Nachmittag des 02. April 1822
Aspen Montrose, Gregory Scovell, Talin Dravean, Trevor Scovell & Shanaya Árashi
Shanaya strich sich eine der dunklen Strähnen aus dem Gesicht, während ihr Blick aufmerksam umher streifte. Sie hatten gerade einen recht kleinen Berg überwunden, wo es auf dieser Insel deutlich höhere gab. Dennoch spürte sie es in ihren Beinen, auch wenn ihre Energie noch längst nicht aufgebraucht war. Einige Stunden waren sie nun schon unterwegs, seit dem frühen Morgen. Die Sonne stand nicht mehr im Zenit und die letzte Pause schien schon eine Weile her zu sein. Mit diesem Gedanken griff die junge Frau an ihren Gürtel, griff nach der Feldflasche, die sie mit einer ruhigen Bewegung öffnete, im nächsten Moment an die Lippen setzte. Viel Wasser hatte sie nicht mehr – nur wenige, kleine Schlücke später senkte sie das leere Gefäß also, seufzte leise und wandte sich zu der kleinen Gruppe herum, die die begleitete.
„Seht ihr das da hinten? Das sieht nach einem See aus, wir sollten unser Wasser auffüllen, was meint ihr?.“
Und mit diesen Worten kam ihr noch ein weiterer, munterer Gedanke. Aber die blauen Augen wandten sich erst einmal wieder nach vorn, zielstrebig auf die besagte Stelle zu.
Abgesehen davon, dass er seine gewählte Aufgabe an Bord ziemlich gut erfüllte, besaß Aspen keinerlei Fähigkeiten sich anderweitig einige Groschen zu besorgen. Zwar hatte er sich überlegt die Abende mit einigen Kartenspielen zu vertreiben und in den nahen Tavernen seinen Beitrag einzusammeln, doch er bezweifelte, dass er dabei trotz viel Geschick so viel heraus bekam wie Ryan oder Farley. Eine weitere Idee war zwar, dass er seine geschnitzten Figuren – von denen er mittlerweile relativ viele gezaubert hatte – an die Händler zu verschachern, doch davon erhoffte er sich auch nicht viel.
Da kam ihm diese Forschungstour ziemlich recht. Er konnte sich beteiligen, die Zeit bis zu dem Moment vertreiben, zu dem sie endlich das Material für die Reparaturen besaßen. Tatsächlich machte es sogar ziemlichen Spaß einem willkürlichem Weg zu folgen und das Land ohne viel Getummel zu erleben – fern ab jeglicher Marine und jedes vollen Marktplatzes. Zwar hätte er sich bei Bedarf die kleine Gruppe anders konzipiert und seine eigenen Leute rausgepickt, doch bisher war niemand der Gruppe herausgestochen, der ihm auf den Geist ging.
Als der kleine Rabe vorne inne hielt und auf einen See deutete, sah Aspen auf und nickte zustimmend. Ja, das sollten sie tun. Und vielleicht ruhten sie lange genug, dass sie bereits einigen Fisch für den Abend fangen konnten. Schmunzelnd stellte er es sich vor, wie er selbst mit dne Händen zulangte – Hachja, er könnte es zumindest einmal probieren. Auf ihrem letzten Landgang hatte er die begabteren Fischfänger zumindest bei ihren erfolgreichen Versuchen beobachtet.
Während er den Raben bald erreichte, blinzelte er kurz gen Sonne, bevor er weiter in Richtung See lief. Seine Zustimmung hatte er gegeben, das Tempo soweit abgebremst, dass er bei potenzieller Kritik an der Idee auch stehen bleiben könnte.
„Ich glaube ja, das es drei Schwänze und sieben Köpfe hat und nicht drei Köpfe und sieben Schwänze, weißt du? Dann kann nämlich jeder Kopf was anderes essen, das ist viel abwechslungsreicher. Einer isst Thunfisch, einer Tintenfisch, einer Qualle, einer Algen – ja, ich weiß ich finde das auch ziemlich eklig – und einer isst Krebse und einer Krabben und dann streiten die immer, was was ist, und dann ist noch –“, er zählte eilig an den Finger nach, „– genau einer übrig! Und der isst Menschen, ich bin mir ganz sicher! Na ja, fast ganz sicher, dafür müsste jemand das überprüfen, das müsste doch jemand, oder? Sonst sind das nämlich nur Spekulationen.“
Er sah Talin mit riesigen Augen an.
