RE: Kapitel 9 - Der Ruf der Königin - Lucien Dravean - 24.04.2022
Wieder einmal fand sich Lucien in Soulas Gesellschaft wieder, schlicht um sich ihre Fähigkeiten im Glücksspiel zu Nutze zu machen. Und wie vor einigen Tagen schon steuerten sie jene kleine Kneipe im Norden des Hafenviertels an, die gemeinhin als Spielerhöhle bekannt war. Der einzige Unterschied bestand darin, dass es dieses Mal um mehr ging, als darum, ihr Talent auf die Probe zu stellen. Dieses Mal ging es um etwas Geschäftliches – und sie bekamen es mit einem Mann zu tun, mit dem man es sich augenscheinlich besser nicht verscherzen sollte. Das war es zumindest, was er und Ceallagh in den letzten Tagen gewissenhafter Recherche in Erfahrung hatten bringen können.
Claude Riegan war ein gefährliches Ziel. Er hatte sich durch Drohung, Bestechung und skrupellose Gewalt an die Spitze eines kleinen Kartells gekämpft, zu dem eine ganze Reihe einflussreicher Schmuggler, Hehler und Diebe mit Verbindung zu höchsten Kreisen der Gesellschaft gehörten. Seine Macht erstreckte sich Gerüchten zufolge bis ins Haus des Herzogs von Brancion – eine Position, die ihm nicht nur Freunde, sondern auch etliche Feinde beschert hatte. Dem geschuldet umgab er sich stets mit einer kleinen Armee an Leibwächtern, die ihm mehr oder weniger unauffällig überall hin folgten. Sofern er überhaupt einmal das Gebäude verließ, das er sich als Hauptquartier erwählt hatte. Doch abgesehen von seinem Hang zur Gewalt hatte das Oberhaupt der örtlichen Unterwelt noch andere Vorlieben. Glücksspiel und schöne Frauen gehörten dazu und eben das sollte nun ihre Eintrittskarte in jenes Netzwerk sein, zu dem Claude Riegan der Schlüssel war. Zumindest war das ihre Idee gewesen, als Ceallaghs Kontakt in Ostya ihnen diesen Namen nannte, und aus keinem anderen Grund hatte Lucien eines Abends vorgeschlagen, Soula mit ins Boot zu holen. Auch wenn sie ihr den Aspekt, dass sie möglicherweise als Lockvogel herhalten musste, verschwiegen hatten.
Überhaupt gab es einige Dinge, die die beiden Männer der jungen Frau vorenthielten. Unter anderem die Tatsache, wie gefährlich Riegan tatsächlich war. Von abgehackten Händen war die Rede gewesen. Von Männern mit Schulden, die nach einer durchzechten Nacht nie Zuhause angekommen waren und verschwunden blieben. Von kaltblütigen Morden in herrschaftlichen Villen, zu denen niemand Zugang hätte haben sollen. Nichts davon beunruhigte den Dunkelhaarigen nennenswert, aber ihm behagte nicht, Soula in Unkenntnis darüber zu lassen, mit wem sie sich hier anlegten. Zwar verstand er den Einwand seines alten Freundes, dass ihre Unwissenheit sie nur umso authentischer sein ließ. Aber sie nahm ihr auch ein Stück weit die Möglichkeit, sich selbst zu schützen.
Blieb zu hoffen, dass keiner von ihnen in die Lage kam, sich schützen zu müssen. Sie hatten schließlich nicht die Absicht, sich unbeliebt zu machen, sondern waren ganz offiziell auf dem Weg zu einem Treffen, um Zugang zu Riegans Netzwerk zu bekommen. Zu jenen Gestalten der Unterwelt, mit denen es sich lohnte, Geschäfte zu machen. Soulas Fähigkeiten sollten die drei Piraten nur interessant genug machen, um sich näher mit ihnen zu beschäftigen. Mehr nicht. Er hatte nicht vor, sie ernsthaft in Gefahr zu bringen.
Unbewusst fuhr Lucien mit der Rechten über das Heft seines Degens, der in der Scheide an seinem Gürtel hing, während sie in die nächste Gasse abbogen, die sie zur Kneipe führen würde. Die Gebäude standen hier dicht beisammen – deutlich näher, als weiter südlich in der Nähe des Tarlennbordells und nah genug, um beinahe bequem von einem Dach zum nächsten zu springen. Demzufolge war auch die Straße, der sie folgten, schmal und verwinkelt. Und trotz der Nähe zum Hafen war Lucien so, als könnte er einen Hauch Lavendelduft in der Luft wahrnehmen.
„Irgendwie gar nicht so schlecht hier. Wäre sesshaft sein was für mich, könnte es mir hier glatt gefallen“,
sprach er den Gedanken aus, der ihm just in diesem Moment kam, während die tiefgrünen Augen über den hellen Stein wanderte, aus dem der Großteil der Gebäude hier gemauert war. Dann lenkte er den Blick zu seinen beiden Begleitern, streifte erst Soulas Züge, bevor er sich an Ceallagh wandte und ein flüchtiges Schmunzeln seine Mundwinkel nach oben zucken ließ.
„Hast du eigentlich unser Mitbringsel auftreiben können?“
[Ostya - nördliches Hafenviertel | nicht weit von der Kneipe entfernt | mit Soula und Ceallagh]
RE: Kapitel 9 - Der Ruf der Königin - Rúnar Rúnarsson - 26.04.2022
Der physische Ballast, den Rúnar -- und auch Isa -- im Moment zu tragen hatten, war nichts gegen den geistigen. Immerhin war Tarón, der zu einem Großteil am heutigen geistigen Ballast beteiligt gewesen war, so rücksichtsvoll gewesen, den Großteil des physischen Ballasts zu übernehmen, den sie für das Inventar der Sphinx zu besorgen hatten. Wie Isa mit ihrem Arm war auch Rúnar noch immer angeschlagen, da wo die Oberfläche des Felsens und Taróns Zähne ihre Spuren hinterlassen hatten. Davon konnte man glücklicherweise nichts sehen, aber spüren tat er es deutlicher als ihm lieb war -- oder auch nicht. In kurzer Zeit wäre die Nacht mit Tarón nur noch eine nebulöse Erinnerung, die sein verkommener Geist irgendwann so sehr verschwimmen lassen würde, dass sie nichts mehr wert war. (Und das wollte er eigentlich nicht.)
Er war jedoch froh, dass Isa auch noch mit dabei war -- er war sich nicht sicher, ob das Schweigen und das Vermeiden von Blickkontakt sonst einfach unglaublich unangenehm gewesen wäre, oder ob er einfach wieder so weit gegangen wäre, dass er dem Drang nicht hätte standhalten können und wieder über Tarón hergefallen wäre. Aber dann wiederum war Tarón auch unglaublich betrunken gewesen, also würde er auf ein Herfallen sicher nicht so entgegenkommend reagieren, wie er es gestern getan hatte.
