Kapitel 7 - Purpurrote Vergeltung - Nathan Reed - 17.07.2020
Liam, so hieß sein Mitgefangener, schien die Hoffnung noch nicht aufgegeben zu haben, einen versteckten Fluchtweg zu finden. Er hob jeden noch so kleinen Fetzen hoch, um taadaaa dahinter das Mauseloch zu finden, durch das sie bestenfalls entkommen konnten. Doch wenn Travis auch nur die leiseste Vermutung hatte, dass man aus diesem Loch hier entkommen konnte, dann hätte er die Leibwächter IN ihr Gefängnis gestellt und nicht davor. Ganz davon abgesehen war das Wort „Loch“ ungerecht gewählt. Nathan hatte es schon mit schlimmeren Bruchbuden als Gefängnis zu tun bekommen. Dagegen war das hier sogar luxuriös. Ein sicheres Gefühl in seiner Magengrube allerdings sagte ihm, dass das hier nur ein sehr kurzes Intermezzo werden würde. Egal, was Travis vorhatte, sie mussten hier raus. Nur wie?
Der Pirat merkte an, dass es vielleicht mehr als ungeschickt war, die Jungfräulichkeit der Tochter UND das Geld eines so mächtigen Mannes zu rauben. “Aber nein! Was denkst du denn? Ich habe keine Jungfräulichkeit geraubt!“ Es war wieder dieser entrüstete Ton, den er hier in dieser Stadt oft an den Tag legen musste. Er drehte sich herum und begann seinerseits an den Pfosten der Deckenbalken zu suchen, ob man dort hoch klettern konnte. Dabei rieb er sich den Nacken und murmelte sehr leise: “Dafür blieb leider keine Zeit.“ Natürlich hätte er nicht gezögert, dafür war er Gwenn viel zu sehr verfallen gewesen. Aber er hegte stille Zweifel, dass die rothaarige Schönheit wirklich jungfräulich gewesen war. Das Wenige, was sie getan hatte und was die Zeit erlaubt hatte, deutete darauf hin, dass sie wusste, wie man...
Konzentrier dich, Blödmann.
Lauter fügte er hinzu: “Außerdem ist der gute Flint so reich, die wenigen Münzen hätten ihm nicht weh getan. Ist dir aufgefallen, dass er sein Geld nicht mal wiederhaben wollte?“ Damit griff er in seine Tasche, holte zum Beweis den kleinen Lederbeutel heraus und warf ihn in die Luft, fing ihn wieder auf und stopfte ihn zurück in die höchst unpraktische Hose. Dann hob er die Schulter und schüttelte den Kopf. “So ein Wirbel um nichts… Was hat der Kerl vor?“ Vielleicht konnte man über die Berge teurer Brokatstoffe, an die Querverstrebungen und von dort aus…
…sich den Hals brechen…
Er brummte unwillig. Wieder keine gute Idee. Was war denn mit ihm los? Er war Auswegloserem entkommen, oder etwa nicht?
“Ob Flint nur ein gewöhnlicher Stoffhändler ist, wage ich zu bezweifeln. Es werden einige krumme Geschäfte nebenherlaufen. Das Monogramm, die Stoffe, die Lagerhäuser, das prachtvolle Haus, die Bediensteten und Schiffe… vielleicht gute Tarnung für Betriebsamkeit hinter dem Rücken der Marine… Ich weiß nicht, ich kenne ihn selbst nur wenige Tage. Wäre Gwenn nicht zufällig auf eben diesem Schiff gewesen, ich weiß nicht, ob man mich mitgenommen hätte. Bis zu einem gewissen Punkt gibt er sich anders, wenn seine Tochter im Raum ist.“ Er seufzte tief. Ja, genau, die Tage allein auf See, DAS war ausweglos gewesen! Hier würde sich etwas finden. Es musste einfach so sein. Das sollte nur recht bald geschehen, möglichst vor dem Wiederauftauchen der Schläger.
Na gut, aus dem Dachlukenfenstern konnten sie nicht klettern, das stand mal fest. Er rieb sich das Kinn. Und wenn sie den leichteren Stoff anzündeten und Feuer riefen? Wenn die Halbaffen hineinstürmten, konnten sie vielleicht heraus. Aber genausogut konnten die Männer hier sie ohne Weiteres elendig eingehen lassen. Dafür mussten sie nicht einmal einen Finger krumm machen.
“Ihr habt so misstrauisch gewirkt“, antwortete Nate erklärend dem Blonden, als der ihm sagte, dass ihm arbeitende Seemänner besser in den Kram passten, als verwöhnte Stadtbürschchen. “…außerdem ein Taschendieb in den Klamotten…? Das nimmt einem doch auch keiner ab.“, entschieden schüttelte er den Kopf. “Nach meiner Erfahrung ist das Leben eines Wohlhabenden immer noch mehr wert als das eines Namenlosen. Ich muss nur von dieser verfluchten Insel, alles andere ist mir egal.“ Es schien allerdings so, als würde er in diesem Leben dieses Rattenloch nicht mehr verlassen. “Wenigstens bis Gwenn verheiratet und fünf Kinder hat!“ Er verzog sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen. "Bestenfalls nicht von mir."
Er setzte sich auf einen Haufen voller aufgehäufter Seidenballen und hörte Liam aufmerksam zu, als dieser erklärte, warum dieser zum stummen Verfolger wurde. Entschieden schüttelte Nate während der Rede mit dem Kopf. “Warum… WARUM wäre ich dann nicht einfach mit der Tasche verschwunden? Das macht keinen Sinn. Der Kerl ist in mich reingelaufen und umgekehrt. Ende des Zufalls. Und ganz ehrlich, mein lieber Liam,“ Er lachte freudlos auf und erinnerte sich an den kurzen Blick, den er in und auf das zerschlissene Ding werfen konnte. “…das Zeug, was in der Tasche drin war, war mein Leben nicht wert.“ Er machte eine Pause und stellte sich vor, wie Flint die schwer verletzte Piratin aus der Gasse belästigte.
Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter. “Deine Freundin von eben? Hat ER sie so schlimm verletzt? Mir kam sie recht wehrhaft vor, ich kann mich natürlich auch täuschen. Aber sie war genauso misstrauisch. Natürlich verstehe ich jetzt warum. Hat Flint euch überfallen?“ Er hob die Augenbrauen.
Fast hätte Nathan vergessen, dass er hier raus musste. Aber vielleicht erfuhr er jetzt etwas von Flint, dass er irgendwie gegen diesen einsetzen konnte. Also wartete er gespannt auf Liams Antwort.
