Kapitel 10 - Feuerschein und Finsternis - Weltenwind - 18.04.2024
Ein Hauch von Finsternis ...
Das Chaos in der Taverne löste sich mehr oder weniger glimpflich auf. Nach einem kurzen Showdown zwischen Lucien – mit Riegan als seiner Geisel – und den verblieben Wachen, verschwand der Captain nach dem Jungen Cole aus einem Fenster – zusammen mit seiner Beute. Ceallagh folgte Soula, die - aufgrund eines gehörten Rufes von Kirean - den Weg durch den Schankraum nahmen, hatten weniger Glück, da der junge Mann von einer Kugel im Oberarm getroffen wurde, als er heldenhaft unabsichtlich Soula vor dem Schuss beschützte. Letztendlich schafften sie es aber, mehr oder weniger unversehrt, zurück zum Schiff. Ob dieses mysteriöse, geschuppte Ei das Aufsehen wirklich wert gewesen war, das die drei Piraten im Hause Riegan erweckt hatten, blieb vorerst ein Geheimnis. Fakt war jedoch, dass der goldene Schatz nicht ganz freiwillig den Besitzer gewechselt hatte – wozu es gut sein würde oder ob es am Ende nur dekorativ in der Kajüte der Captains ihr Dasein fristen würde, würde die Zeit zeigen.
Auch für den Rest der Crew war der Tag ereignisreich gewesen. Ohne weitere Zwischenfälle kehrten Talin und Shanaya zur Sphinx zurück. Im Nacken hatten sie noch immer das Gefühl, verfolgt zu werden, doch vielleicht lag das auch einfach an den zwei neuen Mitgliedern für die Crew, die sie begleiteten. Lola und Aric schlossen sich dem Schiff mit roten Segeln aus unterschiedlichen Gründen an, doch beide schien es zweifellos fort von dieser Insel zu führen.
Tarón, Isala und Rúnar, die mit einer Gruppe Soldaten konfrontiert gewesen waren, brachten ebenfalls einen Neuankömmling mit. Als Preis für ihre Hilfe nannte die geheimnisvolle Dahlamon Tali einen sicheren Platz auf der Sphinx, der ihr gewährt wurde, doch sie war nicht die letzte, die – zumindest zeitweise – ein neues Zuhause auf den Wellen des Meeres fand. Rayon und Liam kehrten allerdings nicht nur mit einem weiteren neuen Gesicht zur Sphinx zurück, sondern auch mit den bedauernswerten Folgen ihres Versuchs, auf dem Friedhof von Ostya den Handel mit Straßenkindern zu vereiteln. Auch, wenn es ihnen gelang, einige der Kinder aus den Händen der Händler zu befreien, mussten auch sie einen tragischen Verlust verbuchen. Gemeinsam brachten sie den leblosen Körper Peregrynes zur Sphinx zurück, um ihm eine gebührende Bestattung auf See zuteilwerden zu lassen. Trotz allem war die junge Cassy fest entschlossen, sich den Männern anzuschließen und Ostya an ihrer Seite zu verlassen.
Statt Leichnamen – und davon hätten die drei Männer wahrlich auch genug gehabt – brachten Zairym, Josiah und Alex mehrere Wägen voller Schätze und einen angeschlagenen Trevor mit zurück. Gemeinsam mit der Crew verlud man das Gold und ließ die Wägen verschwinden. Das ein oder andere Pferd machte man noch zu Gold und behielt die Umgebung aufmerksam im Blick, bis sie sich sicher sein konnten, dass ihnen niemand auf die Schliche gekommen war.
Auch Jón und Skadi kehrten nicht mit leeren Händen zurück, obschon es weder Gold noch der einer ihrer toten Kameraden war. Peregrynes Tod überschattete den Brief, den Eliyah der Jägerin überreicht hatte. Abgesehen von den Captains und Liam, den Skadi in einem Moment der Zweisamkeit einweihte, blieb sein Inhalt aber vorerst vor dem Rest der Crew verborgen, bis man sich näher darüber beratschlagen würde.
Mit vier neuen Crewmitgliedern stach die Sphinx am 02. Juli in Ostya in See. Ihr neues Ziel war die Insel Masita, auf der sie planten, die lange Dunkelheit zu verbringen, die vor ihnen lag und anschließend dem Lichterfest beizuwohnen.
Auf ihrem Weg von Ostya nach Masita machte die Sphinx einen Zwischenstopp auf der östlich ihres Ziels gelegenen Insel Setithra und legte am 17. Juli am Hafen einer kleinen Stadt an. An sich nicht der Rede wert, handelte es sich doch um ein wirklich überschaubares Eiland, und doch bot das Örtchen auf der Insel mit einer langjährigen Kultur auf: einem Hunderennen zu dem die Crew noch rechtzeitig anlegte. Doch neben diesem Event waren es viel mehr die Spuren – angefangen von denen auf einer mysteriösen Karte, die ihnen in die Hände gefallen war – welche auf der Insel erforscht werden wollten und welche einige Crewmitglieder für eine Weile beschäftigt hielten, ehe die Sphinx am nächsten Morgen wieder ablegte.
Obwohl die Sphinx nur noch wenige Tage auf See von ihrem nächsten Ziel trennten, blieb es nicht ruhig. Am 21. Juli wurden Vorwürfe gegen Alex laut, der sich an Soula vergriffen haben solle. Dank Tarón - die junge Frau war zu verunsichert und aufgewühlt - gelangten die Anschuldigungen an die Captains der Crew und man nahm sich der Sache an. Der Carpenter beteuerte seine Unschuld, doch so stand Aussage gegen Aussage. Eine rechte Entscheidung sollte auf die Ankunft an ihrem Ziel warten. So blieb die Sache vorerst ungeklärt, während sich der Mason an besonderer Aufmerksamkeit erfreuen durfte - man ließ ihn nämlich kaum aus dem Blick.
