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Eine kurze Auszeit - Liam Casey - 24.11.2019

Eine kurze Auszeit
Vormittag des 17. Aprils 1822
Greo & Liam Casey


Das aufgeregte Gackern der Hühner verstummte jäh, nachdem Liam ihnen eine Hand voll Futter in den Pferch geworfen hatte. Auch Sineca hielt inne und beobachtete die Tiere nun neugierig dabei, wie die die Körner vom Boden aufpickten. Es schien, als hätte sich das Geflügel mittlerweile – wenn auch misstrauisch – an die gefleckte Gestalt gewöhnt, die dann und wann um ihr kleines Zuhause schlich und sie nicht aus den Augen ließ. Liam bezweifelte, dass sie sich je noch einmal an ein eingesperrtes Tier auf einem Schiff herantrauen würde, um ihm zu schaden. Der Tritt, den sie sich durch den Versuch am Anfang ihrer und Liams Reise von einem der Seemänner an Bord eingefangen hatte, hatte wahrlich Wunder gewirkt und die Schleichkatze war schlau genug, eine solche Situation nicht ein weiteres Mal heraufzubeschwören. Bislang jedenfalls hatte sie sich auf jedem Schiff damit begnügt, das Vieh lediglich zu beschatten. Ein kurzer Seitenblick galt seiner Partnerin, deren Blick noch immer mit zuckenden Schnurrhaaren auf die Hühner gerichtet war, ehe sich Liam dran machte, die heutige Ausbeute an Eiern vom Boden aufzulesen, um sie nach oben zu bringen. Doch statt den Lagerraum direkt wieder zu verlassen, ließ auch er sich auf dem Boden vor dem kleinen Gehege nieder, um den Hühnern beim Fressen zuzusehen. Die Eier legte er beiseite, was augenblicklich die Aufmerksamkeit der länglichen Katze auf sich zog, die mit zwei schnellen Sprüngen vor ihm stand und mit einem lautlosen Miauen ihren Anteil einforderte. Noch während Liam mit einem tonlosen Schmunzeln nach einem der Eier griff, konnte er hinter sich die Schritte eines anderen hören, der sich hier herunter zu verirren schien.
„Wusste nicht, dass du Eier legst.“, brummte Greo gemütlich und runzelte die Stirn angesichts des Anblicks: der Katzenjunge mit seinem Tier mit den Eiern neben sich. Greo war in das Licht einer Lampe getreten, beladen mit einem Sack aus Leinen, aus dessen Ecke unten kleine Salzkörner rieselten. Sein Hut hing ihm an einem Band im Nacken und legte sein dunkles Haar frei, das in ungeordneten Strähnen in verschiedene Richtungen abstand. Es glänzte noch vor Feuchtigkeit: Greo hatte den Kopf vorher in eine Schüssel mit Wasser getaucht, um sich die Anspannung aus dem Gesicht zu waschen, die ihn seit der Nacht plagte. Nun schien er ganz der Alte zu sein und lediglich ein leichter Schatten unter seinen Augen verriet, dass der nicht wirklich ausgeruht war. Der Blick des Farmers glitt von Lucas zu der Schleichkatze und zu den Hühnern, von denen eine Glucke immer recht unruhig wurde, wenn sie Greo sah. Aber vielleicht lag das auch an dem Raubtier vor dem Gehege. „Ist ihr das Leben an Deck nicht zu einengend?“, fragte er mit einem Nicken zu dem getüpfelten Geschöpf und fühlte sich kurz an die gefleckten Marder seiner Heimat erinnert.
