Inselwelten

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We're all made of stars


You can be anything you wanna be
You can go anywhere you wanna see
A little hard work and you can do it
Faith will get you through it
So many possibilities

You gotta believe, see it, and you can be it
The answers are all inside yourself
The universe has loads of space
And the gift that it gave to the whole human race is that
We're all made of stars, we're all made of dreams
No matter who you are, you can do what you want
Go where you like, be who you wanna be


29. März 1820, Nachmittag
Talin Dravean & Elian Montrose



Elian war unter Deck bei einem seiner Patienten gewesen, während das schnittige Marineschiff in den Hafen von Kitar einlief. Erst als der Rummel oben abnahm und er seinen Pflichten ausreichend nachgekommen war, begab er sich nach oben, um bei dem wachhabenden Offizier die Erlaubnis für einen Landgang einzuholen. Diese war schnell erteilt, und so machte sich der junge Militärarzt alleine auf in die kleine Stadt, in die ihm seine Offiziers-Kameraden zum Großteil bereits voraus gegangen waren. Es machte ihm nichts aus, zurückgelassen worden zu sein; tatsächlich war er ganz froh, die Gesichter, die er tagaus, tagein um sich hatte, für eine kurze Weile nicht sehen zu müssen.

Sein erster Weg führte ihn zur Poststation, wo er das Bündel Briefe, die sich seit dem letzten Landgang angesammelt hatten, aufgab. Die meisten gingen diesmal an seine Geschwister in Raízun. Alle Schreiben an Rhys würde er diesem in nur wenigen Wochen persönlich geben, ja, sogar vorlesen können. Himmel, er konnte es kaum erwarten, den Freund wiederzusehen! Jedes Mal, wenn Elian daran dachte, spürte er, wie sich sein ganzes Gesicht zu einem breiten Grinsen verformte und in seinem Magen ein ganzer Haufen Schmetterlinge tobten. Wenn es irgendwie ginge, würde er darum bitten, auf Rhys' Schiff versetzt zu werden. Oder Rhys auf sein Schiff versetzen zu lassen. Sie hatten auf der letzten Reise während eines kleinen Gefechts gegen Piraten einen der Offiziere verloren, es wäre nur sinnvoll, sich bald um Ersatz zu bemühen.

Nachdem er die Briefe abgegeben hatte, stand Elian kurz unschlüssig auf der Straße. So ganz wusste er nicht, wohin. Einerseits wäre ein guter Trunk jetzt nicht zu verachten, andererseits graute es ihn, sich in das stickige Gedränge einer Hafenschenke zu begeben, am Ende noch Offizierskameraden zu treffen und sich mit denselben langweiligen Gesprächsthemen herumschlagen zu müssen, die sie bei den Landgängen immer hatten. Oder gar zu riskieren, dass sie ihn wieder in ein Bordell mitschleiften und er dann sein hart erarbeitetes Geld darauf verschwenden musste, mit einer Hure untätig in ihrer Kammer zu sitzen, lange genug, bis niemand sein Fortgehen bemerken oder sich wundern könnte, warum er so schnell fertig war. Es war nicht mal, dass ihn Frauen nicht interessierten... Frauen für Geld interessierten ihn nicht. Na gut, und andere Frauen kannte er nur bedingt. Bisher war das "schöne Geschlecht" Elian jedenfalls durch die Bank eher langweilig vorgekommen, abgesehen von seiner Schwester hatte keine ihn über mehrere Treffen hinweg in einem Gespräch fesseln können. Gut, das war kein reines Frauen-Problem, es ging ihm mit den meisten Menschen so. Irgendwann hörten sie auf ihn zu überraschen, und auch wenn er sie immer noch mochte und ab und an sehr gern Zeit mit ihnen verbrachte, brauchte er immer mal wieder eine klare Pause von seinen Freunden, die seinen Hang zur Reflektion über Götter und die Welt nicht so ganz teilten.

Im Vergleich dazu waren Rhys und Elian über Jahre nicht die Themen ausgegangen. Womit klar sein dürfte, wieso er Freundschaft der Liebe bisher ganz klar vorzog und wieso er seinen Freund so schmerzlich vermisst hatte. Regelmäßige Briefe waren längst nicht genug, um einander alle Gedanken mitzuteilen!

