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Words without Voices - Druckversion

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RE: Words without Voices - Gregory Scovell - 08.02.2020

"Wie soll ich es denn sonst nennen?!?", grollte er zurück, "Missgeschick? Irrtum? Fehlentscheidung?"

'Verrat', meinte seine innere Stimme gehässig.
'Nein', stemmte er sich gegen den Gedanken. So definitiv nicht. Er hatte weder Seinen Bruder noch ihre Eltern an einen Feind ausgeliefert. Außerdem hatte er nicht gelogen. Trevor hatte ihn nie danach gefragt. Gregory hatte also nur geschwiegen. Aber ob Lügen oder Verschweigen, das wäre für Trevor jetzt nichts als eine Spitzfindigkeit.
'Aber du hast sie im Stich gelassen.'
'Nein! No, dammit! Habe ich nicht!'
Er durfte dem jetzt nicht nachgeben und musste es Trevor erklären, sowie der sich beruhigt hatte.

Auf die nächste Frage konnte er nur stumm nicken.
Wo hätte er den Text auch sonst lassen sollen? Auf dem Schiff? Bei den Büchern? Talin? Ellhan?
'Bei dir'
Der Gedanke äzte sich wiedereinmal grell in seinem Geist. Ja. Ihm hätte er ihn zukommen lassen müssen. Gerade setzte er zu einem "Ich hatte ihn dir die ganze Zeit über geben wollen" an, als die Tränen kamen.
Alles was er ab dem Moment wollte, war seinen Bruder in die Arme schließen und um Verzeihung bitten.
Da wurde er allerdings auch schon zurückgestoßen und verlor fast das Gleichgewicht. Als Trevor dann auch noch die Tagebuchseite in seine Richtung schleuderte landete er endgültig auf den Knien, griff er doch panisch danach.
Es war so lachhaft. Hatte er nicht eben noch behauptet, er bräuchte sie nicht?

Einen Augenblick hockte er schweigend da, betrachtet seinen Bruder, der sich schwer auf den Bug des Ruderbootes stützte.
Greg hatte kaum mitbekommen, wie seine eigenen Hände derweil die Papiere wieder in der Tasche verstaut hatten, geschweige denn, wann auch seinen Augen ein paar Tränen entglitten waren. Liebend gerne hätte er sich jetzt zurückgezogen und seinem Elend hingegeben, doch weder sein Wesen, noch der gerade eben gefasste Entschluß duldeten das.
Mühsam stemmte er sich auf die Füße, schritt langsam zu seinem Cousin hinüber und legte ihm sachte die Hand auf die Schulter, jederzeit damit rechnend, dass er sie zurückziehen müsste, was er dann auch tun würde. Dabei meinte er sanft:

"Es tut mir Leid. So unendlich Leid, dass ich nicht genug vertrauen in dich hatte, um es dir zu sagen. Es war mein Fehler, einzig und allein meiner und ich werde ihn definitiv nicht wiederholen. Das verspreche ich dir."



RE: Words without Voices - Trevor Scovell - 08.02.2020

Er brauchte viel zu lange, um die Tränen niederzukämpfen. Er schniefte, hoffentlich nicht so laut, dass Greg es hörte. Von ihm getröstet zu werden wie ein kleines dummes Kind war das Letzte, was er gerade wollte. Er hob die Hand, um sich über die Nase zu wischen, und bemerkte dabei das zerknitterte Stück Papier darin – Arannes Brief. Er hatte ihn behalten, ganz wie er es Greg gesagt hatte. Ein Brief für ihn, einer für seinen Bruder. Was für ein Schwachsinn. Er strich das Papier mit der weniger blutigen Handkante glatt und verdrängte verbissen den Gedanken, dass es in besserem Zustand wäre, hätte er es nie auch nur angefasst. Dann steckte er es in die Hosentasche.
Einen Moment später spürte er die warme Hand seines Bruder auf der Schulter. Er zuckte nicht zusammen, sondern ballte die Fäuste.

