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Geister der Nacht - Shanaya Árashi - 06.03.2022

Geister der Nacht
Nacht des 22. Juni 1822
Shanaya Árashi & Tarón Valur


Wieder eine Nacht, in der Shanaya mehr oder weniger gar keine Ruhe fand. Eine ganze Weile hatte die junge Frau es versucht, bis es sie schließlich wieder aus ihrer Hängematte zog. Mit den Händen fuhr sie sich über das müde Gesicht, über die müden, schweren Augen. Einen Moment hielt sie so inne, ließ die blauen Augen dann über ihre Umgebung schweifen. Nichts ungewöhnliches, keine überlauten Schlafgeräusche. Also in diesem Moment auch kein Grund, wieso zum Teufel sie schon wieder keine Ruhe fand. Ihrer Schulter ging es immer besser, ob es nach daran lag? Eine Frage, auf die die junge Frau vielleicht keine Antwort bekommen würde, also machte sie sich durch die Dunkelheit auf, in Richtung Deck. Im spärlichen Licht des Mondes trat sie langsam voran, Schritt für Schritt, bis sie die Reling erreichte. Das leise Rauschen des Meeres empfing die junge Frau, nahm sich ihres müden Geistes an und beruhigte sie zumindest einen Moment, genau wie die Schwärze des Horizontes vor ihr. So bekam sie jedoch nicht mit, ob sich noch jemand an Deck befand.

Tarón hatte es die letzten Nächte schon des Öfteren mitbekommen: Shanaya fand weit weniger Ruhe und Schlaf als zuvor. Und auch am Tage wirkte das toughe Mädel oftmals als wäre sie mit ihren Gedanken ganz woanders. Untypisch für sie – vor allem, weil sich das auch auf ihre sonst eher bissige Art auswirkte. Was vielleicht dem ein oder anderen auf der Sphinx eine ersehnte Pause von Shannys provokanter Art verschaffte, stimmte den Falken besorgt. Irgendetwas brannte ihr auf der Seele – offenbar schwer. Und doch hatte sich bislang keine Gelegenheit für ihn ergeben sie darauf anzusprechen. Er wollte sie nicht damit vor irgendeinem anderen behelligen. Allein schon aus dem Grund, dass er glaubte, dann sicher nichts aus ihr herauszubekommen. Wenn er sie bisher richtig einschätzte, war Shanny sicher zu stolz sich einfach so die Blöße zu geben – besonders, wenn sie sich offenbar bereits jetzt schon mit etwas herumschlug, dass sie nicht so einfach abschütteln konnte. Und Tarón war daran herauszufinden, ob er ihr helfen konnte, nicht dafür zu sorgen, dass es ihr am Ende noch schlechter ging. Eine Gelegenheit ergab sich jedoch jetzt, als er sie bereits am Klang ihrer Schritte erkannte, die sie aufs Deck des Schiffes führten. Hm – konnte also auch nicht schlafen. Wieder. So wie er. Gut, für ihn war das wahrlich nichts Neues – spätestens seit der Aurora. Aber er hatte selbst als Kind kaum schlafen können, hielt selbst im Schlaf stets ein Ohr offen, lauschte auf Schritte und Stimmen in der Dunkelheit und auf das Geräusch eines aus den Schlaufen der Hose fahrenden Gürtels. Shanny lehnte an der Reling, blickte auf die Schwärze des Horizontes und das schwache Glitzern der dunklen Unendlichkeit des Wassers. Einen Moment überlegte Tarón, ob er sie überhaupt stören sollte. Calwah nahm ihm die Entscheidung ab. Träger als am Tage schlenderte die Echse in Shannys Richtung und Tarón erhob sich, um ihr mit ruhigem Schritt zu folgen.
Die Echse erreichte sie zuerst, blieb jedoch nicht direkt bei ihr stehen, sondern kletterte einen halben Meter neben ihr die Reling empor, um sich dann züngelnd zu ihr umzudrehen. Auf ihrer anderen Seite lehnte sich Tarón an das Holz des Schiffes an und ließ seinen eigenen Blick ihrem gleich in die Dunkelheit gleiten. „Ich liebe Nächte auf See…“ Er sprach leise, ruhig wie das Flüstern der steten Wellen. Von der Seite her schenkte er ihr ein leichtes Lächeln. „Beruhigt mich immer wieder, wenn ich nicht schlafen kann.“