Nach einer Weile merkte Elian, dass ihn ebendiese Gedanken davon abgehalten hatten, auf seine Schritte zu achten. Unverhofft fand er sich am Hafen wider, wohin er erstmal noch gar nicht gewollt hatte. Er blieb stehen, erwog, wieder zurück ins Stadtzentrum zu wandern, aber die Sonne schien gerade besonders herrlich auf ihn herunter, es ging ein leichter Wind vom Meer her und erfrischte ihn, und da es noch nicht allzu sehr gegen Abend ging und die meisten Fischer noch auf See waren, hatte er die Docks annähernd für sich selbst.

Er spazierte noch ein Stück von seinem Schiff weg, suchte sich ein schönes Plätzchen bei einem Stapel Fässer, an die er sich halb anlehnen konnte, und packte seine Geige aus. Bald plätscherten heitere Melodien von seinen Saiten. Wenn er bei der Marine eines aufgeschnappt hatte, dann einen großen Schatz von Shantys und Trinkliedern, die sich mit ein wenig Improvisation leicht in Jigs und Reels abändern ließen. Je länger er spielte, desto leichter wurde ihm ums Herz, und desto schwungvoller und fantastischer wurden die Lieder, die ihm einfielen.
Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie so viele Menschen gesehen, wie in dem Moment, als sie von Bord des Schiffes gegangen war, welches sie in die Freiheit gefahren hatte. Nun saß sie, ein paar Tage nach ihrer Ankunft, an eine Hauswand gelehnt da, mit angezogenen Beinen starrte sie vor sich hin hinaus auf das Wasser im Hafen, während die Menschen unbeachtet an ihr vorbei zogen. Ihr Magen knurrte laut und sie zog die Beine noch ein wenig enger, damit sie die Leere in ihrem Magen vertreiben konnte.

Es war nicht so, dass Talin keinen Platz gehabt hätte, zu dem sie gehen konnte. Erst vor ein paar Stunden, war eine etwas beleibte, gut gekleidete Frau am Hafen entlang spaziert auf dem Weg zum Markt. Mit der festen Überzeugung gut genug zu sein, hatte die Blonde die Börse der Dunkelhäutigen entwenden wollen . Doch gerade als sie hatte zugreifen wollen, wandte die andere sich blitzschnell um und ergriff ihr Handgelenk. Bei der plötzlichen Berührung, war das Mädchen panisch zusammen gezuckt. Ihr entwich ein leises Wimmern und sie wollte sich aus dem eisernen Griff befreien, der sie schmerzhaft umfasst hielt. „Ach, du Schreck. Alles in Ordnung mit dir, juje?“ Verwirrt schaute sie hoch in das Gesicht ihres eigentlichen Opfers. Die Frau wiederum hatte sie besorgt angesehen, als würden sie sich schon ewig kennen. Kurz darauf hatte sie Talin auch schon losgelassen und bei den Schultern gepackt. In dem Moment war der Blonden ein eisiger Schauer über den Rücken gelaufen, aus Angst, dass die Marine sie gleich fangen und wegsperren würde und sie wehrte sich heftig. Doch die Frau blieb ruhig, packte sie am Kinn und musterte ihr Gesicht, bevor sie missbilligend mit der Zunge schnalzte. Das Mädchen konnte sich denken, was die andere sah. Ein abgemergeltes Gesicht mit langsam verblassenden Flecken und ein Mädchen in ihr viel zu großen Sachen. Doch statt etwas zu ihrer Aufmachung zu sagen, lächelte die ältere nur nett. Sie lächelte, verdammt noch mal? Talin hatte sie ausrauben wollen, um sich essen zu kaufen und jetzt lächelte die Frau sie an? Da war doch irgendwas nicht ganz in Ordnung. „Wenn du keinen Ort hast, an den du gehen kannst, komm zum Hafen. Das Haus mit der leuchtend roten Tür. Dort findest du Hilfe, juje.
Talin stand noch ganz erstarrt da, als die Hände von ihren Schultern verschwand. Kurz darauf hatte sie die Beine in die Hand genommen und war schnellstmöglich verschwunden, bevor die komische Frau doch noch Wachen rufen konnte.