Gegen Mittag des 22. Juli ging die Sphinx im Hafen von Ghisleen vor Anker, womit die Crew Zeuge der ersten Vorbereitungen für das nahende Lichterfest wurde. Es wurden Stände errichtet, Holz für Fackeln und Lagerfeuer bereit gelegt und allgemein wirkte die Insel sehr belebt. Überall war eine Mischung aus Unsicherheit der Dunkelheit gegenüber und Vorfreude auf das große Fest zu spüren. Außerdem bereiteten sich alle auf eine deutlich kleinere Veranstaltung vor, die genauso Tradition war, wie das Lichterfest selbst. Auf Masita wurde seit jeher nicht nur das Licht nach fünf Tagen zurück begrüßt, es wurde auch mit einem kleinen Umzug verabschiedet. Eine Parade begleitete die Sonne am letzten Abend vor der Dunkelheit, danach setzte man sich zusammen, kam gemeinsam zur Ruhe. Auch die Crew der Sphinx konnte sich in diesem Jahr an dem kleinen Fest erfreuen, bevor die Dunkelheit sie für eine ganze Weile umgeben würde.
Am 25. Juli, dem letzten Sonnentag vor der großen Dunkelheit, verkündeten Talin, Skadi und Soula einen gemeinsamen Coup. Man solle erst in etwa drei Tagen mit ihrer Rückkehr rechnen und sich keine Sorgen machen. So feierte die Crew ohne die drei Frauen in die große Dunkelheit hinein. Wie in jedem Teil der Welt ging das Leben während der fünftägigen großen Dunkelheit ein wenig langsamer von statten. Das Leben verschwand größtenteils von den Straßen. Die Tavernen dagegen schienen beinahe zu jeder Tageszeit überlaufen zu sein.
Als nach vier Tagen noch immer keine Spur von den drei Frauen war, wurde die Crew allmählich unruhig. Auch, wenn es bloß ein Tag nach der eigentlich angekündigten Rückkehr war, wurden vor allem Lucien und Liam unruhig. Auch, wenn sie nur zu gut wussten, dass vor allem Talin und Skadi sehr gut auf sich aufzupassen wussten, beschlich sie ein ungutes Gefühl ob ihrer Verspätung.
Am Vormittag des 29. Juli rief Tarón als Quartiermeister die gesamte verbliebene Crew zu einem Treffen auf der Sphinx zusammen. Da die drei Frauen immer noch nicht zurückgekehrt waren, wurde entschieden, sich in kleinen Gruppen auf die Suche nach ihnen zu machen, in der Hoffnung, sie schnell wieder zufinden. Zwei Tage würde die große Dunkelheit noch anhalten. Greo, Elian und Kieran hatten sich dazu bereiterklärt, das Schiff zu bewachen und zu warten, ob die drei verschwundenen Frauen nicht doch von selbst wieder auftauchten, während sich der Rest in Bewegung setzte, um in der Stadt nach Hinweisen zusuchen.
# Gruppe A:Lucien, Shanaya & Zairym Hafen und Freudenviertel
# Gruppe B:Liam, Ceallagh, Lola (Niloc) Gesundheitsviertel
# Gruppe C:Jón, Trevor, Josiah - ? Park, Gärten und Kräuterhäuser
# Gruppe D:Alex, Tarón, Cassy - ? Markt- & Festplatz
# Gruppe E:Rúnar, Dahlamon Tali (Rhygore) Handwerksviertel
# Gruppe F:(Aric), Isala - ? Außenbezirke
29. Juli 1822 20 °C, wolkig Vormittags 87 % Luftfeuchtigkeit, 21 °C Wassertemperatur
Shortfacts # Am 02. Juli werden in Ostya die Segel gesetzt # Neu bei der Crew sind Aric, Cassy, Lola und Tali # Peregryne bekam eine Seebestattung # Schauplatz: Die Insel Masita, Hafenstadt Ghisleen # Am 22. Juli legte die Sphinx im Hafen von Ghisleen an # Die Sphinx liegt unter gehissten, weißen Segeln im Hafen # Am 26. Juli geht die Sonne, begleitet von einem Lichter- und Laternenumzug, unter # Mond und Sterne scheinen auch Tagsüber schwach # Soula, Talin & Skadi sind seit dem Vorabend des Laternenumzugs verschwunden # Die Crew befindet sich gesammelt auf der Sphinx, bereits in Aufbruchsstimmung # Es bilden sich insgesamt sechs Gruppen, um nach den Frauen zu suchen # Ceallaghs Arm ist wieder zusammengeflickt, aber noch nicht wieder vollständig einsatzbereit # Elian, Rayon, Greo & Kieran sind nicht anspielbar.
Ein Hauch von Widererwachen ...
Während sich der Großteil der Crew beriet, was sie tun könnten, um die drei verschwundenen Mitglieder wieder zu finden, kehrte nach vier Tagen bei Talin und Soula wieder Leben ein. Die letzten Tage waren wie im Rausch an den beiden Frauen vorbei gezogen, die sich nur in Bruchstücken an das erinnerten, was um sie herum geschehen war. Sie wurden von fremden Männern aus der Stadt heraus getragen. Durch eines der großen Tore hindurch, während zahllose Geräusche auf sie einprasselten. Hufe, die sich über Stein und Sand bewegten. Kampfgeräusche, die durch die dunkle Nacht halten. Ein Lied, gesummt und leise, das jeden Tag zu später Stunde an ihren Betten erklang. Neugierige Augen, die ihnen folgten. Darunter ein blonder Haarschopf, der immer wieder in ihr Blickfeld huschte und dessen Narbe an der Schläfe unverkennbar war. Der Geruch von Stroh, Urin und Kräutern, der ihnen in der Nase brannte, bis sie erneut bewusstlos wurden.
Das Zimmer in dem sie letztlich lagen, sollte für die nächsten Tage ihr Gefängnis sein. Talin, die nicht gewillt war, sich diesem Schicksal zu ergeben, versuchte zu entfliehen. Doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie schaffte es nicht einmal zur großen Treppe, ehe sie zusammenbrach und zurück ins Zimmer getragen wurde. Von einer Schar Frauen, die beruhigend auf sie einredete. Ihr anordnete sich auszuruhen. Sie sei noch zu geschwächt um allein zu gehen.
Von diesem Tumult geweckt versuchte Soula sich aufzurichten, sich zu bewegen. Aber alles, was ihr Körper zu Stande brachte, war es, den freien Arm zu heben. Und nicht einmal das für lang. Kaum dass sie mit den Fingerspitzen den Stuhl neben sich erreichte, verlor ihr Körper jegliche Kraft und schickte samt ihrem Bewusstsein auch das in Leder gebunden Buch gen Boden, dessen schirmendes Lesezeichen klimpernd in den dunklen Schatten des Bettes verschwand.