„Tolle Entschuldigung, bei der du mich als ‚nicht vertrauenswürdig‘ bezeichnest“, fauchte er und schüttelte die Hand ab. Das war jetzt Haarspalterei, aber wenn Greg lieber einen kleinkarierten, jammernden Bruder haben wollte, bitte. Er drehte sich halb zu ihm um.

„Was hat das überhaupt mit Vertrauen zu tun?! Ich habe niemanden hintergangen und im Stich gelassen und – und –“

Er gestikulierte wütend mit den Händen in der Luft. Verdammt, ja, er war chaotisch und er war laut und er handelte viel zu oft, ohne vorher nachzudenken. Er wusste das. Aber immerhin tat er etwas. Entschieden griff er die Plane, die der Besitzer des Fischerbootes in der leisen Hoffnung auf Regen und der sicheren Angst vor unverschämten Möwen darüber ausgebreitet hatte, und zog sie mit einem Ruck herunter. Weit würde er in dieser Nussschale nicht kommen. Er hatte auch gar keine Ahnung, wo er überhaupt hinwollte, aber noch viel weniger wusste er, was er von seinem Bruder hören wollte, ob er überhaupt irgendetwas hören wollte. Er nahm ihm ab, dass es ihm leidtat, aber machte es das in irgendeiner Weise besser?
Beinahe wünschte er, Greg hätte ihm nie von der Tagebuchseite erzählt, und war auf sich selbst sauer, weil er so dachte.

„Das ist nichts, was man versprechen müssen sollte, Greg.“

Ungeachtet seiner brennenden Hände packte er das Boot und zerrte daran Richtung Wasser. Es rührte sich keinen Zentimeter. Trevor fluchte laut.



RE: Words without Voices - Gregory Scovell - 08.02.2020

Hatte Trevor ihm zugehört?
Ja.
Hatte der verstanden, was Gregory zu ihm gesagt hatte?
Anscheinend nicht.
Besäße er nicht einen langen Geduldsfaden, der Schiffsarzt wäre jetzt wohl ausgerastet oder hätte aufgegeben.
So straffte er sich, verschränkte die Arme vor der Brust und sah auf den Wirrkopf hinab, der ihm die Worte im Munde herumdrehte.
Auch zeigte der deutlich, dass er keine Nähe wollte.
Unter diesen Umständen hätte der Ältere normalerweise den Jüngeren einfach wortlos geholfen, bis der ruhiger geworden wäre und von sich aus Fragen gestellt hätte. Doch sie würden wohl noch länger bleiben, da wäre es schlecht, die Ortsansässigen zu verärgern.
Stattdessen packte er Trevor am Arm, riss ihn zu sich herum und überging dessen letzte Aussage.

"Macht es dir gerade Spaß, mich falsch zu verstehen oder kapierst du wirklich nicht, was ich sage?!?"

Sein Stimme war hart aber neutral, seine Augen funkelten erbost und in seiner Haltung lag eine versteckte Herausforderung. Eine Kombination, wie Trevor sie selten gesehen hatte. Eine die andeutete, dass Greg kurz davor war wütend zu werden. Doch noch betonte er die Worte nur sachlich.

"Ich hatte nicht die Kraft es dir zu sagen. Es war mein Fehler. Also hör auf, mir zu unterstellen, ich würde dich schlecht machen!"

Er schnaubte, dann fügte er, jedes Ja und jedes Nein mit einem anzeigenden Finger verdeutlichend, an:

"Ja, ich hätte dir damals vertrauen müssen, dass du damit richtig umgehst.
Nein, ich wusste nicht mehr, ob du das tun würdest, weil ich mich von meiner Angst habe beherrschen lassen.
Ja, verdammt nochmal, ich war ein Feigling.
Nein, ich werde das nie wieder sein und:
"Ja, ich sollte dir das nicht versprechen müssen. Da hast du recht."


Dann lies er die Hand sinken und ruckte leicht an Trevors Arm.

"Und du brauchst dieses beschissene Fischerboot nicht. Du segelst mit der Sphinx weiter. Hast du mich verstanden?!?"



