolch gegen die Brust und steuerte auf die Absperrung zu. Hörte nicht einmal mehr zu, als sich der Hüne in ihrem Rücken mit allerlei Spitznamen über sie belustigte. Die Nordskov lief nur noch auf Autopilot, darauf fokussiert so schnell wie irgend möglich von hier zu verschwinden und den Schmerz in ihrem Körper mit reichlich Alkohol zu ertränken. Sie wusste, dass sie die Crew geradewegs davor bewahrt hatte von dieser Insel verschwinden zu müssen. Vielleicht weil sie sich vor allerlei Zeugen eines Mordes schuldig gemacht hätte. Vielleicht weil sie selbst bei dem Versuch drauf gegangen wäre, dem Kerl das Licht auszuknipsen.


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