Fast jede Nacht werden die Piratinnen von fieberhaften Albträumen geplagt. Von Erinnerungen, Vorsehung und Hirngespinsten. In Soulas Träumen begegnet sie immer wieder Alex Gesicht. Durchlebt die vergangenen Ereignisse, die sie seit der letzten Insel nicht mehr loslassen. Erwacht schweißgebadet und vollkommen panisch. Orientierungslos. Und wird immer wieder von einer sanften Stimme und zarten Händen zurück in den Schlaf gelullt.
Talin hingegen steht jede Nacht auf einem zum Erbrechen gefüllten Marktplatz. Spürt das Klingeln in ihren Ohren, sobald die Schaulustigen zu grölen beginnen und muss tatenlos dabei zusehen, wie Luciens Kopf von der Guillotine in ein Weidenkörbchen rollt. Bis sich alles verdunkelt und sich Skadis Miene in der Finsternis des Ganges abzeichnet, in dem sie stehen. Blutverschmiert. Mit besorgniserregender Panik in den Augen. Bis ihr Gesicht plötzlich vom hellen Gewand eines Fremden verdeckt wird und eine Shanaya das einzige ist, das in ihrem Traum widerhallt. Blutend an eine Wand gelehnt und vor Verzweiflung lachend und weinend.
In der Nacht zum dritten Tag in Gefangenschaft erwachte Soula erneut aus einem ihrer Albträume. Nicht wissend, ob sie noch träumte oder vollständig erwacht war. Glaubte, eine Stimme zu hören, die ihr wirr und völlig zusammenhanglos Worte zuflüsterte.
„...In Acht nehmen... Nicht wie es scheint.... Freundin... Dunkelheit... Hilfe...“
War diese Hand unter ihrer Matratze wirklich real? Ebenso die leuchtenden Augen, die sich augenblicklich zur Seite wandten, kaum dass ein Geräusch vom Flur zu ihnen hinüber schwabte? Einen Wimpernschlag später und die Gestalt war bereits verschwunden. So schnell wie sie gekommen war.
Am nächsten Morgen erwachten die beiden aus ihren Träumen. Waren ansprechbar doch ihre Körper noch zu geschwächt um ihnen zu gehorchen. Ihre Kräfte reichten nur für wenige Schritte, bevor ihre Beine nachgaben. Eine Frau, die immer wieder nach beiden Piratinnen sah, unterhielt sich mit ihnen. Berichtete von der Heldentat ihrer Leute, die die beiden aus den Fängen einer Räuberbande befreit hatte, inmitten der dunklen Wälder. Die Frage nach Skadi wurde mit einem betroffenen Kopfschütteln beantwortet. Sie sei nicht bei ihnen gewesen, als sie hierher gebracht worden waren. Der Verbleib der jungen Jägerin ist bis jetzt unbekannt.
Heute, an Tag vier scheint der Nebel sich etwas zu lichten. Zwar kehren die Erinnerungen noch nicht vollständig zurück, was den beiden Frauen jedoch bleibt sind deutliche Kopfschmerzen. Aber immerhin scheinen ihre Beine wieder ihr Gewicht zu tragen. Sie können sich also endlich aus ihren Schlafstätten erheben und sich bewegen.
29. Juli 1822 20 °C, wolkig Vormittags 87 % Luftfeuchtigkeit, 21 °C Wassertemperatur
Shortfacts # Soula, Talin & Skadi sind am 25. Juli verschwunden # Soula & Talin wachen gemeinsam in einem Raum am 29. Juli wieder auf # Skadi Verbleib ist unbekannt # Soula & Talin haben keine Wunden fühlen sich aber schwach auf den Beinen
Shanaya stupste mit der Fußspitze gegen einen der Holzpfeiler, die am Hafen platziert waren. Zwei Mal, drei Mal. Sie hasste es, dieses Warten. Wieso hatten sie auch nicht sofort aufbrechen können? Sie brauchten die Anderen nicht dafür, die sich jetzt berieten, planten und sich wahrscheinlich im Kreis drehten. Zumindest der Großteil von ihnen. Dass sie selbst an dieser Besprechung teilnahm hatte von Anfang an keinen Sinn gemacht. Sie würde der versammelten Crew nicht alle Infos geben, die sie wusste, es reichte, wenn Liam, Lucien, Ceallagh und Táron Bescheid wussten. Eigentlich hätte sie also auch allein und sofort aufbrechen können… wäre da nicht Lucien gewesen. Ihr Plan war klar gewesen. Bláyron war in der Stadt, irgendwo. Er konnte ihr jederzeit auflauern. Das unschöne Kribbeln im Nacken, dass sie beobachtet wurde, verschwand nicht, wurde nur intensiver, je länger sie an einem Ort stand. Immer wieder glitt ihr Blick am Hafen entlang, achtete auf jede noch so verdächtige Bewegung. Auf Personen, die ihr näher kamen, aber meist einfach an ihr vorbei gingen, ohne Notiz von ihr zu nehmen. Dabei führt ihre Weg sie immer wieder den Kai entlang, hoch und runter, immer die Sphinx in Sichtweite. Zeitgefühl besaß die Schwarzhaarige in diesem Moment nicht, es fühlte sich an wie Stunden, die an ihr vorbei zogen.
Frustriert fuhr sich die junge Frau mit einer Hand durch die schwarzen Haare, ließ den Blick kurz zum Schiff schweifen. Es sah noch nicht nach Aufbruchstimmung aus. Zumindest nicht genug, wenn es nach ihr ging. Immer wieder haderte sie mit sich, ob sie einfach auf die Sphinx stürmen, Lucien packen und ihn mitziehen sollte. Captain blabla. Das ungute Gefühl in ihrer Magengegend wollte Shanaya zum Handeln zwingen, dazu, sich zu beeilen. Sie wusste, dass Lucien Recht hatte, da musste sie sich selbst nichts vorlügen. Es war eine dumme Idee, allein aufzubrechen, allein nach den dreien zu suchen. Aber… wenn ihr Bruder hier wirklich seine Finger im Spiel hatte, dann war sie es den drei Piratinnen Schuld, sie zu retten, bevor Bláyron auf irgendwelche Ideen kam. Wenn es dafür nicht schon zu spät war. Und… wenn sie allein ging, hatte der Blonde nicht noch ein Druckmittel. Er wusste, wie Lucien und Ceallagh aussahen. Er wusste, dass sie mit den beiden Männern in Verbindung stand – und wenn er genug gesehen hatte, wusste er auch um ihre Beziehung zu Lucien. Für ihn wäre es ihr also am liebsten gewesen, wenn er auf dem Schiff blieb. Oder sonst wo, wo er sicher, unerreichbar für ihren wahnsinnigen Bruder war. Damit sie ihm allein gegenübertreten konnte und niemand verletzt wurde, weil er an sie heran wollte. Sie war sein Ziel, alle anderen waren nur Beiwerk, um seinen Willen zu bekommen.
