Inselwelten

Normale Version: Wenn sich zwei streiten...
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15 Juni 1822 | An Deck der Sphinx | Mittags

Endlich hatten sie die Insel verlassen, ohne, dass Soula noch etwas mit den Kerlen, die sie verfolgten, zu tun gehabt hatte. Dabei hatte sie wirklich Glück gehabt. Als das Schiff ablegte, ging es ihr noch recht gut und sie fühlte sich wohl. Auch mit der Crew hatte sie schon einiges zu tun gehabt und sie hoffte, dass sie alle noch ein bisschen besser kennenlernen konnte. Die Nacht in der Hängematte war gewöhnungsbedürftig und das dauernde Schaukeln war auch etwas, an das sich Soula erst Mal gewöhnen musste. Aber jeder hat wohl mal klein angefangen, es sei denn, man ist schon als Kind auf See gewesen, dann war das alles einem vermutlich total egal. Soula war das leider noch nicht so egal. Sie befand sich gerade an Deck und hatte sich hingesetzt. Ihr war nicht schlecht oder so etwas, allerdings konnte sie auch nicht behaupten, dass ihr die neue und sich dauernd bewegende Umgebung nicht zusetzte.

Ein halbes Jahr. Ein halbes Jahr war ihre letzte gemeinsame Reise her und Alex hätte niemals zugegeben, wie sehr er es vermisst hatte. Es viel ihm recht einfach, sich zwischen all den wenig bekannten Gesichtern einzubringen, immerhin war es stets seine Art gewesen, von Insel zu Insel zu reisen. Als Liam sich dran machte, Rayon beim Zubereiten des Essens zu helfen, verzog sich Alex an Deck. Das Schnibbeln von Zutaten überließ er gern wem anders. Ein warmer Wind wehte über das Meer und verfing sich in den roten Segeln des Schiffes. Eine genügsame Stille hatte sich ausgebreitet. Sie schienen es alle wieder zu genießen, unterwegs zu sein. Letztlich fiel sein Blick auf eine der zierlicheren Gestalten der Crew. Sein Mundwinkel zuckte amüsiert. „Alles okay? Wirkst ein bisschen blass um die Nase.“, fragte er, während er langsam näher kam.

Noch immer hallte das Klirren von Metall in ihren Ohren nach, das die Dolche, Messer und Schwerte hinterlassen hatten. Getroffen von der Kanonenkugel, die aus den schlüpfrigen Händen Enriques geglitten und mit Schmackes gegen den Ständer gerauscht war. Nun gut. Letztlich war sie es gewesen, die den Dunkelhaarigen aus der Balance gebracht hatte. Weil sie voller Elan die Stufen hinab und auf den Älteren zugesprungen war. Wie ein Kind. Manchmal musste er sie wohl für eines halten, so wie sie sich benahm. Super trotzig, super aufgeregt, super abenteuerlustig. Skadi Nordskov. Die Frau der Superlativen.
Mit einem Seufzen war die Jägerin ihrem Begleiter zur Hand gegangen. Hatte das Chaos beseitigt und ihn lieber schnellstens allein gelassen, um nicht noch mehr Unruhe zu stiften. Trat nun mit selbigem Seufzen an Deck. Strotzend vor Elan und Arbeitseifer. Noch immer warteten ein paar Netze darauf geflickt zu werden. Noch immer fluchte sie über die zerschundenen Degen, die sie kurz vor Anbruch ihrer Reise im Bauch des Schiffes in irgendeinem letzten Winkel gefunden hatte. Manchmal war dieses Gerüst aus Planken, Teer und Salzwasser eine Wunderkiste. Egal wann man einen Blick hinein warf, gab es immer irgendetwas Neues zu entdecken. Ein kurzer Seitenblick galt Soula, die an der Reling saß und irgendwie nicht ganz dorthin zu passen schien. Dann Alex, der ihren Weg kreuzte und geradewegs auf die Jüngere zuschritt. Unbeeindruckt und mit einem grüßenden Nicken lief die Nordskov an ihm vorbei und ließ sich zwei, drei Meter weiter auf dem Boden nieder. Raffte eines der nahen Netze zu sich heran und suchte mit gespitzten Ohren nach dem erstbesten Loch. Sie gesellte sich vielleicht nicht zu den Neuankömmlingen, doch der Lockenkopf war ein Quell der Belustigung, seitdem er zu ihnen gestoßen war. DAS wollte sie sich keineswegs entgehen lassen. Nicht, wenn ihr gerade nach einem amüsanten Schlagabtausch war und die Gelegenheit dafür zum Greifen nah neben ihr stand.


Ein wenig bewunderte sie die anderen dafür, dass sie die Anwesenheit auf einem Schiff so hinnahmen, als wäre das nichts. Vermutlich würde sie sich daran auch noch gewöhnen. Hoffentlich sehr bald. Sitzen half zwar nicht gerade dabei, die Schwankungen auszugleichen, trotzdem hatte sie gerade den Eindruck, dass es ihr dadurch etwas besser ging und der Schwindel weniger stark war. Essen kam für die Dunkelhaarige gerade auch nicht in Frage. Sie hatte doch ein bisschen Angst, dass ihr dadurch doch noch unwohler werden könnte, auch wenn das absolut noch ging. Als sie die Stimme von Alex vernahm, hob sie ihren Kopf und es lag ein breites Grinsen auf ihren Lippen. Sie amüsierte sich tatsächlich auch über sich selber und konnte es dementsprechend niemandem verdenken, der sich ebenfalls über Soula amüsierte. „Ja, ich bin das nicht gewohnt“, antwortete sie und musste selber ein wenig lachen. „Ich hoffe das geht bald vorbei. Wie lange hat das bei dir gedauert?“ Hat das bei Alex überhaupt gedauert? Weiß er das überhaupt noch? Falls man schon als Kind auf See war, konnte sie sich durchaus vorstellen, dass man mit solch einer… wie sagt man, Seekrankheit, gar nichts zu tun hatte. Aber auch egal, da musste sie definitiv durch. „Gibt es Leute, die sich gar nicht daran gewöhnt haben?“, fragte sie dann doch recht interessiert und warf einen Blick zu Skadi, die sich nicht weit weg von ihnen hingesetzt hatte. Das wäre nämlich irgendwie eine Horrorvorstellung für Soula. Wenn sie sich nicht daran gewöhnen würde. Gut, dann musste sie eben doch ihr Leben an Land verbringen, es gefiel ihr allerdings nicht, wenn sie dann ‚keine Wahl‘ mehr hatte. Dieses Gefühl war auch nicht gerade etwas, was man sich aktiv abtrainieren konnte. Normalerweise war Soula sehr willensstark. Aber bei manchen Dingen half auch das nichts.