Aus reiner Neugierde war sie zu dem Haus mit der roten Tür gegangen und hatte das Treiben dort beobachtete. Und wie sich herausstellte, handelte es sich um ein verdammtes Hurenhaus! Nie und nimmer würde sie da hinein gehen! Niemals, egal wie dreckig es ihr ging.
Mit einem Schnauben hatte sie sich wieder abgewandt und hatte die restliche Zeit in der Nähe der Docks verbracht, um nachdenklich aufs Meer hinaus zu starren. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, suchten Möglichkeiten, wie sie weiter vorgehen sollte, aber ihr Hunger lenkte sie ab. Es war schon lustig, wie ihr Magen immer wieder nach Essen schrie, aber am Ende rebellierte und sie alles wieder ausbrach.
Angewidert von sich selbst, lehnte Talin den Kopf an die Hauswand und schloss die Augen. Sie konnte auch einfach hier sitzen bleiben und warten, bis alles vorbei war...In dem Moment trug der leichte Wind eine Melodie zu ihr herüber. Erinnerungen an vergangene Feste auf Kelekuna kamen ihr in den Sinn: prasselndes Feuer, ein wildes Herumwirbeln zum Takt der Musik. Ohne es wirklich mitbekommen zu haben, stand sie schon und bewegte sich langsam auf das Geräusch zu. Je näher sie kam, desto fröhlicher und ausgelassener wurde die Musik, als würden sich die Sorgen des Geigenspielers mit jedem Streichen seines Bogens über die Saiten auflösen.
Schließlich blieb das Mädchen in geringem Abstand zu dem jungen Musiker stehen. Völlig gebannt beobachtete sie ihn, wie er dort vor ihr stand und spielte und leichtes Lächeln zuckte in ihren Mundwinkeln. Nach nur ein paar Sekunden hob sie die Hände und fiel mit ihrem Klatschen wie von selbst in seinen Takt ein.
Elian spielte und spielte, spielte sich alle Gefühle von der Seele. Er musizierte mitunter auch an Bord seines Schiffes, aber es war schwer für ihn, im Beisein von Matrosen, Offizierskollegen und Vorgesetzten alle Steifheit zu vergessen und sich ganz seiner Musik hinzugeben. Hier jedoch fühlte er sich unbeobachtet, der Moment gehörte nur ihm, seinen Tagträumen und seiner Violine.

Er stellte sich vor, wie er Rhys wiedersehen würde. Viele der Gesichter von Raízun waren über die Jahre in seiner Erinnerung verblasst, doch ganz gleich wie oft er von seinem besten Freund getrennt wurde, ganz gleich wie viel Zeit verstrich... diese Züge blieben bei ihm. In seinem Geist zeichnete er die wilden Locken, das unbeschwerte Lächeln, diese Augen, die viel zu alt für das restliche Gesicht waren und deren Blick in ihm einen wahren Glückssturm auslöste, wann immer sie ihm lächelnd entgegen leuchteten. Er erinnerte sich an den letzten Abend, den sie zusammen verbracht hatten, an die Taverne, in der sie mit einigen Freunden gesessen hatten. An die Gespräche, aber vor allem an die Musik. Einige der Offiziere hatten getanzt, und irgendwann hatten Rhys und er sich zur Musikantentruppe gesellt und mit ihnen bis ins Morgengrauen aufgespielt. Eine Melodie jagte die nächste, Paare wirbelten durch den Saal, und Rhys und er geigten um die Wette bis sie sich in den immer hektischer werdenden Läufen schier die Finger verknoteten und lachend abbrechen mussten.

Der Bogen glitt über die Saiten, die Finger seiner linken Hand griffen schneller und immer schneller, flogen nur so über das Griffbrett und verharrten dann wieder für ein gefühlvolles, aber schnelles Vibrato, wie das Schlagen eines Vögelchens, ehe er aus seiner Improvisation heraus zurück in den Refrain des Stückes fand.