Mit einem ungeduldigen Schnaufen setzte Shanaya sich in Bewegung, schritt auf die Sphinx zu. Sie wollte nicht das Schiff betreten, aber irgendwie musste sie Zeit totschlagen. Damit sie endlich die Suche beginnen konnten. Für Soula, Talin und Skadi zählte vielleicht jede Minute. Nun fuhr die Schwarzhaarige sich mit beiden Händen über das Gesicht, ließ den blauen Blick dann noch einmal hinter sich schweifen. Niemand da. Also blieb ihr nur zu hoffen, dass sie sich da oben endlich ausgesprochen hatten. Dass sie endlich aufbrechen konnten.
Soula erwachte, langsam, immer noch sehr träge. Ihr Kopf pochte, als sie sich im Liegen umdrehte, während sie darüber nachdachte, was passiert war. Ihre Gedanken waren wie benebelt. Wie viele Tage vergangen waren, wusste sie nicht. Wo sie war, warum sie sich so fühlte, wie sie sich fühlte? Gar nichts wusste sie. Woran sie sich erinnerte? Der Abend in der Stadt, an dem sie mit Skadi und Talin losgezogen war, um Spaß zu haben, ein Mädelsabend eben. Er hätte so schön sein können, bis sie von gewissen Ereignissen gehört hatten. Beunruhigenden Ereignissen und dann war da noch Alex, der ihr in ihren Gedanken herumspukte. Die ganze Zeit herumgespukt war. Ewigkeiten. Nach einer halben Ewigkeit hatte sich dieser Zustand zumindest angefühlt. Es mussten doch mindestens mehrere Wochen vergangen sein. Wo war sie? Liam hatte ihr noch irgendwann erzählt, dass Alex so etwas nie tun würde. War es ein schlechtes Gewissen, was Soula spürte? Vielleicht. Sehr deutlich war es allerdings nicht, es wurde überspült von Zweifeln, Überforderung und anderen Sorgen, die sie im aktuellen Moment einholten. Die Stimme einer Frau, zusammenhanglose Worte, die Soula schlaftrunken und immer noch neben sich, nicht mal mehr zusammenbekam.
Ihr entfuhr ein Stöhnen, als sie sich aufrichtete. Ihr Blick ging durch den Raum, an den sie sich nur Bruchstückhaft erinnerte. Aufblitzende Bilder erschienen vor ihren Augen. Ebenfalls zusammenhanglos.
„Talin?“
Ihre eigene Stimme hörte sich seltsam fremd für Soula an. War Talin wach? Oder schlief sie noch? Egal, Soula brannte eine weitere Frage auf der Seele. Nicht nur eine Frage, es waren tausende. Wo waren ihre Sachen? Wie lange waren sie hier? Wer waren die Frauen, die sich irgendwie um sie kümmerten? Und wer war die eine gewesen? - Dunkelheit!
„Was haben sie uns gegeben? Warum leben wir noch?“
Was hatten sie mit ihnen gemacht? Und wo war Skadi?
Soula rieb sich über ihre Schläfen. Die Kopfschmerzen pochten je mehr sie sich bewegte. Leise blies sie Luft zwischen ihren Lippen hervor. Hoffentlich hatte Talin antworten für sie.
Es dauerte zu lange. Was hätte er dafür gegeben, das Verschwinden der drei Frauen mit einer ähnlichen Gelassenheit anzugehen wie manch andere der Crew. Liam unterstellte ihnen kein fehlendes Interesse. Im Gegensatz zu ihnen wusste er nur einfach mehr. Und wenn Skadi sagte, dass sie nach einer gewissen Anzahl Tagen zurückkehrte, kehrte sie zurück. Kostete es, was es wollte. Es sei denn, es war etwas passiert. Und dieses ungute Gefühl wollte nicht mehr von ihm ablassen, seit die angekündigte Zeit vorrüber war. Es konnte unzählige Gründe dafür geben, dass die Drei noch nicht zurück waren. Jeder Grund, je harmloser desto besser, wäre ihm Recht gewesen, doch ihn beschlich zunehmend das Gefühl, dass ein alter (Un-)Bekannter seine Finger im Spiel hatte. Was auch immer es für einen Grund für ihn gab, Talin, Soula oder Skadi aufzulauern - wenn sein Bauchgefühl recht hatte und er den Geschichten glauben schenken durfte, die er gehört hatte, zählte jede Sekunde.
Jede Sekunde konnte eine zu viel sein. Ihm war schlecht. Sie hatten erst Per verloren. Sie mussten sich beeilen.
Er war Tarón unheimlich dankbar gewesen, dass er die Situation ähnlich ernst genommen hatte wie er und bereit war, die Crew mit der Suche nach ihren drei Vermissten zu beauftragen. Mochte sein, dass Liam befangen war, doch ihm hätte das Wohlergehen der verschwundenen Crewmitglieder ebenso am Herzen gelegen, wenn Skadi nicht unter ihnen gewesen wäre. Man achtete auf sich, passte auf sich auf. Was wären sie sonst mehr gewesen als ein loser Haufen ohne Zusammenhalt? Liam hatte bemerkt, dass Shanaya das Innere der Sphinx verlassen hatte, hatte aber zu viel im Kopf, um sich darum zu kümmern. Er war schweigsamer als sonst, seit sie Per verloren hatten, noch schweigsamer, seit Skadi mit den anderen beiden aufgebrochen war, auch wenn es initial keinen Grund zur Sorge gegeben hatte. Inzwischen war er erfüllt von einer für ihn untypischen Unruhe, während er den Besprechungen im Rumpf der Sphinx folgte. Er wäre auch allein aufgebrochen, wissend, dass es dumm war. Aber sie hatten keine Zeit zu verlieren.
