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We can always reach a little higher - Shanaya Árashi - 30.10.2020

We can always reach a little higher

Vormittag des 20. Mai
Ceallagh Hayes & Shanaya Árashi


Shanaya lag quer auf ihrem Bett, ließ den Kopf über die Kante hängen und starrte die Wand an, die verkehrt herum war. Sie war so müde und gleichzeitig so aufgewühlt. Die vergangene Nacht wirkte so surreal, wie ein ferner Traum. Und doch wusste sie ganz genau, dass all das passiert war. Dass sie, vollkommen übermüdet, an Lucien gelehnt hatte. Dass sie über viele kleine Dinge gesprochen hatten, während sie damit gekämpft hatte, nicht einzuschlafen. Und schließlich war doch genau das passiert. Wann ihr Captain verschwunden war, konnte sie beim besten Willen nicht sagen,. Aber als sie aufgewacht war, war sie wieder allein gewesen. Genau wie jetzt. Greo und Enrique waren nicht im Zimmer, sie war allein mit ihrer Wand und dem langsam schwer werdenden Kopf. Aber so konnte sie alle möglichen Gedanken unterdrücken, auch wenn sie diese Position nicht mehr lange aushalten würde. Und irgendwann im Laufe des Tages würde sie sich die Beine vertreten. Sie musste sich nur noch dazu aufraffen.

Die Tage waren verflogen, ohne dass sich Ceallagh recht an den Zustand der "Mehrsamkeit" hatte gewöhnen können. War er bisher dazu übergangen, die Massen zum Untertauchen zu nutzen und mit dem Einheitsbrei der Menschen zu verschwimmen, war für ihn, umringt von Piraten und einem Paar grüner Augen, nicht mehr notwendig. Sie waren zu einem Alltag zurück gekehrt, der begrüßenswert, aber deshalb nicht weniger seltsam für ihn war.
Mit einem Knacken in den Gelenken hatte sich der Hüne von den Decken und Kissen erhoben und war noch vor Tagesanbruch aus den Gemächern verschwunden. Irgendwohin, wo ihn niemand sehen konnte, wo er für sich allein war, um seine Gedanken zu sortieren, die des Nachts immer seltsamer und diffuser wurden. Ganz als beschlich ihn eine unangenehme Vorahnung. Sanft schlugen die Knöchel seines Zeige- und Mittelfingers gegen das dicke Holz der Tür, die er, ohne eine Antwort abzuwarten, langsam von sich drückte. Schob sich erst der blonde Schopf durch den Türspalt, folgte alsbald der in dunklen Leinen umhüllte Körper. Auf den Zügen das unverkennbare Lächeln, das so viel mehr Bedeutung in sich trug, als die meisten verstanden. "Na... auch mal ausgeschlafen?"


Immer wieder drängten sich Shanaya die Bilder der letzten Nacht auf. Sie spürte den Berührungen nach, der sanften Wärme. Es war alles so unendlich verworren, ein Netz, aus dem es kein Entkommen gab, so sehr sie es auch versuchte. Einzig und allein das kurze Klopfen ließ ihre Gedanken umschwingen – bis sie den Mann erkannte, der ihr Zimmer betrat. Oder viel mehr glaubte zu erkennen. Sie blinzelte, versuchte, das Bild in ihrem Kopf zu drehen. Das konnte eigentlich nur Ceallagh sein. Seine Miene wirkte jedoch etwas verzehrt, was es noch deutlich schwieriger machte. Aber seine Stimme klang amüsiert. „Hör bloß auf. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel geschlafen. Und trotzdem bin ich nach einer Nacht ohne viel Schlaf hundemüde...“ Die Schwarzhaarige machte keine Anstalten, sich richtig rum zu drehen, auch wenn ihr Gesicht langsam einen sachten, roten Hauch annahm.