RE: Words without Voices - Trevor Scovell - 08.02.2020

Greg packte ihn am Arm, schon wieder, und riss ihn herum, schon wieder, und Trevor hätte beinahe ihn statt des blöden Bootes getreten. Stattdessen zuckte er zurück. Seine Augen weiteten sich, er zog die Schultern an, klappte den Mund auf und nicht wieder zu– Er hatte mit vielem gerechnet, okay, nicht gerechnet, so was Kompliziertes, aber auf keinen Fall hatte er erwartet, dass Gregory sich so drohend über ihm aufbaute. Nicht nach der jämmerlichen Hündchen-Nummer eben. Oder überhaupt, allerhöchstens reagierte sein Bruder genervt oder gereizt. Weiter lies Trevor es nie kommen.

„Ich –“, begann er, wurde aber von Gregs erhobenem Zeigefinger unterbrochen. Zum Glück. Er hätte keine Ahnung gehabt, was er hätte sagen sollen. Er wollte lachen, irgendeinen Witz machen, sich aus Gregs Griff und der Situation winden wie schon so oft zu vor. Aber egal, in welche Richtung er dachte, er stieß immer wieder darauf, dass in all diesen Momenten eine Lüge zwischen ihnen gehangen hatte. Direkt da, in Gregs Brusttasche, von der er nicht mal gewusst hatte, dass es sie gab, verflucht. Er biss sich auf die Lippen. Straffte die Schultern und erwiderte den Blick seines Bruders eisig. Nur seine freie Hand, die noch immer auf dem Dollbord des Bootes lag, öffnete und schloss sich ruhelos.

„Ja, ich habe dich verstanden.“

Die Hand ballte sich ein letztes Mal zur Faust, bevor Trevor sich von dem Boot abstieß und viel zu dicht an Greg herantrat.

„Aber du mich offenbar nicht. Du glaubst, das ist es, das macht dich zu einem Feigling?!“

Er sah nicht einmal wütend aus, er zog bloß beide Augenbrauen in die Höhe.

„Nein, 'Brüderchen', dass du diesen Brief in hübsches Leder geschlagen hast und ihn über die Insel spazieren trägst, anstatt dich auf – die – Suche – zu machen, das, er bohrte wiederholt den Zeigefinger in Greg Brust, jetzt doch bebend vor beherrschter Wut, „das macht dich zu einem Feigling.“

„Aber wenn du tatsächlich bloß mein armes Herz vor dem Zerbrechen schützen wolltest! Es tut mir leid!“

Erschrocken schlug er sich die Hand vor den Mund, schüttelte den Kopf.

„Dann habe ich mich wohl geirrt – und du bist einfach nur ein Idiot. Und ein verdammter Kontrollfreak. Und jetzt lass mich los.“

Er warf einen verächtlichen Blick auf die Hand, die seinen Arm umklammert hielt.

„Ich bin nicht dein kleines Püppchen, falls das immer noch nicht bei dir angekommen ist.“



RE: Words without Voices - Gregory Scovell - 08.02.2020

Ruhig lauschte er der Erwiderung seines Bruders, scheinbar unbeeindruckt von dessen aufdringlicher Nähe, nickte bedächtig und nickte anschließend noch einmal. Dann kam erst eine Frage, die ihn stutzen ließ und danach eine erneute Anschuldigung und es blitzte kurz in seinen Augen. Sonst rührte er sich nicht.
Das kleine Schauspiel, die Beleidigung und die Aufforderung nahm er dann einfach so hin, doch er ließ ihn immer noch nicht los.

"Du hast wohl tatsächlich nie kapiert, wer in dieser Crew der Captain ist. Aber das macht nichts. Ich habe auch lange dafür gebraucht.
"Oh und keine Sorge, ich lasse dich gleich los. Ich will dir nur vorher noch etwas sagen, von dem ich dachte, dass du es wüsstest:"


Gregs Blick bohrte sich in Trevors, suchte scheinbar etwas in den Seelenspiegeln seines Bruders und stellte sich dessen Herausforderung. Kleine Gesten und leichtes Rucken suchten, wie vorher, die Aufmerksamkeit des Jüngeren bei den Worten zu halten.