Nachdem sie sich also darauf geeinigt hatten, sich aufzuteilen, hatte er recht schnell seine Bereitschaft ausgedrückt, sich eines der Viertel näher anzusehen. Die Auswahl war dabei mehr beiläufig und ohne konkrete Gründe erfolgt. Hauptsache, er konnte aufbrechen und musste nicht mehr untätig auf das warten, was geschehen konnte. Lola und Ceallagh erklärten sich bereit, ihn zu begleiten und schließlich brachen sie als eine der ersten Gruppen auf, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Bewaffnet mit einer Gaslaterne - und allem, was er sonst typischer Weise mit sich führte - machte er sich also auf den Weg über den Gangway und hob die Lichtquelle kurz an, um zu erkennen, wer in den Schatten des Kais lauerte. Sein Blick fing den der Dunkelhaarigen auf und erwiderte ihn mit Ernst und Drängen im Gesicht, ehe er wortlos an der Seite seiner Begleiter gen Stadt aufbrach. Sie hatten bereits genug Zeit hier verbracht, um den Weg zu ihrem Ziel zu kennen. Liam Schritt war eigenartig zielstrebig.
{ Ceallagh & Lola (& kurz Shanaya) | auf dem Weg zum Gesundheitsviertel }
Mit einem leisen Seufzen beobachtete Tarón die Gruppen der Piraten, die sich in die Dunkelheit aufmachten, um nach den verschollenen Frauen zu suchen. Er war froh, die hastig organisierte Beratung vergleichsweise schnell und reibungslos abschließen zu können. Irgendwie war es ihm gelungen, Lucien sowie Shanaya und Liam lange genug aufzuhalten, um die Hilfe der gesamten Crew zu rekrutieren – das einzige, was seiner Meinung nach in dieser Situation Sinn machte. Oh, er zweifelte nicht an der Motivation derjenigen, die vom Verlust der Damen am meisten betroffen waren – doch angesichts der Umstände könnten sie jedes verfluchte Augenpaar gut gebrauchen.
Es war dunkel wie in einem verdammten Rattenloch, und die Stadt war damit noch unübersichtlicher, als sie es ohnehin schon gewesen wäre. Nicht alle Ressourcen zu nutzen, um Talin, Soula und Skadi zu finden, wäre schlichte Dummheit gewesen. Dennoch beobachtete er Luciens unruhiges Zappeln während der Besprechung, die Tarón veranlasst hatte. Er verstand es, genauso wie er Shannys Unruhe spürte und Liams besorgte Blicke sah. Vor allem nach den neuesten Nachrichten, die Shannys Bruder betrafen.
Tarón hatte daraus seine eigenen Schlüsse gezogen – doch diese deckten sich sicherlich mit den Gedanken, die auch die anderen Eingeweihten zu der Sache hatten. Es ging womöglich um jede Minute.
Ja, er verstand es. Und dennoch musste zumindest er einen kühlen Kopf bewahren und versuchen, diese Suche zu einem möglichst guten Ende zu führen. Und dazu war es unabdingbar, dass ihr verbleibender Kapitän an der Planung teilnahm und seine Führung behielt.
Die Besprechung hielt Tarón dennoch knapp und zielgerichtet – kein Palaver, keine Diskussionen. Dafür hatten sie womöglich keine Zeit. Zudem war er nicht sicher, ob Lucien sonst nicht einfach aufgesprungen wäre und gegangen wäre, was Tarón auf jeden Fall verhindern wollte. Wenn sie alle einfach davonstoben wie aufgescheuchte Hühner, würden sie wohl auch nur mit einem ähnlichen Erfolg rechnen dürfen wie ein Haufen Federvieh.
Fest stand von Anfang an, dass er selbst Alex im Auge behalten und dieser daher mit ihm gehen würde. Ihr Urteil über ihn hatten sie noch nicht gefällt, die Lage war alles andere als eindeutig oder klar. Sie hatten abwarten wollen, was Soula Talin während ihres Coups erzählte, Frauen unter sich, die wahrscheinlich anders miteinander umgingen und anders miteinander redeten, als Soula es mit ihm tun konnte.
Und Alex? Nun, der hatte seine Version der Geschichte erzählt. Liebestrank… was für ein Blödsinn. Doch Tarón mahnte sich, den Mann nicht vorschnell zu verurteilen – die Wahrheit über diese Angelegenheit würde vorerst warten müssen. Und wenn Alex dabei half, Soula gesund wiederzufinden, könnte er vielleicht jetzt schon ein klein wenig Wiedergutmachung leisten. In jedem Fall kreiste der Falke mit wachem Auge um ihn.
Als Dritte hatte sich ihnen Cassy angeschlossen, und auch wenn Tarón zunächst Einwände hegen wollte, nickte er ihr schließlich doch zu. Unter seinem Blick würde Alex in jedem Fall seine Finger bei sich behalten – oder diese gleich zusammen mit seinem Kopf verlieren.
„Kommst du mit ihm klar?“, fragte er und sein Blick glitt noch einmal zu Rayon, der Calwah, an seinem neuen Geschirr angeleint, auf der Schulter balancierte. Lächelnd nickte ihm der Smutje zu, und zumindest für den Augenblick schien Calwah mit dem Fisch, den er gerade herunterschlang, zufrieden gestellt. Sein ewiges Sorgenkind würde er heute nicht mit in die Finsternis schleppen, auch wenn ihm der Gedanke, ihn auf der Sphinx zurückzulassen, beunruhigte, wie es immer tat. Doch die vier, die auf dem Schiff zurückblieben, würden schon auf die Echse Acht geben. Seine Sorge musste jetzt anderem gelten.
„Na dann, lasst uns gehen“, raunte er den anderen beiden zu.
Und so stapften sie schließlich ebenfalls los, hinein in die nur von Feuerinseln durchbrochene Dunkelheit und in Richtung des Marktes, von dem Tarón sich neben der Amüsiermeile die meisten Informationen erhoffte.