Nur, weil man sich über den Weg lief, bedeutete das an Bord eines Schiffes nicht zwangsläufig, dass ein Gespräch entstehen musste. Immerhin gab es nur wenige ruhige Plätzchen, an denen man nicht aufeinanderhockte. Und mit zunehmender Reiselänge waren auch die Nerven strapazierter, ganz gleich, wie gut man sich eigentlich (zu ignorieren) verstand. Liam hatte den Kopf nicht herumgewendet, saß mit dem Rücken zur Treppe und hatte im Grunde nur mit einem flüchtigen Gruß gerechnet. Greos Kommentar allerdings ließ ihn schmunzelnd über die Schulter blicken. „Behalte es für dich. Am Ende wollen sie mich noch zu den Hühnern sperren.“ Mittlerweile hatten die Hühner einen Großteil des Futters aufgelesen. Eine erneute Unruhe breitete sich aus, obwohl Sineca keinerlei Interesse mehr an den Vögeln zu haben schien. Stattdessen lag ihr Blick fordernd auf dem Ei, welches der Lockenkopf noch immer zwischen den Fingern hielt. „Ich weiß nicht. Ich zwinge sie nicht, hierzubleiben. Aber sie hat auch noch nie Anstalten gemacht, gehen zu wollen.“ Er zuckte mit der Schulter und drehte sich ein wenig herum, um Greo weder wieder abweisend den Rücken zuzukehren, noch ständig eine halbe Verrenkung anstellen zu müssen, um den Hünen anzusehen. „Im Grunde ist sie frei. Ich sehe sie nicht als mein Eigentum.“
Greo lächelte milde. „Und am Ende gemästet und geschlachtet, welch Schande.“ Dann musterte er den Raum knapp. Mittlerweile hatte er hier so viel Zeit verbracht, dass sein Gedächtnis die Lagerung einigermaßen kartographiert hatte. Kurzum wusste er im Grunde, wo was war und wo etwas hingehörte. Seine Lippen wurden schmal, als er registrierte, dass das Salz über ein paar Kisten hinweggehievt werden musste. Etwas umständlich machte er sich ans Werk. Er warf einen Blick zurück und merkte, dass Liam sich ein wenig kommunikativer positioniert hatte. Langsam nickte er, hockte sich hin, um nicht so bedrohlich zu wirken (nicht Liam gegenüber, sondern der Ginsterkatze) und beobachtete sie bei ihrer Werbung um das Ei. Ein amüsiertes Mienenspiel glitt über sein Gesicht. Wo sollte der kleine Jäger auch hingehen, wo das Schiff doch meist so weit von der Küste fort war? „Vielleicht betrachtet sie dich aber als solches.“, bemerkte er und neigte leicht den Kopf. „Ich hab so was noch nie gesehen.“
Greos Ende der Geschichte war noch weniger erstrebenswert als das, was Liam selbst angeschnitten hatte. Unbegeistert von der der Vorstellung, als Mahlzeit der Crew zu enden, kniff er kurz die Augen zusammen und nickte bedauernd darüber, dass der Hüne vermutlich Recht gehabt hätte. Flüchtig glitt sein Blick zurück zu den Hühnern, die sich glücklich schätzen konnten, nicht zu verstehen, dass ihnen just die Zukunft vorhergesagt worden war. Stattdessen fristeten sie einfach sorglos ihr Dasein in ihrem kleinen Gehege, ohne sich daran zu erinnern, wie die Sonne wohl aussah. Die Geräusche hinter sich zogen Liams Aufmerksamkeit zurück auf Greo, der gerade dabei war, den Sack voll Salz weiter hinter ins Lager zu schaffen. Da er sich von seinem Vorhaben allerdings ablenken ließ, kaum, dass er ihm geantwortet hatte, vergaß der Lockenkopf kurzerhand, ihm seine Hilfe anzubieten. Mit einem schmalen Lächeln beobachtete er die Geste, die Greo seiner Partnerin entgegenbrachte. Etwas, was viele taten, wenn sie sich der Schleichkatze nährten. Auch Leute, von denen er es nicht erwartet hatte. Leute wie Josiah zum Beispiel. „… Möglich.“, bestätigte er mit einem Grinsen die Vermutung Greos. Sineca hatte dem Neuankömmling einen kurzen Blick geschenkt, buhlte nun aber bereits mit einer Pfote nach dem Hühnerei. „Ich habe lange gebraucht, bis ich in einem Buch herausgefunden habe, was sie ist. Woher sie kommt – keine Ahnung. Urwälder hieß es, aber auch Skadi hat wohl noch nie eine in freier Wildbahn gesehen.