Shanaya bemerkte Tarón im ersten Moment tatsächlich nicht, erst als Calwah neben ihr die Reling hinauf kletterte und in ihr Blickfeld trat, zuckte die Schwarzhaarige merklich zusammen, ehe sie erkannte, wer ihr da im fahlen Licht Gesellschaft leistete. Gerade wollte die junge Frau eine Hand heben, die Echse anstubsen, als auf der anderen Seite eine bekannte Stimme erklang. Nächte auf See… Shanaya richtete den Blick herum, betrachtete den älteren Mann einige stille Herzschläge. Mit seinem sachten Lächeln blinzelte die Schwarzhaarige zuerst, wog den Kopf dann leicht zur Seite, auf den Lippen ein müdes Lächeln, das genauso schräg wie die letzten Tage wirkte. „Manchmal scheint es aber leider doch nicht zu wirken, wie man es gern hätte.“ Nun streckte sie doch die Hand aus, strich Calwah kurz über den Kopf, ehe sie sich wieder Tarón zu wandte. „Du scheinst damit ja deine Erfahrungen zu haben...“ Keine Frage, mehr eine Feststellung. Sie bekam selten etwas über die Schlafgewohnheiten der Anderen mit.

Hm – seine vorsichtige Strategie hatte zumindest schonmal darin versagt sie nicht zu erschrecken. Sie zuckte doch zusammen – aber Shanny erholte sich schnell von der Überraschung hier oben doch noch auf jemand anderen zu treffen. Während Calwah ein guter Junge war und sich streicheln ließ – sogar soweit ging ein Stückchen näher zu Shanny zu krabbeln, als diese die Hand wieder weg zog. Die Wärme…dachte sich Tarón, vielleicht unfairerweise) – sah er wieder aufs Meer hinaus und gab ein leise lachendes „Hm“ von sich. „Ja, habe ich wohl. Hab nie gut durchgeschlafen…“ Er lehnte den Kopf auf die auf der Reling verschränkten Arme und sah sie von unten her an. „Anders als du. Was ist passiert, Shanny?“

Die Echse kam ein wenig näher, ließ sich den Kopf kraulen, was Shanaya einige Herzschläge lang tat, bevor die Stimme des Mannes neben ihr sie aus dieser kurzen Trance riss. Ihr Verstand war etwas von der Müdigkeit benebelt, einen Moment brauchte sie für eine Reaktion. „Wie hältst du das nur aus...“ Die Schwarzhaarige schnaufte leise, schüttelte dabei den Kopf und spürte mit dem nächsten Atemzug, wie sich ihr Körper etwas anspannte, sofort fielen ihr unzählige Antworten auf die Frage des Älteren ein. Tja, was war passiert? „Ich weiß es nicht. Ich finde keine Ruhe zum Schlafen. Vielleicht durch die Schulter, vielleicht durch diese komischen Vögel… das wird wohl unbeantwortet bleiben.“ Zwar galt Tarón ein ruhiges, müdes Lächeln, aber es wirkte eher matt, nicht so richtig überzeugend.

Der Falke hob die Brauen, grinste sie ein wenig schief an. „Übung.“ Antwortete er ihr verschmitzt und Meilen an jeder Wahrheit vorbei. Ruhig beobachtete er sie, wartete auf ihre Antwort und las derweil was ihr Körper sagte. Sie war sichtlich erschöpft, aber das hatte er schon vorher bemerkt. In dem Lächeln, dass sie ihm zuwarf, schien jedoch noch etwas anderes verborgen zu liegen als das, was sie aussprach. Das für sich waren gute Gründe, zweifellos – jeder bereits für sich genommen. Aber das ist nicht alles, Shanny…oder? Seine Augen brachten bereits ohne Worte zum Ausdruck, was er dachte. Forschend, abwartend die der jungen Frau musternd. „Vielleicht…oder vielleicht etwas Anderes?“ hakte er behutsam nach, den Kopf ein wenig neigend, während die blauen Augen sie weiter wach musterten. Sie hatte seine volle Aufmerksamkeit.