Er war das Treiben auf Schiffen gewohnt. Dementsprechend drehte er sich nicht bei jedem Geräusch, jedem Schritt herum, um sich von dessen Ursprung zu versichern. Wer etwas wollte, ließ es einen wissen. Alles andere war eben geselliges Leben auf engstem Raum. Privatsphäre fing da an, wo der Arm des anderen aufhörte. Skadi hatte er also nicht wirklich wahrgenommen, bis sie recht knapp seinen Weg kreuzte und sich unweit von ihnen allein an der Reling niederließ. Alex erwiderte ihren Gruß seinerseits mit einem Nicken, wobei eine hochgezogene Augenbraue deutlich zeigte, dass er mehr hinter ihrem zufällig ausgewählten Platz vermutete. Ihm sollte es egal sein, er wandte sich an Soula und lehnte sich auf den Unterarmen auf die Reling. Vermutlich genau das, was die junge Frau neben ihm vermeiden sollte. Mit einem belustigten Zucken der Mundwinkel nahm er zur Kenntnis, dass er offenbar den richtigen Eindruck gehabt hatte. „Ich bin eher unempfindlich.“, gestand er mit einem kurzen Zucken der Achseln. Vermutlich hatte auch einfach die Vorfreude damals sämtliches Unwohlsein verdrängt. „Aber vielleicht solltest du dich eher ablenken, statt den Wellen auch noch beim Schaukeln zuzusehen.“ Mit Handarbeit vielleicht, ähnlich wie Skadi neben ihnen gerade das Klischee erfüllte. Ihre Sorge schien allerdings aufrichtig. Etwas albern, wie Alex fand, daraus solch eine große Sache zu machen. Was kümmerte ihn schon ein bisschen Übelkeit? Wie sehr es ihn kümmern würde, würde er wohl erst feststellen, wenn ihm sein Glück diesbezüglich nicht mehr ganz so hold sein würde. Da war er eben doch ganz Mann. „Das ist dein absolut erstes Mal auf See?“ Er klang ein wenig ungläubig, weil es für ihn üblich gewesen war, sich schon früh ein wenig Gold dazuzuverdienen, indem er den Fischern oder Händlern am Hafen geholfen hatte. Danach, dies nötig gehabt zu haben, sah Soula allerdings nicht aus. „Woher die plötzliche Anwandlung, den festen Boden hinter sich zu lassen? Bestimmtes Ziel?“

Unempfindlich. Auch etwas, was Soula gerne hin und wieder wäre. Ihr Kopf ist da meist aber das größere Problem. Sie dachte viel, oft zu viel. Das Schwanken zu ignorieren ging irgendwie auch nur eine gewisse Zeit gut. Ablenkung war aber ein gutes Thema, das ihr wirklich weiterhelfen könnte. An die Bücher, die sie zuletzt noch ergattert hatte, waren ihr schon in den Sinn gekommen. Sie hat es aber nicht für eine besonders gute Idee gefunden mit Schwindel noch das Lesen anzufangen. Sie war aber um alles froh, was sie irgendwie weiterbrachte. Es spielte keine Rolle, ob es sich dabei um die Empfehlung der Ablenkung handelte oder sogar um eine Unterhaltung. „Danke für den Hinweis. Werde es mir merken“, sagte sie deswegen dankbar und musste dann schmunzeln. „Ja, ist es. Vermutlich für die meisten hier ziemlich unvorstellbar.“ Wahrscheinlich hätte Soula in ihrem Leben auch nie ein Schiff betreten müssen, aber es kam eben einfach oft doch noch ganz anders. „Calbota war nicht mehr sicher für uns, deswegen haben wir eine Mitfahrgelegenheit gesucht. Und damit ist auch alles erst mal wieder in bester Ordnung.“ Von den Versuchen sich an die aktuellen Begebenheiten zu gewöhnen mal abgesehen. Dass sie aktuell eigentlich absolut gar kein Ziel hatte, behielt sie an der Stelle mal für sich. Auch alles Weitere, was diese unsichere Lage betraf. „Wie lange kennt ihr euch schon?“ Fragte sie an beide gewandt.

„Naja, wenn man im goldenen Käfig lebt.“ Alex zuckte mit der Schulter, als könne er in diesem Fall fast nachvollziehen, sich dann nicht wie ein Gefangener seiner Heimat vorzukommen. Er kannte Soula nicht wirklich, dementsprechend konnte er lediglich die Vermutung tätigen, dass es sie deshalb nie fortgezogen hatte. Aber eine Vermutung reichte ihm, um es seinem Gefühl nach als Tatsache zu formulieren. Niemand von ihnen konnte etwas für seine Herkunft. Und in Soulas Fall war es ja offenbar noch einmal gut gegangen. Wobei ihre Andeutung eher danach klang, dass ihr Aufbruch eher weniger von freiwilliger Natur war. Er speicherte die Information, fragte allerdings nicht weiter nach. Soula wirkte nicht so, als würde sie darüber sprechen wollen und er sah im Augenblick keine tiefgründigere Wichtigkeit in der ‚Gefahr‘, die sie auf Calbota erwartet hätte. Vielleicht ein aufdringlicher Casanova, der wütend darüber war, nicht alles für Gold zu bekommen. „Mit ‚wir‘ meinst du dich und deinen Laufburschen?“ Mit ihrem Schatten hatte er bislang kein wirkliches Wort gewechselt. Er hielt sich im Hintergrund, beäugte allerdings argwöhnisch jeden, der sich der jungen Frau nährte. Soula gab die Frage mehr oder minder zurück. Alex brauchte einen Moment, bis er verstanden hatte, wen sie dieses Mal mit ‚ihr‘ meinte, doch nachdem sein Blick ihrem zu Skadi gefolgt war, dämmerte es ihm. Ein schräges Grinsen schlich sich in seine Mundwinkel. „Wir?“, fragte er dennoch noch einmal, um sicher zu gehen, dass sie Skadi und ihn meinte. „Seit sie mir vor etwa einem Monat einen Mord unterjubeln wollte.“