[mit Liam in einem Lagerhaus]
RE: Kapitel 7 - Purpurrote Vergeltung - Shanaya Árashi - 18.07.2020
Shanayas Plan stand fest – und sie würde sich nicht so einfach davon abbringen lassen. Und wenn sie den ganzen Tag hier draußen verbringen musste… sie hatte nichts bestimmtes vor, also konnte sie ihre Suche nach dem Dieb auch mit einem – mehr oder weniger – gemütlichen Spaziergang verbringen. Dabei hatte sie zwar noch ein Anhängsel, einen… Wachhund, der sowieso nicht viel sagte. Also konnte sie ihn auch hervorragend ausblenden. Bis die Stimme des Mannes doch erklang und sie auf eine Gruppe Kinder hinwies. Die junge Frau hob leicht eine Augenbraue, betrachtete den Dunkelhaarigen mit skeptischer Miene. Er wollte tatsächlich die Kinder einspannen, um an mehr Informationen zu kommen. Eine Horde Kinder, die vermutlich ALLES sagen würden, wenn die Bezahlung stimmte. In diesem Fall würde vermutlich schon eine Hand mit einem Haufen Süßem drin genügen. Mit einem Seufzen richtete sie ihre Aufmerksamkeit also wieder von den Kindern auf Josiah, ihr Grinsen wurde bei seinen Worten noch ein wenig breiter. Sie lauschte nur halbherzig dem Treiben in ihrer Nähe, an den Geräuschen, die nach Poltern und aufgeschreckten Tieren klangen.
„Glaub mir, ich bin weit davon entfernt, zu stolz zu sein, um Hilfe anzunehmen. Ich nehme sie nur nicht an, wenn ich sie nicht brauche. Vielleicht sollten wir...“
Viel weiter kam die Schwarzhaarige nicht, denn das Gepolter kam in diesem Moment direkt auf sie zu. Ein kurzer, verwirrter Blick galt noch Josiah, als sie auch schon von etwas Schwerem getroffen wurde. Einen Moment lang wurde Shanaya schwarz vor Augen, der Schmerz weckte jedoch wieder all ihre Sinne, als sie auf dem Boden aufkam. Für wenige Herzschläge war sie benommen, die klebrige Wärme an ihrem Bein ließ sie blinzeln. Ein Schrei drang in ihr Bewusstsein, dann war da eine männliche Stimme.
Shanaya blinzelte noch einige Male, setzte sich dann auf. Erst jetzt drang der Schmerz wirklich durch ihren benommenen Verstand, die Geräusche blieben noch etwas dumpf. Ganz automatisch legte die Schwarzhaarige ihre Hand auf die Wunde, spürte die Wärme des Blutes. Ihr Herz schlug einige Takte schneller, auch als sie sich die Worte des Mannes noch einmal ins Gedächtnis rief. Ein Medicus? Die junge Frau kniff die Augen zusammen, blickte den Alten dann direkt an.
„Ich brauche keinen Medicus, nur ein bisschen Alkohol.“
Ihre Stimme klang bestimmt, während sie den Druck auf ihr Bein ein wenig verstärkte. Ihre andere Hand, ihre rechte, zog ihre Tasche näher zu sich, kramte darin nach dem Stück Holz und dem kleinen Nadeldöschen. Ihre Atmung ging deutlich schneller, Wut kam in ihrem Inneren auf. Auf den Mann, dem sie diese Wunden verdankte, wenn auch nicht durch seine Hand. Trotzdem überwog in diesem Moment der Gedanke daran, dass sie ganz gewiss nicht irgendeinen Scharlatan an ihre Verletzung lassen würde! Ihre Finger zitterten, trotzdem ließ sie das Stück Holz und das Döschen neben ihr Bein fallen, tastete sich zu ihrem Dolch vor. Sie lenkte sich einfach mit dem Gedanken ab, dass sie jetzt schon wieder eine neue Hose organisieren musste, ab. Denn diese würde mit der nächsten Bewegung ein großes Loch aufweisen.
[Nähe des Bordells | Josiah und einige Passanten]
RE: Kapitel 7 - Purpurrote Vergeltung - Aik Malova - 19.07.2020
Aik erhielt vorerst keine Antwort auf seinen Vorschlag. Dieser Bärtige Kerl wiederholte schlicht, was auch er selbst schon gesagt hatte. Kein guter Ort um zu warten. Ja, warum äffte er ihn denn nach? Was waren das nur für komische Menschen. Ungeduldig spielte der Bettler in seinem Mantel mit der Goldmünze. Er wollte hier weg, und er wollte gern mehr von diesen Münzen, aber er war sich nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Oder wie genau er das hier am sinnvollsten anstellte.
Gerade wollte er schließlich wieder das Wort ergreifen, als Bewegungen im Augenwinkel seine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Sie bekamen Gesellschaft!
Aber was für welche?
Der Neuankömmling stellte sich zu ihnen mit dem Wort 'Freund' auf den Lippen. Aik musterte ihn argwöhnisch, stimmte ihm aber in seinem folgenden Vorschlag aus innigstem Herzen zu. Es war Zeit, hier weg zu kommen. Und zwar schnellstmöglich und ohne sich weiter in eine Angelegenheit verwickeln zu lassen, die ihn nichts anging und keinen Vorteil brachte.
Wäre der Mann hinter den Vorhängen ein Weinhändler, vielleicht wäre seine Motivation eine andere.
"Habt ihr denn auch die Münze dabei, um euch einzukaufen?", wagte Aik den Neuen zu fragen, während er aufstand. Dabei mied er allerdings den Blick eines jeden der Piraten - eine Münze wäre ganz nett, aber es war ein schwacher Versuch. Besonders, weil er bereits in Richtung des Hauses nickte.
"Die Teeparty findet da drüben statt. Mit dem blauen Balkon." Er fixierte den Neuen und fuhr fort: "Gibt zwei Eingänge, hinten fürs Gesindel, vorne für die feinen Damen. Drei von den Mädels sind weg, werden auch nicht zeitnah wiederkommen. Aber drinnen sind noch paar Diener. So 'ne handvoll, vielleicht ein oder zwei mehr."
Mit einem Grinsen fixierte er das Fenster, hinter dem der Hausherr lag. "Da oben, Fenster neben dem Balkon, mit den dicken Vorhängen, da schläft er. Der Kerl ist nen dicker Sack, hochnäsig wie -", er unterbrach sich und funkelte den unhöflichen Piraten an. 'Wie du', dachte er bei sich. Aber dann zuckte er die Schultern und sprach weiter: "wie die nun mal sind. Der schläft noch ne Weile, aber Frühstück wird schon bald vorbereitet. Dann setzt er sich auf den Balkon, oder in den Raum dahinter, und schlürft seinen Tee. "
Aik runzelte die Stirn, bemüht, sich an Fakten zu erinnern, die vielleicht wichtig sein könnten. Das Haus, die Eingänge, wie viele Personen drin waren, wo der Informant schnarchte. Reichte doch auch, oder? Der Rest war nicht seine Sache, damit wollte er nichts zu tun haben.