Mit einem leisen Schnaufen wog Shanaya den Kopf etwas zur Seite. Übung. Wollte man darin so gut sein? Vermutlich nicht. „Woran liegt es bei dir? Zu viel im Kopf, worüber du nachdenkst?“ Shanaya glaubte nicht daran, dass Tarón die Sorte Mensch war, die sich von solch einer Frage von seiner eigenen ablenken ließ, sie drehte also nur den Kopf in seine Richtung, spürte, wie unter seinem aufmerksamen Blick ihr Herz einige, beinahe unsichere Takte schneller schlug. Vielleicht etwas anderes. „Ich bin zu müde, um mir darüber ernsthaft Gedanken zu machen.“ Und das war nicht einmal gelogen. Sie versuchte all das zu ergründen, immer wieder. Aber der Schleicher der Müdigkeit machte es ihr unglaublich schwer. Vor allem jetzt, unter dem prüfenden Blick des Mannes. Mit der Hand des gesunden Armes strich die Schwarzhaarige sich über das Gesicht, schüttelte dann leicht den Kopf, ohne noch etwas dazu zu sagen.

Schwere Nuss…aber anders hatte es Tarón auch nicht erwartet. Shanny war stolz, Shanny war tough – zumindest präsentierte sie sich so und es musste auch etwas dran sein. Ansonsten hätte sie es nicht so weit gebracht. Vor allem nicht in ihrem Alter. Und doch war an ihr mehr dran als nur die bisweilen fast kratzbürstige Art, die sie gerne zur Schau stellte. Er hatte natürlich kein Recht in ihren Angelegenheiten herumzuwühlen, aber dennoch glaubte der Falke, dass es ihr ganz gut tun würde sich vielleicht auszusprechen. Eine Gegenfrage. Tarón lächelte sie wissend an. Sie verstanden beide, warum sie sie stellte. Aber Vertrauen beruhte wohl zu einem Teil auf Gegenseitigkeit, also sollte sie eine Antwort bekommen – oder zumindest einen Teil davon. „Zu viele Geister würde ich eher sagen. Aber ich habe mich mit ihnen arrangiert.“ Ein Arrangement, das beinhaltete, dass er dem Schlaf fern blieb, wenn er konnte, weil sie ihn dann schwerer erreichten. „Vielleicht kann ich dir dabei helfen? Hab Leute sagen hören ich sei ganz gut darin Dinge zu sortieren.“ Er lachte leise und seine Augen blitzten in gutmütiger Selbstironie auf. „Zumindest wenn es um die Köpfe anderer geht.“

Shanaya mochte die Dunkelheit, das war etwas, was sie im Gegensatz zu manch anderem nie gefürchtet hatte. Auch wenn sie irgendwie verstand, wenn man sich davor fürchtete, nicht wissend, was dort lauerte. Was vielleicht hinter oder direkt neben einem war. Und die Dunkelheit des Ozeans war noch einmal besonders, man würde nicht einmal hören, was auf einen wartete. So wie Tarón schon gesagt hatte, es hatte eine beruhigende Wirkung, selbst wenn die Sicht sehr… eingeschränkt war. Aber vielleicht war es auch genau das. „Geister, hm? Und du versuchst gar nicht mehr, sie fort zu jagen?“ Ein Funken Neugier mischte sich auf das müde Gesicht der jungen Frau. Auch, wenn er sich damit arrangiert hatte… das hieß ja nicht, dass er nicht doch manchmal den Kampf aufnahm. Oder zumindest darüber nachdachte, etwas dagegen zu unternehmen. Das Angebot von Hilfe ließ die Schwarzhaarige nun doch leicht eine Augenbraue heben. Vermutlich würde sie sich nie an ehrliche Hilfsbereitschaft gewöhnen, egal, wie viele Menschen ihr auf diese Weise entgegen kamen. Nicht bei Lucien, nicht Greo und auch jetzt nicht bei Tarón. Trotzdem legte sich ein müdes Lächeln auf ihre Lippen, aber auch in diesem Moment erreichte es die blauen Augen der jungen Frau nicht, auch nicht bei seinen letzten Worten. „Du kannst es gern versuchen, aber verlauf dich nicht in diesem Labyrinth in meinem Kopf. Und sei vorsichtig, da hausen auch genügend Geister, denen man vielleicht nicht begegnen will.“

