Nachmittag des 23. März 1822
Scortias Bartholomew & Shanaya Árashi
Den ganzen Vormittag hatte sich Shanaya mit Liam im Dschungel herum getrieben, sein Armband gesucht. Erst dann hatte sie sich wieder ihrem eigenen Plan gewidmet. Und dieser hatte sie an den Rande des Dschungels geführt, zum Strand. Auf den ersten Blick schien sich niemand aus der Crew hier herum zu treiben, was die junge Frau kurz durchatmen ließ. Sie hatte mit Liam nach dem Schmuckstück gesucht – ihr konnte also niemand vorwerfen, dass sie keine soziale Ader hatte. Und dafür durfte sie sich jetzt eine kleine Auszeit nehmen. Ohne Arbeit. Allein mit den unzähligen Sandkörnern. Immerhin konnten die auch wunderbare Gesellschaft sein – und waren ihr lieber als manch langweiliger Geselle dieser Crew.
Shanaya hatte also schnell einen Entschluss gefasst, das Notizbuch in ihrer Tasche verstaut und mit einigen ruhigen Bewegungen die Stiefel von ihren Füßen gelöst. Sie konnte ein Grinsen dabei nicht verkneifen – hier war niemand, den sie nun mit gefülltem Stiefel nass spritzen konnte. Bedauerlich, wirklich. Davon unbeirrt lief die junge Frau nun barfuß über den weichen, warmen Sand. Die Stiefel ließ sie nach einigen Metern auf den Sand fallen, nahm die Tasche von der Schulter und legte sie dazu. Dann folgte sie selbst, indem sie sich in den Sand sinken ließ, die Beine ausstreckte und sich mit den Händen rücklings in den Sand lehnte, die blauen Augen zum Horizont gerichtet. Sie war nicht wirklich weit von der Sphinx entfernt, aber doch genug um von dort keine Stimme und kein Geräusch wahr zu nehmen. Ein weiterer, tiefer Atemzug, ehe sie die blauen Augen schloss und einfach nur dem leisen Rauschen der Wellen lauschte, die gelegentlich ihre Zehen kitzelten.
Gestern war ein glücklicher Moment für den 12 Jährigen, ehemaligen Schiffsjungen der Onyx gewesen, denn der Schiffsarzt der Sphinx, Gregory, hatte ihm grünes Licht gegeben. Grünes Licht, dass er Gesund war und auf der Sphinx mitfahren durfte, um diese Insel zu verlassen. Eigentlich war es eine schöne Inseln mit weißem Strand, schönen bunten Vögeln, dem grünen Dschungel und der leichten, warmen Brise, die tagsüber seine Haut gestreichelt hatte. Aber wenn man auf so einer Insel gefangen war, verlor man recht schnell den Blick für das Schöne und sah nur noch das Gefängnis. Seit gestern hatten sich die Zellentüren jedoch geöffnet und er konnte den Blick erneut öffnen.
Ob er auf der Sphinx bleiben würde, das wusste er noch nicht. Das lag auch weniger an dem Jungen, als mehr an Cornelis und den beiden Befehlshabern des Piratenschiffes. Nur wenn Feuerbart bleiben wollte und wenn Captain Talin und Captain Lucien es erlaubten, dass er blieb, dann würde er sich als Schiffsjunge einschreiben lassen. Aber diese Entscheidung war noch nicht gefallen und so nutze Scortias die freie Zeit die er hatte bis das Schiff in See stach, um sich am Strand etwas umzusehen. Vielleicht auch, um sich seinen kindlichen Spieltrieben hinzugeben. Als Schiffsjunge war er meistens darauf bedacht seine Aufgaben zu erledigen, aber so richtig Kind sein war dabei nicht einfach.