“ Nicht, dass sie je darüber gesprochen hatten, aber Liam vermutete, dass ihr Interesse ganz anders ausgesehen hätte, hätte sie ihre Heimat mit ihren Artgenossen geteilt. Kurzerhand streckte Liam den Arm aus, um Greo das Ei zu reichen, auf dem Sinecas Aufmerksamkeit lag, damit er sie sich näher ansehen konnte. „Die Schmuggler hatten allerlei Tiere. Hermeline, Füchse, Kaninchen, Chinchillas. War schwer zu sagen, woher sie kamen. Ob aus unserer Welt oder einer der anderen.“
Er hatte keinen Schimmer von der Katze und übte sich da lieber in Zurückhaltung. In seiner Heimat endete zu großer Enthusiasmus bei Begegnungen mit wildem Getier oft in schmerzhaften, schlecht heilenden oder auch giftigen Bissen. Er war sicher nicht empfindlich, aber drauf anlegen musste er es jetzt auch nicht. Greo nahm das Ei entgegen, ganz in Gedanken, während er die Reaktion des Wesens vor sich genauestens studierte. „Chinchilla…“, wiederholte er lahm das Wort, worüber er gestolpert war und runzelte die Stirn. Auch die Jägerin hatte ihm von Tieren erzählt, die er nie gesehen hatte (Hornhörnchen? Eihörnchen? Großhörnchen?) und während ‚Hermelin‘ noch etwas war, das er mit ‚Pelz‘ und ‚klein‘ in Verbindung bringen konnte, war Chinchilla eine Dimension, die so ziemlich alles bedeuten konnte. Grün und schuppig oder gelblich fellig. Vielleicht mit Reißzähnen. „Ich nehme an, sie haben sie dir nicht freiwillig überlassen?“, fragte er und schaute sein Gegenüber kurz interessiert an, bevor er das Ei sanft am Schiffsboden anschlug und die angeknackste Seite der kleinen Nase hinhielt. „Weite Reise gehabt, du Tier, du?“, stellte er dann die nächste Frage, allerdings an Sineca.
Er hatte sich schon oft gefragt, wie es dort, wo sie eigentlich herkam, wohl aussah und ob sie, sollte er ihre Herkunft je herausfinden, doch den Entschluss fassen würde, dort zu bleiben. Mittlerweile hatte er sich derart an ihre Anwesenheit gewöhnt, dass er sich kaum vorstellen konnte, wie es ohne sie gewesen war – aber er wäre der letzte gewesen, der sie aufhalten würde, sollte es sie fortziehen. „Ehm, recht große, plumpe Mäuse, wenn man so will. Kannst dir vorstellen, wie viele Pelze man für einen herkömmlichen Mantel braucht.“, stellte er vereinfacht dar und gab Greo eine geschätzte Dimension mit den Händen vor, nachdem er dem Hünen das Ei überreicht hatte. Sineca setzte sich auf die Hinterhand und versuchte, die Übergabe mit den Vorderpfoten zu vereiteln, allerdings ohne Erfolg. Dementsprechend zog es die kleine Nase der Beute hinterher an Liam vorbei in Greos Richtung. Sie zögerte kurz, zuckte mit den Ohren, als die Eierschale knackte und reckte neugierig den Kopf, ehe sie sich – sich mit einer Vorderpfote auf seinem Handgelenk abstützend – über den Inhalt hermachte. „Sagen wir, es war ein bisschen Überzeugungsarbeit notwendig.“, gab er lachend zu und beobachtete das gefleckte Tier, dass sich bei Greo weitaus weniger bitten ließ als bei manch anderen. Allerdings wusste er auch nicht wirklich, wie viel die beiden bislang miteinander zu tun hatten. „Trotzdem fürchterlich, wie viele dieser Tiere wohl irgendwo in kleinen Verschlägen gehalten werden, um einen hübschen Kragen daraus zu machen.“ Da war ihre kleine Befreiungsaktion wahrlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. „Du bist mit Tieren aufgewachsen, richtig?“ Jedenfalls hatte er irgendetwas derartiges mal aufgeschnappt. „Sie ist nicht bei allen direkt so zutraulich.“ Mit einem kurzen Nicken wies er in Sinecas Richtung, die sich bei ihrem Mahl kaum stören ließ.