Einen Moment dachte er tatsächlich über ihre Frage nach. Versuchte er es noch? Nicht wirklich… wenn, dann schloss er sie weg, ignorierte sie in der irrigen Hoffnung sie damit zum verblassen zu zwingen. Tagsüber funktionierte das sogar ziemlich gut. Nur nachts krochen sie aus ihren Ecken und zwangen sich in seine Träume… wenn er schlief. „Hm… das habe ich eine Weile – hat nicht wirklich funktioniert. Manche Sachen muss man vielleicht nehmen, wie sie sind. Also nein: nicht mehr.“ Keine tatsächliche Kapitulation, nur die pragmatische Akzeptanz der Dinge, von denen er nicht wusste, wie er sie ändern sollte. Er hatte gelernt damit irgendwie zu funktionieren. Und wenn er sich lange genug wachhielt war die Müdigkeit ab einem Punkt zu groß als dass selbst die Geister ihn hätten aufhalten können, wenn er sich in der tiefen bleiernen Schwärze eines Schlafs ohne Träume anvertraute. Bei ihren weiteren Worten beobachetet er sie wieder und er erwiderte ihr Lächeln, auch wenn das seine tatsächlich warm in die eigenen Augen strahlte und nicht auf dem Weg zu ihnen verglomm. „Wie gesagt: mit Geistern komme ich klar. Und ich würde mir wirklich gerne anhören, was dich beschäftigt. Also, welchen gehen im Kopf der begnadeten Shanaya Àrashi spazieren und rauben ihr den Schlaf?“ Kein Sarkasmus oder Spott lagen in seinen Worten. Mit ihren Fähigkeiten hatte sie tatsächlich Eindruck bei ihm gemacht.

Shanaya spürte die Müdigkeit förmlich in jedem Knochen, fragte sich also, wie Tarón diesen Zustand als normal hinnehmen konnte. Vielleicht gewöhnte man sich irgendwann so sehr daran, dass es einem… egal wurde? Davon war Shanaya selbst jedenfalls weit entfernt. „Hast du dir Mal etwas zusammen mixen lassen, um besser zu schlafen? Vielleicht hat Skadi da ja eine Idee.“ Sie konnte einiges zusammen mische, vielleicht ja auch etwas, was dem älteren Mann helfen konnte. Die blauen Augen ruhten noch einen Moment auf Tarón, bis zu seine, Lächeln. Damit wandte Shanaya den Blick von ihm ab, richtete ihn wieder in die Dunkelheit des Ozeans vor sich. Sie schwieg zuerst, es vergingen einige Momente, in denen sie versuchte, tief in sich hinein zu hören. Schließlich stützte sie die Ellenbogen auf die Reling, bettete den Kopf auf den Händen und zerwuschelte sich selbst so die schwarzen Haare. Die Antwort war so einfach wie verwirrend – es gab keine wirkliche Antwort. „Wenn das so einfach wäre, hätte ich sie vielleicht selbst schon vertrieben.“ Mit einem leisen Seufzen schloss Shanaya die Augen, schüttelte leicht den Kopf. Sie war zu müde, um sich wirklich Gedanken zu machen. „Vielleicht sind es auch unsichtbare Geister, die ihr Gesicht noch nicht zeigen wollen.“

Kurz stolperte er über Shannys Worte, fast so, als wäre sein eigener Geist trotz der Schärfe in ihm so lange so müde gewesen, dass ihm der Gedanke nie wirklich gekommen war und ihm diese Möglichkeit jetzt erst völlig aufging. Oh ja…er hatte über Alkohol nachgedacht…sogar über andere Drogen – aber er kannte zu viele Beispiele, die bezeugten wo ein Weg endete, der damit begann diese Dinge zu konsumieren, um zu vergessen. Und er wusste, dass es nie wirklich gelang. Dafür war ihm sein Verstand schlicht und ergreifend ein zu kostbares Gut. Aber … andere Mittel? Eine Art Medizin? Ging so etwas, ohne einen bitteren Preis zahlen zu müssen? Seine Brauen wanderten in die Höhe. „He… weißt du, Shanny… du lässt einen alten Knaben grade ganz schön dumm aussehen. Nein. Nein habe ich nicht. Und ich habe nicht einmal wirklich daran gedacht, dass das vielleicht möglich wäre…“ Gab er offen zu. Dann legte sich sein Kopf jedoch wieder fragen schief. „Aber wenn Skadi so etwas fertig bringt könntest du sie wohl genauso danach fragen. Hast du?“ Er ließ ihr ihr Schweigen, als sie die weiteren Worte überdachte und wohl in sich nach einer Antwort suchte. Und auch er dachte einen Moment nach, ehe er etwas auf ihre Worte erwiderte.
„Das kann gut sein. Manchmal werden einem die Dinge erst später klar. Selbst wenn sie einem so sehr auf der Seele brennen, dass man selbst mitten in der Nacht auf dem Schiff herumgeistert. Ich…ich möchte dich nicht bedrängen, Shanaya. Ich weiß, dass wir uns noch nicht so lange oder gut kennen, dass es leicht wäre mir irgendwelche Dinge anzuvertrauen, die man vielleicht lieber mit sich selbst ausmacht. Aber wenn du ein Ohr zum zuhören und vielleicht auch einen Rat von jemandem brauchst, der wie gesagt schon ein wenig länger mit Gespenstern tanzt biete ich dir beides gerne an – nicht nur jetzt.“ Er betrachtete sie – die junge Frau im fahlen Nachtlicht. So verwirrt, wie zumindest er sie bisher nie erlebt hatte. „Wie geht’s denn deiner Schulter? Ist die zumindest wieder besser?“ Er hatte den Eindruck. Und er hatte auch den Eindruck, dass sie das Ganze Dilemma mit den verdammten Vögeln ganz gut weggesteckt hatte – gut genug zumindest, dass das nicht der Auslöser für ihren Kummer war. Aber was wusste er schon, wie es sich wirklich im Geiste einer 17 jährigen Frau verhielt? Vielleicht ging ihr das Ganze auch näher, als er ahnte…