Scortias war also zum Stand gelaufen. Es war wieder sehr warm heute, weswegen er sein Hemd garnicht erst angezogen hatte. Seine Beine wurden von einer dunkel braunen Wildlederhose bekleidet, die bis knapp über den Knien ging. Und seine Fellboots, eigentlich viel zu warm für dieses Wetter, ragten bis zu den Waden hinauf. Andere Schuhe hatte er nicht. Dass er hier nicht alleine war, das hatte Scortias nicht mitbekommen, denn er zog die Boots und die Schuhe aus, um dann mit der weißen Unterziehhose, die kurz vor den Knien aufhörte, ins Wasser zu rennen. Dort tauchte er, mit einem Vorwärtssprung ins Wasser. „Yipie!“ war das letzte, was von ihm kam, als er dann kurz unter die Wasseroberfläche verschwand.
Sein Oberkörper stieß durch die Wasserdecke und er schüttelte den Kopf um das Wasser aud den Haaren zu schmeißen. Dann erst sah er zum Strand und erkannte die schwarzhaarige Frau, die er bereits auf dem Schiff bemerkt hatte. Bis jetzt hatten sie noch kein Wort gewechselt. Er hob seine Hand und winkte ihr zu, bevor er sich dann entschloss zu ihr zu gehen. Seine Beine Verdrängten aufgewirbelt das Wasser, als er sich den Strand näherte, bevor er dann zwei Meter vor der Frau zum stehen kam.
„Hey.“ sagte er vergnügt und setzte sich vor ihr in den Schneidersitz, so das sein Hintern noch von den Welle umspült wurde. “Ich bin Scortias.“ stellte er sich erstmal vor, beließ es aber bei der verbalen Vorstellung, ohne ihr die Hand zu reichen. Schließlich war er nass uuuund nicht jeder mochte Körperkontakt, wie er gelernt hatte.
Shanya mochte den Trubel auf einem Schiff, zumindest meistens. Sie war nicht der Typ für ständige Stille. Zeit für sich, ja. Aber nicht den ganzen Tag und rund um die Uhr. Aber genau deshalb konnte sie Momente wie diesen genießen, die Zeit allein voll auskosten. Und wenn schon nicht auf der Sphinx selbst, dann zog es sie automatisch zum Strand. Zum Wasser. Wie lange sie so da saß wusste sie nicht, es war ihr schlichtweg egal. Erst als ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit auf sich zog öffnete die junge Frau eines der blauen Augen.
Am Ufer lagen nun Stiefel und eine Hose – und deren Besitzer warf sich mit einem freudigen Aufschrei in die Fluten. Die Augenbraue des geöffneten Auges hob sich leicht an, mehr Regung erkannte man jedoch erst einmal nicht auf dem Gesicht. Viel hatte sie nicht mehr von ihm gesehen, aber genug um genügend Personen auszuschließen. Es konnte nur der Junge sein, den sie hier auf der Insel – zusammen mit diesem Typen – aufgelesen hatten. Und der schien seine letzte Zeit hier auf der Insel genießen zu wollen. Wer wäre sie, ihn daran zu hindern.
Zuerst wollte die Schwarzhaarige die Augen einfach wieder schließen, den Jungen machen lassen, aber das leise Plätschern von Schritten ließ sie leicht den Kopf herum drehen und erst als der Dunkelhaarige vor ihr im Sand saß, öffnete sie auch ruhig das zweite Auge. Sie musterte den Fremden nicht ausgiebig, er war ein Kind und erstens nahm es ihr damit verschiedene Möglichkeiten auf ihn zu reagieren, zweitens... unglaublich. Jemand, der jünger war als sie. Und vermutlich konnte er sich die Kante geben und vollkommen besoffen über das Deck taumeln und würde nicht einmal zu hören bekommen, dass er doch viel zu jung dafür war. Aber sie hatte sich diesen Weg ausgesucht, wissend, dass sie hauptsächlich vom männlichen Volk umgeben sein würde. Und die hatten die Angewohnheit Ihresgleichen zu bevorzugen. Egal, welches Alter sie hatten. Dieser Gedanke ließ sie amüsiert grinsen. Nun stellte sich der Junge aber vor, sodass die hellen Augen der Schwarzhaarigen sich direkt auf ihn richteten.