"So?" Er ersparte sich und ihr die Frage, was sie so lange davon abgebracht hatte, ihrem Körper die nötige Ruhe zu geben, die er brauchte. Nach den letzten Wochen konnte er es sich wohl selbst gut genug beantworten. Und wenn es nicht das war, woran er als zweites dachte, dann lag es wohl an der Tatsache, dass sie sich das Zimmer mit zwei Männern teilte. Ein Interpretationsfreiraum, der je nach eigener Gesinnung ausfallen konnte. "Ich schätze, du bist halt auch nicht mehr die Jüngste, mh?" Ein Auflachen verschwand aus seiner Kehle. Dann durchschritt der hochgewachsene Körper den Raum und blieb, noch immer grinsend, dicht neben dem Bett der Navigatorin stehen. Die Tür zum Zimmer etliche Zentimeter geöffnet, als säße auf dem Flur ein neugieriges Paar Augen.

Auf die kurze Nachfrage des Mannes hin gab Shanaya nur ein leises Brummen von sich. Sie war froh, dass er nicht weiter hinterfragte – beließ es also einfach dabei. Sie hätte eh kleine Antwort auf diese unausgesprochene Frage gewusst. Was auch immer sie gewesen wäre. „Oh ja. Mit siebzehn Jahren ist mein Leben so gut wie vorbei. Ich weiß gar nicht, wie du so alt werden konntest.“ Ein Lächeln galt dem Blonden, auch wenn es etwas gequält wirkte. Immerhin hing sie noch immer kopfüber vom Bett. Trotzdem konnte sie sehen, wie der Mann näher kam, schließlich rollte sie sich doch auf den Bauch. Kurz war ihr schwindelig, immerhin war jetzt alles wieder richtig herum. Shanaya schüttelte den Kopf, rieb sich mit einer Hand über das Gesicht. „Was verleiht mir die Ehre von diesem hohen Besuch?“

"Viel Sex und gute Gene.", entgegnete Ceallagh mit einem Schmunzeln und Schulterzucken, ehe er der Dunkelhaarigen bei ihrer ungelenken Seitwärtsrolle zusah. Irgendwie erinnerte ihn dieser Anblick an einen vollgestopften Hamster, der all kurzen Viere von sich streckte. Irgendwie niedlich. "Ich war zu sehr von der Idee angetan, deine Krücken einzuweihen." Wie zur Untermalung seiner Worte, suchten die blaugrünen Augen den Raum nach den zwei gepolsterten Holzgabeln ab, die er erst gestern ins Bordell geschleppt hatte. Wieso er sich neuerdings so sehr zum Samariter aufspielte, war ihm unbegreiflich. Doch er ahnte, dass es ihm als sehr uneigennützige Ablenkung von allem diente, mit dem er sich gerade nicht beschäftigen wollte.

Viel Sex und gute Gene? Shanaya konnte sich ein herzliches Auflachen nicht verkneifen. „Dann darf ich ja auch darauf hoffen, dass beides bei mir wirkt.“ Auch wenn es für den Moment noch ein wenig an dem ‚viel‘ hakte. Mit diesen Worten verließ ein leises Schnaufen ihre Lippen. Bei den nächsten Worten des Blonden hob sie leicht eine Augenbraue, schmunzelte aber amüsiert vor sich hin. „Tu dir keinen Zwang an, humpel ruhig mit ihnen los.“ Erst einmal blieb sie auf dem Bauch liegen, folgte dem Blick des Mannes zu den Krücken. „Habe ich mich eigentlich für dieses sonderbare Geschenk bedankt, von dem ich noch immer nicht weiß, wieso mir so eine Ehre zuteil wurde?“ Erst jetzt drehte sie sich ein wenig, bewegte die Beine, bis sie vom Bett hingen und sie aufrecht saß.

Fast wollte er demonstrativ seinen Arm aus der Schlinge ziehen, die seit Wochen beständig an seinem Nacken zog, doch erinnerte ihn schon der erste spitze Stich daran, dass es wohl keine gesunde und kluge Idee gewesen war. Gott war er froh, wenn die Wunde verheilt war und er seinen gewohnten Bewegungsradius zurück bekam. Dass Shanny ihm mit einer Erwiderung zuvor kam, erübrigte zumindest einen verständlicheren Kommentar, als das kurze Zucken der dichten Brauen. Wenngleich es in nicht weniger als das endete. "Ich hatte natürlich nur Unanständiges im Sinn.", troff es ironisch über seine Lippen. Gipfelte in einem fast schon tadelndem Blick, der einem knappen Auflachen wich. "Also wenn du dich bedanken willst, schwing deinen Hintern aus dem Bett. Dieses Elend kann sich doch keiner mehr ansehen." Mit einem letzten Blick auf den dunklen Haarschopf und einem verschmitzten Zwinkern in ihre Richtung, wandte sich Ceallagh zu den Krücken herum.