"Ich ging immer davon aus, dass du mich nach all den Jahren gut genug kennst, um zu wissen, dass ich nicht aufgebe, nie aufgeben werde; dass ich sie, komme was da wolle, bis an mein Lebensende suchen werde, außer ich finde sie vorher. Und dass es nur eine Sache gibt, die mich davon abhalten kann. Eine einzige."

Die Finger lösten sich langsam, begannen vom Arm abzugleiten.

"Aber da habe ich mich wohl geirrt."

Die Berührung verschwand wie versprochen. Gregs Blick glitt langsam durch Trevor hindurch, die Wut mischte sich mit Enttäuschung und Bedauern.

"Ich gebe dir recht, ich bin ein Feigling. Und ein Idiot. Letzteres aber nicht, weil ich aufgehört habe zu suchen, sondern, vor allem, weil ich versucht habe dir eine Anweisung zu geben, wo ich dich hätte bitten müssen.
"Da das jetzt nichts mehr bringt, Fakten:
"Ich habe Talin nach dem Ort gefragt. Leider kennt auch sie ihn nicht; sie hat mir aber gesagt, dass sie alle sieben Welten erkunden will. Sie meinte, dass sich dabei vielleicht auch der eine oder andere Hinweise zu unseren Eltern finden lassen könnte, obwohl wir keinen Ortsnamen haben und es drei Jahre her ist, dass sie durch jene mysteriöse Landschaft gezogen sind.
"Sie brennt darauf, loszuziehen und anderen Welten zu sehen.
"Wenn du also so schnell wie möglich weitermachen, Daniel und Aranne, unter den besten Voraussetzungen, suchen willst, dann sollte die Sphinx deine erste Wahl sein. Denn sie ist wohl das einzige Schiff, was auf Grund eines Hinweises, wie, wo man sie vielleicht finden könnte, freudig den Kurs ändern wird."


Inzwischen hingen sein Augen am Horizont, suchten jenen Punkt, wo sich Meer und Himmel berührten. Seine Haltung war angespannt, vor allem seine Hände taten bereits viel zu lange nichts. Sein Stimme hingegen war so ruhig, so gleichgültig, dass die folgenden Aufforderung fast wie eine Aussage klang:

"Und falls du wirklich glaubst, dass ich dich bei der Suche behindere, ernsthaft denkst, dass ich sie längst aufgegeben habe, dann sag es! Ich werde dann meine Konsequenzen daraus ziehen."



RE: Words without Voices - Trevor Scovell - 08.02.2020

Crew? Captain? Was? Er redete doch nicht etwa von ihnen beiden, oder? Trevor wollte verwirrt die Stirn runzeln, bemerkte es auf halben Weg und zog stattdessen wütend die Augenbrauen zusammen. So viel dazu, dass Greg hier „nicht ihn schlecht machen wollte“. Er hatte das nie kapiert, weil er nie darüber nachgedacht hatte, verdammt, wer kam den auch auf so eine dämliche Idee?! Er schnaubte, machte Anstalten, die Arme zu verschränken, aber Greg hielt ihn fest, hielt ihn immer noch fest, und Trevor erwiderte seinen Blick mit aller Abneigung, die er aufbringen konnte.

„Da wären wir ja schon zwei.“

Er fragte jetzt ganz bestimmt nicht nach, was diese eine einzige Sache bitte sein sollte. Er hatte das ungute Gefühl, dass die Antwort „Du. (Du Idiot!)“ wäre. Ach was, nein, verdammt, er hatte eben keine Lust mehr auf Gregs dämlich Ausreden. Die erklärten gar nichts. Mit einem Ruck löste er sich aus dem schwächer werdendem Griff und wünschte ihn sich im selben Moment zurück. Jetzt wusste er nicht wohin mit seinen Armen, er verschränkte sie, entschränkte sie, steckte die Hände in die Hosentaschen und zog sie abrupt zurück, als seine Finger das Papier des Briefes berührten. Schließlich wandte er sich ab. Greg starrte jetzt eh nur noch semidramatisch in den Himmel.