Immerhin hatte Rúnar etwas gefunden, um die Unbehaglichkeit etwas erträglicher zu machen. Abgesehen von dem vollgepackten Trosssack, den er über der Schulter trug, hielt er in der Hand ein Spielzeug, das er eigentlich für Harald erstanden hatte -- es bestand aus mehreren Perlenketten und Kordeln in welche kleine Schellen eingeflochten waren. Harald hatte das Spielzeug verschmäht als Rúnar damit vor dessen Schnabel herumgewedelt hatte -- der Sittich hatte sogar unhöflicherweise sein Gesicht in Rúnars Haar gesteckt, so wenig wollte er sich gar mit diesem Spielzeug beschäftigen. Und dann war er kreischend emporgeflattert, als Calwah auf Rúnars Schulter gesprungen war und das Spielzeug mit großen Augen angeblinzelt hatte -- und nun immer wieder spielerisch danach schnappte, wenn Rúnar es vor seinem Gesicht baumeln ließ.
Harald hatte es sich derweil auf Taróns Schulter bequem gemacht, was Rúnar so schon reichlich unangenehm war -- nicht per se, aber anhand der aktuellen … Situation -- und dann hatte er wohl auch noch begonnen, Tarón irgendwelche Dinge zuzuflüstern. Was auch immer es war, erstens hoffte Rúnar, dass es nichts Unanständiges war -- bei diesem Vogel wusste man nie -- und zweitens wollte er es gar nicht so genau wissen und beschäftigte sich stattdessen weiter mit Calwah.
Was mit ihm passiert war, fragte Isa dann. Er wunderte sich über sich selbst, dass er es schaffte, weiterhin nonchalant mit dem Spielzeug zu wedeln, als ein Gewitter in seinem Kopf losbrach und er das Gefühl hatte, er würde in seinem Blickfeld kurz Blitze tanzen sehen. Er konzentrierte sich eine Sekunde auf das Spielzeug und das Gewitter klärte sich ein wenig und er wunderte sich abermals -- darüber warum Isa diese Frage erst jetzt stellte, nachdem man die blauen Flecken an seinem Hals schon die ganze Zeit hatte sehen können. (Er hatte abwägen müssen, ob er lieber sofort deswegen gefragt werden wollte, oder ob er sich davor erst noch ein wenig den Spott davon geben wollte, dass die anderen ihn fragen würden, warum er sein zweckentfremdetes Halstuch nicht wie üblich um die Stirn gebunden trug, sondern um den Hals. War keine schwere Entscheidung gewesen.) Andererseits war es auch einfach egal und er war irgendwo erleichtert, dass diese Sache nun aus dem Weg war und sich, nach seiner zurechtkalkulierten Antwort, so auch schön herumsprechen würde, wenn der Rest der Crew mit Isa ins Gespräch kommen sollte. (Nicht, dass er sie als Tratschtante sah. Überhaupt nicht. Es war wohl mehr so, dass er mit seinem Aufzug fast darum bat, deswegen gefragt zu werden.) Und es war ein wenig erbärmlich und schlichtweg traurig, dass er sich mehr Gedanken darum machte, als darüber, dass Tarón so darauf bestand, dass sie darüber den Mund hielten. Das hier war nicht Rúnars Kampf, er hatte diesen schon hinter sich. Und er hatte ihn schmerzlich gewonnen. Und jetzt hatte Tarón ihn, den Invaliden, für seinen eigenen Kampf eingezogen.
(Nein, das stimmte so nicht. Rúnar könnte sich dieser Sache einfach komplett entziehen. So wie Tarón es ohnehin wollte. Das zum einen. Zum anderen war es nicht Taróns Schuld, dass Rúnar Gefühle für ihn hatte und dass Rúnar das Ganze vor allem iniziiert hatte.)
Aber Tarón hatte ja recht. Sie wussten nicht, was passieren würde, falls das rauskam. Rúnar hatte, seit er von zu Hause weg war, zwar kein Geheimnis daraus gemacht, dass er sich auf diese Art nur für Männer interessierte -- aber er ging eben auch nicht damit hausieren. Er war immer dem Anschein gewesen -- und hatte seither auch die Erfahrung gemacht -- dass, je mehr Gesetzlosigkeit irgendwo herrschte, desto weniger scherten sich die Leute auch um andere Dinge. Dann ging es nicht mehr darum, irgendwelche Strukturen aufrecht zu erhalten, ohne darüber nachzudenken, warum sie existieren -- ohne sie jemals in Frage zu stellen. Dann machte man seine eigenen Strukturen, die nicht beinhalteten, wer wessen Tochter heiratete und wer wem einen Erben zeugte. Aber ja, Tarón hatte recht. Und Tarón hatte mehr Dinge in seinem Leben gesehen, um sowas einschätzen zu können. Sie hatten keine Ahnung, wie die Sphinx-Crew -- wie Lucien und Talin -- mit Leuten wie ihm umgingen. Auf welche Bereiche sich ihre Gesetzlosigkeit erstreckte. Und die Erkenntnis versetzte ihm einen Stich. Die Crew war Rúnars Familie. Und die Urangst von seiner Familie verstoßen zu werden war kein Kampf den er gewonnen, sondern den er vermieden hatte.
Rúnar musste sich davon abhalten um Tarón nach Isas Frage nicht anzusehen, tat es dann aber doch und traf auf einen warnenden Blick. Ein Funken Verachtung sprang in seiner Brust auf -- zum einen war ja nicht dumm und zum anderen hielt er sein Wort -- aber er wurde sofort wieder von Haralds Geplapper erstickt. Welches er diesmal verstand. Das war neu. Absurderweise war Rúnar kurz nach Lachen zumute und er kniff die Lippen zusammen, damit es nicht auffiel -- auch wenn Tarón es sicher bemerken würde, aber sollte er sich doch über Rúnar und den Vogel ärgern, dann war Rúnar nicht der einzige, der sich ärgerte. (Und sich dann darüber ärgerte, dass er sich überhaupt ärgerte. Da gab es nichts zu ärgern. Es war besser so -- lieber jetzt seine Gefühle loswerden bevor sie richtig Gestalt annahmen, als später ausgesetzt und zurückgelassen zu werden und wieder allein dazustehen.)
Rúnar riss seinen Blick wieder von Tarón los, doch es zog ihn wieder zurück, als er Haralds protestierendes Zwitschern hörte.