Tarón schwieg einen Moment und Shanaya hob mit fragender Miene den Blick zu dem Hünen, wog den Kopf einen Hauch zur Seite, als er seine Stimme schließlich wieder gefunden hatte. Was er dann schließlich voller Überraschung von sich gab, ließ Shanaya lächeln und schließlich in einem sanften Seufzen ausatmen. „Man sollte mich eben nicht nur anhand meines Alters messen. Das sagt nicht sonderlich viel aus.“ Tarón hatte das nie wirklich offensichtlich getan, genug andere Mitglieder der Crew jedoch schon. „So weit bin ich noch nicht. Ich kriege das lieber selbst auf die Reihe. Aber bei mir geht das auch einfach noch nicht so lang, wie bei dir. Vielleicht sehe ich das nächste Woche schon anders, wenn ich dann immer noch nicht zur Ruhe komme.“ Die Schwarzhaarige zuckte mit der gesunden Schulter, blinzelte bei den nächsten Worten des Mannes. Einen Moment lang blickte sie ihn noch an, ließ die blauen Augen dann wieder zu der Dunkelheit des Meeres wandern. „Glaub mir, wenn ich mich in irgendeiner Weise bedrängt fühlen würde, hätte ich dich schon über die Reling geworfen.“ Ohne den Kopf zu drehen, warf Shanaya dem Mann einen Seitenblick zu, aber erst mit seinen letzten Worten richtete sie sich Tarón wieder vollkommen zu, ein inzwischen warmes Lächeln auf den Lippen. Eine Wärme, die sie auch tief in ihrem Inneren verspürte. Diese Crew machte sie noch viel gefühlsduseliger als sowieso schon. „Sollte ich die Geister erkennen und sie nicht aus meinem Kopf vertreiben können, komme ich darauf zurück. Ansonsten treffen wir uns sicher irgendwann wieder genau an diesem Punkt.“
Ihre Schulter war ein deutlich unverfänglicheres Thema, das sie einen kurzen Blick zu besagtem Körperteil werfen ließ. „Es wird. Trotzdem hoffe ich, dass ich die nächsten Wochen und vielleicht sogar Monate Mal nicht meinen Job am Steuer abtreten muss.“ Sie lächelte Tarón an, ein weiterer Blick, der ihm genug sagen würde.


Alter sagte tatsächlich nicht viel aus – weder in die eine noch in die andere Richtung. Kurz hob er fragend die Brauen, als wolle er sich gegen den implizierten Vorwurf verteidigen, ehe er einsah, dass sie es wohl nicht als Vorwurf gemeint hatte. Wahrscheinlich war sie es nur gewohnt, dass man sie ob ihrer Jugend unterschätzte. Stattdessen nickte er nur auf ihre weiteren Worte. „Sei nur nicht so dumm wie ich und warte zu lange. Vielleicht habe ich mich schon so daran gewöhnt, dass selbst ein Zaubertrunk nichts mehr daran ändert.“ Antwortete er augenzwinkernd. Dann lachte er leise. Shanny konnte sich durchaus wehren, aber mit einem Blick auf ihren Arm hatte sich das mit dem über die Reling werfen bereits erledigt. Aber ja…sie würde es ihn wissen und spüren lassen, wenn er ihr zu nahetrat – daran zweifelte er nicht. Er begegnete ihrem Blick nahm die Wärme darin wahr und freute sich darüber, denn er glaubte diesen Ausdruck bei ihr selten gesehen zu haben. Eine Regung, die er zu schätzen wusste und die er seinerseits mit einem ebenso warmen Lächeln beantwortete. „Ich hoffe dazu kommt es nicht und dass wir stattdessen bald beide um solche Zeiten schlafend wie Robbenbabies in unseren Kojen liegen. Aber mein Angebot ist ehrlich gemeint. Jederzeit.“ Ein erneutes Lachen und ein Schwung Mitgefühl in seinem Blick. „Scheint wie verflucht, hm?“