Die Hurenhäuser und Tavernen nahm sich Luciens Truppe bereits vor, und Tarón begrüßte das. So sehr sich Luc auch sonst gerne von den kurzweiligen Freuden des Lebens ablenken ließ: Wenn es um Talin ging, würde er jeden Stein umdrehen, ehe er sie gefunden hatte. Und Luc wusste, wie man mit den Menschen in dieser Art Viertel sprechen musste. Wenn es dort etwas zu finden gab, würde er es finden, und wenn nicht er, dann Shanny.
Und seine Truppe würde das Gleiche am Marktplatz erledigen.
(Alex & Cassy (Rayon) | Sphinx, dann auf dem Weg zum Markt)
RE: Kapitel 10 - Feuerschein und Finsternis - Jón Nóason - 25.04.2024
Ja, ja. Alles Spiel und Spaß, bis es dann zu Brot und Spielen wurde. Und wenn jemand sowas behauptete, dann konnte man sich ja denken, auf welcher Seite von Brot und Spielen sich derjenige befand.*
*Wer hätte denn auch gedacht, dass vor seiner Verantwortung weglaufen und sich Piraten anschließen gut ausgehen würde. Ja, so eine Überraschung aber auch!
Das kleine Fangspiel mit Elijah war ja schon lustig gewesen -- fand Jón. Skadi hatte es nicht lustig gefunden und sie hatte es auch nicht lustig gefunden, das Jón es lustig gefunden hatte. Und sie hatten sich danach zwar ... normal gegen"ber einander verhalten, aber die Spannung, die deswegen zwischen ihnen verweilte, war nicht weniger geworden. Was Jón erst bewusst geworden war, als klar gewesen war, dass Skadi wahrscheinlich entführt wurde.
Jón hatte lang genug mit Geschäftsmännern -- und ein paar Geschäftsfrauen -- zu tun gehabt, dass er eine Lösegeldforderung erwartet hatte. Wer entführte denn ein paar ranzige Piraten--
Ihm fielen auf der Stelle ein paar sehr gute Gründe ein, warum jemand Frauen, die von Rechts wegen gesetzlos waren, entführen und dann kein Lösegeld fordern würde. Er dachte lieber nicht weiter darüber nach.
Und was, wenn Skadi weg war?*
*Dann würde für immer diese Sache an ihm hängen bleiben. In dem Moment hatte es sich einfach nur wie eine kurze, belanglose Auseinandersetzung angefühlt -- überhaupt nicht der Rede wert. Er würde sich nicht mal denken können, wie Rúnar sich damit fühlte, dass die letzten Worte, die er mit seinem Vater gewechselt hatte, die unschönsten waren, die er jemals von sich gegeben hatte.
Er wurde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit dem Brief zu tun hatte, den Skadi bekommen hatte. Es passte so schrecklich gut zusammen. Erst ein mysteriöser Brief von der Königin -- ja, sicher! -- dann dieses Ding auf der kleinen Insel, wo sie sich auch lieber nicht hätten einmischen sollen, und dann nutzt jemand zufällig die Gunst der verlängerten, nächtlichen Stunde und lässt drei ihrer Crewmitglieder verschwinden?*
*Sofern die Frauen sich nicht selbst hatten verschwinden lassen.
"Irgendwelche Ideen oder Theorien?", fragte er seine Begleiter. Was er eigentlich nicht musste, denn sie waren alle, sowohl gedanklich als auch zusammen als Crew, schon alle Möglichkeiten durchgegangen -- aber manchmal kam doch etwas auf, wo sich die Perspektive nochmal ein klein bisschen verschob und plötzlich den Zugriff auf etwas ermöglichte, das man bis dahin immer übergangen war.
{ auf dem Weg zu den Grünanlagen | mit Josiah und Trevor }
Alles was jetzt kam, konnte nichts Gutes bedeuten -- dass Per nicht mehr zu helfen gewesen war saß ihm noch immer sehr tief in den Knochen. (Wo sich bekanntlich alles, das er nicht für schön oder angenehm befand, sofort einnistete.) Jemand, den er nicht einfach nur flüchtig kannte. Die ganze Zeit, seit er da gewesen war, waren sie alle immer knapp mit dem Leben davon gekommen. Jetzt war es ernst.
Und es war noch ernster geworden, als Tarón ihnen erzählt hatte, was genau der Anlass der Zusammenkunft gewesen war. Skadi. Talin. Soula. Rúnars Gedanken hatten sich übergangslos in Gefilde begeben--
Auf dem Hof seiner Familie war es üblich, dass man ein Hufeisen eines verstorbenen Pferdes an die Stallwand hing. Ihm lag nichts daran, Skadis oder Soulas oder Talins Schuh unter Deck an die Wand zu nageln.
Der Gedanke war so absurd gewesen, dass er ihn fast zum Lachen gebracht hatte.
Als er den Gedanken wieder losgeworden war, hatte er einen Teil dessen verpasst, was Tarón noch gesagt hatte. Stattdessen hatte Dahlamon Tali ihn ungewöhnlich lange fixiert -- mehr oder weniger -- für ihre Verhältnisse -- was dafür gesorgt hatte, dass er sich die Handfläche noch stärker gegen die Brust drückte, weil er sonst hatte befürchten müssen, dass der Druck, den er darunter verspürte, seine Rippen auseinanderbrechen und sich seinen Weg nach draußen ätzen würde.
Wie sollte er das alles nur weiter aushalten? Jedes Mal, wenn es wieder ruhig zu werden schien und er sich mit dem Gedanken anfreunden konnte, dass er sein Leben für immer so weiterführen könnte, dass er Svavar weiter auf den Fersen sein könnte, kam etwas, dass alles verdarb. Aber die Ironie an der ganzen Sache war ja, dass ihn daheim auch nichts erwartete. Oder sonst wo. Er konnte nicht einfach umdrehen oder gar stehen bleiben.
Eigentlich hatte er sein Schicksal also akzeptiert. Und wenn er sich das nicht ins Gedächtnis rief, dann würde irgendwann der Teil von ihm gewinnen, der ihm ständig seinen warmen Geisteratem in den Nacken bließ und ihm zuflüsterte, dass er feige und schwach war. Was nicht stimmte. Svavar war nicht hinter ihm, er war derjenige, der hinter Svavar war. Er würde ihm irgendwann im Nacken sitzen, nicht andersrum. Und die einzige Stimme, deren nerviges Flüstern er akzeptierte, war die des Sittichs, der auf seiner Schulter saß.