Erneut sprang der Funke in seiner Brust auf, als Tarón von der gestrigen Nacht erzählte. Rúnar schaffte es um Isas Willen seinen Emotionen keinen Ausdruck zu verleihen -- er hielt sich davon ab eine Faust zu ballen oder abermals die Lippen zusammenzukneifen oder die Augen zu verengen. (Oder Tarón in den nächsten Misthaufen zu schubsen.) Trotzdem hoffte er diesmal fast, dass Tarón trotzdem mitbekam, wie wenig amüsant Rúnar das fand. Die ganze Sache geheim halten, schön und gut. Damit konnte er (vielleicht) leben. Aber er hatte wenig Lust dazu auf das Zusatztheater einzusteigen. Er gab Tarón letztendlich ein Lächeln, das so subtil zynisch war, dass er hoffte, dass nur dieser es als solches wahrnehmen würde.
Fast verlor Rúnar das Gleichgewicht als Calwah sich von seiner Schulter abstieß, mit gespannten Flügeln in eine Seitengasse glitt und dann unter Isas kurzer Verblüfftheit und Taróns Beschwerde davonkrabbelte.
Dem Reiter sei Dank, dass er das Schicksal einmal zu Rúnars Gunsten lenkte und sie dieses elendige Gespräch nicht weiterführen mussten. (Allein dies sollte eigentlich schon Grund genug sein, diese kurze Liebschaft mit Tarón zu bereuen. Götter, warum hatte er auch nicht darüber nachgedacht, was das für Konsequenzen haben könnte? Ach, richtig -- er war zu betrunken gewesen. Eine Konsequenz hatte es also jedenfalls sicher: Er würde nie wieder Alkohol trinken.)
Vorlaufen und nachsehen sollte Rúnar also. Schau doch selbst nach deinem Vieh -- aber der Gedanke tat ihm sofort leid. Er hatte einfach zu wenig geschlafen und zu viel Alkohol gehabt und jegliche Bewegung war unangenehm bis schmerzhaft. "Aye", sagte er, rückte den Trosssack zurecht und verzog kurz das Gesicht als das schwere Gepäck eine wunde Stelle an seiner Schulter streifte. (Das hatte er sich selbst zuzuschreiben. Konsequenzen ...)
Rúnar schritt an Isa und Tarón vorbei und blieb dann wieder stehen, spähte weiter nach hinten in die Straße. Fachwerk war nahtlos aneinandergereiht und einige Menschen waren zwischen den Häuserreihen Zugange -- eine Frau fegte die Pflastersteine vor ihrer Haustür, ein alter Mann mit einem Esel, der einen kleinen Karren mit Lavendelbündeln zog, nahm fast die Hälfte der Gasse ein. Calwah war nirgends mehr zu sehen. "Großartig", sagte Rúnar und seufzte.
Doch er hatte fast etwas wie ein Déjà-vu als er dann die Hand, in der er das Spielzeug hatte nach oben hielt und es ein wenig schüttelte, sodass die Perlen und die kleinen Schellen klingelten. Drachenfänger.
Rúnars Blick suchte den Boden ab, doch er sah die Echse nirgendwo herumkriechen. Dann fiel etwas weiter hinten ein kurzer, schriller Schrei, der nach Schreck klang und die junge Frau, von der er ausgegangen war, klammerte sich am Arm ihrer Begleiterin fest und die beiden begannen zu lachen. Vermutlich hatten sie gerade Calwah an sich vorbeirennen sehen.
Das Spielzeug klinkerte nochmal in Rúnars Hand als er in die entsprechende Richtung zeigte und Isa und Tarón einen resignierten Blick zuwarf.
{ Isa und Tarón | (eigentlich) auf dem Weg zurück zum Schiff | Seitenstraße zwischen Marktplatz und Hafen }
RE: Kapitel 9 - Der Ruf der Königin - Peregryne Tallant - 27.04.2022
Zwei Wochen waren eine lange Zeit, wenn man sie einfach so verstreichen ließ und die Tage mit wenig abwechslungsreichen Aktivitäten füllte. Zwei Wochen war es her, dass man ihn aus dem Wasser gefischt hatte. Zwei Wochen, die sich nicht wie zwei anfühlten, weil zu viel passiert war, zu viele neue Gesichter und Geschichten seinen Weg gekreuzt hatten, um alles bis dato verdaut und verarbeitet zu haben, egal wie viele Nächte er theoretisch darüber schlafen hatte können. Sofern er schlafen hatte können.
Als Liam mit den Krügen zurückkehrte, schenkte er dem Mann mit dem lockigen Haar (und seiner fauchenden oder schnurrenden, je nachdem, flauschigen Partnerin) ein kurzes, dankendes Nicken.
Die Männer saßen nicht allzu lange in der Runde, bevor das Thema auf einen Namen fiel, den Per noch von seinem allerersten Tag an Bord des Schiffes kannte und mit dessen Träger er auch danach die eine oder andere eher weniger erfreuliche Begegnung gehabt hatte. Nicht dass Per per se etwas gegen Elian hatte, aber wenn das Fundament schief lag, konnte man auch mit üppigem Stuck nicht mehr viel retten. Vielleicht tat er dem Mann auch unrecht, angesichts dessen, dass er Elian nicht einmal besonders gut — so gut wie gar nicht, wenn er ehrlich war — kannte.
Also lauschte er, bemüht unvoreingenommen zu bleiben, dem, was Liam zu sagen hatte.
„Hatte ich jetzt nicht direkt angenommen.“ Obwohl er es sich kurzzeitig gefragt hatte, bevor ihn der Gedanke ereilt hatte, dass Elian vermutlich jedem Fremden gegenüber gleich reagiert hätte. „Ich schätze, die Umstände unter denen ich zu euch gestoßen bin, haben ihre eigene Rolle gespielt. Vermutlich wäre ich nicht weniger misstrauisch gewesen an seiner Stelle.“, gab er schließlich mit einem seichten Schmunzeln zu und gönnte sich zwei moderate Schluck aus seinem Krug. „Ich hatte das Gefühl, als hätte er gar kein Interesse, sich eine andere Meinung zu bilden. Was ja an sich okay ist, aber mit der Zeit vielleicht auch schwierig, wenn man auf demselben Schiff unterwegs ist. Wie auch immer. Ich glaub, ich versteh’ jetzt besser warum.“ Was nicht bedeutete, dass er es gut hieß. Aber er wollte Liam und Greo damit nicht länger in den Ohren liegen, am Ende vom Tag war immer noch er der Fremde und Elian länger mit ihnen auf See. „Danke jedenfalls für die Erklärung.“
Er ließ die Schultern zucken und das Thema Elian unter den Tisch fallen, als gerade die letzten Töne des finalen Liedes der jungen blonden Frau fielen. Dieselbe blonde Frau, die bis vor kurzem noch der Atmosphäre des urigen Wirtshauses etwas fast märchenhaftes verliehen hatte und sich jetzt unweit der drei Männer niedergelassen hatte, um wohl ihr verdientes Mahl zu vertilgen.