Elian spielte, die Augen geschlossen, selbstvergessen vor sich hin. Was um ihn her geschah, nahm er nicht mehr wahr - bis ein Klatschen ihn unweigerlich in die Realität zurück holte. Für einen Moment, eine winzige Pause nur, stockte das Lied, dann griff er es weiter auf und lächelte für das Mädchen, das sich ihm genähert hatte. Sie klatschte und er spielte. Er kam an das Ende des schwungvollen Stücks, aber seine Zuhörerin wirkte nicht so, als würde sie allzu schnell davon laufen. Also leitete er in ein neues Stück über, das sie vermutlich kennen würde, ein Lied, wie es die Fischer beim Netze flicken manchmal sangen. Es war langsamer, beinahe ein wenig traurig, erinnerte ihn ein wenig an seine Schwester auf Raízun, oder vielmehr daran, dass er keine Ahnung hatte, wie sie heute wohl aussah oder ob sie glücklich war. Die fremde Goldhaarige schien ein ähnliches Alter zu haben. Ob Carlis Haare wohl auch so schimmerten, wie greifbar gemachtes Sonnenlicht?

All my life I've sailed upon the ocean,
Every day I pray to reach a shore
Under skies as wide as the horizon,
I want more

All the time I've spent in aimless drifting
Every night as restless as the sea
Under stars that chart a journey homeward,
Not for me

And once more our ship is windward bound
With these feet that travel, never touching the ground,
I will stand in silence on the bow
No witness to my vow to find a way somehow
To...

... make my father proud. Die letzte Zeile des Liedes fiel ihm erst ein, als er die entsprechenden Töne spielte. Er ließ die letzten Takte ausklingen, und nahm den Bogen für einen Augenblick von den Saiten.

"Was als nächstes?" fragte er sein einziges Publikum, hauptsächlich um sich selbst von dem unerwünschten Gedanken an seinen Vater abzulenken. Der Tag war zu schön, um sich in finsteren Erinnerungen zu vergraben.
Sie wusste nicht wann, aber während sie seine Violine im Takt klatschend begleitete, hatte sie die Augen geschlossen. Für den Moment vergaß sie die Probleme, die sie quälten, die Erinnerungen, die sie heimsuchten. Die Musik wob ein sanftes, beruhigendes Netz um sie herum, hüllte sie in einen wärmenden Kokon. Wahrscheinlich hätte der junge Mann in diesem Moment die traurigste Melodie aller Welten spielen können, trotz allem hätte Talin sich glücklich gefühlt. Sie wünschte, sie könnte so wie früher wirklich mit einstimmen. Singen, tanzen und lachen, dass wollte sie, kam aber gegen die Schatten, die sie heimsuchten, nicht an.
Der Rhythmus ihrer Hände veränderte sich, passte nicht mehr ganz zu der Melodie, die die Violine vorgab. Nur kurze Zeit später, hörte sie auch schon vollkommen auf und starrte einfach nur vor sich hin, das leichte Lächeln wieder von ihrem Gesicht gewischt, während ihr Blick immer finsterer wurde. Auch die Musik hörte auf zu spielen, was Talin im ersten Moment gar nicht mitbekam. Als der junge Mann schließlich sprach, zuckte das Mädchen heftig zusammen. Wie aus einer Trance gerissen, sah sie ihn an, bevor sie den Kopf hektisch drehte, um zu sehen, mit wem er sprechen mochte. Aber es blieb niemand stehen, fühlte sich niemand angesprochen. Niemand beachtete ihn – außer ihr.
Vollkommen überrascht, schaute sie wieder zu ihm, trat einen kleinen Schritt zurück, bereit gleich wegzulaufen. Der Gedanke aber, von der Musik wieder in diese andere Welt gezogen zu werden, weg von diesen finsteren Gedanken, ließ sie zögern. Wahrscheinlich der Moment, der ihre Vorsicht gebraucht hätte, um sie zum Fliehen zu überreden. Statt also einen weiteren Schritt nach hinten zu machen, setzte sie einen Fuß nach vorn, trat näher zu dem jungen Mann und seiner Musik hin, wenn auch immer noch ein wenig skeptisch.