Shanaya betrachtete den Blonden weiterhin mit amüsierter Miene, auch als er den Arm aus der Schlinge kurz bewegte. Herrje, sie waren alle schon ein ramponierter Haufen. Auf seine Worte hin neigte die junge Frau sachte den Kopf. „Natürlich, immerhin bist du ein Mann.“ Nun war es an ihr, kurz mit beiden Schultern zu zucken, während sie blauen Augen ruhig auf dem Älteren lagen. Was er dann sagte, ließ sie beinahe ergeben seufzen. „Das ist einfach.“ Kurz noch erwiderte sie den Blick des Mannes, ehe dieser sich abwandte und Shanaya sich mit einer leicht wankenden Bewegung vom Bett erhob. Mit beiden Armen versuchte sie das Gleichgewicht zu halten, das mit einem Bein schwieriger zu erreichen war. „Was ist dein Plan? Wohin willst du mich entführen?“

Ceallagh lachte. Nicht weil ihr Kommentar besonders lustig gewesen war, sondern weil ihn amüsierte, worauf sie anspielte ohne in Betracht zu ziehen, dass Frauen im dunklen Inneren ihres Herzens nicht viel besser waren. Der kleine aber feine Unterschied war nur die Hemmung all das auszuleben, wonach es einem gelüstete. "Entführen, ausführen, verschleppen, durch die Gegend schuppsen, begleiten. Such es dir aus." Mit einer halben Drehung wandte er sich herum, eine der Krücken in der Hand, die er ihr mit dem anderen Ende entgegen hielt. "Solange ich dich nicht tragen muss."

Das Lachen des Mannes ließ auch das Lächelnd er Schwarzhaarigen ein wenig breiter werden. Sie wusste nicht, was ihm durch den Kopf hing – aber sie hätte es in diesem Moment gern gewusst. Dieser Kerl war ihr sympathisch, selbst wenn sie dafür keinen genueren Grund hatte. Er hatte sie versorgt, als sie mit Fieber flach gelegen hatte – und er hatte ihr die Krücken besorgt, ja. Aber das allein ließ sie nicht unbedingt für jemanden Sympathie empfinden. „Oh, der werte Herr möchte mich ausführen?“ Damit war klar, welche Variante sie wählte. Sollte er sie schubsen, wusste sie, wohin sie ihre Finger bohren musste. Mit einem kurzen, sankbarem Nicken nahm sie die Krücke entgegen, konnte so ihr Gewicht verlagern, dass sie zwei Schritte nach vorn trat. Das war viel besser. „Und wenn ich auf halbem Weg zusammen breche und mich nicht mehr allein halten kann? Würdest du mich dann eiskalt liegen lassen und zulassen, dass irgendwelche Penner püber mich herfallen?“ Ihre Miene nahm einen – gespielt – empörten Ausdruck an, ehe sie sich wieder in Bewegung setzte.

Ein verschmitztes Grinsen huschte über die bärtigen Züge des Hayes. War für einen kurzen Sekundenbruchteil von seinem Hinterkopf verdeckt, kaum dass Shanaya ihm die Krücke abgenommen und er seine Hand für Nummer Zwei frei gemacht hatte. Wenn sie so spezifisch auf dieses Wort ansprang, war sie vielleicht doch von der romantischen Sorte. Armer Lucien. "Dich liegen lassen? Das käme mir gar nicht in den Sinn.", führte er gespielt entrüstete an, wandte sich ihr zu und musterte ihre Miene aufmerksam. "Wofür hast du denn schließlich noch dein gesundes Bein? Ich zieh dich ganz einfach bis hier her zurück."

