RE: Der Dorn in ihren Augen - Shanaya Árashi - 27.05.2019
Shanaya hatte auf die Worte des Mannes ein Schmunzeln nicht unterdrücken können. Er sparte sich seine Kugel also für den Anführer der kleinen Gruppe. Was auch immer ihn genau dazu verleitete, es landete einfach auf dem Haufen der unbeantworteten Fragen. Ob sie darauf eine Antwort bekommen würde wusste sie nicht, aber um diese Frage würde der Dunkelhaarige nicht herum kommen. Für den Moment, in dem sie glaubte, ihrem Bruder gegenüber zu stehen, waren immerhin selbst diese Fragen aus ihren Gedanken verschwunden. Ein leichtes Beben war durch ihren Körper gezuckt, bis sie erkannte, dass es nicht Bláyron war, der hier mit einer Gruppe von Männern stand.
Lucien stieß mit ihr zusammen, aber sie suchte nur kurz nach ihrem Gleichgewicht, wandte nicht einmal den Blick zur Seite. Sie behielt den Blonden trotz allem genau im Blick, Luciens Stimme war nur ein dumpfes Geräusch in ihren Ohren, auf das sie nicht reagierte. Erst, als der kurze Schleier sich lichtete und Lucien sie zu Recht zum weiter laufen drängte, blinzelte die junge Frau einige Male, schüttelte kurz den Kopf. Er war nicht hier. Ganz sicher. Er hätte ihr schon längst aufgelauert, um es ihr schwer zu machen. Für einen schnellen Herzschlag richtete sie die blauen Augen zur Seite, als die Tür aufging, wollte sich im nächsten Moment dennoch in Bewegung setzen, als der Mann neben ihr nach ihrem Handgelenk griff und sie im nächsten Moment schon in die Richtung der Tür zog. Er rettete ihr in diesem Moment vermutlich den Hintern, auch wenn sie sich noch immer dagegen sträubte. Sie folgte ihm ohne Widerstand, ließ sich durch die Tür ziehen und blieb stehen, als die Tür verschlossen und verriegelt war. Die junge Frau bemühte sich um eine ruhige Atmung, versuchte so zeitgleich ihr schnell schlagendes Herz zu beruhigen. Sie konnte sich wieder auf die Gruppe konzentrieren, die hinter ihnen her war... solange sie sich immer wieder einredete, dass Bláyron nicht auftauchen würde.
Von draußen klopfte einer der Betrunkenen gegen die Tür und endlich drang wieder jedes Geräusch, jeder Gedanke zu ihr durch. Sie mussten hier weg, jede Zeit nutzen, die sie bekamen. Nur ein kurzer Blick glitt zur Tür, die noch standhielt. Erst dann, zum ersten Mal, legte sich der blaue Blick der jungen Frau auf Lucien, während sie noch einmal tief durchatmete und er fragte, ob alles in Ordnung war. In den Augen ein wildes Wirrwarr aus fragendem Blick, genauso aber auch die Entschlossenheit, diesem Kerl den Hals umzudrehen. Nur kein Lächeln lag auf ihrem Ausdruck, nicht auf den Lippen, nicht in den hellen Augen. Ein kurz angebundenes Nicken folgte. Nur ein kurzer Moment, in dem ihr die Kontrolle entwichen war.
„Vielleicht gibt es einen Hinterausgang.“
Noch einige schnelle Herzschläge ruhte ihr Blick auf dem Gesicht des Dunkelhaarigen, ehe sie sich durch die Räume bewegte, die Augen suchend umher schweifen lassend. Eine halb gefüllte Flasche riss ihre Aufmerksamkeit auf sich, im vorbeigehen griff sie danach. Dem Geruch nach zu urteilen Alkohol. Shanaya zögerte nicht lang, verstaute die Flasche in ihrer Tasche. Wenn sie Pech hatten, brauchte sie dieses Gebräu später. Im nächsten Moment erblickte sie die gesuchte Tür, wandte sich kurz zu ihrem Captain herum und nickte in diese Richtung. Schnell war die Tür erreicht, die Hand auf die Klinke gelegt – und sie öffnete sich sogar.
„Wenn wir uns beeilen...“
Während sie sprach, schob Shanaya die Tür auf, richtete die Aufmerksamkeit jedoch wieder nach vorn, als das leise Klicken einer Pistole, die geladen wurde, an ihre Ohren drangen. Zwei der Männer standen vor ihnen, die Pistolen erhoben.
„Hier sind sie!“
RE: Der Dorn in ihren Augen - Lucien Dravean - 11.06.2019
Lucien stellte diese Frage nicht grundlos. Ihm war nicht entgangen, wie sie den Blonden angestarrt hatte, wie Schock und Überraschung sie lähmten. Und dieses Verhalten passte nicht in das Bild der immer kampfbereiten Shanaya, das er sich bisher von ihr hatte machen können. Diese Shanaya blieb nicht einfach in Schockstarre stehen und schaffte es nicht allein, sich daraus zu befreien. Nicht vor einer Gruppe fremder Männer mit Alkoholfahne und nicht in Anbetracht des Kampfes, der sich von hinten näherte. Wenn ein Risiko größer wurde, eine Herausforderung gefährlicher, dann war das ganz nach ihrem Geschmack. Sie hatte keine Angst vor dem, was passieren konnte. Und er kannte dieses todesverachtende Gefühl, das die meisten für dumm hielten, weil er es selbst empfand. Weil auch er einer Gefahr nicht widerstehen konnte.