Seine Mundwinkel bewegten sich unwillig: die Vorstellung, hunderten kleinen Tieren das Fell über die Ohren ziehen zu müssen, um so etwas belangloses, wie ein Schmuckkleidungsstück zu erhalten, gefiel ihm nicht. Er war Farmer, weshalb Schlachtern oder dergleichen nun wirklich kein dramatisches Thema für ihn war. Aber da ging es um lebensnotwendiges. Und ein Pelzmantel war es – zumindest in den Breitengraden, in denen er üblicherweise lebte – nicht. Fast liebevoll lächelte er die Ginsterkatze an, der das Argument Essen offenbar in diesem Fall genügte, um ein wenig auf Tuchfühlung zu gehen. Greo sah zwischendurch ihr Raubtiergebiss aufblitzen und fragte sich unwillkürlich, ob tatsächlich jemand so dämlich war, sich mit dem Tierchen anzulegen. Hingerissen von dem Anblick riss er sich nur ungerne davon los und schaute Liam an. Ein freches Grinsen zuckte über sein Gesicht. „Überzeugungsarbeit, so, so.“, kommentierte er und drehte das Ei ohne große Bewegung so, dass der kleine Gourmet auch den Rest des Inhalts erwischen konnte. „Ja, auf einer Farm in einer Gegend, in der es wirklich keucht und fleucht.“ Er konnte nicht verhindern, dass ein schwärmerischer Ausdruck in seine Augen trat. Das passierte meistens, wenn er von zu Hause sprach. „Vielleicht stinke ich noch nach Beute.“ Er schmunzelte. „Aber Pelztierzuchten gibt es da nicht. Nicht so. Nur Schafe und die werden geschoren.“ Das war auch nicht immer freiwillig, lief aber meist ohne größere Blessuren ab. *„Aber wie heißt es noch: andere Inseln, andere Sitten.“ *Er sah Liam zufrieden an. Tiere machten es so viel einfacher Smalltalk zu halten. „Dir vertraut sie am meisten, ich schätze du bist auch nicht ganz neu im Umgang mit Getier.“
Er beobachte den sonst so schweigsamen Hünen in seinem Umgang, beobachtete die gefleckte Schleichkatze, wie sie sich über das kleine Geschenk freute und wandte den Blick schließlich wieder ab, um den Hühnern bei ihrer Suche nach den letzten Körnern zuzusehen. Ob Greo ahnte, dass Sineca sich nun öfter bei ihm blicken lassen würde, um etwas Essbares abzustauben? Gab man ihr den kleinen Finger, ging sie nicht selten dazu über, die gesamte Hand zu verlangen. Ein unergründbares Lächeln lag auf seinen Lippen, als sein Gegenüber seine vage Erklärung wiederholte, hielt allerdings nicht lange. Liam war bescheiden. Er war niemand, der sich mit derlei Geschichten brüstete oder es notwendig hielt, sie mit allen Einzelheiten zu erzählen, wenn niemand danach fragte. Er war auch gewiss nicht stolz darauf, einen Haufen Schmuggler ausgeschaltet zu haben, selbst wenn es einigen Tieren die Freiheit zurückgeschenkt hatte. Alex hätte ihm wohl sämtliches Detail unter die Nase gerieben, hätte mit einem breiten Strahlen erzählt, dass die Schmuggler es anfangs wohl für einen Jungenstreich gehalten hatten, als man ihr Lager mit Schleudermunition beschossen hatte. Nur, um am Ende festzustellen, dass die Köpfe hinter den Schleudern schmerzlich gut damit umzugehen wussten. Als Greo von seiner Heimat erzählte, sah Liam wieder mit einem freundlichen Lächeln auf. Die Antwort seines Gegenübers reichte ihm völlig und obwohl er bei ‚kreucht und fleucht‘ unweigerlich an Krabbelgetier denken musste, verlieh das Leuchten in den Augen des Hutträgers, dass es so übel wohl nicht sein konnte. „Wolle reicht doch auch völlig. Aber die Reichen bekommen eben nie genug. Und je mehr Tiere für einen sterben mussten, desto mächtiger muss man zwangsläufig sein.“, seufzte er. Bei Greos Frage wog er schließlich unschlüssig den Kopf.