So ganz wohl fühlte Soula sich nicht dabei, sich zwischen den beiden Gestalten sitzend zu unterhalten. Deswegen stand sie auf, stellte sich zwischen die beiden an die Reling und legte eine Hand darauf. Eher in der Hoffnung Halt zu finden, sollte etwas Unvorhergesehenes passieren. Alex sprach einen goldenen Käfig an. Obwohl Soula in dieser Gesellschaft groß geworden war und manche es nicht als Käfig betrachteten, wusste sie doch, was er meinte. Nicht nur zuletzt hatte sie versucht daraus auszubrechen. Das hatte sie mit dem Ablegen der Sphinx erreicht, auch wenn das so definitiv nicht ihr eigentliches Ziel gewesen war, als sie sich das erste Mal an einen der Pokertische gesetzt hatte. Es waren gemischte Gefühle, die sie aktuell immer noch hatte und Soula hatte noch nicht mal angefangen sie in irgendeiner Art zu verarbeiten. Dafür war in letzter Zeit zu viel passiert. Von ‚gut gegangen‘ konnte Soula an der Stelle auch noch nicht sprechen. Sie widersprach Alex Worten bezüglich des goldenen Käfigs nicht, nahm es eher stillschweigend hin. Soula war selbst nicht sicher, wie sie dazu stand. Es war inzwischen sowieso egal geworden, oder? Als Alex Loki dann aber als Laufburschen bezeichnete sah sie ihn an und verengte die Augen. „Loki“, sagte sie mit Nachdruck, „ist nicht mein Laufbursche“, entfuhr es ihr unwirsch. Es störte sie, was die Mannschaft über Loki dachte und es war nicht so, als könnte sie das nicht bei jedem einzelnen spüren. Er kümmerte sich um sie, er beschützte sie, er hatte in Soula vielleicht auch eine Aufgabe gefunden. Trotzdem hatte er eine eigene Persönlichkeit, ein eigenes Leben und eine eigene Vergangenheit. „Er ist mein Begleiter.“ Schlimm genug, dass sie das so direkt klar stellen musste. Soula hatte ihn nie als Sklaven gesehen oder behandelt, sie hatte immer versucht ihn in die Familie aufzunehmen.
Nun war sie aber neugierig und wollte ein bisschen mehr über ihre neuen Bekanntschaften erfahren. Sie schmunzelte, als sie das Grinsen von Alex wahrnahm, irgendwie war es ansteckend. Soula sah zu Skadi hinüber: „Im Ernst? Wie ist es denn dazu gekommen?“ Es klang nach einer lustigen Geschichte, die Soula gerne hören wollte. Vorausgesetzt die beiden wollten darauf näher eingehen. Ablenkung bekam sie hier von den beiden auf jeden Fall genug, auch wenn Skadi sich bisher eher im Hintergrund gehalten hatte.


Alles war in bester Ordnung. Fast könnte man meinen, dass die Sphinx ein Hafen der Glückseligkeit war, hätte sie es nicht besser gewusst. Alles blieb so lange in "bester Ordnung", bis die nächste Katastrophe über sie herein brach - so viel stand fest. Und nach ihrer Erfahrung kam dieser Tag früher denn später - doch wer war sie Soula das unter die Nase zu reiben. Wo bliebe da der ganze "Spaß"? Hatte sich gerade der Anflug eines Lächelns in ihren Mundwinkel verhangen, verlor die Nordskov jegliche Regung in der Miene, als sich urplötzlich ihre Nackenhaare aufstellten. Irgendetwas oder irgendjemand beobachtete sie, oder nicht? Erst schnellten die dunklen Augen zur Seite, dann folgte der Kopf. Mit erhobenen Händen hockte Skadi zwischen den Netzen, starrte erst auf Soula, dann hinauf zu Alex, dem sie einen schweren Atemzug schenkte. Musste sich gut anfühlen einen auf Opfer zu machen, nicht wahr? "Wer versucht heimlich der Leiche eines Kollegen Dinge zu entwenden, macht sich selbst genug verdächtig. Meinst du nicht auch?" Nun war sie es, die ihm ein süffisantes "Du kannst mich mal am Arsch lecken" Grinsen schenkte.

Alex hatte nicht groß darüber nachgedacht, wie er den Begleiter dieses Mädchens nennen sollte. ‚Laufbursche‘ hatte nicht nur deshalb so gut gepasst, weil er versuchte, ihr jeden Wunsch von den Lippen abzulesen, sondern auch zu dem, was ihre Kleidung und Attitüde vermuten ließ. Eine Welt, die der Lockenkopf nur aus der Ferne kennengelernt hatte. Seine Begriffsbezeichnung rührte allerdings nicht von Neid oder ähnlichem. Es war in ‚seiner‘ Welt ein gängiger Begriff dafür. Gelogen wäre es allerdings gewesen, hätte er behauptet, nicht zu wissen, dass es in ‚ihrer‘ Welt durchaus negativ behaftet war. Er musterte ihre Züge, als sie sich recht vehement gegen den Vorwurf wehrte, letztlich aber nur den Begriff änderte. „Verstehe.“ Aus einer Taube wurde auch nicht plötzlich ein Spatz, nur wenn man sie so schimpfte. Dennoch verriet ihm der Nachdruck in ihrer Stimme, dass sie scheinbar nicht ganz so unscheinbar und wehrlos war, wie ihr Äußeres vermuten ließ. Er würde es weiter beobachten. Für diesen Moment ersparte er ihr trotz des Interesses daran eine weitere Diskussion über ihren Laufburschen – nicht zuletzt, weil sie das Thema auf ihn lenkte und er bereit war, darauf einzugehen. Wie auf Zuruf nutzte Skadi nun allerdings die Gelegenheit, sich doch zu beteiligen. Das Schmunzeln auf seinen Lippen verriet, dass er schon förmlich damit gerechnet hatte. „Wer zufällig vorbeikommt, um Detektiv zu spielen, etwa nicht? Gleiches Recht für alle. Und wenn ich mich recht erinnere, habt ihr eure Schlussfolgerungen auch nicht mit mir geteilt.“, erklärte er sachlich und begegnete ihrem Blick erstaunlich entspannt. Weil er die Hoffnung hatte, sie so noch etwas mehr aus der Reserve zu locken.
.„Was meinst du, Soula? Eine Leiche taucht an seinem Arbeitsplatz auf. Fast zeitgleich eine Gruppe aus fremden – zugegeben komischen – Gestalten, die sich der Ermittlung annehmen, um sich direkt aus dem Kreis der Verdächtigen zu nehmen. Auf der anderen Seite eine eher wenig ansehnliche Dirne, die hysterisch behauptet, er hätte sie heiraten wollen – trotz Gegenaussagen -, ihr junger Liebhaber und die restlichen Kollegen des Toten. Wem vertraust du am wenigsten?“