Doch das hier war anders. Die tiefgrünen Augen huschten über ihre Miene, wachsam auf jeden Ausdruck bedacht, der sich darauf zeigte und endlich schaffte sie es, ihn direkt anzusehen. Im ersten Moment fast fahrig, als überschlügen sich in ihrem Kopf eilig die verschiedensten, unzusammenhängenden Gedanken. Doch das änderte sich schnell und in den himmelblauen Augen meinte der Dunkelhaarige eine Mischung aus Verwirrung und Mordlust zu erkennen. Eine Mordlust, die man keinem Fremden gegenüber empfand, sondern nur einem Menschen, den man kannte – und hasste. Hass, der tief in ihrem Herzen saß und mächtig genug war, sie um den Verstand zu bringen. Wenn nur derjenige auftauchte, gegen den er sich richtete.
Das war der Moment, in dem er beschloss, dass das hier nicht der richtige Zeitpunkt war, dieser anderen Seite von ihr auf den Grund zu gehen. Er nahm die Puzzleteile an, die sie ihm gab, und beließ es vorerst dabei. Und ohne, dass sie wirklich etwas hätte sagen müssen, nickte er mit aller Selbstverständlichkeit auf ihren Vorschlag hin. Der Degen wanderte mit einem surrenden Geräusch zurück in seine Scheide, dann stieß Lucien sich von der Tür in seinem Rücken ab, an der nach wie vor jemand seine Forderung nach Einlass lallte.
Fast kam es ihm störend vor, wie sie zügig durch die Stille des Hauses schlichen, Shanaya voran und er ihr dicht auf den Fersen, bis sie schließlich eine zweite Eingangstür erreichten, die zweifellos auf die Straße auf der anderen Seite des Gebäudes führte.
Doch der 21-Jährige sollte nicht mehr erfahren, was denn passierte, wenn sie sich jetzt beeilten. Als die Schwarzhaarige die Tür nach außen aufdrückte und Lucien das unmissverständliche Klicken zweier Pistolen vernahm, um sie schussbereit zu machen, reagierte er rein instinktiv.
Er zog seine Waffe, die er gerade erst zurück in den Gürtel gesteckt hatte, richtete sie an Shanayas Kopf vorbei auf einen der beiden Männer, die sie verfolgten und drückte ab. In der Enge des Türrahmens knallte der Schuss selbst für ihn unerträglich laut in den Ohren. Aber er fand sein Ziel, ließ den Mann mit einer klaffenden Wunde in der Stirn rücklings umfallen wie einen gefällten Baum. Und gerade, als der zweite Schläger ebenfalls schoss, griff Lucien erneut nach dem Handgelenk der jungen Frau und zog sie zurück. Weg von der Tür und zurück in den Gang, in dem sie eben noch beiläufig das Fläschchen Alkohol eingesteckt hatte. Eine leise Stimme in ihm hoffte inständig, dass sie sich nicht hatte treffen lassen. Aber ihm blieb keine Zeit, das zu prüfen.
„Das gibt’s doch nicht.“
Seine Stimme war nicht mehr als ein Knurren. Gerade noch hatte er gesagt, dass er sich die Kugel aufsparen wollte, und jetzt? Nachzuladen dauerte Zeit. Zeit, die man ihnen vielleicht kein einziges Mal einräumte. Das einzig positive daran war eigentlich nur, dass ihnen nur noch drei Männer auf den Fersen waren und zwei davon selbst nachladen mussten.
„Nach oben, schnell. Wir versuchen es über die Dächer.“
Er hatte Shanaya bereits wieder los gelassen, wies nun auf die Treppe, die zur Seite abzweigte und nach oben führte. In diesem Viertel so dicht am Hafen standen die Häuser eng beieinander. Vielleicht bot sich ihnen so ein Fluchtweg, der sie früher oder später wieder hinunter auf die Straße und zu den großen Lagerhauskomplexen am Hafen führte. Dort war es leicht, die Gruppe in ihrem Nacken aufzuspalten und nach und nach jeden einzelnen auszuschalten.
Oder sie lieferten sich einen haarsträubenden Kampf auf den losen Ziegeln eines Satteldachs. Auch kein unwahrscheinliches Szenario...
RE: Der Dorn in ihren Augen - Shanaya Árashi - 11.06.2019
Sie waren überall. Egal, wohin sie gingen, ihre Verfolger waren schon da. Nicht, dass die Schwarzhaarige Zweifel daran hatte, dass sie diesem Moment entkommen würden... aber die Flucht hatte zuvor schon an ihren Kräften gezehrt und jetzt... aufgeben, stehen bleiben. All das waren keine Optionen. Entweder würde sie diese Männer abhängen – oder sie töten. Eine andere Chance gab es nicht.
Die Pistolen, die im nächsten Augenblick auf sie gerichtet waren, ließen sie zur Seite ausweichen, um keine der Kugeln abzubekommen. Gerade, als Lucien selbst schon die Waffe gezückt hatte und einer der Männer nach einem Schuss, der die junge Frau hatte zusammen zucken lassen, zu Boden sackte. Sein Kumpane, davon nur noch mehr angestachelt, schoss, als Lucien bereits nach ihr gegriffen und sie weg gezogen hatte. Vielleicht war es besser so, ihre eigene Hand hätte wenige Herzschläge später nach ihrem Degen gegriffen. Aber er würde gewiss nicht lang allein bleiben. Luciens Worte nahm sie wahr, folgte dem Dunkelhaarigen ohne zu zögern, - bis der nächste Schuss durch die Räume des Hauses hallte und Shanaya im nächsten Moment ein schmerzvolles Ziehen an der linken Seite spürte. Eine zweite Pistole, natürlich. Sie war nur einen Moment unachtsam gewesen, in dem ihr dieser Gedanke entfallen war. Dafür riss die Wunde, auf die sie automatisch die linke Hand hob, ihre Gedanken mit einem Mal wieder klarer werden. Bláyron war nicht hier – und wenn sie nicht aufpasste, würde sie noch eine zweite und eine dritte Wunde verpasst bekommen. Lucien hatte sie los gelassen, steuerte auf die Treppe zu.