Er lachte dumpf. „Ja, Talin …“ Und alle anderen. Erwartete Greg wirklich, dass er da einfach so hin zurückging?! Was sollte er denn bitte sagen? „Oh heeey Leute, ich bin heute auch eingeweiht worden! Endlich! Wow, ihr seid solche begabten Geheimnisbewahrer!“ Er hätte sich die Hand ins Gesicht schlagen können. Stattdessen zog er sie über das rissige Holz des Bootes, während er es umrundete. Mehr Abstand zwischen sich und seinen Bruder brachte.
„Drei Jahre?!“ Greg unterbrach seinen Monolog nicht und Trevor trommelte mit den Knöcheln auf das Dollbord. Er rechnete, verrechnete sich, fluchte, weil er überhaupt rechnen musste und sein Kopf so ein Chaos und drei Jahre so verdammt lange her waren. Aber sie waren weniger lange her gewesen, als Greg die Tagebuchseite gefunden hatte.

„Jetzt sag das nicht, als sei das bloß irgendeine von meinen tausend ‚fixen Ideen‘!“

Er packte das Dollbord viel zu fest. Splitter gruben sich in seine Handfläche, aber die waren eh schon ruiniert, für heute zumindest.

„Ja, verdammt, ich glaube das wirklich und ich denke das ernsthaft, weil du mich die letzten FÜNF MONATE ANGELOGEN HAST! Ist dir das etwa wieder ENTFALLEN?!“ Er lies das dämliche Boot los und warf die Arme in die Luft. „Und wahrscheinlich hättest du das noch wer weiß wie lange weitergemacht, wäre Lissa nicht gewesen! Also JA, zieh deine verdammten Konsequenzen daraus, wir werden NICHT –“, er ließ die geballten Fäuste auf das Dollbord niedersausen, „NICHT ZUSAMMEN ZURÜCKGEHEN und so tun als wäre alles Friede, Freude, Fischbrötchen!“



RE: Words without Voices - Gregory Scovell - 08.02.2020

Trauer machte sich in Gregorys Magen breit, denn alles, was er fand war Schmerz, Unsicherheit und Wut. So stark, dass sie alles andere überlagerten. Es brachte nichts. Trevor würde sich erst beruhigen müssen.
Dass es so lange dauern würde, falls es überhaupt passierte, dass er so gar nicht zu ihm durchdrang, hatte er zwar befürchtet, hatte sich sogar noch düstere Szenarien ausgemalt und dennoch:
Das hier war schlimmer als all seine Phantasie. Vielleicht, weil es hier keinen zweiten Versuch gab.
Seine Kiefer pressten sich hart aufeinander. Nein. Das konnte er nicht vergessen, würde er wahrscheinlich nie können.
Dann zuckte er, bei "nicht zusammen zurückgehen", heftig zusammen. Trevors Worte danach hörte er kaum über das Rauschen in seinen Ohren. Die Wut flackerte, schwand und ließ die Augen des Älteren leer zurück, sein Gesicht ausdruckslos.
Er verstand den Jüngeren ja, gab ihm nur zu bereitwillig recht, hatte sogar versucht, sich auf diese Möglichkeiten vorzubereiten. Die Heftigkeit aber, mit dem ihn die Worte in seine Brust fuhren, ihm den Atem raubten, die hatte er nicht einmal erahnen können.
Schließlich, als sein Bruder geendet hatte, sah er ihn wieder an.
Dass der Schiffsarzt überhaupt dazu in der Lage war, etwas zu sagen, verwunderte ihn, und ihm war, als ob nicht er die Worte wählte, die er sprach:

"Dass du mit einer Nussschale weitermachen willst, die im ersten Sturm wahrscheinlich untergehen wird, wenn du ein ganzes Schiff haben kannst, auf dem dir die Crew helfen wird, das würde ich vielleicht als fixe Idee bezeichnen. Nicht unsere Suche als solche."

Mühsam lockerte er seine Finger, die sich zur Faust verkrampft hatten und ballte sie dann wieder.