"Das wars." Damit drängte er sich an den Männern vorbei, die Hand in der Tasche immer noch um die Goldmünze geballt. Irgendwie wünschte er ihnen schon Glück. Aber jetzt war erstmal Zeit, seinen Durst zu löschen. Auf seiner ganz eigenen 'Tee'-Party. Während er sich mit schlurfenden Schritten von den Piraten entfernte, ließ er schließlich die Münze los um seinen Flachmann raus zu holen.
Mit zwei großen Schlücken startete er die Party. Und die Münze in seiner Tasche würde ihm schon bald zu mehr von dem süßen Saft verhelfen. Ein guter Tag!
RE: Kapitel 7 - Purpurrote Vergeltung - Skadi Nordskov - 19.07.2020
Noch ehe Lilly mit ihrem Fuß nach dem jüngeren Mann ausholen konnte, trafen Knochen auf Knochen. Geräuschvoll und ganz sicher von einem scharfen Schmerz begleitet, den sie deutlicher spürte als die Nordskov, deren finsterer Blick über das grauseligste Kunstwerk von Weiblichkeit glitt, in dessen Weg sie sich jäh stellte. So langsam glich diese ganze Unternehmung einer einzigen Farce. Während Anschuldigung um Anschuldigung durch die Luft flog und sich der Pulk in einem seltsamen Muster von A nach B und wieder zurück bewegte, verstrickten sie sich immer tiefer in diese Angelegenheit. Und wo waren eigentlich Talin, Enrique und Greo abgeblieben?! Hielt man jetzt noch zu Dritt ein Schäferstündchen auf dem Schiff, statt sich der Kinder anzunehmen, die dort herumlungerten? Skadi schnaubte. Mit erhobener Augenbraue und einem Blick der Wasser zerschneiden konnte. Wenigstens hielt sich die Großklappe in ihrem Rücken zurück, dessen Blicke unangenehm in ihrem Nacken kribbelten. Ganz sicher passte es ihm nicht, sich von einer Frau schützen zu lassen, die er obendrein nicht kannte. Doch seine bisherigen Versuche irgendwie aus dieser Sache heraus zu kommen, waren von dermaßen mäßigem Erfolg, dass er wohl weitaus schlechtere Optionen als sie und den Rest ihrer Crew hatte.
Lilly zuckte zusammen. Erst unter dem Anblick ihrer plötzlich auftauchenden Kontrahentin, dann unter dem festen Griff Olens, der sie (reichlich spät) zurück hielt. Besser für ihn, wenn er es dabei beließ. Besser für sie alle, wenn diese Furie nicht mehr durch die Werft rennen und ihre schlecht geschnittenen Krallen in fremder Leute Körper rammen konnte.
Und endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, schälten sich Talin und Greo in ihrem Augenwinkel aus dem dunklen Braun der Schiffe hervor. Von Enrique fehlte jedoch jegliche Spur. Skadi hoffte instinktiv für sie alle, dass er es sich auf der Sphinx gemütlich gemacht hatte. Auch wenn sie bezweifelte, dass er sich dieses Theater wirklich entgehen lassen wollte. Wo er doch so ordnungsliebend war und diesen Flickenteppich an Lügen und Halbwahrheiten im Nu zusammengesetzt hätte.
„Ich meine nur, dass er auch nichts von dir wollte, Lilly. Er hat dich immer abblitzen lassen, als du noch...naja...als du noch dein Geld mit gewissen Gefälligkeiten verdient hast.“
Die Dunkelhaarige verließ im selben Augenblick wie Alex ein unterdrücktes Auflachen, das sie jedoch nicht unter einem Räuspern vertuschte. Stattdessen schwenkte ihr Blick von dem faltigen Gesicht zu Talin hinüber, deren blonde Mähne bei jedem ihrer Schritte auf und ab tanzte. In was bei allen Welten waren sie nur hier hinein geraten? Tote Menschen. Prüde Gestalten. Herumstreunende Kinder. Hätte sie ihr kurze Nacht nicht lebendig in Erinnerung, könnte sie darauf schwören, dass sie gerade schlief.
„Und keine sonderlich Gute.“, fügte die Jägerin betont laut an Talins Worte an und konnte ihr süffisantes Grinsen kaum unterdrücken. Ihr war nicht danach diese Situation zu entschleunigen und die Vernünftige zu sein. Lieber stach sie mit geballter Faust ins Wespennest, das allmählich unruhig zu summen begann. Es würde wehtun, brennen und wohl deutliche Spuren hinterlassen – zumindest für die nächsten Tage. Doch wenn ihr Kapitän nicht darauf bedacht war, übermäßig höflich und freundlich zu bleiben, sah die Nordskov keinen Grund darin, ihre Gedanken hinter Schloss und Riegel zu verwahren. Erst recht nicht, als der Grobschlächtige sich abwandte und Lilly allein zurück ließ. Mit einem Blick der von Scham und Wut gefüllt war und den Skadis kurz kreuzte.
„Versuchs ruhig… Schätzchen.“ Es war eine leise gehauchte Warnung, die kaum weiter reichte, als zu der Blonden und Jonah. Doch sie reichte, um die ersten Anzeichen einer Bewegung im Keim zu ersticken und jegliche Aufmerksamkeit auf Talin zurück zu richten.
Die Gruppe aufzuteilen, erschien ihr in Anbetracht des brennenden Temperaments vor sich, wie eine absolute Notwendigkeit. Solange Lilly und Jonah gemeinsam in einem Raum waren, kochte dieser angestaute Hass und Widerstand hoch, wann immer sie einander ansahen. Und je länger sie damit zubrachten, den laufenden Betriebt der Werft aufzuhalten, desto später kämen sie überhaupt von diesem schrägen Eiland davon. Gott. Den Menschen hier hatte man doch reichlich in die Mütze geschissen!
„Ai.“, gab Skadi mit erhobener Augenbraue von sich, während sie Talin auf eine Weise musterte, die seltsam undurchsichtig war. Entweder wenig beeindruckt von der wedelnden Geste ihrer Hand, der deutlichen Abwesenheit Enriques oder dem allgemeinen Chaos, in das sie schon wieder hinein geraten waren. So ganz wusste es die Nordskov selbst nicht, als sie sich herum wandte und Jonah mit reiner Körpersprache dazu zwang in Richtung des Aufenthaltshäuschens zu gehen. Auf den Zweiten im Bunde wartete sie gar nicht erst. Ganz sicher war ihm selbst daran gelegen ihr zu folgen – entweder weil er seinen Kumpanen nicht allein lassen oder sich selbst der Aufmerksamkeit entziehen wollte. Es war ihr gleich.