Ich...“, sie musste sich Räuspern, weil es schon eine ganze Weile her war, seit sie das letzte Mal gesprochen hatte. „Kennst du 'The parting glass'?

Wie von selbst kamen die Erinnerungen an vergangenen Frühlingsfest in ihr hoch. Unbeschwerte Zeiten, als die Männer der Insel kurz davor waren wieder aufzubrechen, um für ein halbes Jahr zu fischen. Heute wusste sie, dass sie wesentlich mehr als das getan hatten und deshalb vermutlich letztlich nie wieder gekommen sind. Das Lied aber war immer das Selbe gewesen. Ein Abschied, bis der Winter kam, ein fröhliches Auf Wiedersehen.
Für einen Moment spürte sie wieder die Wärme der Lagerfeuer, den heißen Alkohol, der ihre Kehle hinunter floss, das fröhliche Gelächter der Inselbewohner. Auch wenn sie diese Leute nicht gemocht hatte, so hatte sie die Stimmung immer geliebt.

Kannst du es spielen?

Fasst ein wenig erwartungsvoll sah sie ihn an.
Er musste die Fremde wohl aus ihren Gedanken aufgeschreckt haben, den sie zuckte erst zusammen und machte dann eine regelrechte Fluchtbewegung. Sie erinnerte ihn an eine Straßenkatze, scheu und in ständiger Erwartung von Steinwürfen, oder vielleicht an einen Schmetterling, der sich auf den Rand einer Blüte setzte, aber bereit war, beim kleinsten Windhauch wieder fort zu schweben.

Elian hob beschwichtigend die Hand mit seiner Geige, als wolle er ihr zeigen, dass er keine Waffen trug - auch wenn das klar sein müsste - und wartete auf ihre Antwort. Ihr gehetzter Blick in die Runde verstärkte den Eindruck eines Mädchens, das sich vor etwas fürchtete. Vielleicht vor ihm. Er war immerhin ein fremder Mann, der sie unverhofft angesprochen hatte, und trug für seinen Landgang diesmal nur eine zivile Jacke, so dass sie auch die Abzeichen der Marine nicht beruhigen konnten.

Die Art, wie sie offenbar Für und Wider von Flucht oder weiterem Zuhören abwog, ließ ihn schmunzeln. Mal bewegte sie sich wieder leicht vorwärts, dann wieder zurück, vor und zurück, ein Stück Treibholz direkt am Strand, nie ganz auf dem Sand und nie vollkommen im Wasser.

"The Parting Glass?" Er musste tatsächlich kurz überlegen. "Das ist... Jahre her... Moment." Er summte die Melodie leise vor sich hin, murmelte ein paar Zeilen, die ihm wieder einfielen. "Ja... doch, ich denke, das bekomme ich hin, solange du den Text übernimmst."

Er hob die Geige wieder ans Kinn und zupfte den Chorus einmal probeweise an, ehe er den Bogen ansetzte und eine kurze Einleitung spielte. Diesmal schloss er die Augen nicht, weil er sich in der Musik verlieren wollte, sondern um sich auf die nötigen Fingergriffe zu konzentrieren. Erst als er ans Ende der ersten Strophe kam, wagte er es, freier zu werden. Der Refrain kam sicher und gelöst, bereits voller Sehnsucht nach den Freunden, von denen sich der Sprecher des Lieds trennte, und doch auch voller Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen. Es war ein schönes Lied, er wunderte sich über sich selbst, dass er es noch nicht öfter gespielt hatte. Nach einer zweiten Strophe wiederholte er die erste, hauptsächlich weil es ein Wunsch gewesen war, und traute sich dabei wieder in eine Improvisation.

Zwei und dann eine dritte Saiten schwangen in vorsichtiger Harmonie, die Illusion eines vollen End-Akkords. Jetzt fehlte Rhys besonders, denn Mehrstimmigkeit fiel ihm allein doch immer schwieriger als das Harmonisieren mit einem zweiten Spieler.
Sie fürchtete fast ein wenig zu fordernd gewesen zu sein. Bei dem Gedanken hätte sie sich am liebsten selbst getreten. Es war lachhaft, wie sie sich aufführte, aber was sollte sie tun? Sie konnte nicht...Als er ihr antwortete, riss er sie aus ihrem ewigen Teufelskreis und sie erlaubte sich kurz so etwas wie Freude darüber, dass er es spielen würde.
Langsam trat Talin noch ein wenig näher, als er die Musik vor sich hinsummte. Sie strahlte ihn an, weil er es spielen würde, bis ihr die Gesichtszüge gleich wieder entgleisten.