„Jetzt sollten wir einen Moment Zeit haben.“
Zumindest glaubte sie das. Ihre Stimme klang leicht kratzig, dennoch schwang Zuversicht darin mit. Die Hand hielt sie weiter auf die Wunde gedrückt, folgte Lucien die Treppe hinauf. In ihrem Kopf entstanden unzählige Ideen, wie sie dieser Situation entkommen konnten. Gab es hier einen Fluss, in den man von den Dächern aus springen konnte? Einen Ort, an dem sie ihnen nicht folgen konnten? Noch während sie über einen neuen Fluchtweg nachdachte, erklang hinter ihnen das bekannte Geräusch einer ladenden Pistole.
„Stehen bleiben, alle Beide. Ihr habt meine Geduld lang genug auf die Probe gestellt.“
Auf das Geräusch einer weiteren Pistole folgte Mardocs Stimme. Kalt, schneidend und ohne Zweifel daran lassend, dass er wenn nötig beide Pistolen, die er fest in den Händen hielt, abdrücken würde. Shanaya wurde langsamer, blieb wie geheißen stehen. Wenn er jetzt schoß und ihren Fuß erwischte, brauchte sie nicht weiter fliehen. Den Kopf herum wendend richtete sie den kalten, blauen Blick auf den Mann, der am Fuß der Treppe stand und zu ihnen hinauf blickte, zwei Pistolen in ihre Richtung gerichtet. Die Hand, die sie auf die Wunde gedrückt hielt, verkrampfte sich, während sie all ihre Möglichkeiten in Gedanken durchging. Es dauerte einen Herzschlag, ehe sie den Blick zu Lucien herum wandte. Sie konnten jetzt nicht nach oben fliehen... er würde schießen. Und Shanaya wollte nicht das Risiko eingehen, noch einmal getroffen zu werden. Sie hatte einen Plan... dafür brauchte sie die Hilfe ihres Captains. Außer Mardoc war nur ein weiterer Mann bei ihnen. Er trat zu seinem Anführer, war jdoch nur mit einem Degen bewaffnet. Auch für ihn reichte die Zeit zum nachladen nicht. Ein bestimmter Ausdruck lag in den blauen Augen, mit denen sie Lucien bedachte, ehe sie sich wieder herum wandte, eine Stufe nach unten trat und eine Hand hob, die andere noch auf die Wunde gedrückt.
„Schön, ich komme mit euch. Aber lasst ihn aus dem Spiel.“
Nur ein Nicken galt Luciens Richtung, aber sie ließ Mardoc nicht aus den Augen. Dieser ließ immerhin eine Waffe sinken, als sie in Reichweite kam. Er wusste, dass eine Kugel für sie reichen würde. Und als sie die letzte Stufe erreicht hatte, steckte er eine Waffe weg, um nach ihrem rechten Arm zu greifen. Kälte zuckte durch ihren Körper, sein fester Griff war wie tausende Nadeln, die sich durch ihre Haut bohrten. Aber sie ließ es zu, hoffte, dass Lucien diese Situation nutzen konnte. Ob zur Flucht über die Dächer oder für sonst etwas. Sie würde hier schon wieder rauskommen. Notfalls auch allein.
RE: Der Dorn in ihren Augen - Lucien Dravean - 12.06.2019
Shanayas Worte ließen den Dunkelhaarigen einen Blick über die Schulter wenden. Die Zuversicht, die leise darin mitschwang, veranlasste ihn zu einem flüchtigen Lächeln, das kurz um seine Mundwinkel spielte. Allerdings nur, bis er ihre Hand entdeckte, die sie auf untrügliche Art und Weise auf ihre Seite presste und die ihm verriet, dass die Schwarzhaarige tatsächlich verwundet worden war.
Eigentlich hätte er die Zeit liebend gern genutzt, um seine Pistole nachzuladen. Wahrscheinlich war genau das hier diese eine, einzige Gelegenheit, die er dafür bekommen würde. Doch die Überraschung und wohl auch Sorge über eine mögliche Verwundung ließen Lucien einen winzigen Augenblick zu lange zögern. Wenige Herzschläge zu lange den Blick auf seiner Begleiterin ruhen und letzten Endes wohl auch langsamer werden, als er hätte werden dürfen.
Gerade, als er die oberste Stufe erreicht hatte, brachte eine kalte Stimme und das unmissverständliche Klicken zweier Pistolen die Flüchtenden zum Stehen. Selbst Lucien, der sich selten genug von einer Waffe verunsichern ließ, stoppte dieses Mal. Einerseits, weil Shanaya stehen blieb, andererseits weil die Überraschung darüber, wie verflucht schnell ihre Verfolger waren, ihn in einem Anflug von Verblüffung innehalten ließ.
Sein Blick folgte dem Shanayas, fand die beiden Männer am Fuße der Treppe und die Mündungen der beiden Pistolen, die zu ihnen hinauf deuteten. Selbst wenn der Dunkelhaarige es mit einem gewagten Sprung auf den oberen Treppenabsatz schaffen würde, aus der Schussbahn zu kommen – die Schwarzhaarige saß in der Falle. So oder so. Vielleicht war es in dieser Situation das einzig Richtige, nachzugeben. Um nicht erschossen zu werden. Doch als die junge Frau zu ihm hinauf sah und Lucien – durch die Bewegung aufmerkend – ihrem Blick begegnete, schüttelte er in stummen Widerwillen den Kopf. Er sah ihr an, was sie vor hatte, lange bevor sie sich wieder herum wandte und ihre Worte an Mardoc richtete. Und es passte ihm ganz und gar nicht.
Sein Griff schloss sich fester um den Griff seines Degens, an den seine Hand irgendwann in den letzten Sekunden reflexartig gewandert war, bis die Knöchel weiß hervor traten, während sein Verstand in rasender Geschwindigkeit seine Möglichkeiten auslotete. Besonders viele waren es nicht. Genau genommen... hatten weder er noch Shanaya eine Chance, sich zu wehren, ohne vorher erschossen zu werden. Außer, er warf seine Pistole mit so viel Kraft gegen den Kopf des Hünen, dass er davon bewusstlos wurde...
