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Gathering of a Storm - Shanaya Árashi - 26.01.2022

Gathering of a Storm

Abend des 21. Juni 1822
Greo & Shanaya Árashi


Wieder einmal hing Shanaya wirren Gedanken nach, bemerkte so nichts von ihrer Umwelt. Die junge Frau hörte nicht das Rauschen der Wellen, die am Rumpf des Schiffes brachen. Nicht die Schritte und Stimmen, die eigentlich deutlich um sie herum zu vernehmen waren. Die blauen Augen ruhten nur auf die Sonne, die den Horizont bereits erreicht hatte, dabei war zu versinken. Immer wieder kam ihr das Gespräch mit Talin in den Kopf, hielt sie in ihrem Wirrwarr aus Gedanken gefangen. Gleichzeitig schlug ihr Herz in diesen Momenten einige Takte schneller, lenkte sie noch mehr ab, wo sie sonst immer achtsam blieb. Jetzt stützte sie mit dem gesunden Arm auf der Reling, das Kinn auf ihrer Hand abgelegt. Der Wind strich sanft durch ihre Haare, aber auch das schien spurlos an der jungen Frau vorbei zu gehen.

Er rieb das Papier der Notiz zwischen den Fingern, unschlüssig, was er weiter damit anfangen sollte. Sein Blick ging konzentriert über die wenigen Zeilen und er schüttelte unwillkürlich den Kopf. Greo hatte die Lippen geschürzt und tippte sich mit dem Stift gegen den Mund. Er schnaubte leiste, legte das Schreibgerät zur Seite, klappte den Zettel zusammen und schob ihn sich durch den Kragen umständlich in eine Innentasche. Der Wind zauste sein Haar, das unter der Hutkrempe hervorlugte. Sein Blick ging auf das Wasser. Er schob sich rücklings vom Bugspriet runter und kletterte wieder an Bord. Er spielte gedankenverloren mit dem Stift in seiner Hand und sah zu Shanaya, die an der Reling stand und sich Schafe in die Wolken träumte. Er runzelte die Stirn. „Die geht trotzdem runter, auch wenn du sie so anstarrst.“, meinte er und nickte der Sonne zu.

Shanaya verharrte in ihrer Position, selbst wenn sich Schritte näherten. Hätte sie gewusst, zu wem sie gehörten, hätte sich die Schwarzhaarige vermutlich umgedreht oder wenigstens geantwortet. Nichts davon geschah jedoch. Die blauen Augen blickten weiter zu der sinkenden Sonne, zu dem Meer, das in rotes Licht getaucht wurde. Irgendwo regte die Stimme, die sie ansprach, etwas in ihrem Unterbewusstsein, es reichte jedoch nicht, um sie aus diesem verdammten Labyrinth in ihrem Kopf zu retten. Sie schwieg, kein Muskel zuckte. Nur der Hauch eines Lächelns legte sich auf ihre Lippen.

„Hm.“, machte Greo. Als er merkte, dass sie ihn nicht gehört hatte, oder vielmehr, ihm keine Beachtung schenkte und dümmlich vor sich hinlächelte, zuckte sein rechter Mundwinkel neckisch und seine Brauen verzogen sich, sodass er eine merkwürdig amüsierte Mimik zur Schau trug. Greo verschränkte die Hände hinter den Rücken, schielte kurz gen Himmel, um sich zu überlegen, was er sagen konnte und beugte sich, immer noch mehr schräg hinter ihr stehend, vor, um ihr zuzuraunen: „Morgen fliegen kleine Einhörner aus deinen Ohren und die erfüllen dir lauter Wünsche. Ist das nicht wunderbar?“

Vollkommen abrupt wurde Shanaya aus ihren Gedanken gerissen, als die Stimme deutlich lauter und viel näher noch einmal erklang. Mit einem überraschten Geräusch wich die Schwarzhaarige ein winziges Stück zurück, blickte Greo mit großen, überraschten Augen entgegen. Ihr Herz hatte sich beinahe etwas überschlagen, beruhigte sich aber bei dem Anblick des Hutmannes wieder deutlich. Shanaya atmete tief durch, strich sich dann ein paar wirre Strähnen aus der Stirn und schenkte Greo ein etwas schräges Lächeln. Beinahe ein wenig besorgt strich sie dann mit einer Hand über eines ihrer Ohren. „Wieso ausgerechnet aus den Ohren? Und was für Wünsche überhaupt?“ Sie war verwirrt und deutlich überrumpelt.