„Shanaya“ war ihre schlichte, ruhige Antwort, ohne dass sie etwas an ihrer Haltung änderte. „Du genießt die letzten Tage auf dieser Insel?“
Die schwarzhaarige Frau regte sich kaum, als Scortias auf sie zu wartete. Lediglich eine leichte Kopfbewegung schienen seine Schritte bei ihr auszulösen. Er hoffte, dass er sich gerade nicht störte. Naja, in dem Fall würde er halt zurück ins Wasser gehen und sein Tauchen verbessern. Erst als Scortias sich setzte, schien sie ihm auch das zweite Auge zu widmen. Ihr Blick, soweit er es sagen konnte, schien weder verärgert, dass er sie irgendwie gestört haben würde, noch begeistert, dass er zu ihr gekommen war. Er wirkte eher neutral, so wie ihn die meisten Menschen ansahen. Die Haare des Jungen lagen strähnig durch die Nässe auf dem Kopf und fielen teilweise über die Augen. Teilweise perlten auch noch Tropfen an seinem halb kindlichen, halb männlichen Körper herab. Eine Grundbräune hatte er von Natur aus, aber die Wochen auf der Insel hatten ihn wirklich recht dunkel werden lassen.
Er selber betrachtete die junge Frau wohl etwas genauer als sie ihn, denn er fand schon, dass sie sehr hübsch war. Diese schwarzen Haare und dazu der Kontrast der blauen Augen, das hatte etwas sehr anziehendes auf ihn. Zumal sie auch noch ein sehr hübsches Gesicht hatte, was es durchaus schwer machte, seine Augen von ihr zu nehmen. Dass seine Hose weiß war und gerade nass geworden ist, das störte Scortias nicht wirklich. Für diese Art von Scham hatte er auf einem Schiff keine Zeit, obwohl ihm aufgefallen war, dass er sich darum mehr Gedanken machte, als noch vor einem Jahr und das auch eher in Anwesenheit von Frauen.
Ihre Gedanken konnte Scortias nicht erahnen, aber so sehr achtete tatsächlich niemand darauf, wie alt er ist. Egal worum es ging, hatte er schon viel erlebt, was überwiegend erwachsene Männer erlebten. Rum, Frauen, Arbeit, Strafen, Worte und vieles mehr. Da machte man kaum einen Unterschied. Aber er selber sah sich auch als ein Mann an. Schließlich war er ein Pirat und schon lange selbstständig und auf sich allein gestellt gewesen. In den Straßen von Aelinos musste selber dafür sorgen nicht in der Gosse zu sterben. Deswegen kam er auch sehr gut damit zurecht, wenn niemand zwischen ihm und einem vollwertigen Erwachsenen unterschied. Und trotzdem gab es Momente, wie bei der Anwesenheit von Feuerbart, dass es mal schön war, wenn sich jemand um einen kümmerte und beschützte. Aber das würde er nicht zugebe, schließlich war er doch ein Seemann.
Die junge Frau nannte ihren Namen, woraufhin Scortias nickte und etwas grinste. “Weiß nicht genau. Bis jetzt war sie eher ein Gefängnis für uns.“ antwortete er und hob die Schultern kurz an. “Eigentlich ist es schön hier, aber … wenn man hier fest sitzt, dann halt nicht mehr so.“ erklärte er, wie er es meinte. „Und was ist mit Dir?“ fragte er dann und legte den Kopf etwas schief. “Suchst Du die Ruhe. Ich finde dass es auf dem Schiff oft recht hektisch ist und man selten für sich allein sein kann.“ Ja, das war ihm schon oft aufgefallen. Private Momente hatte man nur selten. Es schien so, als würde immer irgendwo jemand sein.