Alex musterte sie - Soula war sich nicht sicher, ob sie das gut fand. Sie hatte den Eindruck, dass er mehr sehen konnte, mehr, als ein unaufmerksamer Beobachter vielleicht gesehen hätte. So einer schien er definitiv nicht zu sein, auch wenn er nicht nachbohrte. Bereit über irgendetwas zu reden war sie noch lange nicht und sie war froh darüber, dass Nachfragen ausblieben, die sie mit irgendwelchen Ausreden abgewehrt hätte. Sie war nicht wirklich stolz darauf, wie die vergangenen Wochen abgelaufen waren und konnte sich schon alleine recht gut ein schlechtes Gewissen einreden, da brauchte sie nicht noch andere. Da lenkte sie das Thema lieber auf Alex und Skadi, in der Hoffnung, dass sie dort ein Gesprächsthema fand, das etwas länger andauerte. Von Skadi kam nur eine Stichelei, die an Alex galt, vielleicht hatte er da demnach noch mehr zu sagen. Das hatte er und ließ Soula damit weniger im Dunkeln tappen, obwohl sie keine Geschichte zu hören bekam, sondern nur ein paar Fetzen, die sie sich zusammenbastelte. „Also habt ihr versucht den Mord aufzuklären und Skadi hatte dich als Hauptverdächtigen auserkoren?“ Das war es, was Soula bisher herausgehört hatte. Aufmerksam hörte sie Alex zu, als er ihr aufzeigte, welche Personen beteiligt waren und sie war jetzt schon gespannt darauf, was für ein Ende sie erwartete.
„Prinzipiell würde ich an der Stelle niemandem vertrauen. Wenn aber diese ominöse Gruppe nichts mit dem Mord zu tun hat, stellt sich mir die Frage, warum sie sich überhaupt einmischt und ob da nicht noch mehr dahinter steckt. Bei einer Diebeshandlung muss man allerdings hinterfragen, ob es zuvor den Mord gegeben hat, aber wenn ich ehrlich bin...je nach finanzieller Lage des Diebes, wäre er dumm, wenn er sich so eine Gelegenheit entgehen ließe, um seine Finanzen bei einem Mann der sich nicht wehren kann, etwas aufzustocken.“ So weit zu ihren Überlegungen, ohne die genauen Umstände und die Personengruppen näher zu kennen. „War es der Liebhaber?“ Fragte sie dann ins Blaue hinein. „Oder hat sie dich angeprangert und dir ist es irgendwie gelungen zu entkommen?“


Was Alex sagte war ziemlicher Blödsinn, wie sie selbst fand. Als stünde er hier vor Gericht und mimte die arme, blutende Opferrolle. Es war schon fast ein bisschen widerlich, wie er dabei drein sah. Überlegen und selbstgefällig. Skadi wäre ihm zu gern einfach auf die Zehen getreten. Dass Soula mit ihrer Schlussfolgerung auch noch Öl ins Feuer goss, hinterließ in der Jägerin nur ein frustriertes Schnauben. Gott. Auf was für ein Gespräch hatte sie sich da nur wieder eingelassen. Natürlich sah sie keinen Grund darin sich zu rechtfertig. Zum einen, weil das, was Alex und Soula sagten, nicht der Wahrheit entsprach. Zum anderen weil ihr mehr als bewusst war, dass Alex mal wieder nur provozieren und seinen Gestank verbreiten wollte. Mit Erfolg - wie sie mit ausdrucksloser, fast schon etwas genervter Miene feststellen musste. Der Kerl konnte einen wirklich auf die Palme bringen. Ihr erschien es wie ein Wunder, dass Liam über all die Jahre die Ruhe und seinen sehr speziellen Umgang mit ihm finden konnte. Und dennoch. Es störte sie, welches Licht es auf die anderen warf. Auf Talin, auf Greo. Und Enrique. Somit holte sie tief Luft und widmete sich wieder ihrer Arbeit an den Netzen.
“Nur um mal klar zu stellen, dass wir nicht in der Werft aufgeschlagen sind wie Wilde, die da nichts zu suchen hatten - wir waren wegen der Reparatur unseres Schiffes da und hatten ein Gespräch mit dem Werftleiter. Also waren wir weder Fremd noch unangekündigt dort.“ Was Alex hätte wissen können, wenn ihn mehr als nur seine Arbeit interessierte. “Greo, um die Arbeit am Schiff zu inspizieren, Talin und Enrique für das finanzielle und geschäftliche... und ich... tja... wahrscheinlich weil Talin fand, dass ich einen Tapetenwechsel gebrauchen konnte.“ Was nur halb stimmte, denn eigentlich - und dessen war sie sich sicher - war sie für den Notfall dabei. Wenn irgendetwas eskalierte und es jemanden brauchte, der die Gegenpartei in Schach hielt.
“Hauptverdächtiger war sein Kollege, der mit blutverschmierten Klamotten neben der Leiche gehockt hat. Also nein... ich habe ihn nicht für irgendetwas auserkoren. Und wenn es nach mir gegangen wäre...“ Sie hob den Kopf, um erst Soula, dann Alex anzusehen. “Hätte ich mich in dieses Drama nicht eingemischt. Aber na ja... Talin und Enrique waren anderer Meinung. Und nachdem dein kleiner Freund obendrein noch von der Furie attackiert wurde und sich die Stimmung ziemlich aufgeheizt hatte, war es das beste ihn aus der Schussbahn zu bringen. Meinst du nicht auch, Alex?“ Mal sehen, ob er sich jetzt wieder auf die Seite des armen Opfers stellte, dem man so viel Missgunst entgegen brachte. Vollkommen zu Unrecht. Natürlich. Wie konnte es auch anders sein. Mit einem letzten Blick auf den Lockenkopf, wandte sich Skadi wieder den Netzen zu.