Kurz zuckte er ob ihrer überraschten Reaktion ein wenig zurück, dann lachte er und hob die Schultern. „Wollte keine Prügel riskieren, wenn sie dir woanders rausgeflogen wären.“, gab er schelmisch von sich, „Und was du dir wünschst, weiß ich doch nicht. Kann wohl alles sein.“ Er nahm kurz den Hut ab, schüttelte sein wirres Haar (als ob es dadurch ordentlicher geworden wäre) und setzte sich den Deckel wieder auf.

Greo lachte und Shanaya blieb einfach verwirrt. Es passte nicht zu ihr, so unachtsam zu sein, dass der Mann sich einfach hatte an sie heran schleichen können. Noch einmal seufzte die Dunkelhaarige, ihr Lächeln behielt eine leicht schräge Note. „Da hast du ja nochmal Glück gehabt!“ Was sie sich jedoch wünschte… Kurz schloss die Schwarzhaarige die Augen, schüttelte den Kopf. „Und wieso schleichst du dich so an?“ Ein holpriger Versuch, das Thema zu wechseln.

Den ein oder anderen Knuff hätte er sicher ohne Probleme eingesteckt, sie zu foppen war nicht schlimm, denn das tat sie mit ihm auch. Die Grenzen überschritten sie nie, beide nicht. Zumindest konnte er sich dessen nicht entsinnen. In einer spontanen Eingebung legte er ihr einen Arm um die Schulter, tätschelte ihr den Kopf und ließ den Blick über das Meer gleiten. „Meine Gute, ich habe mich nicht angeschlichen, du hast mich nur gekonnt ignoriert. Du warst von dem da“, er ließ die freie Hand mit dem Stift in einen Bogen Richtung Horizont beschreiben, „vollkommen geblendet.“ Er ließ sie los und trat einen Schritt von ihr weg, lehnte sich rücklings gegen die Reling und verschränkte die Arme vor der Brust, und ließ den Stift wieder zwischen Zeige- und Ringfinger tanzen. „Sieht dir gar nicht ähnlich. Also das aufs Wasser gucken schon, aber das Nichts-mehr-mitbekommen.“

Greo kam näher, legte ihr einen Arm um die Schulter und verwirrte sie damit nur noch mehr. Shanaya blinzelte, folgte seinem Deuten und betrachtete noch einmal die Sonne. Greo hatte scheinbar irgendetwas dramatisches gefrühstückt, was jedoch ihre Konzentration kostete. Bevor sie etwas sagen konnte, war Greo schon wieder weg, lehnte an der Reling – und bekam einen verwirrten Blick zugeworfen. Beinahe etwas verlegen kratzte die Dunkelhaarige sich am Kopf, wich dem Blick des Mannes dann aus. Tja… tja. „Ich…“ Shanaya atmete tief durch, richtete den Blick aber nicht zu ihrem Freund herum. Es dauerte einige Momente, bis sie ihre Stimme wieder gefunden hatte. „Ich war irgendwo mit den Gedanken.“

Gott im Himmel, was war sie denn heute lahmarschig im Kopf? „Tatsächlich? Hat man gar nicht gemerkt.“, meinte er mit einem Sarkasmus, der nicht triefend, sondern lediglich leicht mitschwang. „Konzentrier dich mal aufs Wesentliche. Hast du die Karten schon gesichtet und die neue Route geplant?“

Der Sarkasmus in Greos Stimme war… verdient. Das war keine Info, die er nicht selbst hätte haben können. Die junge Frau zuckte mit der gesunden Schulter, das schräge Lächeln blieb. Ihr Freund sprach weiter und einige Herzschläge lang hatte Shanaya Probleme, ihm zu folgen, ehe sie nickte. „Ist mit beiden Captains alles besprochen und geplant.“ Als hätte er ihr einen Befehl gegeben, salutierte Shanaya, das Lächeln auf ihren Lippen hatte einen etwas wärmeren Hauch bekommen.