"Deshalb geh bitte zurück zur Sphinx und finde heraus, ob die Anderen etwas wissen. Shanaya vielleicht. Oder Liam. Oder irgendeiner. Ich — Ich habe bis jetzt nur Talin und Feuerbart gefragt. Mehr habe ich nicht geschafft nach diesem Ort zu fragen. Viel zu sehr habe ich versucht, es dir mitzuteilen ..."

'... und dabei viel zu viel Angst gehabt. Aber das ist jetzt vorbei, ich werde mich nicht mehr von ihr beherrschen lassen, auch wenn es mir noch so schwerfallen wird', wiederholte er seinen Entschluss in Gedanken.

"Außerdem hast du Rayon dort an deiner Seite. Er wird verstehen was passiert ist.
"Und nein, ich erwarte nicht Friede, Freude, Fischbrötchen oder Eierkuchen. Es wird zwischen uns sein, wie du es sagst."


Dann holte er tief Luft.

"Ich bitte dich nur noch einmal: Geh zurück zur Sphinx und wenn du mich dafür hier zurücklassen musst, dann ist dem eben so. Aber bitte geh dahin zurück!"

Ein leises Flehen lag in diesen beiden Sätzen und deutete an, was seine Gedanken beherrschte:
'Lass mich dich sicher wissen, es wird mir dann leichter fallen, jede deiner Entscheidungen zu akzeptieren.'



RE: Words without Voices - Trevor Scovell - 08.02.2020

„Was?“, fragte Trevor, aber Greg redete mal wieder einfach weiter. Also behielt er den ungläubigen Blick eben bei, die Augen aufgerissen, den Mund aufgeklappt, er würde einen ganz hervorragenden Karpfen abgeben, wenn Karpfen auf Schiffen leben würden und Brüder hätten, die sie anlogen, und Freunde, die offenbar doch nichts davon gewusst hatten.

„Okay. Möchtest du jetzt noch ein mal mehr ‚Bitte geh dahin zurück‘ betteln“ – er hätte den flehenden Unterton in Gregs Stimme ja übertrieben nachgeahmt, aber wirklich, viel mehr draufsetzen konnte man da nicht mehr – „oder können wir jetzt darüber reden, dass du ZWEI Leute gefragt hast?! ZWEI, Greg! Von – von –“

Er versuchte, nachzuzählen, aber es waren inzwischen viel mehr Leute auf der Sphinx als Finger an seinen Händen und seine Konzentration war hundsmiserabel und überhaupt war das ja auch ganz egal, es waren jedenfalls deutlich mehr als zwei! Also fluchte er bloß und ließ frustriert die Hände zurück aufs Dollbord fallen.

„Nicht, dass ich es dir überhaupt abgekauft hätte.“

Sollte er nicht erleichtert sein? Er wollte erleichtert sein. Er konnte zurück aufs Schiff. Er konnte allen von seinem Fund erzählen. Sie würden sich für ihn, mit ihm freuen und Greg, Greg würde – „Ach verflucht Mann, ich raff‘s einfach nicht“, murmelte er und schüttelte den Kopf. Beinahe hätte er das laut gesagt, aber das hätte bestimmt nur wieder eine weitere Lawine von Erklärungen und Entschuldigungen ausgelöst. Und verdammt, seit wann musste er darauf achten, was er sagte?! Sein Bruder hatte zumindest mit einem Recht: Trevor hätte ihm das nie zugetraut. Greg war übervorsichtig und überfürsorglich und all das, was man eben sein musste, wenn man ein großer Bruder war. Aber er würde doch nicht … aber er hatte! Und jetzt, wo er endlich damit herausrückte, redete er die Wahrheit auch noch schön.

„Hast du dich bei den fünf Monaten vielleicht auch ‚verzählt‘, hm? Oder ganz zufällig ‚vergessen‘, dass vielleicht von den zwei, drei Menschen, die du für vertrauenswürdiger gehalten hast als deinen eigenen Bruder, doch einer etwas wusste? – Warte.“

Er hob die Hand.