Was ihn zunächst beunruhigt hatte -- nämlich dass Tarón ihn allein mit Tali losschickte -- stellte sich doch als ganz in Ordnung dar, als er mit der Frau nur einen Schritt hinter sich das Schiff verließ. (War ja doch immer alles nur halb so schlimm, wie es einem immer zuerst vorkam.) Er fing beim Gehen Shanayas Blick ein, nickte ihr kurz zu. Was für sie sicherlich unangenehm war, beruhigte Rúnar noch mehr: Er war nicht der einzige, den die Sache so sehr aufwühlte. Sowieso nicht, das war ihm bewusst. Aber er fühlte sich nicht ganz so allein damit, dass man ihm ansah, was in ihm vorging.
Alles also halb so schlimm, dachte er sich, als er mit Tali, einer Laterne, mit Harald auf seiner Schulter und seiner Harpune auf dem Rücken in die Nacht hineinging. Er hatte kein Problem damit, sein Schicksal akzeptieren. Aber er musste nicht tolerieren, dass es ihm ständig vor die Füße kackte, wenn er gerade erst die Mistgabel weggepackt hatte.
{ auf dem Weg zum Handwerksviertel | mit Dahlamon Tali und Harald (Haustier) }
Seit sie aufgebrochen waren, hatte die junge Apothekerin ihre Entscheidung nicht bereut. Sie hatte alles was sie besaß in einen Sack gestopft und vielleicht auch das ein oder andere mehr aus der Apotheke der alten Hexe und hatte mit der Sphinx Ostya verlassen. Die ersten Tage auf See waren schwer für sie. Alles bewegte sich immer und schwankte und wankte. Nach der Hälfte der ersten Reise ging es ihr dann nach und nach besser. Sie gewöhnte sich an alles und fand ihren Rhythmus.
Als die Sphinx in Masita angelegt hatte, war auch noch alles in Ordnung. Die große Dunkelheit machte alles mystischer und geheimnisvoller. Als ein Teil der Crew aufgebrochen war und nicht zurückgekommen war, fing dann aber ein ungutes Gefühl an, sich in ihr breit zu machen. Irgendwie schien es die anderen auch zu packen, die einen mehr die anderen weniger. Immer wieder, wenn sie den anderen ins Gesicht sah, sah sie die Sorge und dies übertrug sich auch auf sie. Das Gefühl von Verlust machte sich in ihr breit und es war ein Gefühl mit dem sie nicht umgehen konnte. Es ließ Lola still werden, ihre Entscheidung anzweifeln. Immer wieder spielte sie mit dem Gedanken einfach zu gehen, weil sie es nicht mehr aushielt. Doch wohin sollte sie gehen?
Dann kam endlich "Schwung" in die Sache, endlich passierte was. Auch wenn die Diskussionen an ihr einfach nur vorbeizogen und sie ihnen nicht richtig folgte, war es ein erleichterndes Gefühl das man sich der Sache annahm. Dies machte es für Lola erträglicher, sie verstand noch nicht ganz warum, doch sie spürte, dass der Versuch etwas zu unternehmen das Gefühl der Hilflosigkeit verdrängte. Getrieben von diesem Gefühl hob sie die Hand, als Liam fragte wer mit ihm kommen würde. Kurz zögerte sie, doch als Ceall ebenfalls die Hand hob ließ sie ihre oben und nickte nochmal bestätigend. Als Liam loswollte, drückte sie sich schnell von ihrem Sitzplatz hoch und lief zu ihrem Schlafplatz. Dort schnappte sich ihre Tasche und Schuhe, in der Tasche klapperten ein paar Tonfläschchen. Hüpfend und halb stürzend zog sie im raus eilen ihre Schuhe an.
An Deck des Schiffes sah sie sich kurz um und sah Liam auf den Kai runter gehen. Vor ihm stand Shanaya, die Navigatorin war für sie immer noch ein unbekanntes Rätsel, sie duldete die etwas verrückte Apothekerin, was schon mal mehr war als komplette Abweisung und Erniedrigung. Die ersten Schritte über die Gangway zum Kai waren etwas zögerlich. Liam ging, nach einem kurzen Blickwechsel mit der Navigatorin, bereits weiter. Sie selbst musste wohl an ihr vorbei um mit den beiden Männern in die Stadt zu können. In einen etwas betrübter Blick, wegen der allgemeinen Situation, mischte sich Unsicherheit, viel hatte sie mit Shanaya noch nicht zu tun gehabt und irgendwie machte die Frau ihr Angst? Auf jeden Fall hatte Lola Respekt vor der Frau. Die Apothekerin hatte keine Ahnung was und wieso vielleicht so war wie es war, sie war neu in der Crew und versuchte sich in nichts ein zu mischen, was sie nichts anging. Ihr Ziel war es gerade zu helfen die Vermissten zu finden, damit die Stimmung auf dem Schiff wieder besser wurde und nicht mehr so gedrückt war. Um Liam zu folgen musste sie aber an ihr vorbei, lieber schneller als zu langsam. Recht zügig wollte Lola an der braunhaarigen vorbei, kurz blieb ihr Blick an den blauen Augen hängen, ihr Kopf fabrizierte sowas wie ein nicken, ehe sie zu Liam aufschloss.
"Bin da." Lola schnaufte einmal durch und musste halb am laufen bleiben um mit den zügigen und zielstrebigen Schritten des Mannes mithalten zu können. Ab und zu klapperten die kleinen Tonfläschchen in ihrer Tasche.
|Ceallagh & Liam | auf dem Weg zum Gesundheitsviertel |
RE: Kapitel 10 - Feuerschein und Finsternis - Zairym al Said - 30.04.2024
Er hasste diese Tage. Das war ein Fakt mit dem er leben musste und den er all die Jahre seines bisherigen Lebens ignorieren … ach, wem wollte er hier etwas vormachen? Er hasste diese Tage der Dunkelheit einfach und Ende. Es konnten noch so viele Frauen aus der Crew verschwunden sein und alle konnten noch so viel Drama darum machen, er wollte dieses Schiff noch die nächsten zwei bis drei Tage nicht verlassen. Doch stattdessen waren alle furchtbar besorgt und entschieden sich, die Stadt nach den drei Frauen zu erkunden. Und er?`Getreues Mitglied der Mannschaft, das er war, würde er dabei natürlich helfen und vollkommen unnütz sein. Was sollte er dabei auch groß helfen können?