Er nickte von oben herab ihr Salutieren ab, als sei er zufrieden mit der Ausführung ihrer Befehle, aber auch diese Information offenbarte ihm nicht sonderlich viel. Er schwieg einen Augenblick, bevor er die Hand mit dem Stift leicht anhob und sie kreiseln ließ, als könne das die Schrauben in ihren Gedanken beschleunigen und eine schlüssigere Antwort hervorbringen. „Und?“, fragte er gedehnt, „Irgendwelche Inseln in Sicht, auf denen es sich lohnt Halt zu machen?“

Greo nickte und Shanaya ließ die Hand sinken, hob dafür leicht mit skeptischer Miene eine Augenbraue an. Was genau wurde das hier? Sie beobachtete sein Spiel mit dem Stift, ihr Kopf neigte sich dabei leicht zur Seite. Was versuchte ihr Freund mit diesen Fragen zu erreichen? Wollte er sie aus diesem Wirrwarr in ihrem Kopf befreien? Bisher war das nicht sehr erfolgreich. „Ist nicht jede Insel einen Besuch wert?“

„Darüber kann man sicher diskutieren.“, erwiderte er in Gedanken an ihr Bestreben die Welten genaustens zu kartographieren. Aber Schönheit lag ja bekanntlich im Auge des Betrachters und ob ein Ort sehenswert oder erlebenswert war, hing sicherlich ebenfalls mit den Ambitionen zusammen, die eine Person pflegte. Und Greo hatte nicht nur den Verdacht, sondern wusste ziemlich genau, dass sie beide an dieser Stelle weit auseinanderdrifteten. Ihrer Mimik nach zu urteilen, wusste sie nicht genau, worauf er hinauswollte. Greo sog kurz die Luft ein. „Mich würde eher interessieren, ob wir größere Handelspunkte ansteuern. Du weißt schon, Dreh- und Angelpunkte zwischen den Welten. Vielen Schiffe verschiedener Herkunft.“

„Wenn es nach mir ginge, würden wir auf jeder winzigen Insel Halt machen… und nicht wirklich voran kommen, von daher...“ Wahrscheinlich war auch das keine Info, die Greo nicht längst bekannt war, aber… naja. Auch seine Worte lichteten ihre Verwirrung nicht. „Irgendwann… bestimmt.“ Ihre zweite Augenbraue hob sich fragend an. „Wieso? Hast du etwas… Großes vor?“

„Das denk ich mir.“, meinte er und kniff in einer freundlichen Gestik die ungleichen Augen ein wenig zusammen. Er war sicher, dass sie noch so manche Insel betreten und erkunden würde – vielleicht auch welche, auf die bisher noch nie ein Mensch einen Fuß gesetzt hatte. Wenn es im Land des roten Sandes Gegenden gab, die niemandem vertraut waren, dann sicher ebenfalls auf See. „Och, nur das Übliche.“ Greo hielt sich etwas vage. „Augen und Ohren nach Möglichkeiten offenhalten.“ Ihm wurde gewahr, dass er den vermaledeiten Stift immer noch mit sich herumtrug, und er friemelte ihn in eine kleine Tasche an seinem Gürtel hinein.

Shanaya blickte den Mann nach wie vor skeptisch und fragend an. Sie wurde nicht schlau aus ihm. Egal, wie sehr sie sich konzentrierte. Und seine kryptische Antwort machte das Ganze irgendwie auch nicht wirklich besser. Shanaya seufzte, strich sich mit einer Hand durch die dunklen Haare. „Entweder liegt es daran, dass ich meine Gedanken gerade nicht geordnet kriege… oder du bist heute noch verwirrender als sonst.“ Das, was sich irgendwie tief in ihrem Inneren zu seinen Worten regte, versuchte sie jedoch zu unterdrücken. Dann begab sie sich lieber wieder in das Chaos in ihrem Kopf.

Greo guckte sie offensichtlich überrascht an, mit weiten Augen und gerunzelter Stirn. „Du findest mich verwirrend?“ Sie war doch diejenige von ihnen beiden, die schon seit längerem nicht genau wusste, was sie dachte und wollte. Wenn er sich nicht täuschte, hatte es diese Momente schon ein paarmal gegeben. Was er wollte war klar. Daraus hatte er nie einen Hehl gemacht.