Nein, warte! Ich kann nicht...

Sie wollte sagen, sie konnte nicht singen. Nicht vor all den Leuten, nicht einfach so, nicht nachdem, was passiert war. Aber er überrumpelte sie einfach, in dem er anfing auf seiner Geige zu spielen. Und auch wenn sie den Teil von sich verloren glaubte, übernahm doch ihr Wunsch zu singen, ihren Körper.
Die Blonde trat noch näher zu ihm, stellte sie neben ihn, schloss die Augen und ließ seine Musik sie wieder einlullen.

Of all the money that e'er I had
I spent it in good company
And all the harm I've ever done
Alas it was to none but me
And all I've done for want of wit
To mem'ry now I can't recall
So fill to me the parting glass
Good night and joy be to you all

So fill to me the parting glass
And drink a health whate'er befalls
And gently rise and softly call
Good night and joy be to you all

Of all the comrades that e'er I had
They're sorry for my going away
And all the sweethearts that e'er I had
They'd wish me one more day to stay
But since it fell unto my lot
That I should rise and you should not
I gently rise and softly call
Good night and joy be to you all

Fill to me the parting glass
And drink a health whate'er befalls
And gently rise and softly call
Good night and joy be to you all

But since it fell unto my lot
That I should rise and you should not
I gently rise and softly call
Good night and joy be to you all


Der junge Mann, dem sie sich angeschlossen hatte, spielte noch einmal die erste Strophe, aber Talin fiel nicht noch einmal mit ein. Ihr Blick war ins Nicht gerichtet, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Sie hätte nicht geglaubt je wieder so befreit singen zu können, aber seine Musik hatte sie befreit, zumindest für diesen einen, kurzen Moment.
Als er schließlich den Schluss-Akkord anstimmte, hob sie die Hände und wischte sich heftiger als nötig übers Gesicht, um die Tränen verschwinden zu lassen. Vermutlich sah sie noch furchtbarer aus, als vorher, aber trotzdem wandte sie ihm ihr Gesicht zu und lächelte ihn zögerlich an.

Danke.

Ihre Stimme brach am Ende, also sagte sie nicht mehr. Aber in dem einen Wort schwangen all die Emotionen mit, die sie gerade empfand. Traurigkeit, aber auch unendliche Dankbarkeit. Ihr Blick glitt noch einmal in die Ferne, bevor sie sich auf die Lippe biss, noch einmal kurz zögerte und schließlich ihren Mut zusammen nahm.

Mein Name ist Talin.
Sie wirkte so, als wolle sie protestieren - aber wenn Jahre mit Rhys ihn irgendetwas gelehrt hatten, dann, dass er Freiwillige für Musik am Besten rekrutierte, indem er ihnen keine lange Wahl ließ. Elian spielte los und zu seiner Freude fiel das Mädchen nach einer Weile mit ein und ergänzte den Text, an den er sich nicht mehr vollständig erinnert hatte.

Was für ein schönes Lied. Seine Begleiterin war keine geübte Sängerin, das hörte er, aber sie brachte eine schlichte Sehnsucht und Traurigkeit in seine beschwingte Melodie, also wurde er ein winziges Bisschen langsamer, um ihre Emotionen zu untermalen. Manchmal sind die ungeübteren Stimmen die Schönsten... ehrlicher. Direkter. Keine Beschönigungen, dafür reines Gefühl.

Er bemerkte, dass der Gesang nach einer Weile belegter und zittriger wurde, aber er beendete das Lied dennoch mit einer Reprise der ersten Strophe, auch wenn diese effektiv zu einem Improvisations-Solo für ihn wurde. Erst als die Musik ausgeklungen hatte, drehte er sich zu der Sängerin um und lächelte ihr freundlich zu. Er hatte gemerkt, dass die Klänge sie gerührt haben mochten, aber dass ihr Gesicht tränenverschmiert und ihre Augen geschwollen und gerötet waren, überraschte ihn nun doch - es war selten, dass einer seiner Zuhörer sich so verlor.