Die frustrierende Machtlosigkeit, mit der er ansehen musste, wie die Schwarzhaarige die Stufen hinunter schritt, ließ ihn die Zähne zusammenbeißen. Er verabscheute dieses Gefühl aus tiefstem Herzen. Doch letzten Endes überzeugte er sich selbst davon, dass abwarten gerade das beste war, was er tun konnte. Wenn die beiden Männer mit ihrer vermeintlich sicheren Beute das Haus verließen, bot sich ihm möglicherweise eine bessere Gelegenheit...
„Kümmere dich um ihn.“
Die Worte rissen Lucien zurück in die Gegenwart. Sein Körper spannte sich unwillkürlich an, als die tiefgrünen Augen von Shanaya und Mardoc zu dem Mann mit dem Degen wanderten, dem die Aufforderung offensichtlich gegolten hatte. So viel zu ihrer Bitte 'ihn aus dem Spiel zu lassen'. Ehrlich gesagt hatte er ohnehin nicht damit gerechnet, dass man ihrem Wunsch entsprach.
Er zog den Degen erneut aus der Scheide, nahm mit einem vorsichtigen Schritt rückwärts die letzte Stufe und zog sich in die Dunkelheit der oberen Etage zurück. Schön. Sollte er kommen. Dann fanden sie eben jetzt heraus, wie gut er noch mit der Klinge war – und wenn er sich beeilte... konnte er Shanaya und ihrem Entführer hoffentlich noch folgen.
RE: Der Dorn in ihren Augen - Shanaya Árashi - 12.06.2019
Sie hasste dieses Gefühl der Machtlosigkeit. Aber... was brachte es, sich jetzt seinem Willen zu widersetzen? Sie verstand Luciens Kopfschütteln, es strebte sich alles in ihr dagegen. Aber jeder Schritt weg von Mardoc hätte zu einer weiteren Schusswunde geführt. Und egal, was er getroffen hätte, es hätte sie an einer weiteren Flucht gehindert. Also ging sie lieber in die Offensive, damit konnte sie besser umgehen, als ständig nur vor ihm weg zu laufen. Sie wusste, dass die Worte, die sie an den Mann richtete, ihren Zweck nicht erfüllen würden – aber das mussten sie auch nicht. Lucien würde schon zurecht kommen. Und wie auf Kommando schickte Mardoc einen seiner Männer hinter dem Dunkelhaarigen her. Shanaya unterdrückte ein kaltes Lachen. Aber so war nur ein Mann hinter ihrem Captain her, mit dem er fertig werden würde. Und was er dann tat lag nicht in ihrer Hand. Ob er abhaute, wiederkam... es war egal. Sie würde sich allein durchbeißen, egal wie fest Mardoc ihren Arm in diesem Moment hielt. Die blauen Augen richteten sich nur kurz nach oben, wo Lucien verschwunden war.
„Und wieder bist du allein, nicht wahr?“
Die junge Frau wandte den Blick von der Treppe ab, richtete ihn direkt auf das Gesicht des Mannes, nach wie vor lag eisige Kälte in ihrem Blick. Er versuchte sie mit allen Mitteln zu provozieren, sie aus der Reserve zu locken. Aber sie blickte ihn einfach nur an, wartete, was er tun würde. Aber er lachte nur, zog sie mit einem Ruck mit sich – und Shanaya leistete vorerst keinerlei Widerstand. Irgendwo war noch einer seiner Männer, sie musste vorsichtig sein.
Mardoc zog sie zur Eingangstür, gegen die noch immer einer der Betrunkenen hämmerte. Er öffnete die Tür, schlug sie auf und sie blickten in die Gesichter verwirrter Männer, die sie stehen ließen, bevor sie irgendwie reagieren konnten. Er bewegte sich auf eine der Gassen zu, die zum Hafen führten. Irgendwo ankerte sicher ein Schiff, das auf sie wartete, Shanaya würde jedoch nicht so einfach zulassen, dass sie dieses Schiff erreichten. Die Hand, die sie noch immer auf die Wunde drückte, lockerte sich, wollte nach ihrem Degen greifen. Aber bevor sie den Knauf überhaupt berührt hatte, schnellte Mardoc herum, drückte sie gegen die Wand, hob eine Hand an ihren Hals und drückte so fest zu, dass sie gerade noch atmen konnte. Fast so, wie sie es erhofft hatte.
„Ich glaube, dir ist nicht ganz klar, dass es ihm egal ist, in welchem Zustand ich dich zurück bringe.“
Sie zappelte, machte aber den Anschein, als würde sie sich nicht mehr wehren. Eine Hand schloss sie um den Arm, dessen Hand ihr die Luft abdrückte, versuchte sie von ihrem Hals weg zu drücken. Und wie geplant ließ der Mann ihren zweiten Arm los, wollte auch die zweite um ihren Hals legen, als ihre plötzlich freie Hand nach ihrem Dolch griff. So schnell es ihr erschöpfter Körper noch zuließ hob sie die Klinge, die sich mit dem nächsten Herzschlag in die Schulter des Mannes bohrte. Er gab einen schmerzvollen Laut von sich und ließ von ihr ab. Eine Sekunde, in der die Schwarzhaarige zur Seite sprang, den Dolch mit sich zurück zog. Ihr Atem raste, die Wunde pulsierte und trieb Adrenalin durch jede Faser. Sie wollte nicht stehen bleiben, aber Mardoc zog wieder seine Pistole, richtete sie direkt auf ihren Kopf. Sie musste schnell genug sein, brauchte aber einen Moment um zu atmen. Er kam einen Schritt näher, Shanaya blieb jedoch stehen. Wenige Schritte von ihr entfernt war ein Stapel mit Kisten – sie musste ihn nur erreichen. Und der Mann war verletzt, auch er würde jetzt nicht mehr so schnell handeln können.