„Ich bin nicht mit Tieren aufgewachsen, falls du das meinst. Kann aber nicht leugnen, dass ich zumindest versucht habe, alles zu streicheln, was in Reichweite kam.“ Das Lächeln auf seinen Zügen wuchs zu einem schuldbewussten, kindlichen Grinsen heran. „Was Sineca betrifft – sie war vielleicht einen Monat alt, als wir sie aus dem Käfig geholt haben. Prägung ist alles.“
Liam schein ein recht entspannter Zeitgenosse zu sein, zumindest sah Greo momentan seinen ersten Eindruck von dem Katzenjungen bestätigt. Er konnte sich nicht erinnern, sonst groß etwas mit ihm am Hut gehabt zu haben. Aber er empfand das hier als angenehm. Greo zuckte leicht die Schultern. „Mag sein.“ Er nickte Liam, oder mehr seiner Kleidung, zu. „Für Leder muss man auch töten. Aber es macht einen Unterschied, ob so etwas aus Notwendigkeit erfolgt oder aus Sucht nach – keine Ahnung – Ansehen oder so.“ Das Ei war leergeschleckt und Greo legte die Schalen auf den Boden ab, damit sich die Katze ausgiebig selbst davon überzeugen konnte, dass bei ihm nichts mehr zu holen war. Er breitete seine Handflächen offen vor ihr aus. „Tut mir leid, das war’s.“, meinte er zu ihr und schaute denn wieder zu dem anderen Mann. Er grinste leicht. „Ja, den Fehler hab ich bei einem Krokodil auch schon gemacht. Mein Vater war so wütend, dass er mich fast eher umgebracht hätte, als dass das Viech mir gefährlich geworden wäre.“ Selige Erinnerungen. „Dann ist sie dir – euch – nachgelaufen wie ein Gänseküken?“
„Du sagst es.“, stimmte er ihm zu und seufzte. „Die Tiere, die für Leder getötet werden, sind meistens aber auch größer und werden gleichzeitig als Nahrungsquelle genutzt.“ Ganz im Gegenteil zu den Pelztieren, die meistens einfach auch zu klein waren, um wirklich viel aus ihnen herauszuholen. Er sah keine Notwendigkeit darin, klarzustellen, dass er kein naiver Tierschutzfanatiker war. Er glaubte, dass sich Greos und seine Vorstellung durchaus ähnelten. Tiere in kleinen Verschlägen zu halten und an Nahrung und Wasser zu sparen, war sicher auch nicht das, was er als ehemaliges Farmkind gutzuheißen wusste. Immerhin war man dort auf seine Tiere angewiesen. Sineca prüfte eindringlich, ob sich wirklich nichts mehr in Greos Händen befand, ehe sie der Schale folgte und sie abermals inspizierte, und sich auch den letzten Rest einzuverleiben. Die Vorstellung eines kleinen Greos, der versuchte, ein Krokodil mit einer Leine auf die Farm zu führen, um es als neues Haustier zu halten, entlockte ihm ein herzliches Lachen. Solch ein Verhalten hätte er dem sonst so vernünftig wirkenden Mann definitiv nicht zugetraut, aber es machte ihn sympathischer. „Bei uns gab’s zum Glück keine Krokodile. Wer weiß, ob ich dann hier sitzen würde.“ Ein durchaus realistischer Einwand, wenn er bedachte, wie häufig er einfach querbeet unterwegs gewesen war als kleiner Junge. Furchtlos, neugierig und manchmal wirklich mit einer ordentlichen Portion Glück gesegnet, die dazu geführt hatte, dass er heil nach Hause kam. „Kann man so sagen. Wir haben sie aufgepäppelt und versucht, sie auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Aber sie hatte offensichtlich andere Pläne.“ Mit einem warmen Lächeln bedachte er die Schleichkatze, die sich letztlich von den Eierschalen entfernte und sich mit einem letzten Blick in die Richtung der beiden Männer wieder vor den Pferch der Hühner setzte. „Haben die Krokodile so nah an eurer Farm gelebt?“
Greo nickte nur. Er wusste, was Liam meinte, obgleich er noch nicht sonderlich viel Kleingetier kennengelernt hatte, das sich tatsächlich irgendwie für Pelzmäntel eignete. Irgendwie war er froh, dass es in seiner Heimat meist zu heiß war, um sich über so was Lächerliches Gedanken zu machen. Die Schafwolle reichte. Er beobachtete, wie Sineca sich wieder den Hühnern widmete und hob mit einem leichten Lächeln die Brauen. Hoffentlich ging sie nicht an das Federvieh dran. Die mussten noch ein wenig gemästet werden. „Na ja, wieso sollte sie auch anderes planen, du bist nicht ihre Katzenmutter, die sie aufgezogen hat. Und wer auch immer bei dir war, ja auch nicht. Ich kann einem Lamm auch nicht zeigen, wie es sich unter Schafen zu verhalten hat, drum kommen Handaufzuchten so schnell wie möglich zur Herde.“, meinte er, ohne Liams Leistung, die Katze gerettet zu haben, kleinzureden. „Andererseits: manche Viecher wissen schon als Jungtiere instinktiv was zu tun ist. Wie bei den Krokodilen.“ Er grinste Liam verschmitzt an. Sie beide als Jungen zusammen wären keine zehn Jahre alt geworden. Sie waren wahrscheinlich gleichermaßen abenteuerlustige Kinder gewesen. Womöglich war sein Gegenüber das auch heute noch. Er hob die Schultern an. „Eigentlich waren sie nicht nah, aber manchmal trieb eins von den landinneren Ebenen bis zu uns runter. Und der Fluss ist in Sichtweite des Wohnhauses. Oder mehr: in Sichtweite lebensmüder Kinder.“ Er verschwieg lieber, dass das Krokodil das Intermezzo in der Regel selbst nicht überlebte. Es landete eher über einem Feuer und wurde brüderlich mit den Wilden geteilt. „Mal sehen, was uns noch für Zeug begegnet. Vielleicht bekommt deine Katze dann einen Spielpartner.“, sagte Greo, richtete sich auf und guckte einen Moment ratlos. Er war mit einer Ladung hier runtergekommen und hatte eigentlich mit etwas den Raum wieder verlassen wollen: wenn er sich nur erinnern würde, was das war.