„Rayon weiß es auch, nicht wahr? Ich meine, du hast es ihm gesagt, oder – oh Göttin.“

Ein Blick ins Gesicht seines Bruders verriet ihm alles. Jetzt schlug er doch die Hand an die Stirn, verdeckte einen Moment seine Augen – bevor er plötzlich auflachte. Das Geräusch klang nach so einer Ewigkeit seltsam in seinen Ohren.

„Okay, weißt du was, du hast Recht.“

Er breitete die Arme aus und fasste mit der Geste das kleine Fischerboot und den leeren Strand zwischen ihnen ein.

„Vielleicht bist du von uns beiden derjenige, der alleine besser aufgehoben ist.“

Das Lächeln schwand langsam aus seinem Gesicht, als er um das Boot herumtrat, in die Richtung, aus der sie vor nicht einmal einer Stunde gekommen waren. Damals, als heute noch ein besonders guter Tag gewesen war.

„Glücklich, ja?“, fragte er und schenkte seinem Bruder ein letztes sarkastisches Zucken der Mundwinkel.



RE: Words without Voices - Gregory Scovell - 08.02.2020

Der Brünette reagierte nicht auf Trevors theatralische Gehabe. So wie sich sein Magen schmerzhaft verhärtete, genauso zwang er sein Herz dazu, damit er nicht jammernd zusammenbrach.
'Feigling.'
'Nie wieder!'
'Hör auf zu schwafeln!'
'Ja.'

Noch immer rasten diese Worte durch seine Gedanken und daran hielt er sich fest.
'Du hast recht', dachte er, 'hier auf der Sphinx habe ich bis jetzt wirklich keine gute Arbeit geleistet.'
Und dann entfachte der Jüngere die Wut wieder, ließ sie lichterloh brennen und den Älteren dadurch seine Sorgen kurzzeitig vergessen. Greg fuhr Trevor nicht dazwischen, das war nicht seine Art, aber seine Augen weiteten sich erbost, ehe er ihn finster anstarrte. Schnell verschwanden die Magenschmerzen und das schlechte Gewissen. Er hatte es versucht, hatte sich erklärt und entschuldigt. Wenn Trevor das nicht reichte, dann hatte der eben Pech gehabt.
Als der dann zu ihrer beider besten Freund schwenkte, steigerte er den Zorn des Schiffsarztes noch weiter.
Gregory knurrte erschreckend leise:

"Er weiß nichts von der Tagebuchseite."

Eine simple Aussage, keine Erklärung. Ab diesem Augenblick war es ihm egal, was sein Cousin tat oder ließ, auch wenn er das noch nicht realisierte und später bereuen würde. Eigentlich hätte er noch eine weiteren Satz angefügt, war sich aber zum einen nicht einmal sicher, ob diese Aussage überhaupt angekommen war, zum anderen hatte er jetzt wirklich keine Lust mehr Trevor irgendetwas zu erklären.
Das hier brachte nichts. Rein gar NICHTS.
Also würde er diesen Streit jetzt beenden.
Er würde das hier nicht durch weiteres, sinnloses Geschwafel verschlimmern.
Das würde er noch für sie Beide tun.
Mehr nicht.
Wie sie am Ende dastünden, dass würde sein Bruder bei Zeiten entscheiden müssen.
Hart und kaum lauter antwortet er:

"Nein. Ganz und gar nicht. Aber ja, vielleicht bin ich derjenige von uns.
"Jedenfalls habe ich die schnauze voll davon, mir deine schwachsinnigen Unterstellungen anzuhören. Glaub was du willst, ich bin es leid, zu versuchen, dir Dinge zu erklären, die du eigentlich längst wissen müsstest oder welche, die du nicht verstehen willst."


Wütend unterstrich seine Hand diese Aussage und den kalten Blick, den bisher nur wenige Leute von ihm erhalten hatten:
Nämlich die, die kurz davor waren, es sich dauerhaft mit ihm zu verscherzen.

"Wir werden, ganz wie du es willst, nicht zusammen zurückgehen. Heute gibt es kein Friede, Freude, Fischbrötchen. Vielleicht nie wieder.
"Das ist jetzt deine Entscheidung."