RE: Der Dorn in ihren Augen - Lucien Dravean - 20.06.2019
Ein letzter Blick folgte der Schwarzhaarigen, als ihr Verfolger sie in Richtung Haustür zerrte, dann kehrten die tiefgrünen Augen zu seinem eigenen Angreifer zurück. Lucien hatte einen entscheidenden Vorteil: Dieser Typ hatte die ganze Treppe noch vor sich, während er selbst bereits oben war. Er hatte also – mehr oder weniger – alle Zeit der Welt.
So leise, wie es ihm möglich war, zog er sich den dunklen Flur entlang zurück, warf einen prüfenden Blick über seine Schulter und entdeckte mehrere Türen, die vom Gang abzweigten. Die, die ihm am nächsten war, stand offen und führte in einen weiteren, vollkommen dunklen Raum. Dort hinein verschwand der junge Captain, verbarg sich allerdings nur im Schatten neben der Tür und zog die Klinge dicht an sein Gesicht, damit kein Lichtreflex seine Position verriet. Dann lauschte er auf die langsam näher kommenden Schritte des Mannes, der ihn verfolgte.
Mit etwas Glück hätte der Dunkelhaarige an ihm vorbei schlüpfen können, ohne die Waffe in seiner Hand überhaupt zu benutzen. Aber er wollte diesem Kampf gar nicht ausweichen. Jeder tote Gegner hieß einer weniger, der ihm auf die Nerven gehen konnte.
„Wo versteckst du dich?“, fragte eine gedämpft knurrende Stimme auf der anderen Seite der Tür.
Das Knarzen einer Diele verriet, dass sein Verfolger inzwischen im oberen Flur angekommen war. Er ließ sich wirklich unglaublich viel Zeit. Jeder einzelne Schritt war langsam und mit Vorsicht gesetzt. Er rechnete mit einem Angriff – versäumte es aber, einen Blick in den Raum zu werfen, in dem Lucien sich verbarg.
Kaum war er an der offen stehenden Tür vorbei, stieß der Dunkelhaarige sich von der Wand ab, kam aus seinem Versteck und ging zum Angriff über. Der Mann wirbelte herum, gerade in dem Moment, in dem der 21-Jährige mit dem Degen gegen dessen Rücken ausholte. Die Klinge verfehlte ihr Ziel, schnitt ihm jedoch eine klaffende Wunde in den linken Oberarm, bevor er selbst seine Waffe auf den Angreifer richten konnte.
Der nächste Schlag glitt am Degen des Gegners ab, bis das Heft sie schließlich stoppte. Das kreischende Geräusch von Metall auf Metall durchdrang ohrenbetäubend laut die Stille. Plötzlich legte sein Gegner Kraft in seine Parade, drückte gegen ihn an und Lucien, der noch immer nicht wieder in Bestform war, ahnte schnell, dass er dieses Armdrücken verlieren würde. Beide Klingen kamen seinem Gesicht gefährlich nahe, als der Widerstand in seinen Armen unter der Gewalt des anderen nachgab – bis er letztlich einen halben Schritt zurückweichen musste und die Degen sich voneinander lösten.
Dann startete Mardocs Schläger seinen Angriff, stürzte auf den Dunkelhaarigen zu und Lucien reagierte rein instinktiv, als er kurz eine Parade antäuschte – und plötzlich mit einer Drehung zur Seite auswich. Sein Gegner geriet ins Straucheln, fing sich am Treppengeländer ab und wirbelte erneut herum. Doch in diesem Moment rammte der junge Captain ihm seine Waffe in den Bauch.
Plötzlich herrschte Stille. Dann fiel ein Degen laut auf dem Holz klappernd zu Boden und der Blick des Hünen wanderte fassungslos nach unten, wo sein Blut einen immer größer werdenden Kreis auf dem hellen Leinenhemd bildete. Dann kippte er langsam, schrecklich langsam, nach hinten, rutschte von Luciens Klinge und krachte die Stufen der Treppe hinunter, bis er leblos an deren Fuße liegen blieb.
Der 21-Jährige stieß einen leisen Fluch aus, zwang sich, kurz tief einzuatmen und setzte sich wieder in Bewegung. Er hatte nicht viel Zeit, Shanaya und ihren ominösen Verfolger einzuholen.
RE: Der Dorn in ihren Augen - Shanaya Árashi - 23.06.2019
Und wieder bist du allein, nicht wahr?
Diese Worten klangen in ihren Ohren noch nach. Sie war immer allein gewesen, daran hatte sie sich gewöhnt – zudem hatte es sie stärker und zu dem gemacht, was sie jetzt war. Dazu hatte sie niemanden außer sich selbst gebraucht. Mardoc versuchte nach wie vor sie zu provozieren, versuchte einen wunden Punkt zu finden. Aber sie gönnte ihm diesen Triumph nicht. Vor allem mit etwas, das sie nicht interessierte. Dann war sie eben allein, na und? Sie nahm es wenn nötig mit dem Rest der Welt auf.
So ruhten die blauen Augen nur mit einem kalten Ausdruck auf dem Mann, der die Waffe erhoben hielt und langsam auf sie zu kam. Shanaya wusste, dass jede Sekunde zählen würde. Jeder Herzschlag, jede noch so kleine Bewegung. Wenn er richtig schoß und traf war diese Sache erledigt... eine zweite Streifschusswunde konnte sie dagegen sicher gut verkraften. Trotzdem glitt ihr Blick einen Moment an dem Mann vorbei. Nur eine Sekunde, in der sie sich nur noch einmal versichern konnte, dass sie allein mit ihm war. Das hauchzarte Stechen, das dieses Bewustssein in ihr auslöste ließ sich nicht unterdrücken. Was hatte sie erwartet? Aber sie hatte noch einen Gegner – auch den würde sie ohne Luciens Hilfe erledigen können.