„Hey, wir könnten das doch machen! Können wir, ja, ja?! Es hat sieben Köpfe!“
Voller Begeisterung hielt er dem Captain die sieben Finger unter die Nase, damit sie sehen konnte, wie viele das waren! Schon seit sie begonnen hatten, über diesen mickrigen Berg zu kraxeln, lief er neben ihr und schwärmte von dem Seeungeheuer. Angeblich paddelte es zwischen dem Herzogtum Brancion und dem der Tarlenn umher – ganz in der Nähe! Wenn er das sehen könnte!
Erst einmal gab es aber etwas anderes zu sehen. Shanny war vorne stehengeblieben und deutete auf irgendetwas in der Ferne. Trevor hopste ein Mal, zwei Mal in die Höhe, obwohl das nicht wirklich nötig war, und entdeckte das blaue flache Etwas, das Shanny einen See nannte, das vielleicht aber auch ein Ungeheuer war, dass von noch einem größeren Ungeheuer plattgetrampelt worden war! Aber hätte er das nicht hören müssen oder sehen, vielleicht war es doch ein See, aber einer mit einem Ungeheuer drin! Das, das war es!
„Find ich gut!“, strahlte er auf Shannys Vorschlag. „Wer als Erster da ist!“
Und schon schoss er an der anderen vorbei, rempelte Aspen um ein Haar um, geradewegs zu auf sein Seeungeheuer.
Der Schiffsarzt genoss sowohl die Hitze als auch die Aussicht und hatte längst die Ärmel hochgeschoben. Hier rauszukommen war eine hervorragende Idee gewesen.
Er nickte knapp auf Shanys Fragen.
"Aye."
Hätte die Schwarzhaarige es nicht vorgeschlagen, so hätte er es getan. Zudem trommelten seine Finger fröhlich auf der Umhängetasche. Gut, dass er das, was darin war, so lange aufgehoben hatte. Sicher, in ein paar Tagen würden sie davon wahrscheinlich mehr als genug kriegen können aber jetzt und hier würden auch die Alten genau richtig sein.
Während er sich anschickte den Anderen zu folgen schweifte sein Blick über die Pflanzenwelt, suchte bekannte oder interessante Formen und Farben, und behielt aus purer Gewohnheit Trevor nebenbei im Auge. Der wollte ein Wettrennen daraus machen zum See zu kommen, doch beschäftigte ihn derzeit etwas anderes mehr und da sein Bruder jetzt nicht mehr an der Captain klebte konnte er endlich fragen:
"Warum ist dein Bruder eigentlich nicht mitgekommen Talin? Die Bewegung hätte er gut gebrauchen können."
Sie unterdrückte ein Gähnen, wie sie es fast schon den ganzen Tag tat. Es war der Blonden völlig unbegreiflich, warum sie zugestimmt hatte, mit zukommen. Nach letzter Nacht wäre ihr eigentlich eher danach gewesen, lange zu schlafen. Aber als sie Shanaya ihr Wort gegeben hatte, mitzukommen, hatte sie ja noch nichts von ihrem Abenteuer mit Ryan gewusst. Und jetzt lief sie müde in der fast noch prallen Sonne, stieg einen Miniaturberg hinauf und wurde von der Seite zugetextet. Ungefähr auf der Mitte des Weges hatte sie Trevor im Geiste abgeschaltet, aber jetzt, wo sie standen, tauchten plötzlich seine Finger vor ihrer Nase auf, weshalb sie einen kleinen Schritt zurück machte.
„Sieben Köpfe?“, stellte sie ihre etwas verwirrte Frage, weil sie keine Ahnung hatte, wovon er sprach, aber da war der Kerl auch schon wieder mit Shanayas Vorschlag beschäftigt und rannte quasi vorweg. Talin zuckte nur mit den Schultern und trabte hinter den anderen her. Vielleicht konnte sie einfach ins kühle Nass springen und so die Müdigkeit los werden...