Während Jonah auf einem der Stühle in der Mitte des Raumes Platz nahm, blieb Skadi prüfend an der Tür stehen. Selbst dann, als Alex über die Schwelle eintrat und im selben Augenblick zu ihr hinab sah, als sie ihren Fuß gegen die andere Seite des Türrahmens presste und beiden Herrschaften einen Weg zurück in die Werfthalle verwehrte.
„Möchtest du mir gleich sagen, was du da Interessantes vom Boden aufgehoben hast oder wollen wir unsere Zeit mit sinnlosen Ausflüchten und Halbwahrheiten vergeuden?“
Es war nicht so, dass sie ihm wirklich eine Wahl ließ und auch nicht, dass sie davon ausging, dass er überhaupt etwas sagte. Doch ehrlich gesagt interessierte es sie nicht, ob einer von ihnen diesen Mord tatsächlich begangen hatte. Wer sich selbst die Hände nicht in Unschuld wusch, sollte seine Nase nicht in fremder Leute Angelegenheiten stecken. Und niemand wusste so gut wie sie selbst, dass es immer einen Grund dafür gab.
RE: Kapitel 7 - Purpurrote Vergeltung - Liam Casey - 20.07.2020
So wenig, wie ihm eigentlich auch nach Lachen – oder auch nur Lächeln – zumute war, er kam nicht umhin, als der Blondschopf gar entrüstet darüber klang, was Liam in den Raum geworfen hatte. Einen flüchtigen Moment musste er an Elian denken, der vor wenigen Stunden noch völlig verklemmt versucht hatte, den Blick von Shanayas blanker Haut fernzuhalten. Hatte er es hier etwa auch wieder mit einem hoffnungslosen Romantiker zu tun, der sich selbst vorgaukeln wollte, selbst frei von sämtlichen Lastern oder sämtlichem Verlangen zu sein? Die Mundwinkel des Lockenkopfes zuckten amüsiert, selbst wenn er das, was Nathan leise hinterher schob, nur erahnen konnte. Offensichtlich also nicht. Schade. Also kein neuer Freund für den vereinsamten Montrose. Das Spiel auf den Lippen des Älteren blieb Nate allerdings vermutlich unbemerkt. Liam hatte sich nicht noch einmal herumgewendet, um seinem Gesprächspartner ins Gesicht zu blicken.
„Vielleicht ist er sich einfach sehr sicher, dass er nicht danach fragen braucht, sondern sie so oder so wieder zurückbekommt.“, zerstörte Liam die Hoffnung seines Leidensgenossen, ohne vorher darüber nachzudenken, ob es nicht schlauer – oder gütiger – gewesen wäre, es schöner zu verpacken. Das Geräusch von Münzen ließ ihn den Kopf allerdings doch herumwenden und bevor Nathan doch noch blass um die Nase werden konnte bei dem Gedanken, fuhr er lieber fort.
Resignierend stieß er schließlich die Luft aus, kaum dass er sich damit abgefunden hatte, dass auch die hintere Tür keine Option war. Währenddessen lauschte er der Schlussfolgerung des anderen und machte sich seinerseits mit gerunzelter Stirn Gedanken dazu. Die Geschichte dieser Gwenn erinnerte ihn bildhaft an eine Situation, die ihn in eine ähnliche Lage gebracht hatte – allerdings war dieser Vater kein Choleriker gewesen. Ein einfacher Händler, der sich damit begnügt hatte, sie am nächsten Hafen wieder sich selbst zu überlassen.
„Ich befürchte allerdings, dass es noch aussichtsloser ist, deine Gwenn hierher zu bestellen, um den sanftmütigen Flint ans Tageslicht zu locken, als hier irgendwie rauszukommen, ohne dass die beiden Paviane was davon mitbekommen.“
Er hatte diese Möglichkeit tatsächlich durchdacht – erfolglos. Vielleicht hätte ihre Anwesenheit Flints Handlungsspielraum zumindest so weit eingeschränkt, dass sie mit nur leichten Blessuren davongekommen wären. Aber wenn sie so schon niemand hier drin fand – wie sollte es dann eine ganz bestimmte Person tun, die Flint offenbar schon länger im Dunklen hielt was seine Machenschaften anging. Alles andere – die Möglichkeit, dass Flint nicht nur Stoffhändler war – teilte er allerdings. Ein Mann mit derartigem Ehrgeiz verprasste ihn nicht bei ehrlichen Geschäften. Besonders nicht, wenn er zusätzlich noch so wenig Hemmungen jeglicher Art von Gewalt gegenüber hatte. Mit Blick gen Decke fand sich Liam wieder in der Mitte der Halle ein und suchte außerhalb des Offensichtlichen nach irgendeiner Gelegenheit, die sich ihnen bieten könnte.
„Das lag nicht an dir. Sagen wir, wir haben unsere Gründe.“, speiste Liam ihn vorerst oberflächlich ab. „Manchmal ist die Wahrheit eben überzeugender als jede Lüge – ganz gleich, wie grotesk sie ist.“ Sein Blick lag noch immer auf den Deckenbalken, wanderte dann hinüber zu der zweiten Ebene und schließlich zu der Leiter, die hinauf führte, während er beiläufig auf die Sache mit den edlen Klamotten zu sprechen kam. Erst, als Nathan auf den Wert eines Lebens zu sprechen kam, sah er ihn wieder direkt an. „In der Welt von Menschen- und Sklavenhändlern zweifellos. Aber ich hoffe doch mal, dass wir nicht nach derlei Gesindel aussehen.“
Jetzt war es an ihm, ein wenig entrüstet zu klingen. Dass man sie – nicht zuletzt auch wegen ihres hohen Anteils an Verletzungen – für Gesindel halten konnte, war ihm sowohl bewusst als auch egal. Aber mit Menschenhandel wollte er dann doch nicht in Verbindung gebracht werden. Dem nächsten Einwand begegnete er mit einem schwachen verständnisvollen Schmunzeln.
„Erstmal sollten wir hier raus. Lebendig, wenn möglich. “
Sonst lief er nämlich Gefahr, die ein oder andere Todesart auch danach noch über sich ergehen lassen zu müssen, sobald Skadi davon Wind bekam, dass er die erstbeste Gelegenheit alleine dazu genutzt hatte, sich abermals in … wenig erstrebenswerte Lagen zu bringen. Er vermied es, gedanklich näher darauf einzugehen, weil er ahnte, dass es ihn nur abermals in den Strudel aus Gedanken ziehen würde, von dem er am gestrigen Abend abgeschworen hatte. Umso einfacher fiel es ihm, sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren.