Auch, wenn ihre Miene erstaunlich gefasst blieb, hörte er ihren Worten durchaus einen angesäuerten Ton an. Alex bildete sich nur zu gern ein, dass es nicht daran lag, dass er es hören wollte. Immerhin ließ sie Soula ausreden, die ihrem Gedankenspiel freien Lauf ließ, während der Lockenkopf ihr schweigend und mit verschränkten Armen folgte. Erst, als die Nordskov seine Beschreibung berichtigte, sah er zu ihr hinüber und rümpfte kurz nachdenklich die Nase. Mochte sein, dass sie einen Termin gehabt hatten. Aber sie wären allesamt schau genug gewesen, einen Mord zeitlich zu planen und wie Affekt aussehen zu lassen, hätten sie es bloß gewollt. Oder die Notwendigkeit besessen. Niemandem vertrauen – im Grunde traf Soula den Kernpunkt ihres Dilemmas schon ganz gut. Bevor er auf die Frage der Jüngeren eingehen konnte, spielte Skadi ihr Gedankenexperiment weiter und fütterte Soula mit weiteren Informationen über ihren Fall. „Damit warst du nicht allein.“, räumte er – noch immer mit verschränkten Armen – ein, ehe er mit einem angedeuteten Augenrollen auf die Erwähnung dieses Johns reagierte. Blutverschmiert. Für gewöhnlich versuchten Mörder nicht, ihre Opfer zu retten. Besonders dann nicht, wenn die Chance recht gutstand, entdeckt zu werden. Dass diese Furie wohl ihr geringstes Problem gewesen wäre, hätte man ihr nicht sämtliche Freiheiten gelassen, vertiefte er ebenfalls nicht. „Du hast eine eigenartige Art, Leute aus der Schussbahn zu bringen.“, kommentierte er und blieb ihr somit eine Antwort auf ihre rhetorische Frage schuldig, ehe sich seine dunklen Augen wieder auf Soula legten, deren Vermutung augenblicklich übertriebene Begeisterung in ihm hervorrief.
„Siehst du -“, wandte er sich an Skadi und deutete unnötigerweise auf die junge Frau vor ihm, der die nächsten Worte galten. „War es so offensichtlich? Was hat dich drauf gebracht?“ Die Nachfrage rührte hauptsächlich daher, Skadi unter die Nase zu reiben, dass sie ewig dafür gebraucht hatten, herauszufinden, was Soula ins Blaue riet. Dass man die beiden Situationen nicht miteinander vergleichen konnte, war ihm durchaus klar, spielte nur im Augenblick keine Rolle. Für ihn. „Sag mal. Wär‘ die Sache eigentlich anders gelaufen, hättest du vorher gewusst, dass ich recht gut mit deinem Liebhaber kann? Hätte ich mir dann den Mordverdacht erspart?“ Seine Augen funkelten. Welch perfekte Gelegenheit, herauszufinden, wie die Nordskov darauf reagierte.


Da Soula eigentlich kaum Informationen bekommen hatte, gaben ihre Worte auch nicht viel her und sie war auch sicher nicht hier um irgendwen zur Rechenschaft zu ziehen. Sie sprach lediglich ihre Gedanken dazu aus und sie hätte nicht erwartet, dass sie damit solche Wellen schlagen würde. Skadi schien plötzlich einiges zu sagen zu haben und brachte damit noch mehr Licht ins Dunkel. Es war also in der Werft gewesen. Gut, da trieben sich natürlich viele Leute und viele Gruppen herum. Trotzdem hatte sie von keiner Seite, die sie mit Worten bedachte, den Mordverdacht genommen, jeder hätte es sein können. Skadi versuchte sich zu rechtfertigen, zählte einige Namen auf und warum sie dort gewesen waren. Soula gegenüber brauchte sie sich hier definitiv für nichts zu rechtfertigen. Ihr Blick wanderte zu Alex, rechtfertigte sie sich vor ihm? Verdammt, wo war Soula da jetzt schon wieder reingeraten?! Sie konnte sich gar kein genaues Bild zu dieser Situation machen, da sie weder dabei gewesen war, noch die Leute kannte. Sie sah sich nicht in der Position irgendjemandem irgendetwas vorzuwerfen, deswegen auch die Aussage, dass sie grundsätzlich niemandem vertraute. Sie waren gerade auf See, weit weg von der Werft aber für Skadi und Alex schien die Sache noch nicht geregelt zu sein. Vielleicht sollte sie die beiden einfach alleine darüber diskutieren lassen? Soula wollte sich da so wenig wie möglich einmischen, was auch damit zusammenhing, dass sie sich hier niemanden zum Feind machen wollte. Die Spannung zwischen Skadi und Alex war fast greifbar.

Die drei Gründe jemanden umzubringen, die Soula kannte, waren Macht, Geld und Liebe oder Eifersucht. Da man dem Toten noch etwas abnehmen konnte, war Geld hier wohl nicht gefragt gewesen und wenn der Liebhaber schon genannt wurde, war das auch die erste Richtung, die sie einschlug. Allerdings durfte man hier auch wieder nicht vergessen, dass Soula die genauen Umstände nicht kannte. Auf Alex nachfrage, zuckte sie mit den Schultern „Einfach eine erste Vermutung, aber das heißt nichts.“ Sie sah zwischen den beiden kurz hin und her, ehe sie ihre recht direkte Frage stellte: „Ihr scheint wohl nicht besonders viel voneinander zu halten, oder?“ Vielleicht irrte sie sich mit dieser Annahme aber auch und die beiden gingen immer so aufeinander ein? Eine gute Menschenkenntnis half einem nur dann weiter, solange Menschen berechenbar waren. Hier, und allgemein auf diesem Schiff, war sie sich damit gerade nicht so sicher.