Jetzt stand Greo auch Verwirrung ins Gesicht geschrieben, untermalt von seiner Frage. „Ja!“ Gut, vielleicht auch, weil sie einfach gerade etwas neben sich stand. Das lag definitiv im Bereich des Möglichen. Mit beiden Händen rieb sich die junge Frau jetzt über das Gesicht, blinzelte dann, als sie zurück zu Greo blickte. Sie lächelte schräg. „Vielleicht bin ich auch von mir selbst so verwirrt, dass mich gerade einfach alles verwirrt.“ Sie seufzte leise. „Trotzdem… weiß ich, dass deine… Möglichkeiten mich nicht glücklicher machen würden.“

Sein Ausdruck wurde mild, als würde er ein Katzenjunges betrachten. Er wartete einen Augenblick ab und beobachtete sie währenddessen ruhig. Du weißt, dass dieser Tag kommen wird, oder?“, sagte er mit seiner dunklen Stimme, die ein bisschen samtiger geworden war, aber auch dieser Ton konnte die harte Wahrheit nicht weicher erscheinen lassen.

Wieder wich Shanaya dem Blick ihres Freundes aus, strich sich noch einmal durch die schwarzen Haare. Was er dann sagte, war wie ein Stein, der sich fest um ihr Herz schloss. Ohne zu Greo herum zu blicken, ließ die junge Frau sich nun auf den Boden sinken, winkelte die Beine an, lehnte sich mit dem Rücken an die Reling und richtete den hellen Blick fest auf den Horizont, sofern sie diesen von ihrer Position aus sehen konnte. „Weiß ich.“ Trotzdem war das Bewusstsein immer wie kleine Stiche in ihrer Brust. Und vielleicht lag es auch daran, dass sie gerade nicht ganz Herr ihrer Sinne war, aber es ließ ihr Tränen in die Augen treten, die sie mühsam versuchte herunter zu schlucken.

So standen sie nebeneinander und Greo, der den Blick nicht von ihr genommen hatte, registrierte bestürzt, dass ihre Augen verdächtig wässrig wurden. Sie waren auf dem Meer. Staub konnte das nun eher nicht gewesen sein. Aber sein potenzieller Fortgang war mit Sicherheit nicht der einzige Grund für ihre Gefühlslage. Sie wusste schon von Anfang ihrer Freundschaft an, dass Greo keine langfristige Karriere auf See anstrebte. „Was ist los?“

Da saß sie nun. Verwirrt von der Verwirrung, von Greo, von sich selbst. Vielleicht sollte sie sich einfach in ihre Hängematte zurück ziehen, die Decke über den Kopf und den Tag beenden. Das war keine Einstellung, die sie oft vertrat… aber besser wurde es heute vermutlich nicht mehr. Jetzt vergrub sie ihre Hand in den Haaren, hörte Greos Frage und wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie schniefte leise, kniff die Augen danach kurz zusammen. Noch immer verließ kein Ton ihre Lippen… weil sie einfach keine Antwort wusste, die ausreichend gewesen wäre.

Mit einem kleinen Schwung stieß er sich von der Reling ab, stellte sich vor sie und legte ihr die Hände an die Arme. Er war vorsichtig, weil er wusste, dass ihre Schulter noch ramponiert war. Mit seinen Augen suchte er ihren Blick. „Sieh mich mal an.“, sagte er eindringlich, „He.“ Er neigte leicht den Kopf zur Seite. „Du bist verwirrt, aber das kann doch nicht alles sein. Du weinst nicht so schnell. Eher würdest du dir die Zunge abbeißen. Hat dir jemand wehgetan?“

Aus den Augenwinkeln konnte Shanaya sehen, wie Greo sich bewegte, neigte den Kopf jedoch nicht zu ihm herum. Irgendwie, entgegen dem, wie gern sie Greo sonst um sich herum hatte, wäre ihr am liebsten gewesen, er wäre gegangen. Aber er blieb und Shanaya war auch dafür irgendwie dankbar. Trotzdem trieb es ihr Herz ein wenig schneller an, als er direkt vor ihr war, sie aufforderte, ihn anzusehen. Etwas, dem sie nur schwer nachkam. Ihre erste Antwort war ein Zucken ihrer Schultern. Sie wusste nach wie vor keine Antwort. Nur auf seine andere Frage. „Nein.“ Das war es nicht, niemand hatte ihr wehgetan, aber… Die junge Frau schluckte, wandte den Blick dann wieder an Greo vorbei. „Ich weiß es nicht.“