Wenn Liams kleine Kratzbürste da nicht andere Pläne hätte.
Mit einem sekundenweise wachsenden Grinsen folgte Per der flinken Bewegung des Tieres zu einem der Tische in Liams Rücken. „Ich glaube, du solltest deine Katze lieber schnell holen, wenn wir nicht gleich auffallen wollen.“
[ mit Liam, Greo und Cassie (& Rayon) | Wirtshaus in Hafennähe ]
RE: Kapitel 9 - Der Ruf der Königin - Skadi Nordskov - 27.04.2022
Irgendetwas war faul. Skadi spürte es. Seit Tagen, wenn sie ehrlich zu sich war. Erst hatte es als leichtes Kribbeln in ihrem Nacken begonnen. Als dumpfes Gefühl im Magen, das sich kaum auf etwas oder jemanden festmachen ließ. Ihr war, als sähe sie etwas, dass sich mit nur einem irritierten Lidschlag in Luft auflöste. Als hätte es nie existiert. Einzig und allein die drückende Präsenz blieb zurück. Und das Gefühl, dass die Nordskov Dinge übersah, die sie nicht übersehen sollte. Seit der Kopfgeldinsel war das kein Zeichen mehr, das sie einfach ignorieren und überspielen konnte, bis sie abreisten. Letztlich wäre es nicht das erste Mal, dass man sie erkannte. Dass ein Gesicht auf den zahlreichen Steckbriefen der Marine einem aus der Crew zum Verwechseln ähnlich sah. Und je früher sie heraus fand, wer oder was sie beobachtete, desto schneller konnte sie etwas unternehmen.
Jóns Bewegung neben sich lockte ihre Aufmerksamkeit wieder an den Verkaufsstand zurück, an dem sie sich gerade eine Auslage blau schimmernder Schwerter ansahen. Nichts Nennenswertes, abgesehen von Farbe und Form, die zumindest anmutete nicht von dieser Welt zu stammen. Doch für die Nordskov war mehr als offensichtlich, dass der Kerl lediglich die leicht zu beeindruckenden Kämpfer übers Ohr hauen wollte. Nicht anders deutete sie seinen Blick, der ihr jegliche Entscheidungskraft absprach und sich beim dritten Blick an ihrem Körper empor direkt an Jón gewandt hatte. Weil ihm womöglich klar geworden war, dass hinter der burschikosen Optik eine Frau stand und kein klein geratener Mann.
“Könntet ihr dieses hier für mich zurücklegen?“
Sie sah auf, ließ die bläulich schimmernde Klinge in ihren Händen zurück auf den Verkaufstresen sinken. Streifte den unterschwellig kritischen Blick ihres Begleiters und nickte kaum merklich auf seine unausgesprochene Frage, die sie daraus hervor las. Zumindest war sie sich nun einer Sache gewiss – sie bildete sich dieses Gefühl nicht ein, wenn selbst Jón irgendetwas seltsam vorkam.
“Eine Stunde. Maximal. Und ich kann nicht versprechen, dass ich danach auch nur noch eines hiervon übrig haben werde.“
Mit einer ausladender Geste seiner flachen Hand strich der Kerl über die Auslage und setzte ein Gesicht auf, das der Nordskov fast ein Augenrollen entlockte. Ihm war offensichtlich viel daran gelegen, sie zu einem Kauf zu überreden. Wahrscheinlich weil ihm selbst klar war, dass sein Schwindel vielleicht früher oder später auffiel. Wenn die Klinge nach dem 10ten Hieb stumpf geworden war oder das Leder vom Griff löste. Doch sie beherrschte sich. Nickte stattdessen und wandte sich mit einem leisen “Vielen Dank.“ zum Gehen.
“Sehen wir uns noch etwas um.“
Mit einem Lächeln sah sie zu Jón hinauf. Hackte sich an seinem rechten Oberarm ein und zog ihn sanft die Straße weiter hinauf. Einzig und allein, um mit kaum sichtbarer Lippenbewegung die kurze Distanz zu überbrücken, die es brauchte, um ihre geflüsterten Worte zu verstehen.
“Ich bilde mir das nicht ein oder? Wir WERDEN beobachtet.“
{Jón | auf dem Marktplatz }
RE: Kapitel 9 - Der Ruf der Königin - Weltenwind - 01.05.2022
Ein Hauch von Verlorenem ...
Als die beiden Frauen ihren Laden betreten hatten, hatte die korpulente Dame am Tresen nur kurz aufgesehen, beiden ein reserviertes ‚Willkommen‘ geschenkt und sich dann wieder ihrem Buch gewidmet. Nicht irgendein Buch, selbstverständlich. Sondern ein gut recherchierter und ausgearbeiteter Leitfaden für das Erkennen wertvoller Schriftstücke und die Anzeichen für Fälschungen – eines ihrer Steckenpferde und für eine Frau ihres Berufszweigs gewiss unschätzbares Wissen.
Während Talin und Shanaya also durch die verwinkelten Regale ihres Ladens stöberten, beachtete sie sie nicht weiter. Erst, als die junge Navigatorin sie direkt ansprach, hob die Dame den Kopf und zugleich kritisch eine Augenbraue. Sie hatte wohl nicht bemerkt, wie die Schwarzhaarige herangekommen war und befand, dass sie definitiv zu nah an der Vitrine mit den beiden wertvollsten Stücken ihrer Sammlung stand.
Auf dem oberen Glasboden, auf einem Podest aus rotem Samt, ruhte eine Schriftrolle, auf der in feinen, höchst akkuraten Linien, eine Art Gebäude eingezeichnet war. Ein Gebäude, das an einen Tempel erinnerte. Und wenn Shanaya bei dem flüchtigen Blick, den sie darauf erhaschte, nicht alles täuschte, befand sich nur die erste Etage des riesigen Bauwerks oberhalb der Erdoberfläche. Wie der obere Teil einer Sanduhr verjüngte sich der Querschnitt, umso tiefer man gelangte, um schließlich an seinem Mittelpunkt wieder auseinanderzudriften. Zwei Dreiecke, die einander an den Spitzen berührten. Das eine tief unter der Erde, das andere geradeso die Oberfläche erreichend. Auch die Rückseite schien bemalt zu sein. Doch der Blick darauf blieb von rotem Samt verborgen.