"Freut mich sehr, Talin. Ich bin Elian."

Er klemmte seine Geige unter den Arm und streckte ihr zur Begrüßung eine Hand hin.

"Ich habe zu danken! Du hast eine hübsche Stimme, und ich viel zu selten Gelegenheit, mal eine Frauenstimme zu begleiten. Noch dazu eine, der die Musik so viel bedeutet." Er zeigte auf ihre Augen, fühlte sich ein wenig linkisch dabei, aber... es war richtig, sie darauf anzusprechen, oder? Sie sah nicht gut aus... "Und so gern ich mir einreden würde, dass mein Spiel solch einen Effekt auf jemanden haben kann... kann ich das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas nicht stimmt. Brauchst du Hilfe? Oder... jemanden zum Reden?"
Was für eine Reaktion erwartete sie von einem ihr völlig Unbekannten, mit dem sie mitten auf der Straße in einer ihr unbekannten Stadt gesungen hatte und dem sie einfach so ihren Namen verriet? Vielleicht, dass er sie auslachte, sie am Ende doch wegschickte, weil es ihn nicht interessierte wer sie war. Und das hätte sie ihm nicht einmal verübeln können. Ihre verheulten Augen waren im Moment sicher nicht das Hässlichste an ihr. Aber er erfüllte ihre Erwartungen nicht.
Völlig verdattert, starrte das Mädchen auf die ihr dargebotene Hand und für einen kurzen Moment wollte sie wieder davon laufen. Egal, wie sehr ihr seine Musik gefiel, er sollte sie nicht anfassen. Aber dann gab sie sich einen Ruck. Es war nur ein Händeschütteln. Er würde nicht gleich ein Messer zücken und sie abstechen...Ha, ha.
Vorsichtig legte sie ihre Hand in seine und drückte leicht zu, bevor die Blonde sie auch schon schnell wieder zurückzog.

Freut mich, Elian.“, nuschelte sie leise. Sie blickte kurz zur Seite und wurde bei seinen nächsten Worten leicht rot.
Es schien Jahre her zu sein, seit ihr jemand gesagt hatte, dass sie eine schöne Stimme hatte. Eine Hand, die ihr liebevoll übers Haar strich, sie lobte, wie schön sie aussah...
Talin schüttelte leicht den Kopf, um ihre Gedanken zu verscheuchen, auch wenn es wohl so aussah, als wollte sie seine Worte verneinen.

Deine Musik ist wundervoll. Ich hab schon lange keinen so gut spielen hören.

Sie wich seinem Blick noch einmal aus, sah zu Boden. Er schien ehrlich besorgt zu sein. Seine Mimik, seine Gestik, alles deutete darauf hin. Und trotzdem konnte sie ihm nicht glauben. Er hatte keinerlei Ähnlichkeiten mit denen, aber trotzdem...wie konnte sie einfach so einem Fremden vertrauen.
Ihr Blick fiel auf seine Geige. Er schien die Musik zu lieben, wenn er einfach so auf der Straße anfing für andere zu spielen. Konnte er da wirklich böse sein? Zögerlich hob sie die Hände und wischte sich noch einmal über die Augen, bevor sie wieder zu ihm aufsah.

Ich kenn dich kaum, um mit dir über meine Probleme zu reden. Aber wenn du was zu essen hast, wär' ich dir dankbar.“ Wie auf Kommando, fing ihr Magen an zu knurren.
Das Mädchen blieb schreckhaft und still. Für einen Moment war er sich sicher, dass sie den Handschlag ablehnen würde, und als sie ihn dann doch zuließ, ließ sie so hastig wieder los, als habe sie sich an ihm verbrannt. Elian kommentierte es nicht. Sie würde ihre Gründe haben und war vermutlich klug, einen ihr fremden Mann nicht sofort nah an sich heran zu lassen. Frauen hatten es so viel schwerer dahingehend.