Shanaya musterte das Gesicht des Jungen, während er sie ein wenig genauer betrachtete. Sie wusste nicht, was in seinem Kopf vor sich ging, machte sich darüber jedoch auch keine Gedanken. Wie alt mochte er wohl sein? Irgendetwas um die zehn vielleicht? Sie wusste es nicht, aber für einen Moment schweiften ihre Gedanken zu einem jüngeren Ich ab, zu ihr selbst, zu dem, was sie in diesem Alter gewesen war. Und was nun schon wieder eine ganze Weile zurück lag. Eine zeit, die sie gern hinter sich gelassen hatte – und die sie um Nichts in der Welt zurück wollte. Aber genau dafür war sie ja hier. Auch wenn Teile ihrer Vergangenheit sie sicher immer begleiten würden... oder ihr sogar personifiziert begegnen würden. Ein tonloses Seufzen drang über ihre Lippen.
Scortias' Antwort kam mit einem Grinsen und bei der Erwähnung eines Gefängnisses musste sie leicht schmunzeln. Sie wusste wohl, was er meinte – und wenn man sie auf dieser Insel lassen würde, würde es ihr vermutlich genauso gehen. Aber in diesem Moment... vielleicht konnten sie ja den ein oder anderen auf dieser Insel zurück lassen. Nur... rein theoretisch würde es manch einem hier sicher gefallen. Die Dunkelhaarige wog den Kopf ein wenig zustimmend zur Seite, verzog dann leicht die Lippen und dachte einen Moment über eine Antwort nach.
„Ich genieße das Chaos auf einem Schiff, aber wenn man das den ganzen Tag um sich herum hat, braucht man auch Mal einen Moment für sich allein.“
Seit sie auf dieser Insel waren hatte sie kaum einen Moment für sich gehabt. Nur nach ihrem kleinen... Abenteuer mit Lucien hatte sie sich ein wenig Zeit für sich nehmen können. Aber wie man sah, lief man sich auf so einer kleinen Insel doch immer irgendwie über den Weg.
„Ich bin aber auch nicht böse, wenn wir bald wieder aufbrechen.“
In ihrer Stimme lag eine gewisse Vorfreude, die von dem Lächeln auf ihren Lippen untermalt wurde.
Das Schmunzeln, welches Shanaya dem Zwölfjährigen zeigte, ließ darauf schließen, dass sie wusste, wie er das mit der Insel und dem Vergleich zu einem Gefängnis meinte. Zumindest fasste Scortias es so auf. Nickend stimmte der Schiffsjunge der jungen Frau zu, die, genau wie er, das treiben auf dem Schiff mochte, aber Gelegenheiten nutzte, um mal für sich zu sein. Ob sie auch jetzt lieber für sich sein wollte? Aber das würde sie ihm doch dann bestimmt sagen. Wenn Scortias eines wusste, dann war es, dass Seeleute einem sagte, was sie wollten und dabei kein Blatt vor dem Mund nahmen. Zumindest hatte er bisher keine anderen Erfahrungen gemacht.
“Ja … ich kann es auch kaum erwarten. Ich will von der Insel weg.“ antwortete er.
So schön es hier auch sein mochte, war er einfach schon zu lange hier und freute sie auf die Freiheit, die darauf wartete, sobald das Schiff losfuhr. Teilweise hatte der Junge schon damit gerechnet, dass sie irgendwann auf der Insel verrotten würden. Captain Feuerbart hatte sich zwar sehr viel Mühe gegeben, um es Scortias so angenehm wie möglich zu machen und ihm auch immer wieder gut zugeredet, aber irgendwann verließ einem der Mut trotzdem. In Nächten, wenn Cornelis schlief, lag der Junge oft noch lange wach. Er dachte dann viel nach und so kam es, dass die Hoffnung auf Rettung immer mehr verschwand.
“Welche Aufgabe hast Du auf dem Schiff?“ fragte er dann frei heraus.