Kritisch zog er die Brauen zusammen. Was sollte er darauf sagen? Auch das war, wenn er sich recht erinnerte, nicht das erste Mal, dass sie eine solche Antwort gab. Ihm kam es eher so vor, als wollte sie nur nicht zugeben, was ihr durch den Kopf ging. Vielleicht, weil es dann real wurde und sie das nicht ertrug. Worum auch immer es sich dabei handelte. Greo fühlte sich in diesem Augenblick so stark an Ellie erinnert, dass es ein wenig wehtat. Er richtete sich auf und schloss sie in die Arme, leicht und geborgen und für einen Moment konnte er sich vorstellen, dass es nicht Shanny war, sondern seine Schwester, dass ihr Haar nicht schwarz, sondern dunkelbraun wie eine Kastanie war. Er presste die Lippen aufeinander. Es war nicht fair seiner Freundin gegenüber, in seine eigenen Erinnerungen abzudriften. Er entließ Shanny wieder und ließ den Blick zum Achterdeck schweifen. „Weißt du, nicht drüber reden macht es nicht ungeschehen oder unsichtbar. Vielleicht willst du nicht darüber reden, weil du dann zugeben musst, dass es die Wirklichkeit ist… Was auch immer es ist, niemand kann dir helfen, wenn du nicht sprichst. Das ist deine Sache. Aber irgendeinen Ursprung hat das.“ Er sah sie kurz an. „Und so, wie ich dich gerade erlebe, bist du doch eigentlich nicht. Du musst ja nicht mit mir reden. Aber öffne dich irgendwem, damit du wieder der verrückte Kookaburra werden kannst, den ich kenne.“

Als Greo die Arme um sie legte, fühlte Shanaya sich ein wenig leichter. Sie war die Nähe des Mannes so nicht gewohnt, trotzdem half es ihr, sich ein wenig zu fassen. Nicht vollkommen, sie steckte irgendwie in dieser Situation fest, aber immerhin ein wenig. Seine Worte dagegen bohrten noch ein wenig tiefer und krampfhaft versuchte sie sich selbst irgendeinen Reim aus ihrer Reaktion zu machen. Immer wieder blieb nur das Gespräch mit Talin, aber… ihre Hände ballten sich zusammen, nur kurz folgte sie dem Blick ihres Freundes, ehe ihr Kopf auf die angewinkelten Knie sank. Jetzt rollten ihr Tränen über ihre Wangen, so sehr sie sich auch dagegen sträubte. Die Bezeichnung, die Greo ihr verpasste, sagte ihr nichts, sie nahm sie jedoch auch nur halbherzig wahr. „Wenn ich wüsste, wieso...“ sie führte das nicht weiter aus, kniff nur die Augen zusammen. „… dann würde ich das auch tun...“ Ihre Stimme war deutlich leiser geworden, Überforderung schwang darin mit.

Plötzlich ein bisschen befremdet, schob Greo seine Hände in die Hosentaschen und zog die Schultern ein wenig hoch. Der Wind ließ die Hutkrempe zittern. Er hielt die Nase in die Brise. Dass sie weinte war nicht das Problem, aber er wusste nicht, ob er bleiben oder gehen sollte und das gefiel ihm nicht. „Du hast das, was du wolltest. Du bist fort von deiner Familie auf See, kannst dich als Navigatorin weiterentwickeln, die Welten erkunden. Du hast ziemlich viel Mist schon überlebt und manchmal wird einem erst Tage später klar, wie knapp man am Tod vorbeigeschrammt ist.“ Schmerzlich eigene Erfahrung, dachte er, „Aber auch das, glaube ich, ist nicht dein Thema. Du weißt, wo dein Platz ist. Und wo du hinwillst. Meist hat das dann mit anderen Leuten zu tun.“ Er ließ das zunächst einfach in der Luft hängen. Das konnte einfach zu viel bedeuten. „Weißt du, Gefühle für andere Menschen können einen manchmal mehr verwirren als alles andere. Weil wir auch immer abhängig davon sind, was die anderen fühlen und denken und wie sie mit uns umgehen. Wir haben kaum Kontrolle über eine Beziehung. Ob das nun in der Familie ist oder außerhalb. Ob sich das nun auf jemand einzelnen bezieht oder eine Gruppe. Denk einfach mal drüber nach.“