„Da sagst du was. Aber leider gibt’s nur wenig, was ihrem Stolz auf Augenhöhe begegnet. Kurz gesagt: Du bist einfach an die Falschen geraten.“
Und das Leben eines Fremden stand bei ihr zweifellos weit unter ihrem Eigentum. Da hätte es auch eine Tasche voller Pflastersteine sein können. Die Rangfolge war klar und unveränderbar. Nathan allerdings lenkte seine Gedanken schließlich doch an den Punkt zurück, vor dem er sich so vehement sträubte – und machte ihm zeitgleich schmerzlich bewusst, wie angeschlagen sie noch immer alle waren. In Automatismus wanderte seine eigene, unverletzte Hand zu der Stelle des Leinenstoffs an seinem Oberarm, unter der sich die heilende Schusswunde verbarg.
„Nein, nicht sie. Das ist … eine andere Geschichte.“, gab er zurück und schüttelte flüchtig den Kopf. Ob er nun die Geschichte um Shanayas Verletzung oder die Geschichte über den gestrigen Zwischenfall damit meinte, wusste er selbst nicht so genau. Aber Nathan fragte nach. Und Liam war niemand, der misstrauisch genug war, um nicht zumindest oberflächlich zu antworten. „Ich weiß nicht genau, was passiert ist.“ - es ärgerte ihn immer noch, obwohl er es nicht wahrhaben wollte - „Ich kam erst dazu, als er sie bereits aufgegriffen hatte. Und es hat nicht wirklich den Anschein gemacht, ob es ihm groß kümmert, ob Männlein oder Weiblein vor ihm steht. Wer seine Faust seiner Meinung nach verdient hat, bekommt sie auch.“
Auf seinen Zügen zeichnete sich ein freudloses Schmunzeln ab, aus dem Nathan mithilfe seiner Erklärung interpretieren konnte, was er wollte.
{ Nathan, ohne Flint und die zwei Leibwächtern in einem Lagerhaus }
RE: Kapitel 7 - Purpurrote Vergeltung - Nathan Reed - 21.07.2020
Von seinem Platz auf dem Stoffballen zermarterte sich Nathan den Kopf, was Flint wohl vorhatte. Er hatte davon gesprochen, etwas zu arrangieren und Vorbereitungen zu treffen. Das klang zugegebenermaßen alles nicht wirklich vertrauenserweckend, auf der anderen Seite traf man keine so langen Vorbereitungen, wenn man sein Gegenüber lediglich zu den Fischen schicken wollte, oder? Verärgert ballte er die Faust. Dass er aber auch nicht aus Situationen wie diesen zu lernen wusste! Wie oft war er genau in solche Rattenfallen gelaufen – wegen Gold, noch mehr - wegen Frauen? Wann war er endlich vernünftig genug, vorher darüber nachzudenken, in was er sich hineinritt, anstatt hinterher zu überlegen, wie er sich wieder befreite? Nathan wäre allerdings nicht Nathan, wenn er sich nicht fast augenblicklich eingestand, dass das nie passieren würde. Er wusste um sein doppeltes Problem. Er würde es nicht ändern können.
Vielleicht war das auch nicht mehr nötig. Unruhig fuhr er sich durch das Gesicht.
Kurz dachte Nathan über Liams Worte nach, Gwenn hierher zu bitten. Ganz davon abgesehen, dass Flint etwas dagegen haben würde, glaubte er nicht daran, dass Gwenn noch in der gleichen Leidenschaft entbrennen würde, wie sie das vorher getan hatte. Vielleicht, das war immerhin im klitzekleinen Bereich des Wahrscheinlichen, würde sie den Dieb gar nicht mehr so sehr mögen. Vielleicht sogar hassen, dass er sich aus dem Staub gemacht hatte, ohne sie mitzunehmen. Hass hatte er nicht verdient, aber er schlug dem unverstandenen Mann oft entgegen, wenn er Frauen zurücklassen musste. Nate seufzte zutiefst selbstmitleidig. Die Welt war ungerecht.
Liam indes durchstreifte die Halle weiterhin und suchte nach Fluchtmöglichkeiten. Der Kerl gab nicht auf, das musste man ihm lassen. Versteckt musterte Nathan ihn. Er kam ihm nicht vor wie der typische Freibeuter, erst recht nicht wie ein Schläger. Seine Schultern waren schmal, die Figur zwar nicht schmächtig, aber auch nicht über die Maßen muskulös. Außerdem kam er Nathan freundlich, fast offen vor, jetzt nachdem er wusste, dass Nate die Tasche nicht gestohlen hatte. Natürlich waren nicht alle Piraten griesgrämige, humorlose und ungewaschene Halunken (obwohl das auf viele zutreffen dürfte!), aber den typischen hartgesottenen Seemann stellte man sich nun mal anders vor. Ein Feingeist unter Trampeltieren. Liam war vermutlich nicht zu beneiden.
Apropos Piraten: Warum suchten die anderen eigentlich nicht nach ihm? Die dunkelhaarige Schöne und ihr stummer Begleiter… würden sie ihren lockenköpfigen Kumpanen nicht langsam mal vermissen? Wenn sie davon ausgingen, dass Nathan einer Diebesbande angehörte, so mussten sie ebenfalls damit rechnen, dass Liam in einen Hinterhalt geriet. Würden sie Nathan in einem Aufwasch befreien oder würden sie ihn zurücklassen, wenn sie Liam befreit hatten? Würden sie Liam überhaupt finden wollen? Und dann finden können? Wie mächtig, wie gefürchtet war ihr Piratenkapitän? Würde die Erwähnung des Namens genügen, um Liam freizubekommen? War es am Ende Liam selbst, der nur eine Handvoll Leute und eine kleine Schaluppe besaß?
Sie hatten also ihre Gründe, soso…
“Wer ist denn euer Kapitän oder ist das auch ein Geheimnis?“, hakte Nate nach, wobei er durchaus verstehen konnte, dass die weniger bedeutenden Kapitäne mit ihren Namen lieber nicht hausieren gingen, um von den größeren Haien im Becken nicht geschluckt zu werden. “Würde er dich befreien wollen, oder bist du ihm nicht wertvoll genug?“, erkundigte er sich zögernd. “Immerhin haben deine Freunde mitbekommen, dass du einem schrecklich gefährlichen Dieb auf den Fersen bist.“ Ein Hauch Sarkasmus konnte er sich nicht verkneifen. “Und jetzt kehrst du nicht zurück. Suchen sie dich denn nicht sehr wahrscheinlich?“
Natürlich war Liam ein erwachsener Mann und bei aller Freundlichkeit sah er trotzdem nicht danach aus, als benötigte er den lieben langen Tag eine Amme. Aber das vorhin in der Gasse war nun mal eine besondere Situation gewesen.