Es war für ihn nicht sonderlich normal, dass Frauen auf einem Piratenschiff mitfuhren. Nicht, dass er da Vorurteile hatte, aber es war halt ungewöhnlich. Vor allem war Shanaya nicht die Einzige. Selbst einer der Kapitäne war weiblich. Und bei einem weiteren Crewmitglied war er sich auch nicht ganz sicher, ob der Kerl wirklich ein Kerl war. Aber das behielt er für sich, wollte er den Typ, beziehungsweise die Frau, nicht auffliegen lassen.
“Hast Du Lust etwas mit mir zu schwimmen?“ fragte er schließlich, denn deswegen war er ja eigentlich hier her gekommen. Vielleicht hatte Shanaya ja auch Lust sich etwas abzukühlen.
Der Junge stimmte ihren Worten noch einmal zu, womit die Schwarzhaarige das Thema für den Moment ruhen ließ. Da waren sie sich ja einig. Ihr heller Blick glitt erneut zum Horizont, zum blauen Himmel. Sie genoss diese Freiheit, das Gefühl, dahin zu segeln, wohin sie wollte. Einen Moment schloss Shanaya mit diesem Gedanken die Augen, öffnete sie erst wieder, als der Junge sie erneut ansprach und etwas fragte. Wie viel Ahnung hatte er wohl von der Seefahrt? Die Schwarzhaarige verwarf diesen Gedanken, es machte keinen Unterschied. Aber sie richtete die Augen wieder auf Scortias.
„Ich bin die Navigatorin der Sphinx.“
Diese Worte klangen in den eigenen Ohren so unglaublich gut, dass Shanaya ein wenig breiter lächeln musste. Sie liebte dieses Gefühl. Viel zu lange hatte sie auf solche Momente gewartet, darauf hin gearbeitet. Und trotz allem... ganz überzeugt war sie noch nicht. Es war so, wie sie Talin gesagt hatte. Ihr Bruder musste sie noch überzeugen – auch wenn er mit dem kleinen Ausflug einen guten Schritt nach vorn gemacht hatte. Aber das hieß noch lange Nichts. Sie hatte Zeit, trotzdem wollte sie spätestens im nächsten Hafen eine Entscheidung treffen. Und selbst, wenn sie sich gegen die Crew der Sphinx entschied – alle Welten standen ihr offen.
Scortias nächste Frage ließ sie den blauen Blick einen Moment zu ihrer Tasche richten, sie überlegte, wandte sich dann aber wieder mit einem leichten Kopfschütteln zu dem Jungen herum.
„Heute nicht, ich muss noch einiges erledigen. Ich wollte nur einen Moment Pause machen. Vielleicht ein anderes Mal.“
Sie konnte sich in diesem Moment Schöneres vorstellen, als mit ihm im Meer herum zu planschen – zudem sie mit dieser Insel noch nicht fertig war.
„Aber lass dich von mir nicht aufhalten.“ Shanaya hob leicht eine Hand, deutete auf das Meer, lächelte. „Die Wellen warten bestimmt auf dich.“
Scortias sah Shanaya an, die ihre hellen, hübschen Augen auf das Meer richtete. Sie war wirklich verdammt hübsch, wie er fand. Die blauen Augen standen in einem sehr tollen Kontrast zu den schwarzen Haaren. Ihre weichen Gesichtszüge, eigentlich untypisch für jemanden, der sich auf einer so rauen Reise begab, erweckten in dem Jungen das Verlangen mit der Hand mal drüber zu streicheln. Wieso das so war, das wusste der Schiffsjunge nicht. Aber sie hatte schon eine gewisse Anziehung auf ihn. Der Blick des Jungen wanderte dann, als Shanaya kurz die Augen schloss an ihrem Körper hinab. Sie sah recht zierlich aus. Nicht gebrechlich, aber weit weg von kernig. Ihre Kleidung und die Tatsache, dass sie zu der Crew eines Piratenschiffs gehörte ließen aber darauf schließen, das die Optik trügt. Shanay musste was drauf haben, da war er sich sicher. Selbst jetzt, als sie die Augen geschlossen hatte, strahlte sie Selbstsicherheit aus. Fast so viel, als sei sie unnahbar.