Die Erwiderung des Manne sließ Shanaya zuerst die Augen ein wenig verengen. Es war… kein Geheimnis. Aber… sie gab sich scheinbar wirklich am liebsten mit denen ab, denen das Wort ‚Charmant‘ auf die Stirn geschrieben war. Sie schnaubte, war jedoch nicht minder amüsiert als zuvor. Der Blonde wandte sich zu ihr herum und Shanaya erwiderte seinen Blick mit abschätzend gehobener Augenbraue. Natürlich. „Dann sei wenigstens so gut zu mir und zieh an dem gesunden Bein. Sonst hinterlasse ich eine Blutspur, an der unser Weg zurück verfolgt werden kann.“ Nich einmal seufzte sie amüsiert, setzte sich dann samt Krücke in Bewegung zur Tür, die noch leicht geöffnet stand und mit einem sanften Stoß der Krücke aufgeschoben wurde. „Na los, du Held.“

"Ich bin doch kein Unmensch." Nur manchmal ein kleines Bisschen. Wenn sich die Gelegenheit bot und es lustiger war, als mit vollem Ernst bei der Sache zu sein. Erst als die Jüngere die Tür erreichte und sich langsam durch den Rahmen schälte, folgte er ihr, zog das schwere Holz geräuschvoll hinter sich zu und warf einen kurzen Blick den Gang hinauf und hinunter. Niemand zu sehen, der sie wie eine Amme zurück ins Bett verfrachtete. "Wonach gelüstet es dich am meisten?" Ihm war definitiv nach Ablenkung. Doch nicht um den Preis, dass sie ihm nach einem halben Marathon wirklich noch zusammen klappte. Oder ihm die Krücken um die Ohren warf, weil sie vor lauter Frust über ihren Schneckengang, ihre Anspannung heraus lassen musste.

Die Erwähnung eines Unmenschen ließ die Schwarzhaarige ein leies, überlegendes Geräusch von sich geben. „Dessen bin ich mir noch nocht sicher.“ Davon musste er sie definitiv erst einmal überzeugen. Ceallagh folgte ihr, stellte eine Frage, die sie nicht lang überlegen ließ. Selbst, wenn das nun sehr… vorhersehbar war. „Irgendwas zu Essen finden, was nicht aus diesem Haus stammt.“ Es würde hoffentlich in der Nähe irgendwelche Stände geben, die ihren Hunger stilen würden. Sie zögerte einen Herzschlag, hinkte den Flur entlang und warf Ceallagh dann einen vielsagenden Blick zu. „Den Rest überlasse ich dir, großherzig, wie ich bin. Ich bin einfach nur froh, wenn ich mich ein wenig bewegen kann.“

"Weil das Essen außerhalb dieses sehr pompösen Etablissements so viel besser ist, meinst du?" Ganz sicher lag es daran. Und weniger, weil sie gerade alles abstieß, was mit diesem Hurenhaus zu tun hatte, in dem sie Stunden und Tage lang gefangen gewesen war. Bewegungslos. Wie lange es wohl brauchte, bis ihr Übereifer sie zurück zwang oder ihre Narben aufplatzen ließ, wie überfüllte Teigtaschen? Zu gern hätte er jetzt einfach seine Hände in den Nacken geschoben und sich pfeifend durch das Tor in die Freiheit begeben. Doch sowohl seine Schulter, als auch Shanayas Kommentar hielten ihn davon ab. Amüsiert und skeptisch zugleich tanzten die hellen Brauen einige Millimeter hinauf. "Du überlässt MIR freiwillig die Planung unserer nächsten Route?" Hatte er diese Worte bewusst so gewählt? Mh. Vielleicht. Um sie damit ein bisschen aufzuziehen, weil sie eigentlich immer gern selbst die Dinge in die Hand nahm und das Steuer eigentlich so gut wie niemandem sonst überließ? Zumindest bisher? Ganz sicher. "Okay. Dann bin ich mal gespannt, was du zu meiner Idee sagen wirst. Ich glaube, ich kenne da einen Ort, der deine Knie mal aus nem sehr angenehmen Grund weich werden lässt." Und der hieß nicht "die Arme meines besten Freundes". Auch wenn man diese unterschwellige Botschaft durchaus in sein spitzbübisches Grinsen hineininterpretieren konnte.