Auch Flint hatte eine Besonderheit in die Situation gebracht und aus dem höflichen Gastgeber war ihr gemeinsamer Feind geworden. Dass dieser auch Frauen verprügelte, darauf wäre Nathan nicht im Traum gekommen. Sicherlich hatte er angriffslustige Damen sowohl auf Schiffen als auch an Land kennen und schätzen gelernt. Sie waren kein Mythos, wie viele Männer sich das gerne einredeten, um nachts ruhiger schlafen zu können. Dass aber der Stoffhändler, der selbst eine Tochter besaß, es fertigbrachte, auf Frauen einzuschlagen, das lag über seinem Verständnishorizonts und zwar sehr weit darüber.
[mit Liam in einem Lagerhaus]
RE: Kapitel 7 - Purpurrote Vergeltung - Isala Reginn - 21.07.2020
Man konnte förmlich spüren wie beinahe alle Blicke im Hause sich zu der reifen Frau wandten. Sie hatte die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, so viel war klar. Isala meinte sogar, dass sie nicht einmal etwas sagen hätte müssen, damit sie diesen Effekt erzielte.
Die braunhaarige hatte jedes mal einen Flauen Magen, wenn sie Medhel sah... denn Isa hatte dann immer ein schlechte gefühl, als wäre sie der ganze Grund für ihre Wut und ihre Strenge.... meistens war das sogar der Fall.
Automatisch wurde Isala immer kleiner, je näher die Frau kam... und leider stand sie auch zu dicht an dem Übeltäter dran, als dass sie sich komplett aus der Affäre hätte ziehen können. Isala gehörte einfach nicht zu der Art Hochadel, die aus jeder Pore der Frau sprühte. Vielleicht hatte sie deswegen solche Probleme mit ihr ... vielleicht konnte sie sich aber einfach nicht an die Art und Weise gewöhnen, wie die Männer teilweise mit den Frauen hier umgingen und wie selbstverständlich das in diesem Hause einfach hingenommen wurde.
Und dann ging Medhel auf Tarón und den blonden, den sie noch nicht kannte, los und besonders auf die niedliche Echse, die hier für sehr großen Tumult gesorgt hatte. Doch entgegen Isalas Befürchtung, gab es nicht das große Donnerwetter ... Medhel schaffte es noch immer ihre Fassung zu bewahren - Isala fragte sich, wie das funktionierte. War das einfach die Erziehung, sdie man in diesen Kreisen als Kind schon mitbekam?
Dann urplötzlich war ihr die Aufmerksamkeit der Dame gewiss und Isala wurde erneut ein ganzes Stück kleiner. Sonst war sie immer so selbstbewusst, doch Medhel und ihre Ausstrahlung sorgten für Respekt und eventuell sogar ein wenig Angst. Dann war es also soweit... es war ohnehin nur eine Frage der Zeit gewesen, ehe sie hier hochkant rausflog. -Schankmädchen - Isala konnte es nicht verhindern, dass ihre Augen etwas feucht wurden, als sie dennoch dem Blick der Frau standhielt (Das kostete sie allerdings ihren gesamten Mut)
"Ich habe sowieso besseres zu tun, als hier in diesem Loch zu versauern." sprach sie wütend und war sich keiner Schuld bewusst und arf Tarón, der ihr dann hoffentlich bald folgen würde, einen kurzen Blick zu... ihr Stimme hatte kaum merklich gezittert, als sie sich dann umdrehte und auf dem bereits gerissenen Kleid stolperte und sich voller Wut über ihre jetzige Situation den unteren Teil komplett abriss, der ohnehin nur noch an wenigen nähten hing. Als nun endlich Luft an ihre Knie kam, atmete sie sichtlich aus und warf den Fetzen stoff auf den Boden... und ging dann flotten Schrittes und fluchend aus dem Bordell hinaus.
[Im Bordell | Bei Tarón, Rúnar und Gregory - Stürmt aus dem Gebäude]
RE: Kapitel 7 - Purpurrote Vergeltung - Zairym al Said - 21.07.2020
Sein Blick glitt noch über die Gesichter und Gestalten der Hauptstraße, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Er spannte sich an, aber als er sich umdrehte, war es nur Lucien, der seine Aufmerksamkeit einforderte.
Rym kniff leicht die Augen zusammen und entdeckte nicht so weit von ihnen entfernt drei Gestalten. Da sie in aller früh nutzlos auf dem Boden rumsaßen, mussten sie entweder Freunde, Tagelöhner oder Überbleibsel von letzter Nacht sein. Vielleicht auch alles zusammen, aber er meinte die Quasselstrippe zu erkennen, also ging er stark davon aus, dass es sich um ihre Kameraden handelte, die den Informanten gefunden hatten. Oder sie hatten einen Bettler adoptiert.
Der Braunhaarige neigte leicht den Kopf zu seinem Commodore, während sein Blick über die Straße huschte, und nickte zustimmend. Es war vermutlich nicht die beste Idee, ihm in diesem Moment zu sagen, dass es nicht besonder klug war, gerade ihn darum zu bitten. Als der andere Mann sich abwendete, wollte Zairym schon in seine Tasche greifen, ließ es dann aber bleiben und sah sich so um, während er ein munteres Liedchen pfiff. Lucien war inzwischen bei den anderen, als er selbst sich auch in Bewegung setzte. Insgesamt fiel die Gruppe zwar auf, aber eher weil sie die vorbeieilenden störten, als das sie wirklich auffielen. Schlimm wurde es wohl erst, wenn ein paar Marineleute durch die Straßen schlenderten.
Bei der vierer Gruppe angekommen, hörte er noch, wie der Informant sein Wissen herunter rasselte, mit Geld in seiner Tasche klimperte und dann seiner Wege zog. Kein sehr geselliger Kerl und offensichtlich nicht besonders von ihnen und seinem Auftrag angetan.
„Was...bei allen Welten? Das war so ziemlich die seltsamste Person, der ich je begegnet bin. Und ich habe schon einige Menschen kennengelernt.“ Er verzog leicht das Gesicht und zuckte dann mit den Schultern. „Wenn ich je so werde, dann erschieß mich bitte jemand.“
Er wandte sich zu dem Haus um, auf das der Informant gedeutet hatte und sah sich die Gegebenheiten an. Insgesamt würde das hier kein Kinderspiel werden. Er sah zum Dach hinauf und dann zu den Nachbarhäusern. Zu weit zum Springen. Aber wie sollten sie hereinkommen?