„Heißt es nicht immer, das wären Instinkte und sowas? Und ein Wildtier bliebe ein Wildtier, egal wie sehr man sich bemüht.“, fragte er mit einem Lächeln, ohne auf eine wirkliche Antwort abzuzielen. Meistens hatte er durch seine ruhige Art zwar eine ganz angenehme Wirkung auf Tiere, aber ein wirklicher Experte war er bei weitem nicht. Als Kind hatte er nie ein Haustier gehabt und abgesehen von Sineca hatte er auch danach nie einen tierischen Begleiter gehabt. Dass die Ginsterkatze Alex‘ und seine Aufzucht überlebt hatte, war wohl auch nur mit viel, viel Glück verbunden gewesen. Greo schien da weitaus mehr Erfahrung zu haben, jedenfalls klang die Sache mit den Lämmern durchaus plausibel. „… Aber zugegeben – bei einem Krokodil hätte ich es mir womöglich zwei Mal überlegt. Vielleicht also gar nicht so schlecht für sie, dass die Jungtiere wissen, wie man überlebt.“, gab er zu bedenken und erwiderte das Schmunzeln des anderen. Ein Krokodil war auch definitiv schuppiger und kratziger unter der Decke als eine Katze, doch Liam sprach den Gedanken nicht aus. Stattdessen lauschte er Greos Kindheitsgeschichte und grinste mit einem Hauch von Schuldbewusstsein. Er hätte vermutlich wirklich nicht anders gehandelt. Sein Vorschlag schließlich brachte ihn zum Lachen, ließ ihn aber gleichzeitig ungläubig die Brauen heben. „Ich bin mir nicht sicher, ob das alle so toll fänden wie wir. Davon abgesehen haben zwei von uns ja schon einen Vogel.“ Er lächelte bübisch, ehe er dem Blick des Hünen zu ihrem kleinen Reichtum an Kisten folgte. „Ehm, soll ich dir helfen, den Sack wieder hinten zu verstauen? Die Deckenhöhe ist nicht unbedingt auf dich zugeschnitten, was?“
Die Hände in die Hüften gestemmt stand er grübelnd da und ließ das, was Liam sagte, erst einmal zwischen ihnen in der Luft schweben. Ein Wildtier blieb ein Wildtier, genau deswegen sorgte er sich ein wenig um das seltsame Viehzeug, was in Zukunft vielleicht noch an Bord gelangen würde und ihren Nutztieren gefährlich werden könnte – womöglich auch nur über irgendwelche Krankheitserreger, die sie mit sich trugen. Dann musste er aber unwillkürlich grinsen.„Ja, sieht mir so aus, als hätten hier mehr als zwei einen Vogel.“, gab er zweideutig mit einem Blick auf die Hühner zurück und runzelte dann, schnell wieder in die Realität zurückgekehrt, die Stirn. „Ach, passt schon, aber ich hatte irgendwas fürs Kochen gesucht und weiß leider nicht mehr, was das war.“ Dabei hatte er dem Smutje nur behilflich sein wollen. „Ein Vorschlag fürs Essen?“, fragte er und sah Liam interessiert an.