Auf dem Vitrinenboden darunter hingegen befand sich etwas anderes, höchst Ungewöhnliches, das beiden Frauen einen undefinierbaren Schauer des Erkennens über den Rücken jagte. Eine zweite Schriftrolle lag dort auf einem Podest aus rotem Samt. Doch im Gegensatz zur Ersten schien diese hier vollkommen leer zu sein. Nur unten rechts in der Ecke wies eine genordete Kompassnadel darauf hin, dass es sich um eine Karte handeln musste. Eine genauso leere Karte, wie jene in Liams Besitz.
„Das weiß man nicht mehr“, erwiderte die Ladenbesitzerin mit strenger Kühle in der Stimme, umfasste mit der freien Hand ihren Gehstock, der neben ihrem Stuhl am Tresen lehnte, und schob dessen unteres Ende zwischen Shanaya und die Vitrine, um die Jüngere demonstrativ ein Stück zurückzudrängen. „Diese Karte dort ist beinahe 500 Jahre alt, Schätzchen.“ Sie maß ihr Gegenüber mit einem kritischen Blick. „Und ganz gewiss zu wertvoll, als dass du sie dir leisten könntest“, fügte sie nicht ohne wertenden Unterton mit an. „Ich versichere dir: In meinem Laden findest du Karten, die angemessener sind. Zumal der Ort, der darauf eingezeichnet ist, verschollen ist. Und wie man eine solche Karte liest", damit nickte sie auf die leere Pergamentrolle im unteren Teil der Vitrine, "weißt du vermutlich auch nicht. Du könntest damit also ohnehin nichts anfangen.“
Spielleitung für Shanaya & Talin
Wie ein zu groß geratenes Frettchen sauste Calwah zwischen den Rädern des Karrens hindurch, der beinahe die gesamte Gasse einnahm. Die Frau, die vor ihrer Haustür fegte, bemerkte ihn nicht einmal – dafür der Esel, vor dessen Hufen er entlang huschte und damit von der einen Seite der Straße auf die andere wechselte. Ein protestierendes „iaaaaaah“ hallte zwischen den Hauswänden, als das Zugtier ruckartig stehenblieb und aus reiner Vorsicht jegliche Zusammenarbeit mit seinem Besitzer einstellte.
Zu allem Überfluss war der Karren derart breit – oder die Gasse derart schmal – dass zwischen Wagenrad und Hauswand gerade genug Platz war, um sich als sehr schlanke Person hindurchzuquetschen. Für Taróns hünenhafte Gestalt hingegen gab es hier kein Weiterkommen, so sich der Esel nicht bewegen lies. Noch dazu war der Ballast, den alle drei mit sich schleppten, ausgesprochen hinderlich.
Doch das kümmerte die Echse nicht im Geringsten. Mit flinken Bewegungen schlängelte er sich auf der anderen Seite des Wagens die Sandsteinwand eines Wohnhauses hinauf – wobei seine Krallen sicheren Halt im rauen Putz fanden – sah sich urplötzlich Auge in Auge mit einer jungen Frau, die – kaum dass sie ihn erblickte – einen erschrockenen Schrei ausstieß und einen halben Satz zur Seite machte, um sich an ihre Begleiterin zu klammern, und sauste unter einem angrenzenden Fenster entlang weiter bis zur nächsten Hausecke.
Erst dort hielt die Echse kurz inne, warf – etwa eineinhalb Meter über dem Boden an der Wand hängend – einen Blick zurück zu Rúnar, in dessen Hand das neue Spielzeug für ihn klimperte. Eine dünne, gespaltene Zunge schoss aus Calwahs Maul, verschwand ungefähr genauso schnell wieder, und dann setzte er seinen Weg in die nächste Quergasse fort. Sodass alles, was Rúnar zuletzt von ihm sah, ein schlanker, zappelnder Echsenschwanz war, der hinter der Biegung verschwand, während die junge Frau am Arm ihrer Begleiterin kichernd hinter ihm her starrte und ihrer Freundin mit ausgestrecktem Finger das merkwürdige Wesen zeigte, das sie dermaßen erschreckt hatte.
Mit mehr Vorsicht, als es für die Ziegenhaarschuhbürste gebraucht hätte, die er zu mustern vorgab, legte er das Kleinod wieder auf die Auslage zurück, vor der er stand. Doch der Blick aus den beiden unterschiedlich gefärbten Augen hatte in keinem Moment auf nur einer der weichen Borsten gelegen, sondern verfolgte geradezu unablässig die beiden Gestalten, an deren Fersen er sich geheftet hatte, seit sie ein paar Gassen zuvor an seinem Versteck vorbeigekommen waren.
Eigentlich verfolgte er sie bereits seit Tagen – zumindest eine der beiden Personen. Seit das Schiff mit den roten Segeln im Hafen Ostyas angelegt hatte. Aber er musste sichergehen. Doppelt sichergehen. Er durfte sich nicht irren. Denn was man ihm aufgetragen hatte, galt nur einem einzigen Menschen in der Ersten Welt. Einem einzigen. Vorläufig. ‚Suche nach dem Schiff mit den roten Segeln‘, hatte er ihn angewiesen. ‚Das Schiff, von dem die Gerüchte erzählen. Das die Morgenwind versenkt hat und ins Herzogtum Tarlenn floh. Meine Informanten berichten, dass sie nach Norden reisen. Vielleicht nach Cheliya. Finde sie!‘
Und er hatte sie gefunden. Inzwischen war er sich vollkommen sicher. Das Schiff. Die Piraten. Diese eine Person.
Elijah zog den groben, graubraunen Umhang fester zusammen, den er sich übergeworfen hatte, um seine Erscheinung zu verbergen. Nur kurz blitzte durch den Spalt im Stoff der glänzende Degen auf, den er an der Hüfte trug: Eine Waffe, die für den Kampf geschmiedet worden war. Kein Paradedegen, kein Zierdegen. Eine Waffe, die den Tod brachte und die genauso zu ihm gehörte, wie das lederne, mit unsagbar teuren Intarsien verzierte Wams, das seinen Körper schützte. Er hatte es nicht fertiggebracht, die Sachen abzulegen, um sich unerkannt unter den Menschen von Ostya zu bewegen. Stattdessen hatte er den Umhang gewählt, dessen Kapuze den dunkelblonden Schopf und den Großteil seines Gesichts verbarg. Damit sah er wohl nicht besser aus, als ein gewöhnlicher Halsabschneider, wie man sie häufig in den Abendstunden durch die Gassen des Armenviertels schleichen sah. Doch sei es drum. Ein zwar auffälliger, aber nicht unvertrauter Anblick in dieser Stadt. Und sobald er seinen Auftrag erledigt hatte, konnte er von hier verschwinden.