Scortias interessierte sich für diese junge Frau und er wollte mehr wissen. Deswegen fragte er sie auch, welche Aufgabe sie denn auf dem Schiff hatte. Sie war also der Navigator. Das war schon eine recht hohe Position, wie er wusste. Der Schiffsjunge konnte nicht anders, als in ihr Lächeln einzustimmen. Es war ansteckend und sie sah damit noch hübscher aus, als so oder so schon. Er mochte sie und war ihm sehr sympathisch. Deswegen fragte er sie auch, ob sie Lust hätte etwas mit ihm zu schwimmen, denn deswegen war er ja eigentlich hier her gekommen. Die braunen Augen folgten dem Blick der Navigatorin auf die Tasche. Dann lehnte Shanaya aber ab. Etwas enttäuscht war Scortias schon. Aber wieso hatte die junge Frau auf die Tasche geschaut. War da etwa etwas drin, was sie nicht unbeaufsichtigt lassen wollte?
„Schade!“ sagte er etwas enttäuscht und sah auf den Sand vor seinen Knien.
Alle waren immer zu sehr beschäftigt, um sich mit ihm zu befassen. Aber das war wohl das schwere Los, was ein Schiffsjunge gezogen hatte. Wieso waren die Erwachsenen immer so ernst und konnten nicht mal Spaß haben? Der einzige der Spaß hatte schien Trevor zu sein, der wiederum kaum den Hebel umzulegen schien, um dann mal ernst zu werden. Vielleicht sollte Scortias sich generell mehr an Trevor halten, obwohl seine Art meistens doch sehr verwirrend war. Der Schiffsjunge folgte dem Fingerzeig der jungen Frau, die auf das Meer zeigte. Er presste die Lippen aufeinander und nickte.
“Ja …“ sagte er leise und stand auf. "… ich hatte nicht vor Dich zu stören."
Scortias drehte sich um und lief auf das Wasser zu. Nur zwei, oder drei Schritte, bevor er dann stehen blieb. Er sah auf die Wellen und dachte nach. Dann wandte er sich noch einmal an Shanaya.
“Bist Du sicher, dass Du nicht mal … etwas Spaß haben willst?“ fragte er die schwarz Haarige. “Oder … hast Du Angst, dass ich einfach nur besser schwimmen kann als Du?“
Ein freches, schelmisches Grinsen erschien auf dem Gesicht des Jungen. Ja, es war eine spielerische Herausforderung. Ob Shanaya darauf eingehen würde und es sich überlegte?
Die Frage nach ihrer Aufgabe schien dem Jungen zu reichen, er ging zumindest nicht genauer darauf ein. Er konzentrierte sich lieber auf die abgelehnte Einladung, und die junge Frau fragte sich ernsthaft, ob er nun wirklich so enttäuscht war. Wenn ja, wieso? Hatte er wirklich gehofft, sie würde sich jetzt einfach mit ihm in die Fluten werfen? Was ein merkwürdiger Knirps. Er folgte ihrem Deuten – antwortete dann mit leisen Worten, die Shanaya leicht eine Augenbraue heben ließen. Er hatte nicht vor gehabt, sie zu stören? Ihm war scheinbar nicht bewusst, dass sie ihm das in diesem Fall schon mitgeteilt hatte. Viel mehr störten sie solche Worte. Gut, er war ein ganzes Stück jünger als sie... trotzdem schien er nicht auf festem Grund zu stehen. Sonst wäre er sicher nicht so leicht davon abgekommen und hätte so etwas vor sich her geplappert.