„Was meint ihr, wie wir vorgehen sollen? Er meinte ja, dass drei Mädchen gerade weg sind. Wer meldet sich freiwillig, um sich als hübsches Kammermädel zu verkleiden?“
Musternd ließ er seinen Blick über die drei anwesenden Herren gleiten, bevor er erwartungsvoll Ceallagh ansah.
[Im Villenviertel | mit Ceallagh, Lucien und Trevor und Aik, der dann geht]
RE: Kapitel 7 - Purpurrote Vergeltung - Liam Casey - 22.07.2020
Wie es schien, hatte es Liam geschafft, ein paar Gedanken hinter der blassen Fassade des Blondschopf zu wecken – anders jedenfalls hätte er das von Selbstmitleid zerfressene Seufzen nicht zu deuten gewusst. Also doch ein hoffnungsloser Romantiker, der in Sehnsucht zerging, sobald er an seine Angebetete dachte? Der Lockenkopf wurde nicht ganz schlau daraus, wie sich Nathan diese Art von Leben leisten konnte, wenn er doch selbst sagte, dass er kein Material langfristigen Planung war. Vielleicht war er noch zu jung und zu naiv – er konnte nur sagen, dass er jung war, nicht jedoch wie alt wohl – um zu erkennen, dass er sich mit dieser Einstellung auf Dauer mehr selbst schaden würde als den Mädchen. Die meisten von ihnen hatten einen Plan mit ihrem Leben, wollten den Hof gemacht bekommen, eine Familie gründen. Und der andere Teil genoss die Freiheit dort, wo es ihnen möglich war, ohne herablassend gemustert zu werden. Bei der ersten Gruppe fand man Liebe und Geborgenheit, bei der zweiten Gruppe Leidenschaft und Unabhängigkeit. Er wirkte wie eine Mischung aus beidem. Eine Mischung, die in Liams Augen nur schwer zu erreichen war. Nicht, dass er die Frauen, mit denen er das Bett teilte, recht bald vergaß, doch beide Parteien wussten stehts, dass es um ein Vergnügen auf kurze Dauer ging. Die Morgen verbrachte jeder allein in dem Leben, in das er gehörte.
Für einen kurzen Moment schloss er die Augen, ging im Kopf erneut alle Möglichkeiten durch, die ihm einfielen und irgendeinen Erfolg versprechen konnten. Das einzige, was ihnen blieb, war entweder die offene Flucht nach vorne, solange Flint noch nicht da war und es Mann gegen Mann stand oder aber eben… Aussitzen. Beides war vermutlich mit der ein oder anderen Verletzung verbunden. Und wenn sie flohen, würde das den Zorn dieses Cholerikers mit Sicherheit nicht schmälern. Wenn sie blieben – nun, dann musste man zumindest nicht fürchten, ihm abermals ausversehen über den Weg zu laufen. Womit er übrigens wieder bei der Sache mit seiner momentanen Pechsträhne war. Schöne Misere.
„Bennett. William Bennett.“, antwortete Liam, ohne groß darüber nachdenken zu müssen.
Er öffnete die Augen langsam und drehte sich in einem Zug wieder in die andere Richtung, um Nathan den Rücken zuzudrehen. Für ihn musste es so aussehen, als wäre ihm noch eine Möglichkeit in den Sinn gekommen – in Wahrheit allerdings wunderte er sich schlicht und ergreifend nur darüber, weshalb ihm ausgerechnet er in den Sinn gekommen war. Er bezweifelte, dass Nathan je etwas von ihm gehört hatte. Die Eternal Ocean war ein kleines Schiff, das mit ihren eigenen Zielen und fernab der Machtaustragungen der größeren Piratenköpfe über die Weltmeere segelte. Niemand hatte sie auf dem Schirm, genauso, wie es wohl mit der Sphinx gewesen wäre, hätten sie nicht zufällig und ganz versehentlich einen Gefangenentransporter der Marine auf dem Gewissen. Trotzdem wunderte er sich, wie sein Kopf so schnell und aus dem Nichts heraus eine Brücke zu Lubayas Zwillingsbruder hatte schlagen können. Wo die sich wohl gerade herumtrieben? Ob die blonde Piratin sich ihnen wieder angeschlossen hatte oder doch zuhause auf ihre Geschwister aufpasste? Es war eindeutig der falsche Zeitpunkt, um darüber nachzudenken, selbst wenn Nate ihn dazu anhielt. William würde vermutlich nicht nach ihm suchen. Talin und Lucien vermutlich schon. Wenn sie zurück waren jedenfalls und feststellten, dass er auch morgen noch nicht wieder aufgetaucht war, obwohl noch all seine Sachen an Ort und Stelle lagen. Shanaya hielt ihn für alt genug, um auf sich selbst aufzupassen, der Rest scherrte sich nur wenig um den Zustand der anderen. Und Skadi würde womöglich davon ausgehen, dass er schlicht Zeit für sich brauchte. Auch da rechnete er also nicht damit, dass sich irgendjemand vor dem Morgengrauen auf die Suche machen würde. Doch er sah diese nüchterne Aussicht gelassen. Umso einfacher fiel es ihm, über Nathans Anmerkung bezüglich des gefährlichen Diebes zu schmunzeln.
„Früher oder später schon. Allerdings habe ich dich auch nicht für blöd genug gehalten, mich direkt zum Ziel zu führen. Und die anderen werden es auch nicht tun. Ein bisschen Zeit werden wir also so oder so überbrücken müssen, wenn wir auf Hilfe warten wollen.“
Er hätte ihm gerne mehr Hoffnung gemacht. Vielleicht täuschte er sich ja auch. Vielleicht hatten Josiah und Shanaya längst den eigentlichen Dieb gefunden und waren auf dem Weg, um ihn wieder einzusammeln. Josiah würde die Blutspur sicherlich nicht entgehen. Flint und Shanaya in einem Raum schien ihm aber eine explosive Mischung. Eine, die man nur zulassen sollte, wenn die Sphinx wieder sicher auf den Wellen des Meeres schaukelte und bereit war, sie von hier fortzubringen.
„Von daher… bleibt nur zu hoffen, dass wir beide genug gelernt haben, um uns alleine gegen ihn zur Wehr zu setzen. Er mag einen kräftigen Schlag haben, ist aber plump. Dafür hat er noch seine zwei dressierten Frettchen, die mit Sicherheit nicht einfach zusehen werden.“
Wobei – da fiel ihm ein, dass auch niemand auf die Idee gekommen war, sie zu entwaffnen. Seine Augenbrauen schoben sich skeptisch zusammen, als er mit der Linken nach seinem Messer tastete. Doch gerade, als er den Blondschopf darauf aufmerksam machen wollte, bemerkte er die Stimmen von draußen. War Flint etwa schon zurück? In seinem Magen sackte ein flauer Kloß in die Tiefe.