Wieder huschte sein Blick zu der jungen Frau und dem dunkelhaarigen Mann, die bis jetzt an einem Stand innegehalten hatten, der mit sicherlich schmucken, aber genauso nutzlosen Klingen aufwartete. Sie hatten sich von der Auslage abgewandt, machten sich daran, weiterzuziehen. Ob sie ihn bemerkt hatten, wusste der junge Mann nicht. Doch bevor ihn mehr als ein kurzer Blick der beiden treffen konnte, setzte Elijah sich wieder in Bewegung und verschwand in der Masse der Marktbesucher und aus ihrem Blickfeld.
[auf dem großen Marktplatz | beobachtet Skadi & Jón | verschwindet in der Menge]
Elijah Karean gespielt von SpielleitungAlter 25 Jahre Beruf Mitglied der Drachengarde Größe und Gewicht 1,83 m & 82 kg Augenfarben blau & grün Haarfarbe dunkelblond Merkmale bedingungslos loyal Status aktiv
RE: Kapitel 9 - Der Ruf der Königin - Greo - 01.05.2022
Greos Blick streifte das Gesicht der blonden Frau, die ihr Lied zu Ende spielte. Er hob kurz abgelenkt das Kinn, riss sich los und knüpfte nahtlos an den Gesprächsfaden an, den Liam in die Runde warf, sobald er an den Tisch zurückkehrte.
„Auf ‘nem kleinen Schiff ist immer alles persönlich.“,
warf er mit ernüchtertem Ton ein, dankte Liam mit einem Nicken und schloss eine seiner Pranken um den Krug. Was Per erläuterte, ließ ihn wieder nicken, diesmal zustimmend. Zugegeben, er hatte sicherlich auch nicht zu allen Mannschaftsmitgliedern enge Bindungen und was es Zairym anging, traute er ihm nach wie vor nicht. Söldner an Bord eines Piratenschiffes zu sein, erschien ihm immer noch wenig vertrauenswürdig. Er weigerte sich aber nicht mit ihm zusammenzuarbeiten. Diese Art zu leben, das war Greo mehr als bewusst, erforderte, dass die Räder alle ineinandergriffen. Und die Erfahrung hatte ihm gezeigt, dass Zwistigkeiten oder schlechte Stimmung bei einzelnen Personen sich auch auf die Gruppe übertragen konnten – erst recht, wenn die Ausweichmöglichkeiten so gering waren; was nichts anderes als ein unnötiges Risiko bedeutete. Manöver an Bord brauchten saubere Abläufe. Keine Fallen die irgendwo hängen blieben oder Segel, die schlecht zum Wind standen.
Er hatte nichts gegen Elian. Und er hatte Aspen sehr geschätzt. Greo hatte aber auch kein Problem damit jemanden ziehen zu sehen, wenn er den Eindruck gewann, dass diese Person die Gefahr von Unstimmigkeiten barg. Es galt abzuwarten, wie sich das entwickelte. Und letztlich war es auch nicht seine Entscheidung. Das war nicht sein Bier.
Greo guckte in seinen Krug und beobachtete die kleinen Schaumblasen. Das hier, dachte er, dieses Bier ist deins. Bleib bei deinen Problemen. Und überleg dir selbst, wo die Reise demnächst hingeht.
In einer Übersprungshandlung drehte er den Krug zwischen seinen Händen und nahm einen kurzen Schluck, während er der Ginsterkatze nachsah, was allerdings ohne Halsverrenkung nicht so leicht möglich war. Er schmunzelte, hielt die Stimme jedoch gedämpft.
„Aufgefallen sind wir draußen ohnehin schon. Zumindest in der Gosse wird man uns bereits kennen.“
Er konnte es nicht leiden beobachtet zu werden, weshalb ihm die Aufmerksamkeit, welche die Sphinx erregte, nicht sonderlich passte. Für einen kurzen Augenblick hatte sich ihm die Vorstellung aufgedrängt, man würde ihn zwischen all den Piraten entdecken und als das identifizieren können, was er war. Er zwang den Gedanken nieder. Sicherlich gab es Kopfgelder einzutreiben und dafür gab es interessantere Schöpfe als seinen.
Sineca, so ungewöhnlich sie auch war, sah er ihre Impertinenz aber wohlwollend nach. Er mochte das Vieh.
[Wirtshaus Hafennähe | Liam, Per, Cassie (Rayon)]
RE: Kapitel 9 - Der Ruf der Königin - Talin Dravean - 01.05.2022
Im ersten Moment war sie nur froh, dem unangenehmen Gefühl verfolgt zu werden, entkommen zu sein. Die kleinen Härchen in ihrem Nacken hatten sich, seitdem sie die Sphinx verlassen hatten, fast sofort aufgerichtet und das Kribbeln, das sich immer wieder über ihren Rücken schlich, hatte kaum nachgelassen, bevor es wieder angefangen hatte. Das schlimmste aber war gewesen, dass – obwohl sie sich beobachtet fühlte - niemanden finden konnte. Weder sie noch Shanaya. Und das fuchste sie gewaltig, riss sie fast gänzlich aus den Gedanken, die sie seit ihrem kleine Abenteuer im Nebel beschäftigten. Aus diesem Grund war sie auch froh, als sie schließlich in einen Laden traten, der ihnen für den Moment Ruhe und hoffentlich auch eine Möglichkeit für neue Ausrüstung bot. Talin war es dabei vollkommen egal, worum es sich bei dem Geschäft handelte. Sie ließ Shanaya einfach nur den Vortritt und behielt dabei die Straße im Auge, sollte doch noch einmal eine Gestalt auftauchen, die ihr nicht geheuer aussah. Vielleicht war das ihr Fehler gewesen.