Die Frage von Gregory zog sie aus ihren Fantasien und sie sah den Schiffsarzt von der Seite mit einer leicht hochgezogenen Augenbraue an. Über die Frage musste sie wirklich nicht lange nachdenken.
„Er hatte einfach keinen Bock.“ Genau das waren Luciens Worte gewesen. Die Mimik dazu machte sie einfach mal nicht nach. „Und er hatte in letzter Zeit genug Bewegung, glaub mir.“ Sie schenkte dem Arzt ein schiefes Lächeln und war gespannt, ob er die kleine Anspielung verstehen würde.
Shanaya wartete nicht wirklich auf eine Reaktion der Anderen. Sie hätten auch alle dagegen sein können – ihr eigener Kopf hätte sich durchgesetzt. Auch wenn sie alleine zum Schiff hätte zurück gehen müssen. Und mit diesem Gedanken, der sie nicht im geringsten gestört hätte, kam die Frage, wieso jeder einzelne von ihnen mitgekommen war. Trevor war da eine Ausnahme – sobald man irgendetwas unternahm, war er sowieso der Erste, der jedem Plan zustimmte. Genau wie jetzt. Er war der erste, der zu ihrem Plan etwas sagte – und schon im nächsten Moment war er verschwunden. Shanaya selbst hielt nicht inne, seufzte nur lautlos.
„Was würde er tun, wenn wir jetzt einfach umdrehen und zurück gehen würde?“
Die ruhige Frage richtete sich an niemand Bestimmtes, aber sie fand sie doch berechtigt. Ob er sich alleine hier draußen hoffnungslos verirren würde? So wie sie Trevor einschätzte war die Frage eindeutig.
Nur einen Moment wandte die Schwarzhaarige sich zurück, musterte kurz die kleine Truppe. Aspen, Talin, Gregory und der voraus geeilte Trevor. Und dessen Verwandter erkundigte sich bei Talin nach Lucien, womit Shanaya den Kopf wieder nach vorn wandte, weiter auf den kleinen See zuhielt und dabei ein munteres Schmunzeln nicht unterdrücken konnte. Aber der See war nicht mehr weit – und das Verlangen nach einer Abkühlung wurde immer stärker.
Tatsächlich verlor Aspen kurz das Gleichgewicht, als Trevor an ihm vorbei stürmte und ohne Rücksicht seinen Weg walzte. Doch der Montrose macht sich noch nicht einmal die Mühe missbilligend zu schnauben. Nach ihrem erfolgreichem Einfall in die Gemäuer der Marine war er noch immer von Trevor und seiner Mordlust erstaunt, sodass sich der kindgebliebene Mann gerne wenige Freiheiten nehmen durfte.
„Wahrscheinlich würde er sich bestens zurecht finden und eine neue Siedlung eröffnen.“, kommentierte er Shanayas Hoffnungen wohlwollend.
Trevor war wie eine Kakerlake. Er konnte alles überleben.
Dennoch folgte er pflichtbewusst dem jungen Kerl, auch wenn er weiterhin den Schritt verlangsamte. Nun wo sich die Gespräche nicht mehr um siebenköpfige Monster drehten, könnte er sich gut und gerne wieder anschließen.
„Als wenn die Sphinx alleine mit gefühlt 10 fremden Männern zurückbleiben könnte.“, verdrehte er die Augen auf Gregorys Frage. „Das wäre purer Leichtsinn.“ Vor allem da nur Greo und Liam als Vertrauenspersonen zurückgeblieben war.
Zwar war ihm der Arzt auf Grund seiner medizinischen Künste zuerst gut aufgefallen, doch nach der gesamten Quartiersmeisterdiskussion hatte sich die Sache für Aspen erledigt gehabt.
Hach, Rennen war grandios! Trevor raste den Miniabhang hinunter, Gras und Steine und Eidechsen flogen unter seinen Füßen dahin, sein Zeug in der Tasche über seinen Schultern polterte, klapperte, klirrte, und der Gegenwind war fast so stark wie auf See manchmal. Aber nur fast. Trevor rannte noch ein bisschen schneller, der See wurde immer größer.
„ERSTEEEEEER! Ich geh schwimmen, okay?!“, brüllte er über die Schulter, warte aber keine Reaktion ab, wurde nicht einmal langsamer.