Mit dem Kopf auf den Knien konnte Shanaya die Reaktionen des Mannes nicht sehen, was vielleicht auch besser so war. Trotzdem lauschte sie wieder aufmerksamer als zuvor den Worten ihres Freundes, die teils für sie zwar zusammenhanglos wirkten, aber trotz allem irgendwie Sinn ergaben. Nur brachten sie sie nicht wirklich weiter. Sie versuchte damit in sich hinein zu lauschen – und fand nur haltloses Chaos vor. Beinahe etwas verzweifelt zerwuschelte die junge Frau sich selbst die Haare, versuchte aus Greos Worten irgendwie schlau zu werden. Sie wusste, wo ihr Platz war, wo sie sein wollte. Ja… und trotzdem saß sie nun so hier, in sich zusammen gekauert. „Ich wüsste nicht, wem ich das zu verdanken hätte.“ Auch wenn sie sich ihrer Worte eigentlich sicher war – ob sie nun etwas verdrängt oder nicht – schwang dennoch leise Unsicherheit in ihrer Stimme mit. Sie schluchzte, wischte sich dann mit einem Arm über die tränennassen Augen. Egal, was das war… es fühlte sich nicht gut an.

„Ich glaube schon, dass du das weißt.“, gab er ruhig zurück, „die Auswahl an Kandidaten und Kandidatinnen an Bord ist doch recht begrenzt, findest du nicht?“ Er sah nach wie vor unverwandt zum Achterdeck, als ob sich dort des Rätsels Lösung befände. Sein Kiefer mahlte ein wenig hin und her. „Und ich kann schon mal nicht die Ursache sein.“, stellte er fest oder bestimmte es zumindest. „Überleg mal, mit wem du viel zu tun hast. Dann kommst du schon drauf.“

Greo blieb so ruhig, während Shanaya das Gefühl hatte, dass tausende von Steinen auf sie hinab fielen. Erst mit seinen Worten hob sie den Kopf ein wenig an, ohne Greo jedoch anzusehen. Ihr Blick glitt ins Nichts, irgendwo zum dunkler werdenden Horizont. Sie lauschte den Worten ihres Freundes und wischte sich daraufhin noch einmal über die Augen. Ihre Antwort war nicht mehr als ein leises, unwilliges, unglückliches Brummen. Sie wusste nichts dazu zu sagen, so sehr sie auch auf ihr inneres lauschte. Gerade fühlte sie sich unglaublich müde, ohne die Hoffnung zu haben, Ruhe zu finden.

„Worauf hast du gerade Lust?“, stellte er die Frage in die Stille hinein, nachdem sie beide eine Weile nichts gesagt und vermutlich den eigenen Gedanken nachgegangen waren. Er sah zu den Segeln, kehrte aber immer wieder zum Achterdeck zurück.

Greo schwieg und die Schwere, die Shanaya einnahm, wurde darunter noch ein wenig drückender. Zumindest versiegten die Tränen unter diesem Schweigen vorerst. Als ihr Freund sich wieder an sie wandte, drehte die Schwarzhaarige sich zu ihm herum, blinzelte einen Moment verwirrt. Er schaute nicht zu ihr hinüber und Shanaya atmete einmal tief durch. "Mich unter einer Decke zusammen rollen", war ihre schlichte, müde Antwort.

Er studierte weiterhin das Achterdeck und Gedanken, die so gar nichts mit dem Hier und Jetzt zu tun hatten, geisterten wie lose Nebelfetzen zwischen seinen Ohren hin und her. Langsam blickte er nach ihrer Antwort zu ihr hinüber und guckte sie nur an. Ein erneuter Moment des Schweigens verstrich. „Mach das.“, sagte er dann ruhig und klang ein wenig resigniert.

Es vergingen weitere Momente unter Schweigen, die Shanaya beinahe nervös mit der Hand durch ihre Haare fahren ließ. Sie wusste nicht, wie viele Herzschläge vergangen waren, als Greos Stimme die Stille zerschnitt. Zuerst blinzelte die junge Frau, konnte den Ton in der Stimme ihres Freundes jedoch kaum deuten. Was blieb ihr also anderes übrig, als genau das zu tun, wonach ihr war? Noch einen Moment harrte sie aus, erhob sich dann aber und warf dem Mann noch einen kurzen Blick, ein müdes Lächeln zu. „Dann gute Nacht.“ Shanaya war unglaublich froh, dass dieses Gespräch zu dieser Tageszeit stattgefunden hatte. So blieb ihr nun wirklich die Möglichkeit, zu schlafen und darauf zu hoffen, dass dieses schwere Gefühl morgen von ihren Schultern gewichen war.