Ein leises Stöhnen entwich ihr, als sie sich schließlich umdrehte und erkannte, was für ein Geschäft sie betreten hatten. Schnell biss sie sich auf die Unterlippe, ließ ihren Blick zu Shanaya gleiten und stieß einen ergebenen Seufzer aus. Als könnte sie die junge Frau in diesem Augenblick aus diesem Laden hinausschleifen. Nochmals stieß sie einen Seufzer aus und lehnte sich in der Nähe der Tür an die Wand, behielt dabei die Straße draußen, sowie auch Shanaya im Auge, die munter und aufgeregt wie ein kleines Kind durch den Laden flitzte und immer einmal wieder zurückkam, als müsste sie sich versichern, dass Talin sie nicht einfach hatte sitzen lassen. Natürlich hätte Talin sich mit umsehen können, vielleicht würde sie in einem Gewühl aus Pergament eine Schatzkarte entdecken! Das war ein aufregender Gedanke, aber sie wollte sicher gehen. Sie wollte sicher sein, dass sie von niemandem verfolgt wurden, also überließ sie es Shanaya sich durch die Papiere zu wühlen. Zumindest bis sie ein letztes Mal zu der Blonden zurückkehrte, um ihr wer weiß was, zu erzählen. Zu diesem Zeitpunkt lag schon ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen der Blonden. Als die andere schließlich inne zu halten schien, neigte Talin leicht den Kopf und folgte dem Blick des Mädchens zu der Vitrine hinter der Theke. Die Karten darin sahen speziell aus, mussten sie wohl sein, wenn sie sicher hinter Glas lagerten. Talin hatte ihnen keine Beachtung geschenkt, aber als Shanaya näher trat, tat sie es schließlich auch, wobei ihr Blick eher auf der unteren der beiden Karten ruhte. Die Kompassnadel in der unteren Ecke, ansonsten ein leeres Blatt. Würde sie sich wohl auch kalt anfühlen, wenn man sie berührte? Der Gedanke schoss Talin durch den Kopf, wurde aber schließlich rüde von der Frau unterbrochen, die ihren Gehstock zwischen das Glas und Shanaya schob.
Die Augenbrauen der Blonden hüpften in die Höhe und sie schnalzte leise mit der Zunge, wobei sie Shanaya im Auge behielt, aus Angst, diese würde das Glas gleich zerstören, um die Karten an sich zu nehmen. Stattdessen berührte Talin das Mädchen am Arm und lächelte die Verkäuferin freundlich an, wobei sie ihr am liebsten die Zähne gezeigt hätte.
„Dann sehen wir uns einmal bei den für uns angemesseneren Karten um. Ich meine da vorhin etwas spannendes schon von Weitem gesehen zu haben. Komm schon, Liebes“, sie zog mit eindringlichem Blick und Bewegung an Shanayas Arm, nur um außerhalb des Blickfeldes der liebenswerten Ladenbesitzerin stehen zu bleiben. Eindringlich sah sie die Dunkelhaarige an, doch dabei lag ein halb wildes Lächeln auf ihrem Gesicht.
„Bis eben war mir ziemlich egal, was du in diesem Laden kaufen möchtest, aber ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass diese beiden Karten da vorn uns gehören.“ Und sei es nur, um die Dame dort vorn zu ärgern. „Schon eine Idee? Außer ihr den Stock wegzunehmen und damit das Glas und sie zu verprügeln?“
[Kartenladen | mit Shanaya]
RE: Kapitel 9 - Der Ruf der Königin - Liam Casey - 02.05.2022
Liam wog den Kopf überlegend zur Seite. Seine Miene zeigte deutlich, dass er Greos realistischem Ansatz nicht unbedingt zustimmte, aber er hielt es nicht für nötig, daraus eine Grundsatzdiskussion zu erschaffen. Liam ging von sich aus. Und er wusste, dass Per nichts mit Aspens Tod zu tun hatte. Ebenso, wie Elian keinen Unterschied machte, wer fremd war. Ganz davon abgesehen, dass er dem Rest der Crew auch nicht mehr mit mehr Sonnenschein begegnete. Aber Liam schätzte sich selbst auch weit empathischer ein als Greo es war. Er verzieh. Obwohl man ihm allmählich wohl wirklich dazu raten musste, die Sphinx zu verlassen und loszulassen, wenn er daran nicht psychisch zugrunde gehen wollte.
„Das Ganze ist jetzt zwei Monate her, also… Er braucht vielleicht einfach noch etwas Zeit. Wenigstens Greg gegenüber scheint er versöhnlicher zu sein. Aber die Crew besteht ja zum Glück aus ein paar mehr Leuten.“
Und das war ein Anfang, wie er fand. Dennoch klang Liam nicht danach, unnötig viel Mitleid zu empfinden. Er war niemand, der sich groß in die Angelegenheiten anderer einmischte. Er war da, wenn man jemanden zum Reden brauchte, drängte sich aber nicht als guter Samariter unnötig auf. Dazu lebte er viel zu sehr in seiner eigenen Welt, als dass er stets über alle auf dem Laufenden gewesen wäre. Und – war man mal ehrlich – selbst das, was man ihm erzählte, hatte er oftmals kurz darauf bereits wieder vergessen, weil es für ihn keine Rolle spielte.
Als sich die Atmosphäre im Raum änderte, stellte Liam seinen Krug für den Moment zurück auf den Tisch und hob den Blick. Die junge Frau, die bislang für eine recht angenehme musikalische Untermalung gesorgt hatte, stellte ihre Leier beiseite und wandte sich scheinbar zu einem kurzen Gespräch mit dem Wirt herum, ehe sie mit Instrument und einem Teller auf einen der Tische zusteuerte. Der Lockenkopf beobachtete sie nicht weiter, weil ihm just in dem Moment die Rute der Ginsterkatze ins Gesicht schlug, die er mit dem Handrücken zur Seite schob. Sineca rümpfte die Nase, kaum dass sie das feine Organ an den Rand seines Bierkrugs geschoben hatte und hob den Kopf – scheinbar, um auch die anderen Krüge in der Hoffnung auf etwas Besseres zu inspizieren.
Liam hingegen erwischte sich dabei, wie er den Kopfgeldjägern gedanklich noch etwas nachhing, blinzelte kurz und holte schließlich die Liste hervor, mit der sie am Morgen aufgebrochen waren. Obwohl er sie an genau die Stelle legte, an der Sineca eben noch gestanden hatte, fiel ihm nicht bewusst auf, dass sich die Ginsterkatze längst von den anderen Krügen abgewandt und auf Mission begeben hatte. Er überflog die Liste, trug noch den ein oder anderen Haken nach, als Per ihn darauf aufmerksam machte, dass sich die Miniatur-Tüpfelhyäne bereits wieder auf Beutezug befand. Seit sie auf der Sphinx waren, hatte sie sich viel zu sehr daran gewöhnt, dass man überall etwas Fressbares abstauben konnte. Statt sie allerdings wirklich direkt wieder einzusammeln, sah er lediglich auf und beobachtete Sineca dabei, wie sie ungeniert auf den Nachbartisch sprang, an der die Bardin saß. Anfangs blieb sie auf Abstand, schnupperte und ließ die Rute aufmerksam und langsam von der einen auf die andere Seite wechseln. Davon abgesehen hatte Greo Recht – sie brauchten sicherlich nicht Sineca, damit man auf sie aufmerksam wurde.