„Fast alles wäre besser als das Essen von hier.“ Vielleicht nicht die Qualität, aber… Shanaya war genügsam. Sie konnte sich mit wenig zufrieden geben. Was ihr Glück war… eine verwöhnte Piraten, die nur von besonderem Geschirr aß, nur das Beste vom Besten auf ihren Teller ließ… Das widersprach sich selbst. „So großzügig bin ich. Und wenn es mir nicht passt, schmeiße ich mich einfach auf den Boden und tue so, als würde ich vor Schmerzen sterben.“ Sie lachte, stellte es sich amüsant vor, wenn in solch einem Moment irgendein guter Samariter sich ihrer annehmen würde. Nur, weil der Weg ihr nicht passte. Sie schnaufte, machte damit deutlich, wie ernst sie diese Worte meinte und warf dem Blonden bei seinen nächsten Worten einen skeptischen Blick zu. Ein Ort, der ihre Knie weich werden ließ. Seine Gedanken blieben ihr verborgen und so konnte sie sich zu seinem Blick nur ihren Teil denken. Seine Anspielung blieb ihr verborgen. Ob bewusst oder unbewusst machte keinen Unterschied. „Jetzt musst du mich wirklich überzeugen, sonst bin ich maßlos enttäuscht.“

"Auf dem Boden wälzen und schreien?" Darüber musste er doch tatsächlich herzlich lachen. Das hatte schon das Niveau eines Kindes und erinnerte ihn stark an einige seiner alten Freunde aus dem "Dorf". "Ich weiß nicht was ich amüsanter finden soll... wenn sich ein Prinz Löwenherz dann deiner armen Seele erbarmt und sich unglaublich toll und gönnerhaft fühlt. Oder die griesgrämigen Blicke, die ich von etlichen alten Damen und Herrschaften ernten werde." Beinahe wäre es ihm das Experiment wert. Doch nur FAST. Bereits am Ende der Treppen angekommen, wandte er sich erneut herum, um mit einem kurzen prüfenden Blick zu Shanaya aufzusehen. Nicht, dass er sie hetzen wollte. "Das Risiko gehe ich gern ein. "

„Also ich bin ganz klar bei den Griesgrämen, die dir unendlich viele Vorwürfe machen, wie du so ein hübsches Wesen einfach verletzt am Boden liegen lassen kannst.“ Shanaya nickte übertrieben, machte damit nur noch einmal ihre Worte deutlicher. So etwas gehörte sich nicht für den Mann von Welt. Sie warf Ceallagh ein munteres Grinsen zu, zuckte dann mit den Schultern. In ihrem Tempo hinkte sie neben – oder hinter – dem Blonden her, erreichte auch recht kurz nach ihm das Ende der Treppe und erwiderte seinen Blick mit skeptischer Miene. „Wie weit willst du mich quälen? Muss ich die Stadt durchkreuzen?“ Wenn es den Weg wert wäre, würde sie auch diesen Weg auf sich nehmen.

“Wer ist von uns beiden jetzt der größere Unhold?“, erwiderte Ceallagh lachend und wusste bereits die Antwort darauf. So wie er Shanaya bislang kennengelernt hatte, war ihr Selbstbewusstsein nahezu unerschütterlich. Ein dummer Spruch konnte ihr genauso wenig anhaben, wie ein bisschen Staub und Dreck im Gesicht. “Ja. Und nein. Es sei denn, du willst aufgeben und dir durch die Lappen gehen lassen, was dich erwartet.“ Spielerisch ließ der Hüne die dichten Brauen tanzen, schenkte der Jüngeren ein vielsagendes Schmunzeln und trat ohne Umschweife ins Freie hinaus. Der Weg zu seinem Lieblingsbuchbinder und Archivar war weit, doch jeden Schritt und Schmerz wert.

„Die Frage kannst du dir selbst beantworten!“ Shanaya setzte eine unglaublich traurige Miene auf, die von allem Schmerz der Welt sprach. Der ganz allein auf ihren Schultern lastete. Schnell legte sich aber wieder ein Lächeln auf ihre Lippen. Der Weg war ihr egal, Hauptsache, sie konnte sich die Beine ein wenig vertreten. Wobei eine gewisse Skepsis blieb, was der Blonde vor hatte. Ihre Frage beantwortete er jedenfalls nicht wirklich. „Sieht dieses Gesicht aus, als würde es aufgeben?“ Ein Funkeln huschte durch die hellen Augen der jungen Frau, ehe sie leise die Luft ausstieß. „Notfalls krieche ich halt zurück. Schaffe ich auch irgendwie.“ Und in ihrer Stimme schwang ein Ton mit, der deutlich machte, wie sehr sie dieses Bild in ihrem Kopf amüsierte.