Die Wut verhärtete seine Mundwinkel, Bitterkeit ließ seine Lippen schmal sein. Er maß Trevor ein letztes Mal, dann drehte er sich abrupt um. Seine letzten Sätze sprach er über die Schulter zu ihm, abweisend, gleichgültig und keinesfalls sanfter:

"Falls du noch einmal mit mir reden willst, du findest mich bei Dahlia.
"Falls nicht, lebe wohl! Vielleicht sehen wir uns dann, wenn wir unsere Eltern wiedergefunden haben."


Dann wandte er sich gänzlich ab und ging los Richtung Klippe, Richtung Dahlia und der Improvisierten Klinik, fort von der Sphinx und dem Mann, dem er sein bisheriges Leben gewidmet hatte.
Vielleicht käme sein Cousin zu ihm zurück.
Vielleicht würde der auch mit der Sphinx hinter dem Horizont verschwinden und er dadurch alles verlieren.
Er spürt wie es ihn förmlich zerriß.
Doch er war zu wütend, als das ihn das in diesem Moment gekümmert hätte. Er würde nicht nachgeben, nicht winselnd angekrochen kommen.
Nein.
Nicht dieses Mal.
Und er würde die Suche nicht aufgeben.



RE: Words without Voices - Trevor Scovell - 10.02.2020

Zu gerne wäre einfach weitergegangen, weitergerannt, hätte den Strand und das Boot und seinen Bruder mit samt seinem dämlichen kleinen Brief hinter sich gelassen. Aber der Schmerz aus seinem Fuß zog langsam hinauf in seine Hüfte, selbst wenn er ihn nicht belastete, und außerdem fing Greg schon wieder an zu reden. Also tat Trevor die zweitbeste Sache, die ihm einfiel. Er lachte auf.

„Du bist es leid, mir Dinge zu erklären, die ich eigentlich längst wissen sollte? Wirklich?“

Kaum waren die Worte heraus, schlug er sich die Hand vor den Mund.

„Oh nein. Hab ich es schon wieder getan? Hab ich dir etwa schon wieder die Worte im Mund herumgedreht?“

Er hielt dem Blick seines Bruders stand, die Schultern gestrafft, das Kinn erhoben, die Mundwinkeln zu einem Lächeln verbogen. Über seine Augen hatte er keine Kontrolle. Sollte Greg ihn doch mit seinem Blick zu Eis gefrieren oder wieder in Bitten und Tränen ausbrechen oder sich auf ihn stürzen, oder was immer seine Stimmungsschwankungen als nächstes hervorwürgten. Trevor würde verflucht noch mal nicht aufhören zu lächeln.

„Oh, etwas, das ich entscheiden darf.“ Er lehnte sich gegen das Boot und verschränkte die Arme, damit Greg nicht sah, wie er die Fäuste ballte. „Wie großzügig von dir. In dem Fall: Leb wohl, Bruder.“

Er zupfte konzentriert eine verbliebene Glasscherbe aus seiner linken Handfläche und versuchte, normal weiterzuatmen. Der aufflammende Schmerz ließ seine Finger zittern.

Ich könnte noch sagen, dass –
Oder vielleicht, dass –
Oder sollte ich –


Als er wagte, aufzusehen, war sein Bruder verschwunden. Trevor biss die Zähne zusammen, bemerkte es und fluchte laut. Was bei allen Welten war hier gerade passiert? Was war das für ein bescheuerter Albtraum?! Das ergab doch alles überhaupt gar keinen Sinn! Vielleicht war es das wirklich, bloß ein Traum, und er würde er gleich aufwachen und wäre zurück auf der Sphinx, in seiner Hängematte, zurück an diesem Morgen, mit dem Fest vor sich und seinem Bruder bei sich.
Zumindest zurück zur Sphinx konnte er. Das war der Plan, waren Pläne nicht toll, er war doch schon immer ein Fan von Plänen gewesen! Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, stieß sich vom Boot ab, stolperte beinahe und fluchte erneut. Göttin, das würde ein langer Weg werden.
[Dam-dam-daaaam. Dramatisches Ende von Teil eins.]