Mit einem Lächeln folgte der Blick des Musikers dem Greos zurück zu den Hühnern, die er in seiner mentalen Aufzählung tatsächlich vergessen hatte. Doch er hielt sich nicht lange daran auf, lauschte dem Hünen und runzelte schließlich überlegend die Stirn, ehe er sich aus seinem Sitz erhob und an die Seite des Jüngeren trat, um sich selbst einen kurzen Überblick über ihre Vorräte zu verschaffen. „Ein Spanferkel wäre nicht schlecht.“, sprach er seinen utopischen Vorschlag aus und seufzte beim Anblick ihrer raren Bestände im Lager. Essenstechnisch gab es definitiv angenehmere Lebensweisen als die eines Seemanns. Aber was gab man nicht alles auf für die Freiheit? „Aber ich fürchte, wir müssen uns mit Dörrfleisch und Kartoffeln zufriedengeben.“ Liam war zum Glück recht genügsam. Er war diese Art von Leben längst gewohnt. Wenn nicht gerade auf einem Schiff, dann mit geringen Vorräten auf der Reise über die verschiedenen Inseln. „Solange die Ratten noch so gnädig sind, uns was davon zu lassen.“
Greo schnappte sich eine kleine Box, in der er ein exotisches Gewürz vermutete, öffnete sie und schnupperte daran. „Das Übliche also.“, erwiderte er und versuchte sich vorzustellen, wie ein Spanferkel so schmeckte. Gesehen hatte er wohl mal eins, probiert jedoch nie. Er war eher den herben Geschmack anderen Fleisches gewohnt. Er blickte nicht von seiner Stöberei auf, als Liam sich an seine Seite gesellte. „Die munden auch, wenn man’s richtig anstellt.“, kommentierte er auf die Ratten hin und hatte endlich einen Sack gefunden, der Kartoffeln enthielt. Die sahen nicht mehr taufrisch aus, aber verdauen konnte man sie wohl. Greo ging zur Treppe und machte sich an den Aufstieg. Kurz vorher sah er sich nach Liam und dann noch einmal prüfend nach der Katze um. Er bedachte Sineca mit einem belehrendem Blick. „Lass dir von den Hühnern nicht ins Auge picken. Das sind Zicken.“ Er sah Liam an. „Geh vielleicht mal mit ihr auf die Jagd, ‘n Spanferkel wirste nicht bekommen, aber Abwechslung ist immer gut.“
Das Übliche, ja. Außerhalb der ersten Tage mit frischen Vorräten an Bord traf diese Bezeichnung perfekt. Greos Anmerkung ließ ihn schmunzeln. Er war mit Sicherheit einer der letzten, die sich darüber beschweren würden, wenn man ihnen plötzlich gegrillte Ratte auftischte. Fleisch blieb Fleisch und wenn ihnen irgendwann die Nahrungsmittel ausgingen, war Ratte sicherlich eine bessere Alternative als zu verhungern. „Vermutlich würde es nicht mal jemandem auffallen, wenn wir die nicht am Spieß servieren.“, hielt er leichtfertig für möglich. Indes hatte der Hüne den Sack mit Kartoffeln gefunden und machte sich auf den Rückweg zur Kombüse, ehe er sich nochmal an Sineca wandte. „Ich glaube, sie hat mehr Respekt vor dem beherzten Tritt, den sie sich üblicherweise von den Seeleuten einfängt, wenn sie dergleichen versucht.“ Er zuckte mit der Schulter. So funktionierte Lernen eben in der Tierwelt. „Oh, das überlasse ich lieber Skadi. Ist glaube ich für alle besser.“ Ein letztes Lachen folgte, während Liam zurück zur Tierpferche schritt. „Wenn ihr Hilfe braucht, sagt Bescheid.“ Vermutlich hobelte Trevor aber bereits in der Kombüse herum und wartete auf eine Beschäftigung.
Er lächelte milde und fragte sich, ob jemand an Bord war, der der Ginsterkatze schlecht genug gegenüber gesinnt war, um sie mit einem Tritt zu strafen. Spontan fiel ihm niemand ein, wohl aber mehr als eine Person, die dann auf den Barrikaden stehen und protestieren würden. „Ist schon nicht verkehrt, Jäger mit an Bord zu haben.“, bestätigte er und war schon fast verschwunden. „Mach ich.“, setzte er mit einem Grübchen in der Wange nach und verdünnisierte sich in die Kombüse.