04.02.2017, 12:05
One Step closer
Die Nacht des 13. März 1822
Talin Dravean & Shanaya Árashi
Shanaya konnte den Weg zurück zur Sphinx nicht schnell genug hinter sich bringen. Allein schon, weil sie damit endlich weiter kommen würden. Endlich. Und so blieb sie auch nicht still stehen, als sie den ersten Schritt auf der Planken trat, sondern bewegte sich direkt weiter vorwärts. Es war dunkel, viel konnte sie nicht erkennen. Aber ihr Ziel war trotzdem klar – und wenn die Blonde nicht an Deck war, dann vermutlich in der Kajüte. „Taaallliiiiin!“ Beinahe ein wenig verschwörerisch wisperte die Schwarzhaarige in die frische Nachtluft, lauschte, ob irgendwo auf dem Schiff Schritte in ihre Richtung kamen.
Des Wartens müde geworden und dennoch immer noch völlig unter Storm stehend, sah Talin in die Nacht hinaus, behielt den Kai genau im Blick. So entgingen ihr auch nicht die Gestalten, die in einem strammen Tempo näher kamen. Wie von selbst glitt ihr Blick an den dreien vorbei und sie sah genauer in die Schatten dahinter. Ob ihnen jemand gefolgt war? Oder war die Mission geglückt? Was wäre wohl ein gutes Zeichen gewesen? Wenn sie hüpfend über die Weg daher gekommen wären? Über diesen Gedanken verdrehte sie die Augen und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der näher kommenden Gestalt zu. Shanaya war als erstes da. Die schwarzhaarige hätte sich ihr melodramatisches Flüstern sparen können, denn kaum hatten ihre Füße die Planken des Schiffes berührt, stand Talin auch schon so gut wie neben ihr. „Was ist passiert?“ Sie hielt sich gar nicht lange mit Vorreden auf. Wenn etwas schief gelaufen war, dann sollte sie es besser gleich wissen, damit sie in See stechen konnten und sie sich keine zu großen Hoffnungen machte.
Shanaya hätte ja erwartet, dass Talin sofort da wäre, sobald sie rief. Aber dass sie sie nicht so nah bei sich gesehen hatte, überraschte die Schwarzhaarige dann doch. Wie aus dem Nichts tauchte die Blonde auf, redete nicht lange drum herum sondern fragte direkt, was geschehen war. Die blauen Augen blinzelten einen Moment, ehe die junge Frau den Kopf ganz herum drehte, ein vielsagendes Lächeln auf den Lippen. Sie hätte ihr natürlich direkt sagen können, was passiert war. Hätte. Wäre Talin an jemanden geraten, der ein Freund davon war. „Was kriege ich dafür, wenn ich es dir verrate?“ Ein amüsiertes Lächeln galt der Blonden, während sie mit beinahe allem rechnete. Einer Pistole am Kopf, einer verzweifeltem Talin, direkt eine Kugel im Kopf... die Möglichkeiten waren unzählig. Wobei ihr Lächeln vermutlich schon genug verraten würde.
Die Anspannung ließ sie ihre Fäuste ballen und zeigte sich in ihrem Gesicht. Gar nicht schnell genug konnte die andere ihr antworten. Doch stattdessen...statt ihr zu sagen, was sie herausgefunden hatten, ließ Shanaya sie zappeln. Ihr erster Gedanke war, die Pistole zu zücken und der Schwarzhaarigen an die Stirn zu drücken. Der nächste Gedanke ließ sie nach einem Fass mit Wasser Ausschau halten, in dem sich Shanayas Kopf sicher ganz wunderbar machen würde. Es folgten noch ein paar weitere Verwünschungen und unnette Gedanken, bevor sie schließlich klar genug nachdachte, um das zufriedene Lächeln auf den Lippen der Jüngeren zu bemerken. Also drohte keine Gefahr, sonst würde sie nicht so mit Talin spielen. Ihre Stirn glättete sich und ihre Hände entspannten sich. Tief atmete die Blonde ein, bevor sie ihren Blick von Shanya abwandte. „Also gut, wenn du es mir nicht sagen willst, dann frage ich eben Aspen.“ Gelangweilt, als ging sie das alles gar nicht an, zuckte sie mit den Schultern und wollte sich schon von der schwarzhaarigen abwenden. Sie wusste genau, was es für sie bedeutete, wenn Talin androhte jemand anderen zu fragen.
Shanaya blieb vollkommen entspannt, während sie im Gesicht ihres Gegenübers das genaue Gegenteil erkannte. Vielleicht hatte sie gleich doch eine Kugel zwischen den Augen? Ein Tritt in den Bauch... Ihre Gedanken sponnen immer weiter. Es dauerte einige Momente, in denen die Schwarzhaarige still stehen blieb, bis Talin tief durchatmete und sich abwandte. Sie wollte zu Aspen gehen? Weil die beiden sich so gut verstanden? Shanaya seufzte nun ihrerseits, kramte dabei in ihrer Tasche und richtete den Blick von der anderen Frau ab. „Wie schade, dann gehe ich deinen Bruder eben ohne dich retten. Da wird er sicher traurig sein.“ Mit einem vielsagenden Ausdruck zog sie den beschriebenen Zettel hervor, betrachtete noch einmal selbst ihre Schrift und schielte über den Rand des Papiers zu der Blonden.