Zuerst dachte sie, er würde nun wirklich einfach ins Wasser springen – aber natürlich blieb er noch einmal stehen, richtete Worte an sie, die sie nun auch die zweite Augenbraue leicht in die Höhe heben ließ. Mal etwas Spaß haben? Sie grinste, Ehrlichkeit lag darin, aber auch ein zarter Hauch von Kühle. Ob sie Angst davor hatte, dass er besser schwimmen konnte als sie? Gedanken, die nur Kinder haben konnten.
„Ich glaube, wir haben grundlegend andere Vorstellungen von 'Spaß'.“ Ihr Kopf neigte sich ein wenig zur Seite, ein leises Seufzen drang über ihre Lippen, womit sie sich wieder etwas zurück lehnte. „Und sollte ich mich davon herausgefordert fühlen... versuchs nochmal. Das war nicht sehr effektiv.“
Jeder an Bord des Schiffes 'der Sphinx' hatte natürlich einen höheren Rang als Scortias, der ja mehr oder weniger nur Gast war. Solange zumindest, bis Cornelis sich entschieden hatte, wie und wo die Reise hingehen würde. Demnach akzeptierte der Junge auch die Ablehnung der Navigatorin, nicht mit ihm ins Wasser zu gehen. Das Problem an der Sache war nur, dass es alleine so überhaupt keinen Spaß machte und zusammen, mit der doch recht jung wirkenden Piratenfrau, bestimmt viel interessanter gewesen wäre. Deswegen war er auch etwas enttäuscht, als sie ablehnte. Scortias war gerade zwei Schritte gegangen, als er dann doch noch einmal stehen blieb. So schnell wollte er sich nicht geschlagen geben. Vielleicht würde er es ja mit einer kleinen Provokation schaffen und sie erinnern, dass Spaß ja auch zum Leben gehörte, als nur hier herum zu sitzen und vielleicht zu grübeln, oder was immer sie wirklich hier tat. Das Gesicht der jungen Frau wirkte, als würde sie für einen Moment doch aufhorchen.
Scortias hörte die Worte der Navigatorin und musste leicht grinsen.
“Oh … ich verstehe. Diese Art von Spaß also.“ meinte er frech schmunzelnd und verschränkte seine Arme vor dem Körper.
Wenn er es richtig deutete, wusste er genau wovon Shanaya da sprach. Immer wieder sah er Piraten, die an Land als erstes eines dieser Frauenhäuser besuchten. Und selbst er war schon von zwei Frauen dieser Einrichtungen in eines der Häuser gelockt worden. Doch nachdem die beiden Frauen ihn mit Obst verwöhnt hatten und etwas Wein zum trinken gegeben hatten, wollten sie ihm an die Wäsche. Das war dann der Moment gewesen, als Scortias das Weite gesucht hatte. Abschätzend sah er Shanaya an und auch er legte den Kopf etwas schief.
“Das bedeutet also, dass ich nicht Chancenlos bin dich ins Wasser zu bekommen, ich halt nur noch an meinen Einsatz etwas feilen muss.“ schloss er aus dieser Bemerkung.
Der Schiffsjunge legte einen Finger an seine Lippen und sah zum Himmel. Er dachte nach, wobei … hatte sie ihm gerade unterschwellig mitgeteilt, welchen Einsatz er erbringen musste? Seine braunen Augen sahen schließlich auf die hellen, blauen der Frau.
“Wie wäre es, wenn wir zuerst meiner Vorstellung von Spaß nachgehen, und danach … deiner? Das wäre doch ein Deal.“ neugierig sah er Shanaya an, was sie von der Idee halten würde.
Scortias hielt die Idee für super, denn so würden sie beide auf ihre kosten kommen. Das Schiff würde noch eine Weile hier vor Anker liegen, die Insel war, wenn man denn wieder von hier weg kam, echt schön. Also wieso die Zeit nicht nutzen, die man hier hatte, um etwas abzuschalten und Spaß zu haben?