Sie hätte es doch eigentlich besser wissen müssen. Es war vollkommen egal, was sie sagte. Wer hier Recht behielt oder ob es überhaupt darum ging. Alex fand immer einen Punkt, an dem er das Blatt zu seinen Gunsten drehte und sie wieder auf diese Position buchsierte, in der sie sich rechtfertigte. Vollkommen grundlos. Aus der Reserve locken. Es stand so schreiend laut in seinen Blick geschrieben, dass Skadi nach nur einem kurzen Blick, den sie sich zweifellos hätte klemmen können, mit den Schultern zuckte. Auch seine mehr als deutliche Stichelei in Bezug auf Soulas Vermutung überging sie. Immerhin war es einfacher irgendeinen Schuldigen zu benennen, wenn man alle Fakten kannte. Dafür musste man kein großes Genie sein, nur ein aufmerksamer Menschenfreund. Was ihre Aufmerksamkeit dann jedoch von den Netzen lenkte, waren seine darauf folgenden Worte. Und die Anspielung die er wie eine Speerspitze in ihre Brust rammte. Er hatte wirklich viel Schneit so ungeniert auf Liam anzuspielen, ohne seinen Namen zu nennen. Skadi brauchte einen Moment, um den Anflug von Wut hinab zu schlucken, weil sie gerade nichts lieber täte, als ihm ihre Faust in den Magen zu rammen. Elendiger Stinkstiefel.
“Ganz sicher nicht… nach den ganzen Geschichten, die ich über dich gehört habe.“ Für einen Moment ruhten ihre Hände tatenlos in ihrem Schoß. Den Blick mit einem süffisanten  Lächeln auf den Zügen gen Alex gerichtet. Und mittendrin Soula, die ziemlich eindeutig spürte, dass die Luft zwischen den beiden mehr als nur dünn war. Und flirrte.
Dass sie jedoch genau das in Worte fasste, überrasche Skadi. Zog den Blick aus braunen Augen auf die junge Frau bis sich ihre Miene aufklarte und sie zu lachen begann. “Er stänkert halt gern. Vor allem wenn ihm scheinbar unfassbar langweilig ist.“ Oder irgendein Problem mit Leuten zu haben schien, denen er zuvor noch nie begegnet war. “Hab schon schlimmere Menschen kennengelernt.“


Eigentlich hatte er schon gar kein Ohr mehr für Soulas Antwort. Allein seine Frage hatte vermutlich gereicht, um zu erreichen, was er erreichen wollte. Aber wenn man ehrlich war – hätte er daraufgesetzt, wäre sie keine große Hilfe gewesen. Allerdings konnte er es ihr kaum verübeln. Er zog niemanden in seine Differenzen hinein. Nicht frontenmäßig und wissentlich jedenfalls. Ein bisschen zu tricksen hatte aber noch keinem geschadet. Daher galt ihr ein kurzes Wiegen des Kopfes, ein ‚hm, so kann man’s auch sehen‘, ehe er sich an Skadi wandte, der gegenüber er sich einen bestimmten Kommentar nicht verkneifen konnte. Und der ausdruckslose Blick, der im ersten Herzschlag ihr Gesicht eroberte, ließ seine Mundwinkel selbstgerecht zucken. Bis sie ihn mit einer Antwort traf, mit der er nicht gerechnet hatte. Das Lächeln erstarb, obwohl er wusste, dass es nicht mehr als ihr Zynismus war, der kein Fünkchen Wahrheit mit sich brachte. Doch gerade, als er sich gefangen hatte, sprach Soula die sprichwörtliche Kuh an, die zwischen ihnen auf dem Eis stand und unübersehbar war. Skadi war die erste, die antwortete. Alex brummte und rollte missbilligend mit den Augen. Dass ihre Einschätzung auch deutlich schlechter hätte ausfallen können, naja, daran verschwendete er keinen Gedanken. Er ließ es trotzdem so stehen. Sollte sie im Glauben bleiben, dass es an reiner Langeweile lag. „Was ist mit deiner Übelkeit? Genug Ablenkung?“

In ihren Augen war ihre Antwort nun recht neutral gehalten gewesen. Soula wollte sich nicht auf eine Seite schlagen, auch wenn sie das unbewusst mit ihren Worten wohl schon getan hatte. Es erschien ihr wirklich so, als hätte sie sich in eine Zankerei hineinbegeben, in der sie nichts zu suchen hatte. Jeder hätte sich wohl eher aus dem Staub gemacht und die beiden alleine ihren Unstimmigkeiten überlassen. Soula nicht. Aktuell hatte sie die Vermutung, dass die beiden sich nicht ab konnten. Zur Wahrheit wurde es allerdings erst, wenn sie Gewissheit hatte. Deswegen stellte sie auch einfach die ganz direkte Frage, von der sie eigentlich nicht viel erwartete. Entweder sie stritten es ab oder sie antworteten ehrlich darauf und Soula würde sich dennoch weiterhin ihr ganz eigenes Bild zusammenbauen.
Skadi lachte. Sie hatte zwar nicht die Absicht gehabt die Stimmung mit ihrer Frage aufzulockern, oder eher gesagt, sie hatte das Gegenteil erwartet, doch ihr Lachen sorgte dafür, dass Soula sich ein wenig entspannte. Schlimmer ging irgendwie doch immer, allerdings glaubte Soula, dass dicke Luft auf einem Schiff, auf dem man so aufeinander hockte, nicht gut ausgehen konnte. Dass sich Unstimmigkeiten und Reibereien nicht meiden ließen, würde sie selbst noch früh genug erleben. „Was unternimmst du gezielt gegen Langeweile auf dem Schiff?“, fragte sie an Skadi gewandt, da Alex, bis auf ein Brummen über das Soula amüsiert schmunzelte, wohl nichts weiter hinzuzufügen hatte. „Bis gerade eben habe ich gar nicht mehr daran gedacht. Euer Ablenkungsmanöver funktioniert also wunderbar, vielen Dank dafür.“ Sie lächelte zufrieden und hatte den Tipp sich aktiv Ablenkung zu suchen bereits verinnerlicht.