Rym biss für einen Moment die Kiefer fest aufeinander, klammerte sich an der Reling fest und lauschte, wie nach und nach die Menschen das Schiff verließen, um sich auf die Suche zu begeben. Er wollte nicht, wollte wirklich nicht. Doch ein kleiner Teil von ihm, und das würde er niemals jemanden erzählen, mochte den Commodore wirklich. Er war ein guter Trinkkumpane, ganz klar, aber er war Zairym ähnlich und das zog den Scharfschützen auch zu ihm hin. Er war ein Schauspieler. Niemals wirklich die gleiche Person, immer angepasst, je nachdem, mit wem er sprach. Und das mochte er. Dadurch konnte man vieles oberflächlich halten. Zumindest so lange, bis Risse in der Fassade entstanden und man feststellte, dass man die andere Person vielleicht doch ein bisschen mehr mochte, als nur als Saufkumpel. Und nachdem Lucien so angespannt, so fast völlig von der Rolle zu sein schien, weil seine Schwester verschwunden war. Tja, da konnte Rym ihn auch nicht alleine lassen. Also musste er ihm wohl irgendwie helfen, auch wenn er absolut nicht wusste wie. Und das – mit großen Ausrufezeichen – war ein zusätzlicher Grund für seine schlechte Laune. Es war dunkel und er musste sich mehr als fünf Meter weit von seinem jetztigen Punkt wegbewegen.
Schicksalsergebend seufzte er, behielt die Hand auf der Reling und tastete sich mit bedächtigen Schritten der Rampe entgegen. Er wollte dieses Holzbrett nicht runter gehen, aber er hatte keine andere Wahl. Hier auf dem Schiff konnte er in der nähe des kleinen, flackernden Punktes den Captain nicht ausmachen, also würde er am Kai auf ihn warten müssen. In der Hoffnung, dass er seinen Weggang nicht verpasst hatte.
Er stieß auf eine Lücke in der Reling und seufzte gleich noch einmal. Nun gut. Das schlimmste was passieren konnte war, dass er ins Wasser fiel, oder nicht? Keine große Sache. Der dunkelhaarige nahm seine Brille aus der Brusttasche und setzte sie sich auf, auch wenn sie nur minimal dabei half, sich zurecht zu finden. Nochmals zögerte er kurz, trat dann aber mit festen Schritt voran und traf immerhin auch das Brett, bevor er es auch einigermaßen sicher – wenn auch wackelig – nach unten schaffte.
Schemen in der Dunkelheit deuteten darauf hin, dass andere sich schon in Gruppen zusammen gefunden hatten und sich auf den Weg machten. Aber ein einzelner, einsamer, kleiner Umriss stand immer noch am Kai. Er hatte verschiedene Möglichkeiten, um wen es sich dabei handelte, aber zur Crew musste sie gehören, sonst hätte schon jemand etwas gesagt. Genau das war der Grund, warum er sich einfach keine Namen merken wollte. Er räusperte sich kurz.
„Wartest du darauf, dass die drei aus dem Boden schießen und auf einmal freudestrahlend wieder an Board sind? Oder warum stehst du hier noch herum?“
Er hoffte inständig, dass er mit seiner Vermutung recht hatte, dass das hier die kleine Königin war.
[erst auf dem Schiff, dann am Kai | bei Shanaya]
Kapitel 10 - Feuerschein und Finsternis - Dahlamon Tali - 01.05.2024
Mit langsamen Schritten trottete sie der Laterne hinterher, die hypnotisch vor ihr hin und her pendelte, wenn der junge Mann vor ihr einen Schritt nach dem anderen setzte.
Das war alles wahnwitzig – wie sollte man nach verschwundenen Crewmitgliedern suchen, wenn man nicht einen einzigen Anhaltspunkt hatte? Mit ihrer alten Crew wäre so etwas nie passiert. Vermutlich hätte Pierce sich einen Bewohner nach dem anderen geschnappt und ihnen die Augen aus den Höhlen gerissen, bis er vernünftige Informationen erhalten hätte. Danach hätten sie die gesamte beschissene Insel bombardiert und in Brand gesteckt, bis man ihnen die Crewmitglieder überlassen oder sie tot waren.
Niemand war Lösegeld wert gewesen, und jeder war ersetzbar. Sei nie erpressbar. Aber es nutzte nichts, an die Vergangenheit zu denken. Auch wenn ein Grinsen ihr Gesicht zierte, als sie darüber nachdachte, wie sie jemandem mal das Ohr abgekaut hatte. Stück für Stück. Immer einen kleinen Bissen.
Der Typ hatte geschrien und geflennt, sie solle ihm doch eine Frage stellen.
Es ging nie um Antworten.
Und dieser Geschmack – süß, metallisch, Ambrosia.
Aber diese Crew, zugegeben, sie waren nicht besonders viele. Wahrscheinlich wagten sie deswegen keinen Angriff; stattdessen musste sie ein bescheuertes Viertel durchsuchen, in dem sowieso niemand arbeitete. Alle waren in den Tavernen oder in den Bordellen unterwegs. "Diese versteht nicht, waruum äs hier kein Bordäll giebt. Ist daahs nicht ein Haandwerk? Ist äs nicht? Diese wääre lieber im baim Haffään. Schlabbarn. Mainst du die anderän Schlabbarn?"
Es handelte sich um eine Art der Langeweile, weshalb sie begann, auf den zartgebauten Prinzen einzureden. "Wän diese verschwände dann in ein Bordäll. Oder sie siend vielleicht in einem Fahß. Eingelägtä Sohla. Diese würt äß trinkän."
Bei ihren Worten verschränkte sie die Hände hinter dem Kopf und ihr Blick richtete sich gen Himmel, doch konnte sie keinen Stern erblicken. Vielleicht war es ja gerade eigentlich Tag, und es war nur dunkel. Tagsüber konnte man nie Sterne sehen. Mag sein, dass sie ein wenig kalt wirkte, was das Verschwinden der anderen anging. Aber bisher hatte sie auch noch keine Bindung zu diesen aufgebaut. Trotz allem würde sie natürlich ihr Bestes tun, um diese zu finden, immerhin handelte sie auf Befehl des Kapitäns.