Die Tasche flog ins Gras, Trevors Hemd ebenfalls und fast hätte er das Gleichgewicht verloren, als er versuchte, sich noch im Laufen auch die Schuhe von den Füßen zu rupfen. Erst hüpfte er auf dem einen, dann auf dem anderen Bein, drehte er sich ein paar Mal um sich selbst, um den Schwung abzufangen und schaffte es, auch den letzten Stiefel loszuwerden. Seine Begleiter waren gerade wieder in seinem Blickfeld aufgetaucht und er wank ihnen fröhlich mit dem Schuh, bevor er ihn achtlos davonwarf und sich wieder zum See herumwirbelte. Vögel stoben auf. Noch drei, zwei Meter Gras, dann patschten seine nackten Füße in Wasser und Schlick und Schlingpflanzen. Frösche quakten empört auf, eine Schlange floh eilig in die Tiefe, ein weiterer Meter, ein lautes Platschen und Trevor war verschwunden.
'Was du nicht sagst. Vielleicht nicht unbedingt solch eine Art Bewegung. Andererseits ...'
Müßig verbrannte er diesen Gedanken aus seinem Kopf. Es gab genug anderes. Und selbst wenn, was kümmerte es ihn?
Er grinste amüsiert:
"Ich weiß zumindest, dass nicht nur du ihn gehörig auf Trapp hältst..."
Sein Tonfall ließ dezent offen, wie er das genau meinte, auch hielt er bewusst Talins Blick. Dann wandte er sich zu Aspen um.
"Wenn du soviel Angst um das Schiff hast, warum bist du dann nicht dort geblieben? Immerhin gibt es ja noch ein paar, die nicht unterzeichnet haben. Du solltest sie vielleicht besser im Auge behalten."
Seine Erwiderung kam völlig ruhig. Es lag ein entspanntes Lächeln auf seinem Gesicht.
"Oder fürchtest du, dass wir uns hier verschwören? Zwei 'starke' Männer gegen zwei 'schwache' Frauen?"
Jetzt gestattete er sich durchaus ein kleines bisschen Sarkasmus, und auch wenn er die anschließende Frage ernst stellte, entbehrte auch sie nicht eine gewisse Amüsiertheit.
"Sag Talin:
"Glaubst du, dass die Sphinx derzeit in Gefahr wäre, wenn Luc so leichtsinnig gewesen wäre uns zu begleiten? Steuern könnten sie bestimmt einige der Zurückgebliebenen."
Derweil prägte er sich die Orte ein, wo Trevors Sachen lagen. Einer müsste sie ja irgendwann einsammeln.
Ihre Mundwinkel zuckten bei Gregorys Antwort leicht in die Höhe, aber sie sagte nichts, zuckte nur unbestimmt mit den Schultern. Als der Schiffsarzt sich Aspen zuwandte, beobachtete die Blonde ihn kurz nachdenklich, tat seinen Kommentar aber kurz darauf mit einem innerlichen Wink ab. Stattdessen sah sie in die Richtung in der Trevor verschwunden ist und auf die Shanaya schnellen Schrittes zu hielt.
Für einen kurzen Augenblick überlegte sie es dem Kasper da vorn einfach nach zu machen und sich all ihrer Kleidung zu entledigen und schwimmen zu gehen. Den Gedanken verwarf sie aber sehr schnell wieder. Nicht, dass sie besonders prüde war, aber sie hatte keine Lust ihre ganzen Klamotten dann wieder anzuziehen. Das dauerte einfach viel zu lange. Stattdessen sah sie Trevor nur dabei zu, wie er ihnen mit seinem Schuh wedelte und dann im Wasser verschwand. So sorgenfrei zu sein, musste verdammt schön sein.
Immer noch die Wellen des Teiches im Auge behaltend, wandte sie sich gedanklich Gregory und Apsen zu.
„Ich glaube eher nicht. Wer will freiwillig mit einem Schiff davon segeln, dass von der Marine gesucht wird?“ Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Und selbst wenn, finde ich jeden, der mein Schiff stiehlt und bringe ihn eigenhändig um.
Taucht er wieder auf oder ertrinkt er, weil er so fasziniert ist von dem, was unter Wasser ist?“ Sie deutete fragend auf den See.