„Was meinst du, was er mit ihnen anstellen will?“, brachte einer der Männer von Flints Leibgarde leise hervor. Den Schritten nach zu urteilen, stiefelte einer von ihnen vor dem Tor auf und ab. Die andere Stimme befand sich offenbar direkt neben dem Eingang. „Ich weiß nicht. Hoffe aber, dass diese ganze Chose dann endlich mal ein Ende hat. Seit Tagen hat dieser Lackaffe nicht mehr zu tun, als uns wie Köter herumzuscheuchen. Und sehen wir dafür auch nur einen Achter mehr? Pah. Was auch immer es ist – er kann’s schön selbst tun.“
{ Nathan, ohne Flint und die zwei Leibwächtern in einem Lagerhaus }
RE: Kapitel 7 - Purpurrote Vergeltung - Ceallagh Hayes - 22.07.2020
Der Alte war unfassbar drollig. Saß grummelig auf seinem Platz und funkelte zu ihm hinauf, als wäre er sein allzeit geliebter Erzfeind. Wartete auf ein paar Hansel inmitten einer viel zu gut betuchten Wohngegend und gönnte sich einen Schluck aus seinem Flachmann, der die Fahne seines Atems nur noch gräuseliger machte, als sie womöglich schon war. Und kaum, dass er endlich mit den Informationen heraus rückte, für die sie hier waren, verschwand er in einem Tempo, das Ceallagh durchaus beeindruckte. Der Alte konnte laufen wie ein junges Reh. Bemerkenswert. Für die deutlichen Anspielungen des „Bettlers“ hatte Ceallagh nicht mehr als ein amüsiertes Schmunzeln übrig gehabt. War ja nicht so, dass er es nicht – natürlich nur seiner Scharade wegen – darauf angelegt hatte.
Dass Lucien endlich wieder neben ihm stand, beruhigte ihn zwar nur bedingt, stellte dafür aber die leisen Stimme in seinem Hinterkopf ab, die sich alsbald penetrant an seiner Schädeldecke bemerkbar gemacht hätten. Er vertraute dem Jüngeren, wenngleich es zu viele Jahre zwischen jetzt und damals gab, in der dieses Urvertrauen keine Berechtigung mehr besaß. Doch dieser Söldner der mit ihnen reiste, war eine Konstante, die er lieber gern im Blick behielt. Nicht nur, weil er redete wie ein Wasserfall und diese Art Humor verstand, die Ceallagh gern pflegte.
“Bist du dir da ganz sicher?“, mit einem amüsierten Zucken in den Mundwinkeln, glitten die blaugrünen Augen auf den dunklen Haarschopf, der etwas später als sein alter Freund zu ihnen hinüber gehuscht war.
Allein in dieser Konstellation gäbe es eine seltsame Person, die dem Alten durchaus Konkurrenz machen würde. Und im Gegensatz zu Rym dachte er dabei ganz sicher nicht zwingen nur an Trevor. Was der Ältere dann jedoch hinzufügte, entlockte ihm ein Zungenschnalzen sondergleichen. Musterten die blaugrünen Zairym für einige Sekunden spitzbübisch, schwenkte der Blick des Hayes wenig später auf Lucien zurück. Mit einem vielsagenden Funkeln in den Augen und einem Grinsen, das mehr als nur Belustigung versprühte.
“Jetzt hast du wohl seine offizielle Erlaubnis.“
Sicherlich ging er nicht davon aus, dass Lucien es in Erwägung zog. Nicht jetzt. Aber für den Fall der Fälle ließe sich ein womöglich schlechtes Gewissen mit dieser Aussage ganz sicher bereinigen. Täte es zumindest bei ihm, wenn die Situation außer Kontrolle geriet und der Rauschebart jeden seiner Joker bereits verspielt hatte.
Die viel wichtigere Sache war jedoch das, was der Alte ihnen erzählt hatte. Es war nicht sonderlich viel. Weitaus weniger, als er ehrlich gesagt gehofft hatte, wo diese ganze Aktion doch dermaßen geheimnisvoll und wichtig wirkte. Wenn die Tarlenn mit derart wenigen Informationen heraus rückten, war es fraglich, wie gut ihre Chancen waren, dort unbemerkt und ohne Kollateralschäden wieder heraus zu kommen. Doch das war nichts, womit sich ein mächtiger Auftraggeber wie dieser herumschlug. Menschen wie sie, gab es wie Sand am Meer. Und dort wo es Leichen im Keller gab, gab es auch etliche Schulden, die es zu begleichen galt. Ob freiwillig oder gezwungen – sie bekämen diese Sache noch über die Bühne. Ganz egal ob mit oder ohne ihr Zutun.
„Wie überaus freundlich, mir dein hübsches Sonntagskleid auszuleihen Zairym.“
Auch wenn Ceallagh den Kopf nicht zu ihm herum wandte und stattdessen den Zaun und dahinter liegenden Garten in Augenschein nahm, entging ihm der intensive Blick des Söldners in seinem Augenwinkel nicht. Für den Versuch hatte er dennoch ein kleines Schmunzeln übrig, wohlwissend, dass er bezaubernd aussah. Ganz egal was er trug. Daran konnte auch der Bärtige nichts ändern, der sicherlich mehr als nur eine Ladung Bienenwachs brauchte, um sein prächtiges Bärenfell von seinem Körper zu entfernen. Wenn er so darüber nachdachte, hatte der Dunkelhaarige schon etwas von einem Lycanthropen.
“Mir wäre ein Flurplan vom Gebäude irgendwie lieber gewesen.“, glitt es ernst und nachdenklich über seine Lippen.
Es gab so viele Faktoren, die diesen Plan zum Scheitern bringen würden. Faktoren über die er sich jetzt, bevor er mit Lucien da hinein stürmte, Gedanken machte, als unvorhergesehen in sie hinein zu rennen und nicht zu wissen, was er tun sollte. Letztlich würde es wieder darauf hinaus laufen, das wusste er. So war es schon immer gewesen. Aber zumindest fühlte es sich besser an, halbwegs einen Plan zu haben, den man bewusst ignorieren konnte, als vollkommen blind auf pures Glück zu vertrauen.
“Aber eine Ablenkung da drin zu haben erscheint mir wirklich sinnvoll.“
Dahingehend stimmte er Zairym zu, auch wenn er eine etwas weniger kostümierte Variante in Erwägung zog. Für eine Hand voll Bediensteter waren sie zu wenig, das Haus womöglich zu eng und verwinkelt. Keiner kannte ihre Aufgaben und Zeitpläne, ihre üblichen Laufwege oder die blinden Flecken dieses Hauses wie Vorratsräumen und Besenkammern.
[Im Villenviertel | mit Lucien, Trevor und Zairym]
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