“Dieses Gesicht sieht eher aus, als würdest du dich wie ein Hai in alles verbeißen.“, gestand Ceallagh lachend und passierte das Haupttor in Richtung Hauptstraße. Als hätte er nicht bereits damit gerechnet. Nur gut wenn ihr dann niemand auf die Nase schlug und sich an ihren Zähnen oder Flossen gütlich tat. Anderswo galt das ganz sicher als Delikatesse. “Wäre es dann meine Pflicht dich heldenhaft aufzuheben oder darf ich mir das einmalige Spektakel von außerhalb ansehen?“ Breit grinsend sah der blonde Schopf zur Seite und wich einem älteren Herren aus, der blind die Straße hinab lief. Genau zwischen ihn und Shanaya, was Ceallagh wohl im Idealfall vor einem Schlag mit der Krücke bewahrte.

Shanaya lachte bei den Worten des Mannes amüsiert auf, wog den Kopf dann überlegend zu beiden Seiten. „Da ist jetzt die Frage, ob ein Hai oder ich niedlicher ist.“ Sie wusste die Antwort, warf Ceallagh aber einen skeptischen Blick zu, mit dem sie seine Reaktion prüfen wollte. „Wenn ich mir das in den Kopf gesetzt habe, darfst du dir das ganze gern ansehen. Und du darfst gern beim Bordell mit etwas zu Essen auf mich warten.“ Vermutlich war das das Erste, woran sie denken würde. Ihr Blick ruhte noch auf dem Blonden, sodass sie den Mann nicht kommen sah, der sich kurzerhand zwischen ihnen her schob. Erst, als er fast auf ihrer Höhe war, zuckte die Schwarzhaarige kurz zusammen, taumelte einen Schritt zur Seite um auszuweichen und trat dabei mit dem verwundeten Bein auf, was ihr ein derbes Zischen entlockte. Einen Moment biss sie die Zähne aufeinander, stützte sich dann wieder auf die Krücke und warf dem Fremden einen grimmigen Blick hinterher. Aber er störte sich nicht daran, und so tat Shanaya es ihm gleich, folgte wieder dem Weg, atmete einmal tief durch und schob diesen Kerl einfach wieder aus ihrer Erinnerung. Auch wenn ihr Bein, dank ihm, nun wieder etwas ziepte.

Wie zur Antwort schenkte er ihr nur ein breites und vielsagendes Schmunzeln. Als käme er je auf den Gedanken, darauf etwas ernsthaft zu erwidern! Die kleine Navigatorin besaß schließlich genug Schleue, um seine Antwort in jede erdenkliche Himmelsrichtung zu biegen. Ganz wie es ihr in den Kram passte. Und ihr Ego streicheln hatte er weiß Gott nicht im Sinn. DAS bekam sie auch problemlos selbst zustande. Allerdings zuckten seine Brauen, als der dunkle Haarschopf auf der anderen Seite ins Straucheln geriet und zurück kippte. Ceallagh konnte nur an ihrem schmerzverzerrten Zügen erahnen, dass sie geradewegs auf ihre verletztes Beim getreten war. “Beim nächsten Mal kannst du gern draufhauen.“ flüsterte er ihr zu und folgte einem Pfad nach links in eine der unzähligen geschmückten Seitengassen.

Shanaya wandte, wie immer, den Blick nicht noch einmal zurück. Sie machte sich nicht viele Gedanken um das, was zurück lag. Sei es nun einige Jahre oder wenige Sekunden. Sie machte keinen Zirkus daraus, angerempelt zu werden – solange der Betroffene nicht selbst stehen blieb. Mit Ceallaghs Worten kehrte jedoch wieder ein Lächeln auf ihre Lippen zurück. „Wenn ich jeden verprügeln würde, dessen Nase mir nicht passt… Es wird viel eher Mal wieder Zeit für eine schöne Kneipenschlägerei.“ Ein leiser, grübelnder Unterton schwang in ihrer Stimme mit, während sie dem Blonden folgte. „Du gehst ganz schön zielstrebig. Hast du dir die Insel in den letzten Tagen gut eingeprägt?“