Dass Alex nichts darauf zu sagen hatte, konnte mehr als einen Grund haben. Doch Skadi dachte nicht über einen einzigen nach. Schmunzelte vielmehr über die Tatsache hinweg, dass er missbilligend mit den Augen rollte und Soula ganz offensichtlich von hier entführen wollte. Oder zumindest das Thema auf etwas ablenken, dass weder etwas mit ihm oder ihr zu tun hatte.  Es hätte funktionieren können. Wenn er die Rechnung ohne die junge Frau gemacht hätte, die den Ball auf sie zurück spielte. Die Nordskov war fast versucht etwas Ironisches zu erwidern. Dass es immer gut war Alex aufzuziehen, ihm im Dunkeln aufzulauern und anzugreifen oder ihn mit allerlei dummem Gerede auf die Palme zu bringen. Doch sie wusste zu gut, dass er alles mit einer Leichtigkeit von sich schnipste, die nur von einem großen Ego und viel Gleichgültigkeit zeugte. Also wandte sie den Kopf gen Himmel. Hielt in ihrer Tätigkeit inne und biss sie auf die Unterlippe.
“Abgesehen von kleinen Tätigkeiten wie diesen hier… trainiere ich gern ein paar Runden oder geselle mich abends zu den anderen, wenn eine Runde Karten gespielt oder gewürfelt wird. Vielmehr kannst du auf einem Schiff nicht tun…  außer vielleicht mit einem aus der Crew zu schlafen.“ Ein Zucken durchfuhr ihre Schultern. So beiläufig und gleichgültig, das man kaum davon ausgehen konnte, dass Skadi viele Gedanken daran verschwendet hatte.


Na, immerhin war dieser Schlagabtausch für irgendetwas gut. Selbst, wenn Soula noch immer deutlich blass um die Nase war; sie wirkte ein wenig aufgeweckter als zu Beginn ihres Gesprächs. Alex wandte sich zufrieden ab, lehnte sich auf die Reling und starrte auf das Meer hinaus, als sich das Mädchen an Skadi wandte. Etwas, was er der Jüngsten ihres kleinen Kreises nun mit Nichten geraten hätte. Dem Gespräch in seinem Rücken lauschte er nur beiläufig, erntete aber sogleich eine Information, die ihn an ein Gespräch mit Liam am Vortag anknüpfen ließ. Die Schiffsmätresse also, das erklärte, weshalb sich Liam so sicher war, dass es nicht kompliziert werden würde. Dabei hielt er sich doch so prüde stets von Dirnen fern? Tja, Alex sah davon ab, sie zu diesem Erfolg zu beglückwünschen. Stattdessen gähnte er ausgiebig und wandte sich wieder herum. „Im Zweifel nimmt’s dir auch niemand übel, wenn du das Deck schrubbst oder dich bei Flaute beim Angeln nützlich machst.“, warf er aus Erfahrung ein. „Ansonsten gibt’s in der Kombüse auch eigentlich immer was zu tun.“

Die Worte der Nordskov ließen eher darauf schließen, dass es wenig spannendes gab, womit man sich auf diesem Schiff beschäftigen konnte. Mist. Allerdings war Soula der festen Überzeugung, dass sie sich dann eben Beschäftigung suchen musste. In welcher Form wusste sie selber noch nicht genau. Sie hatte sich ein paar Bücher mitgenommen, die sie durcharbeiten konnte, um ihr Wissensgebiet zu vertiefen. Das würde sie definitiv tun. Wenn sie ihr ausgingen… ja, dann musste sie sich etwas neues überlegen. Trainieren war immer noch etwas, was sie vielleicht auf ihre Liste packen sollte, auch wenn Soula nicht glaubte, dass das ihre liebste Leidenschaft wurde. „Hm, klingt so als könnte es Abends richtig spannend werden“, hörte sie zumindest heraus, wenn es ums Würfeln oder um Kartenspiele ging. Würde sie nicht erst mal die Finger davon lassen wollen, könnte sie da sicher mit einsteigen, aber sie hielt sich erst mal zurück und beobachtete. Dann schmunzelte die Veniel und wunderte sich eher über diese Beiläufigkeit, die Skadi dabei ausstrahlte. Solche Worte sagte man eher mit Witz oder Ernsthaftigkeit, aber mit Belanglosigkeit? „Mit einem aus der Crew schlafen? Wie viele zählst du denn schon?“, fragte sie Skadi herausfordernd und war sich etwas unsicher, worauf sie sich hier einließ. Auf Alex Worte hin nickte sie. Die Arbeiten klangen jetzt nicht besonders aufregend, auch nicht direkt danach, als würde man Freudenrufe dabei vernehmen, aber immer noch besser, als wenn man sich zu Tode langweilte und davor hatte Soula ehrlich gesagt noch am meisten Angst hier draußen. Sie würde sich noch wundern. „Das ist gut, wenn es immer etwas zu tun gibt.“

Spannend. Das lag ganz sicher im Auge des Betrachters. Für Skadi waren es definitiv nicht das gemütliche Beisammensitzen, Trinken und Lauschen irgendwelcher abstrusen Geschichten. Eher eine Jagd durchs Unterholz. Wenn die Äste unter den Schritten knackten. Das Laub und Buschwerk bei jeder Bewegung raschelten. Wenn ihr Herz ihr bis zu ihrem Hals schlug. “Mh?“ Bei Soulas Frage senkte sich ihr Blick. Umrundete die feinen Züge der Jüngeren, bis sie schmunzelte. Hatten ihre Worte ihre Wirkung also nicht verfehlt. Zu Alex musste sie nicht einmal hinüber sehen, um zu wissen, dass er sich wieder - oberschlau wie er war - seine eigene Theorie zusammengesponnen hatte. “Ich glaube ich muss dich enttäuschen, Soula. Ich bin vielleicht nicht sonderlich prüde, aber… einer ist vollkommen ausreichend.“ Hatte gerade noch so etwas wie Schelm in ihren Augen aufgeblitzt, verlor ihre Mimik an Glanz. Sackte für einen kurzen Augenblick hinab und folgte den dunklen Augen zum Netz zwischen ihren Händen. “Zumindest dieser eine.“, fügte sie fast kleinlaut hinzu. Packte in ihrem Griff um die feinen Fäden nach und ging zurück an ihre eigentliche Arbeit.