„Wäre auch nicht das erste Mal, dass sie eine ordentliche Tavernenschlägerei startet.“, gestand er leise mit einem kurzen Seitenblick gen Per. „Dafür ist der Pegel hier um die Uhrzeit aber hoffentlich noch zu gering.“
Ein kurzes Schmunzeln folgte, ehe er bereits im Aufstehen den Krug noch einmal kurz an die Lippen setzte, um dem Pelzkragen dann doch den Plan zu ruinieren. Sineca war inzwischen langsam näher an den Teller gerutscht und musterte die Blonde aus großen Augen heraus. Gerade, als sich ihr Blick von dem Gesicht der Bardin gelöst hatte und sie den Hals vorsichtig in die Richtung des Essens reckte, sammelte Liam sie unter leisem Protest vom Tisch.
„Darf ich? Danke.“
Die Ginsterkatze zappelte kurz, ergab sich dann aber der wohlbekannten Prozedur. Eine ihrer Pfoten drückte sich kurz gegen sein Kinn, ehe sie sich in seinen Armen wiederfand und zu seinem Gesicht hinaufblinzelte.
„Entschuldige. Sie ist der Meinung, dass sie eindeutig zu kurz kommt.“, schmunzelte er der Blonden entgegen, während sich Sin dann doch aus seinem Griff wandte und zurück auf seine Schulter kletterte.
{ Cassy & Greo & Per | Wirtshaus in der Nähe des Hafens }
RE: Kapitel 9 - Der Ruf der Königin - Shanaya Árashi - 02.05.2022
Shanaya betrachtete die Karten vor sich, fuhr jeden Umriss der verzeichneten Orte nach. Im Kopf überschlug sie schon, wie viel Geld sie wohl hier lassen würde – und wie viel Talin sie wohl ausgeben lassen würde. Dabei waren all diese Karten... essentiell wichtig! Ihr blauer Blick wanderte ruhig weiter, von der Karte mit dem Sanduhr ähnlichen Gebilde zu etwas, was ihre Augen sich ein wenig weiter ließ. Ein leeres Pergament mit nichts weiter als einer Kompassnadel. Sofort dachte die junge Frau an die Karte, die sie gut auf der Sphinx verwahrte, deren Geheimnis sich ihr einfach nicht offenbaren wollte, egal, was sie anstellte.
Jetzt antwortete jedoch die Verkäuferin, schob Shanaya dann mit ihrem Gehstock ein wenig zurück. Die junge Frau gab nach, ausnahmsweise. Sie trat etwas zurück, atmete tief durch um bei den weiteren Worten der Alten nicht einen finsteren Blick in ihre Richtung zu werfen. Schätzchen?! Am liebsten hätte sie der Frau all ihr Geld ins Gesicht geworfen. Wenn sie wollte, würde sie sich diesen ganzen verdammten Laden kaufen! Aber nichts davon lag in den blauen Augen, mit denen sie die Ältere bedachte. Auf ihrem Gesicht lag eher eine neutrale Miene, frei von jeder Wertung.
Auf Shanayas Schultern jedoch saßen ein Engel und ein Teufel – der Engel hatte die Form einer Karte, der kleine Teufel war sie selbst. Die zwei kämpften um die Vorherrschaft, die kleine Karte redete ihr immer wieder ein, dass sie diesen Laden vielleicht noch einmal betreten wollte, dass sie, wenn sie jetzt tat, wonach ihr war, sie mit leeren Händen auf die Sphinx zurück kehren würde. Sie ermahnte die Schwarzhaarige, ein paar Mal tief durchzuatmen, sich das Ganze noch einmal gut zu überlegen und an ihre Ruhe in genau solchen Momenten zu denken. Das kleine Teufelchen war deutlich einfacher – der Alten die Meinung sagen, ihr vielleicht den Geldbeutel einmal durchs Gesicht ziehen und zu guter Letzt die Scheibe einschlagen um jegliche, wertvolle Karte mit sich zu nehmen, um dann erhobenen Hauptes diesen Laden wieder zu verlassen. Das wäre definitiv der einfachere Weg gewesen... aber wie schnell würde man sie dann auf die Straße werfen, ohne eine wirkliche Chance, an die Karten heran zu kommen?
Gewinnen tat jedoch keiner von Beiden, aus dem Nichts erschien neben der kleinen Engelkarte noch eine Talin, deren Stimme Shanaya aus diesem Inneren Zwiespalt riss. Vielleicht war es ganz gut so, dass die der Alten noch nicht geantwortet hatte. Möglicherweise hätte sie den Mund nicht halten können, stattdessen lauschte sie den Worten ihrer Freundin. Egal, was die Blonde für einen Plan hatte – und Shanaya zweifelte nicht daran, dass sie einen hatte – es missfiel der Schwarzhaarigen in diesem Moment. Der Blick ihres Gegenübers, die Berührung an ihrem Arm und schließlich ihre Worte verrieten ihr genug. Und trotzdem sträubte sie sich noch einen Moment dagegen, warf der Verkäuferin aus den Augenwinkeln einen unauffälligen Blick zu. Dann folgte ein beinahe wehleidiges Brummen, mit dem sie Talin schließlich nachgab, ihrem Ziehen folgte und sich von der Vitrine weg bewegte. Sie warf noch einen Blick zurück, kam dann mit ihrer Freundin zum Stehen und richtete den Blick auf sie, leise Frust lag darin. Sie seufzte schwer und tief, fuhr sich dann mit beiden Händen durch die rabenschwarzen Haaren und warf Talin einen vielsagenden Blick zu.
„Das Problem ist, dass ich sicher nicht das letzte Mal hier bin... Mir fällt also nichts anderes ein, als ihr das Geld hin zu schmeißen... vielleicht können wir ihr auch mit unserem unschlagbaren Charme die Information entlocken, wie man diesen Karten ein Geheimnis entlockt?“
Kaum geendet griff Shanaya neben sich, hielt mit jeder Hand eine Karte in die Luft.
„Ich habe selten so detailreiche Karten von Riffen gesehen. Und hier, was meinst du, wie gut diese Karte ist, um das Wetter zu lesen?!“
Bei jedem Satz hielt sie eine der beiden Karten näher in Talins Richtung, eine flehende Miene aufgesetzt.
„Wir dürfen nichts tun, weshalb die Alte uns raus schmeißt!“
Sie sprach nur so laut, dass ihr Gegenüber sie hören konnte, behielt die beiden Karten aber direkt in der Hand. Das würden sicher nicht die einzigen bleiben.
„Glaub mir, ich würde ihr gern für ihr 'Schätzchen' die Meinung sagen, aber...“
Mit großen, blauen Augen wedelte Shanaya vorsichtig die zwei Papiere in ihren Händen hin und her.
„Ich glaube, dieses Mal haben wir keine andere Chance.“