Ein letzter Gedanke an den Dunkelhaarigen, der vielleicht schon auf dem Rückweg zur Sphinx war, ehe die junge Frau all das ausblendete, sich nur noch auf Mardoc konzentrierte – und sich mit diesem nächsten, klaren Gedanken in Bewegung setzte. Natürlich wusste der Mann, wohin sie fliehen würde... aber ihr blieb keine andere Wahl. So schnell es der Schwarzhaarigen möglich war, eilte sie zu dem Haufen mit den Kisten, als auch schon der nächste Schuss laut durch die Gassen hallte. Sie erreichte gerade die Kisten, als sie einen kurzen Zug an ihrer Hose spürte, ließ sich jedoch nicht die Zeit zu schauen, ob sie wirklich verletzt war, oder ob es nur den Stoff zerrissen hatte. Lediglich einen Atemzug gab sie sich Zeit, ehe sie den Degen zog und wieder hinter der Kiste hervor trat. In diesem Moment steckte ihr Gegner die Pistole zurück, zog selbst seinen Degen. Seine zweite Schulter war verletzt, ihm blieb nur diese eine für einen Kampf. Ihr Blicke trafen sich und beide wussten, dass dieser Kampf für einen von ihnen ein Ende sein würde. Shanayas Kehle war unglaublich trocken und irgendwie... erwischte sie sich noch einmal dabei zu prüfen, ob jemand in der Nähe war. Stille lag um sie herum, und Mardoc nutzte diesen winzigen Hauch von Achtlosigkeit. Mit einem großen Satz und erhobenem Degen war er bei der Schwarzhaarigen, die dem Hieb im letzten Moment ausweichen konnte. Noch einmal ließ sie sich nicht ablenken, holte selbst zum Angriff aus, versuchte von der Seite anzugreifen, die sie schon verletzt hatte. Aber bei jedem Schlag drehte der Mann sich mit, konnte ihre Hiebe parieren, drängte sie jedoch auch nicht zurück. Erst bei einem ihrer nächsten Hiebe, der auf seinen gesunden Arm zielt, um ihn zu entwaffnen, wich er geschickt aus, nutzte ihre müder werdenden Bewegungen und griff in einer schnellen Bewegung nach ihrem Handgelenk und drückte sie mit seinem Körper zurück. Zwei Schritte, dann prallte ihr Rücken gegen die Kisten, die kurz schwankten aber Stand hielten. Mardoc hielt sie weiter fest, drückte sie rücklings gegen die Kisten und zog mit der freien Hand ihren eigenen Degen, der im nächsten Moment mit der Spitze direkt auf ihren Bauch deutete. Sein Blick ruhte fest auf der Schwarzhaarigen, die irgendwie versuchte, sich dieser Umklammerung zu entwinden. Ihr Herz raste, trieb Adrenalin durch jede Faser. Aber sie wusste, eine falsche Bewegung und ihre eigene Klinge würde sie töten.
„Eine letzte Chance. Willst du leben oder sterben?“
Shanayas Antwort war ein eiskalter, eindeutiger Blick. Sie würde hier nicht so einfach zu Grunde gehen. Nicht durch ihn, auch wenn sich die Klinge inzwischen fester gegen die Corsage drückte.
RE: Der Dorn in ihren Augen - Lucien Dravean - 24.06.2019
Den Degen zurück in die Scheide steckend folgte der junge Captain seinem toten Gegner nach unten. Die letzten beiden Stufen nahm er mit einem abkürzenden Sprung, landete neben der Leiche am Fuß der Treppe und hielt nur kurz inne, um ihr die abgefeuerte Pistole, einen Dolch und einen kleinen Beutel Bleikugeln samt Pulverhorn abzunehmen, die an einem ledernen Gürtel befestigten waren. Mehr Zeit, um sie nach mehr als dem Offensichtlichen, nach Gold und Wertgegenständen abzusuchen, ließ er sich nicht. Er hatte im Augenblick beileibe andere Prioritäten, als die Geldnot der Sphinx. Umso länger er brauchte, umso weiter kamen auch Shanaya und ihr Entführer. Wenn die Schwarzhaarige – und das würde ihn nicht einmal wirklich überraschen – nicht vorher für ihre Gegenwehr kurzerhand erschossen wurde.
Nicht einmal, um seine Pistole nachzuladen, blieb Lucien noch stehen. Er schob beide Schusswaffen hinten in seinen Gürtel, die Munition in seine Tasche und machte sich schnellen Schrittes auf den Weg zur Hintertür. Inzwischen längst wieder vollkommen nüchtern stieß der Dunkelhaarige die Tür auf, rammte sie dem betrunkenen Hausbesitzer beinahe frontal ins Gesicht. Er taumelte zurück, rang um sein Gleichgewicht und fiel nur deshalb nicht hinten über, weil ihn der 21-Jährige kurzerhand am Kragen packte.
„Wo sind sie hin? Dieser Typ und die schwarzhaarige Frau.“ Der Betrunkene blinzelte perplex, dann verfinsterte sich sein Gesicht. Doch bevor er zu seinem nächsten, versoffenen Fluch ansetzte, schüttelte Lucien ihn so kräftig durch, dass sein Kopf wie wild hin und her schlackerte. „In welche Richtung?“
Inzwischen lag in dem ungeduldigen Knurren eine leise Drohung und das schien zu wirken. Der Ältere streckte den Arm aus, deutete die Straße hinunter und Lucien stieß ihn grob von sich weg in die Arme seiner ebenso betrunkenen Freunde. Ohne zurück zu sehen, lief er wieder los.