Wirklich? Dieses Spiel wollte sie jetzt also spielen? Talin musste zugeben, dass sie ein wenig enttäuscht war. In ihren Gedanken war das gute Gelingen dieser Mission etwas anders verlaufen. Aber sie musste sich jetzt mit diesem Kinderspiel abgeben. Traurigerweise war sie aber nicht ganz unschuldig. Sie hätte einfach nicht auf die Provokation eingehen sollen, sondern erwachsen reagieren müssen. Genau das sollte sie jetzt auch tun. Genau so musste sie jetzt reagieren. Stattdessen spielte sie diese Theater weiter mit. Hätte sie ihren Hintern erreichen können, sie hätte in diesem Augenblick hinein gebissen. Aber ihr Stolz behielt die Oberhand. Also reckte sie das Kinn vor und lächelte lieblich. „Nur zu. Renn allein los, mal sehen wie weit du kommst. Dann geh ich mit den anderen. Liam und Aspen haben sicher die gleichen Informationen wie du.“ Nur mit Mühe unterdrückte sie das kindische Bedürfnis Shanaya die Zunge rauszustrecken. Dummerweise machte es ihr auch noch Spaß. Ihre Nerven waren vor Spannung furchtbar extrem angespannt und sie wollte endlich die gute Nachricht haben, aber auf der anderen Seite...ach ja.
Shanaya beobachtete Talin vollkommen gelassen. Sie hatte es nicht eilig, sie wusste, was sie wissen wollte. Zu gerne hätte die Schwarzhaarige gewusst, was im Kopf der Blonden vor sich ging. Aber sie ging nicht einfach weiter, das allein sprach schon für sich. Talins Lächeln wurde mit einer unschuldigen Miene kommentiert, bei ihren Worten lachte sie leise auf. „Bitte fordere mich nicht mit so etwas heraus, sonst laufe ich gleich wirklich alleine los.“ Kein Gedanke, bei dem sie sagen konnte, sie hätte ihn nicht schon durchdacht. Shanaya wedelte also leicht mit dem Blatt Papier, ehe ihr Lächeln ein wenig versöhnlicher wurde und sie den Arm ausstreckte, ihrem Gegenüber das Papier entgegen hielt. „Ich weiß nicht mal, wie der werte Herr aussieht, ich wäre ohne dich also vermutlich aufgeschmissen.“ Ihr Kopf neigte sich leicht zur Seite.
Ihre Augenbraue zuckte bei dem leisen Lachen in die Höhe. Ob das eine Art Friedensangebot war? Nun, zumindest schien Talin mit ihren Worten eine Art Nerv getroffen zu haben. Bei Shanayas Worten schnaubte sie leise und schüttelte den Kopf. „Ich denke du würdest nicht weit kommen, denn ich hätte dich vorher niedergerungen.“ Sie war der Schwarzhaarigen einen Blick zu, der besagte, sie solle nur versuchen, ihr zu widersprechen. Ein leiser Seufzer schlich sich über ihre Lippen und mit etwas zittrigen Fingern griff sie nach dem ihr angebotenen Zettel. Als sie ihn schließlich in den Händen hielt, traute sie sich fast gar nicht ihn anzusehen, geschweige denn zu lesen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf Shanaya. Ihre Worte brachten sie zum Schmunzeln und einen kleinen Witz konnte sie sich nicht verkneifen. „Du musst doch nur nach einem Mann mit Bart Ausschau halten. So schwer kann das doch nicht sein.“ Letztlich zog das Stück Papier in ihrer Hand ihren Blick magisch an. Mit wild klopfenden Herzen las sie was dort stand. Sie war ihrem Ziel wieder einen Schritt näher. „Danke.“
Shanaya unterdrückte ein belustigtes Kopfschütteln, als Talin scher seufzte. Niemand hatte gesagt, es würde leicht mit ihr werden. Das hatte die Blonde sich selbst zu zuschreiben! Und auch wenn auf die Worte ihres Gegenübers ein passender Blick folgte, am Shanaya doch nicht drum herum, leicht eine Augenbraue zu heben. Dann sind wir beide damit beschäftigt, den anderen zu besiegen und dein Bruder darf bleiben, wo er ist.“ Auch eine Lösung. Aber die Blonde griff nach dem Zettel, las jedoch nicht, was darauf geschrieben stand. Was sie das wohl an Überwindung kosten musste? „Oh ja, es gibt natürlich nur einen einzigen Mann mit Bart. Aber mit seinem Namen wäre ich vermutlich weiter gekommen.“ Und auch, wenn sie kein Bild von Talins Bruder vor Augen hatte, so sah sie nun einen bärtigen Kerl mit drei Köpfen vor sich, der sie verwirrt anblickte, weil sie nach Lucien suchte. Ein verrückter Gedanke, den sie mit einem leichten Kopfschütteln abtat und wieder zu Talin blickte, die nun doch den Zettel beachtete. „Sobald wir ihn da raus haben, sind wir quitt.“ Sie lächelte munter.