Shanaya konnte bei den Worten des Mannes ein ruhiges, wenn auch nach wie vor müdes, Lächeln nicht unterdrücken. „Ich habe ja noch ein paar Jahre Zeit, deine Fehler besser zu machen, hm? Aber es liegt in meiner Natur, solche Dinge erst einmal allein anzugehen.“ Tarón erwiderte das Lächeln und Shanaya rieb sich einmal mit der Hand über die müden Augen, gab dann bei den Worten des Mannes ein leises Brummen von sich, ehe sie den Blick wieder in die Dunkelheit des Ozeans schweifen ließ. „So süß sind wir jedenfalls schon. Also… ich zumindest.“ Ein weiterer, vielsagender Blick und auf das erneute Angebot des Mannes hin nickte Shanaya ruhig. Sie war gespannt, ob sie darauf zurück kam… oder kommen musste. Das Lachen des Dunkelhaarigen kommentierte sie schließlich mit einem leisen Seufzen. „In letzter Zeit, ja. Aber ich gebe mein Bestes, dass es das jetzt erst einmal war. Du wirst das Ergebnis meiner Bemühungen sicher zu sehen bekommen.“ Spätestens, wenn das nächste Mal jemand an ihrem Posten am Steuer stand.

Zumindest ließ Shanny – wenn auch müde und abgekämpft – ihren Sarkasmus dann doch nicht ganz missen. Und das machte Tarón Hoffnung, dass sie bald wieder ganz die Alte sein würde oder sich zumindest nicht davon unterkriegen ließ, was auch immer ihr auf der Seele brannte. Er selbst ließ den Schalk in sein Lächeln fließen. „Hm…mindestens 50 würde ich sagen.“ Antwortete er mit dem ihm eigenen Selbsthumor. Und er verstand sie – auch er machte solche Dinge immerhin lieber mit sich selbst aus. Und dennoch: die Idee Skadi zu fragen würde er vielleicht tatsächlich verfolgen. „Ich fürchte ich bin eher nur so süß wie ein alter ranziger Seelöwe…“ erneut lachte er leise. Auf ihre weiteren Worte brummte er nur zustimmend und gutmütig. Und vielleicht würde er versuchen seinen Teil zu tun und ein Auge darauf zu behalten zuzusehen, dass Shanny tatsächlich etwas ungeschorener davonkam, sollten sie sich wieder in irgendein Dilemma manövrieren. „Hm…was meinst du? Sollten wir gucken, ob uns die Wellen und dieses äußerst gefühlvolle Gespräch genug beruhigt haben, um uns in den Schlaf wiegen zu lassen?“

Zuerst fuhr Shanaya sich mit einer Hand über die müden Augen, lachte dann aber auf Taróns Einschätzung hin. „50 Jahre… du hast dich verdammt gut gehalten, das muss man dir lassen. Trotz zu wenig Schlaf...“ Sie wusste, ehrlich gesagt, nicht wie alt der Mann war. Für sie machte das Alter jedoch keinen Unterschied. Jüngere konnten unendlich gut in dem sein, was sie taten – und ältere konnten alles vernichten, was sie anfassten. Nichts also, woran Shanaya Maß nahm. Trotzdem genoss die junge Frau es, dass der Ältere sich selbst nicht zu ernst nahm, etwas, was viel zu häufig der Fall war. „Auch das findet sicher irgendjemand süß und wirft dir ein paar Fische zu.“ Mit der Frage des Mannes ließ Shanaya den Blick noch einmal zu der Dunkelheit des Meeres schweifen, einige stille Herzschläge, in denen sie nur dem sanften Rauschen lauschte. Erst nach einigen Momente richtete sie den blauen Blick wieder zu Tarón herum, wog den Kopf mit einem etwas schiefen Lächeln zur Seite. „Einen Versuch ist es wert, oder nicht?“