Danach wies ihm der Schuss, der durch die Stille der Nacht hallte, seinen weiteren Weg. In einem Anflug hilfloser Sorge biss er die Zähne aufeinander, war fast überrascht, wie widerwillig er den Gedanken aufnahm, der Schwarzhaarigen könnte irgendetwas passiert sein. Aber er hatte auch nicht die Zeit und die Geduld, sich in diesem Moment länger damit zu befassen. Wenn Shanaya lebendig aus dieser Geschichte heraus kam – und er genauso – dann war sie ihm eine verdammte Erklärung schuldig. Mindestens das.
Das ungleiche Paar war nicht weit gekommen. So, wie es schien, hatte die junge Frau tatsächlich versucht, sich zu befreien und ihm damit ermöglicht, aufzuholen. Und sie hatte ihren Verfolger verwundet. Lucien erahnte das Blut an dessen Schulter, noch bevor er nahe genug heran war, um bemerkt zu werden. Genützt hatte es ihr allerdings wenig. Sie steckte in einer Zwickmühle und auch wenn Shanaya ganz offensichtlich bereit war, hier zu sterben, war er weniger dazu geneigt, das zuzulassen.
Mardoc stand zu nahe bei ihr, um ihn mit dem Degen anzugreifen. Doch er war so fixiert auf seine Beute, dass er den Dunkelhaarigen nicht kommen sah. Es wäre der perfekte Moment gewesen, ihn einfach zu erschießen. Aber da ihm diese Möglichkeit nicht offen stand, griff Lucien nach seinem eigenen Dolch. Einen Herzschlag später hatte er die beiden erreicht und verdankte es wahrscheinlich einzig und allein dem Überraschungseffekt, dass der Hüne ihm nicht rechtzeitig auswich, als er ihm von hinten dem Arm um die Kehle legte und einen halben Schritt von Shanaya zurück riss. Im nächsten Augenblick ruhte die Spitze seines Dolches an Mardocs Halsschlagader. Egal, was der jetzt mit der Klinge in seiner Hand anstellte – er wäre tot, ehe er auch nur den Arm hob.
„Und was ist mit dir? Lieber leben oder sterben?“
Als ob er ihm da eine Wahl lassen würde. Doch die tiefgrünen Augen huschten zunächst zu der Schwarzhaarigen, vergewisserten sich mit einem kurzen Mustern, dass sie in Ordnung war. Dann erschien eine stumme Frage in dem ansonsten kühl berechnenden Blick des jungen Captains. Was wollte sie? Ihre Entscheidung.
RE: Der Dorn in ihren Augen - Shanaya Árashi - 26.06.2019
Shanaya nahm Nichts mehr wahr, weder Geräusche um sie herum noch einen Gedanken, der ihr in diesem Moment kam. Sie sah nur den Mann vor sich, spürte den Dolch, der sich langsam fester gegen ihre Corsage drückte. Es fehlte nicht mehr viel, bis er durch den Stoff hindurch war. Und dann? Sie würde nicht kampflos nachgeben... aber jede Bewegung würde in diesem Moment dazu führen, dass die Klinge sich in ihren Bauch bohrte. Kein Grund für sie aufzugeben. Es blieb ihr also nur auf eine Chance zu warten, darauf, dass Mardoc von irgendetwas abgelenkt wurde. Und wenn dieser Fall nicht eintrat... dann würde sie einen Schritt nach vorn wagen müssen. Der Mann würde nicht damit rechnen, aber vielleicht war das ihr einziger Ausweg.
Entschlossen biss die junge Frau die Zähne aufeinander, klammerte die Hand fester um ihren Degen und holte gerade tief Luft, um einen Schritt nach vorn zu treten. Aber mit dem nächsten Herzschlag ging ein Ruck durch Mardocs Körper. Er hielt ihr Handgelenk weiter fest, war ihr jedoch nicht mehr so nahe. Shanaya hob den blauen Blick, einen Moment lag darin vollkommene Verwirrung. Ihr erster Gedanke, dass der übrige Kumpane des Mannes zurück gekommen war erschien ihr zu unlogisch. Und erst, als eine bekannte Stimme an ihre Ohren drang, schien sie vollkommen zu realisieren, dass jemand ihr gerade vermutlich das Leben gerettet hatte. Lucien.
Die Schwarzhaarige hielt einen Moment die Luft an, der kurzen Leere in ihrem Kopf folgte weitere Verwirrung. Er war zurück gekommen. Wieso? Was brachte ihren Captain dazu, sie in diesem Moment nicht allein zu lassen, wie sie es gewohnt war? Ihr Herz schlug einige Takte schneller, ihre Hand umfasste noch immer fest den Knauf ihrer Waffe. Sie bildete sich das nicht ein. Lucien war zurück gekommen und... Mit einem Mal fiel eine unglaubliche Anspannung von der Dunkelhaarigen ab, Erleichterung lag in ihren Augen, mit dem sie den Blick des Mannes erwiderte. Fast hätte sie den Mann vor sich vergessen, all ihre Aufmerksamkeit lag auf dem Dunkelhaarigen, von dem sie nicht geglaubt hätte, ihn hier noch einmal zu sehen. Ihre Mundwinkel zuckten, formten jedoch kein Lächeln. Und trotzdem lag auf ihrem Ausdruck etwas, das über Dankbarkeit hinaus zu gehen schien. Mardoc ganz allein riss ihre Aufmerksamkeit wieder herum, auch wenn er sich nicht viel regte.
Mardocs erste Reaktion wäre beinahe ein Reflex gewesen. Als er gepackt wurde, hätte er beinahe den Dolch nach vorn geschoben, aber mit einem Mal spannte er sich komplett an, achtete auf die Klinge, die an seinem Hals lag. Leben oder sterben. Ein leises, verachtendes Schnauben verließ seine Kehle, während er die Waffe von Shanaya wegbewegte. Langsam, als rechnete er jeden Moment damit, dass er ihr Schicksal erleiden würde.