Er hatte nicht das Gefühl, dass seine Worte gut ankamen. Was genau es war, warum sie sich so versteifte, war ihm natürlich nicht klar, aber dass etwas nicht stimmte, war offensichtlich. Elian kannte sie nicht einmal, aber wie er sie da so stehen sah, stach es in seinem Herz vor Mitleid und Sorge... nicht nur, weil sie ihn an seine kleine Schwester erinnerte, aber ein wenig vielleicht auch deswegen. Sie war so blass, so dünn... er erwartete fast, im Gegenlicht die Knochen durch ihre Haut hindurch scheinen sehen zu können.

Als sie dann nach Essen fragte, war es keine richtige Überraschung... oder doch, vielleicht schon. Sie wirkte nicht wie jemand, der leicht bettelte. Eher im Gegenteil, auch wenn er nicht sicher sagen konnte, woran er seinen Eindruck von Stolz an ihr festmachte. Vielleicht irrte er sich auch. Vermutlich tat er das. Aber er hatte das Gefühl, ihr Rücken war allen Entbehrungen zum Trotz etwas zu gerade für ein Mädchen, das es gewohnt war, im Staub zwischen den Stiefeln anderer herumzukriechen und deren Abfälle zu ergattern.

"Ich... leider nicht bei mir", musste er zu seinem eigenen Leidwesen zugeben. "Ich wollte mir heute Abend hier in der Stadt was suchen. Wenn du magst und einen guten Ort kennst, können wir dort hin gehen... aber wenn du nicht mit einem Fremden mitgehen magst, verstehe ich das. Du kannst hier warten, während ich etwas besorge, und ich bringe es her? Wäre das besser?"

Er vermutete eigentlich eher, dass sie jetzt die Flucht ergreifen würde. Sie sah so aus, als hätte sie einige schlechte Erfahrungen gemacht und würde nur darauf warten, dass er ihr wehtun oder sie irgendwie übers Ohr hauen würde. Ein so gehetzter Blick kam sicher nicht von ungefähr. Was auch immer sie erlebt hatte, worüber auch immer sie nicht reden wollte... sie war wohl kaum in Stimmung, mit einem Fremden fröhlich in eine Taverne zu gehen, nur weil er ein paar nette Lieder für sie gegeigt hatte.
Sie wagte kaum wirklich zu hoffen, er könne etwas zu Essen dabei haben. Wo auch? Vielleicht in seinem Geigenkoffer, der offen vor ihr stand? Und selbst wenn er doch etwas hervorzauberte, warum sollte er ihr etwas abgeben? Weil sie mit ihm gesungen hatte? Weil sie ihn nett darum gebeten hatte? Kein Mensch auf irgendeiner Insel war so freundlich. Es gab niemanden, der einem etwas gab, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Das hatte sie schmerzlich lernen müssen.
Als sie aber seinen leidgeprüften Gesichtsausdruck sah, wusste sie schon, was er sagen würde. Das was er aber schließlich sagte, überraschte sie und machte sie auf unerklärliche Weise wütend. Es war nicht die Tatsache, dass sie so aussah, als bräuchte sie ganz dringend Nahrung. Ihr Magen hatte ihm die Antwort schon gegeben und was andere Menschen dachten, war ihr reichlich egal. Vermutlich war es eher die Tatsache, dass sie ihn nicht verstand, weshalb er sie wütend machte. Deshalb platzte auch das erste aus ihr heraus, was ihr durch den Kopf ging.

Warum bist du so nett zu mir? Du kennst mich doch gar nicht. Was hast du davon? Was bringt es dir, mich zum Essen einzuladen?“ Die Fragen kamen vielleicht mit einem zu hartem Unterton heraus, aber das war ihr egal. Sie wollte, musste es wissen, was ihn dazu veranlasste.
Als sie ihn noch einmal von oben bis unten musterte, wurde sie immer noch nicht schlauer aus ihm, denn nichts an ihm sah aus, als wolle er sie packen und für seine Freundlichkeit zu etwas zwingen. Wieso schien es ihm Leid zu tun, dass er ihr nichts Gutes tun konnte? Sie verstand das einfach nicht. Es ergab nicht einmal wirklich Sinn.
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