Im nächsten Moment war Alex sogar ziemlich froh darüber, den Blick aufs Meer gerichtet zu haben. So blieb den beiden Frauen wenigstens sein Gesichtsausdruck erspart, der ihm entglitt, ehe er ihn mit einem leisen Räuspern wieder richten konnte. Zudem – Glück, von dem er nichts wusste – blieb ihm so auch Skadis Blick erspart, der ihren Worten so viel mehr Bedeutung beimaß, als es nur ihre Wortwahl tat. Die allerdings reichte ihm auch schon vollkommen, um ungläubig mit den Augen zu rollen. Erst große Töne spucken und dann zurückrudern? Himmel, wem versuchte sie, etwas vorzumachen – Soula oder ihm? „Tja, dann bleibt wohl mehr für dich.“, erklärte er Soula das Offensichtliche und überspielte damit, dass er sich in diesem Gespräch zunehmend fehl am Platz vorkam. Wenn sie nun über ihre Bettgeschichten tratschen wollten – nur zu, aber ohne ihn. Das interessierte ihn nämlich wirklich nicht. „Wobei – da war ja noch der besitzergreifende Ehemann in Spe. Ich vergaß.“ Er zwinkerte Soula kurz zu, ehe er sich von der Reling abstieß, um sich wieder an die Arbeit zu machen. „Eure Weibergeschichten überlasse ich dann mal ganz euch.“, teilte er ihnen mit. Er machte aus seinem Desinteresse kein Geheimnis. Dann wandte er sich zum Gehen.

Auf Skadis Worte nickte Soula und schmunzelte. „Das klang zu Anfang aber noch ganz anders“, meinte sie direkt und sah Skadi dabei genau so direkt an. Dann wandelte sich ihr Schmunzeln in ein Lächeln. Sie war definitiv nicht hier, um jemanden zu verurteilen. Wenn überhaupt, dann nur im spaßigen Sinne. Dann wandte sie sich an Alex: „Mehr für mich?“, wiederholte sie seine Worte. „Danke, nicht interessiert.“ Soula machte eine abwinkende Geste. Dafür war sie noch weniger hier, auch wenn man hie rund da sicher seinen Spaß haben konnte. Soula lachte leise. „Der Ehemann in Spe… jaja, genau, den gibt es auch noch!“ Ihre Worte durfte man nicht zu ernst nehmen. Den werten Herren gab es nicht und auch wenn sie über solch eine Ausrede nachgedacht hatte, war sie hier immer noch unter Piraten. Kurz darauf verließ Alex die kleine Gruppe und Soula nutzte die Gelegenheit, um sich von Skadi mehr Informationen zu holen. „Wer ist dieser eine?“ Würde sie es ihr sagen? War er ein Teil der Crew?

"Man versteht, was man verstehen will." Sie zuckte nur unbeteiligt mit den Schultern. Was Soula in ihre Worte hinein interpretiert hatte, blieb wohl noch immer ihr überlassen. Und nur weil Skadi aussprach, was viele auf diesem Schiff dachten - Rym war schließlich kein Kind von Traurigkeit, genauso wenig wie Lucien oder Ceallagh - hieß es noch lange nicht, dass sie von sich selbst sprach.
Dann hob sie doch den Blick - kommentierte den besitzergreifenden Ehemann in Spe allerdings nicht. Soula hatte ihre Geheimnisse wie es schien - da befand sie sich definitiv in sehr guter Gesellschaft. Und dass sich Alex so gesehen selbst noch als Liebschaft anbot, ließ sie ebenso unkommentiert, wie seinen plötzlichen Abgang. Sah ihm schweigend nach und schüttelte den Kopf. Komischer Kautz. Wahrscheinlich schmeckte ihm das Thema nicht, weil er sehr genau wusste, wo wem sie selbst gesprochen hatte.
Die Nordskov schenkte Soula auf ihre Frage hin jedoch nur ein mattes, irgendwie abgekämpftes Schmunzeln. "Finds raus, wenn du es unbedingt wissen willst.. sagen werd ichs dir nicht." Sie waren keine besten Freunde und genauso wenig erhob sie irgendwelche Besitzansprüche. Der aktuellen Situation zu urteilen, war da ohnehin nichts, worauf sie ihren Stempel hätte drücken können. Weil augenscheinlich nichts mehr dort war.


Soula zuckte mit den Schultern. Irgendwo stimmte es, dass man das verstand, was man mochte und sie nahm die Worte weder persönlich noch sich wirklich zu Herzen. Manche machten sich schließlich auch einen Spaß daraus, Kommentare fallen zu lassen, die man nur falsch verstehen konnte. Das musste jeder für sich selbst wissen. Soulas Neugierde war jedenfalls geweckt und davon abgesehen wollte sie nicht in das Revier einer anderen Dame eindringen, mit der sie einige Zeit verbringen musste. Diese hüllte sich allerdings in Schweigen, was Soula nicht wirklich verwunderte. Immerhin behielt sie auch einige Geheimnisse für sich, so durfte Skadi ihres auch behalten. Auf einem Schiff blieb eine Affäre nur selten geheim, da war sich die Veniel sicher. Besonders, wenn man mit Informationen dazu fast ein bisschen um sich warf. Deswegen fragte sie jetzt auch nicht ins Blaue hinein, denn sie konnte nur falsch raten. „Hmm, na ich denke ich werde es noch früh genug herausfinden“, meinte sie und schmunzelte. Früh genug, als dass sie irgendwelche Flirt versuche veranstaltete.