„Loslassen. Sofort.“
Eine weitere Stimme hallte durch die Nacht, noch einmal das leise Klicken einer ladenden Pistole. Und wieder hatte die junge Frau ihn nicht kommen sehen. Plötzlich war der letzte Mann der noch lebte wieder da, die Pistole direkt auf sie gerichtet. Einige schnelle Herzschläge ruhten die blauen Augen auf dem Blonden, der Lucien fest im Blick hatte. Sie selbst konnte sich nicht wehren, Mardoc hielt ihre Hand noch immer fest im Blick. Stattdessen schloss Shanaya kurz die Augen, richtete sie dann fest auf Lucien und nickte mit einer ruhigen Geste.
„Verschwinde und berichte IHM, dass du Mal wieder versagst hast.“
Sie war sich sicher, das würde eine schlimmere Strafe sein als der Tod selbst. In ihrer Stimme lag noch immer eisige Kälte auch wenn sie sich sicher war, dass er, sollte Lucien ihn loslassen, keine Gegenwehr mehr leisten würde. Und ihr eigenes Herz klopfte noch immer viel zu sehr vor Verwirrung, als dass sie groß hätte etwas unternehmen können.
RE: Der Dorn in ihren Augen - Lucien Dravean - 26.06.2019
So war es richtig. Schön langsam. Nur keine übereilten Bewegungen, die den jungen Captain möglicherweise dazu provozierten, die Sache zu Ende zu bringen. Hätte Mardoc auch nur Shanayas Korsage zerschnitten, hätte er ihm ohne zu zögern die Klinge in den Hals gerammt und ihn langsam ausbluten lassen. Doch der Hüne schien sich dessen bewusst zu sein und obgleich er mit einem höhnischen Schnauben antwortete, gehorchte er. Überheblich durch und durch. Aber sein eigenes Leben war es ihm wohl nicht wert.
Im nächsten Moment war es jedoch Lucien, der sich unwillkürlich anspannte. Der Griff um seinen Dolch wurde fester, aber die Klinge rückte keinen Millimeter von ihrem Ziel ab. Ganz leicht neigte er den Kopf, gerade so weit, dass er den letzten verbliebenen Schläger aus dem Augenwinkel sehen konnte. Die Mündung seiner Waffe deutete auf Shanaya und entlockte nun dem Dunkelhaarigen ein leise spöttisches „Ts.“ Ein Patt.
Dann ergriff die junge Frau das Wort. Ihre Blicke kreuzten sich und ihr Nicken bedeutete ihm, Mardoc gehen zu lassen. Doch er zögerte. Nur einen Moment lang. Immerhin war er sich ganz und gar nicht sicher, dass keiner der beiden Männer nicht doch noch irgendeine Dummheit versuchte – vor allem, da einer von ihnen eine geladene Pistole besaß. Da lag es auf der Hand, dass er seine vorteilhafte Position ungern aufgab.
„Ich schlage vor, du lässt sie jetzt los. Dann können du und dein Kumpel hier unbeschadet verschwinden.“ Mit leichtem Druck auf die Klinge verlieh er seinen Worten ein bisschen mehr Nachdruck. Dann fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu: „Und ich gebe dir einen Rat, falls du dich noch mal auf die Suche nach ihr machen möchtest... Sie ist jetzt nicht mehr allein.“
Er hatte ihn gehört, vorhin unten an der Treppe. Und er meinte diese Worte ganz genau so, wie er sie sagte. Solange Shanaya Teil dieser Crew und er ihr Captain war, hielt er ihr den Rücken frei. Das war seine Bedeutung von Loyalität. Eine Loyalität, die ihn mit jedem Mitglied auf der Sphinx verband. Unabhängig davon, wie sehr er jeden einzelnen mochte oder nicht.
Und erst, als Mardoc seiner Aufforderung schließlich nach kam, ließ er langsam von ihm ab. Fast sofort legte er die frei gewordene Hand an den Griff seines Degens, doch der Hüne fasste sich lediglich mit der Waffenhand an die blutende Schulter und nickte seinem Gefolgsmann mit einem grimmigen Blick zu.
„Wir verschwinden.“
Und damit zogen sie sich zurück.
In dem Moment, in dem die beiden außer Sichtweite waren, spürte Lucien das, was er die ganze Zeit über kaum wahrgenommen hatte. Das, was in seinem Inneren vor sich ging. Sein Herz schlug schnell, heftig, pumpte so viel Adrenalin durch seine Adern, dass sein immer noch leicht ausgemergelter Körper darunter förmlich erzitterte. Nicht aus Furcht, sondern vor Anspannung – und noch etwas anderem. Diesem Unwillen über die Tatsache, dass Shanaya ernsthaft hätte verletzt werden können und der nicht nur daher rührte, dass er ihr Captain war, sie damit unter seinem Schutz stand. Dieses Gefühl ging tiefer und das behagte ihm nicht, reizte ihn so weit, dass er sich zwingen musste, tief Luft zu holen, um sich zu beruhigen. Ein, zwei Mal, bevor er sich so weit unter Kontrolle hatte, dass er die grünen Augen auf Shanaya richten konnte.
Er schwieg einige Herzschläge lang, bevor er schließlich den Dolch zurück in dessen Heft schob und sich ihr gänzlich zuwandte. Ein ungewohnter Ernst lag in seinem Blick.
„Dir ist hoffentlich klar, dass du mir jetzt zumindest irgendetwas erzählen musst...“ Sein Blick huschte über ihr Gesicht, suchte nach einem Ausdruck von Schmerz. Irgendetwas, das auf eine Verletzung hindeutete.
Und dann tat er etwas, dass er einzig und allein bei Talin je getan hatte. Er schloss kurz die Augen, stieß ein leises Seufzen aus, bevor er sie wieder direkt ansah, die Hand ausstreckte und sie sanft an ihre Wange legte. „Bist du in Ordnung?“
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