Inselwelten

Normale Version: All the little Moments
Du siehst gerade eine vereinfachte Darstellung unserer Inhalte. Normale Ansicht mit richtiger Formatierung.
All the little moments

Abend des 16. Juni 1822
Greo & Shanaya Árashi


Mit geschlossenen Augen genoss Shanaya die leichte Brise, die ihr sanft durch die Haare strich. Mit beiden Unterarmen auf die Reling gestützt, ruhte der blaue Blick auf dem Horizont, an dem eigentlich nichts zu erkennen war. Vielleicht zwischendurch Mal ein kleines Licht, bei dem Shanaya sich jedoch nicht sicher war, ob sie sich das nicht einfach eingebildet hatte. Dafür lauschte sie genauer auf die Geräusche um sie herum. Das ferne Gewirr von Stimmen, das stete Plätschern der Wellen, die sich am Rumpf der Sphinx brachen. Und langsam meldete sich auch ein leises Gefühl von Hunger, welches jedoch noch nicht zu laut war, sodass Shanaya dem noch nicht nach ging. Nur einen Moment, bevor sie sich wieder unter das Volk mischte.

Seine Mimik verzog sich ein wenig, als er zischen die Luft einsog und auf den Holzsplitter schaute, den er sich soeben in die Hand gerammt hatte. Splitter war eigentlich keine treffende Beschreibung, vielmehr eine Untertreibung, gemessen an dem etwas vier Zentimeter langen Holzstück, dass sich da aus seinem Handballen ragte. Schmal und spitz hatte er die Kante nicht gesehen, als er sich über den Bugspriet geschoben hatte, um einen Kontrollblick hinabzuwerfen. Wie hatte ihm das entgehen können? Sie waren doch so penibel bei den Wartungsarbeiten. Dank seiner schwieligen Hornhaut schien die Verletzung nicht zu tief zu sein und würde zügig abheilen, das wusste er, dennoch wollte er sich das Ganze nochmal genauer unter gutem Licht ansehen, bevor er das Holz einfach rauspopelte. Mit Blick auf seine Hand marschierte er Richtung Achterdeck. Dabei kam er an Shanaya vorbei, die in Gedanken versunken an der Reling verweilte. „Schon Sirenen singen hören?“, fragte er unvermittelt, als sein Weg sie kreuzte und reckte das Kinn Richtung Meer.

Shanaya hörte die Schritte, die sich in ihre Richtung bewegten, reagierte jedoch erst, als eine dazu passende Stimme erklang, die sie ihre Lippen zu einem Lächeln formen ließ. Und viel mehr noch die Worte, die an sie gerichtet wurden. Zuerst gab die junge Frau ein leises Brummen von sich, als müsse sie über eine Antwort nachdenken, die ihr schon längst klar war. Also drehte sie sich zu ihrem Freund herum, ein vielsagendes Grinsen auf den Lippen, das im spärlichen Licht vielleicht etwas gruseliges an sich haben konnte. „Dagegen bin ich vollkommen immun, immerhin könnte es keine bessere Sirene als mich selbst geben.“ Lucien hatte ihr diesen Spitznamen immerhin auch nicht umsonst verpasst. Ein Gedanke, der ihr Lächeln sanfter, wärmer werden ließ. „Aber keine Sorge, ich beschütze dich, solltest du dem Zauber einer solchen verfallen.“

Ihr etwas irres Grinsen ließ ihn kurz denken, dass man ihr nachts vielleicht besser nicht im dunklen Wald begegnen sollte. Andererseits war sie ihm gegenüber ein äußerst lieber Mensch. Er musste sicherlich keine Sorge haben, dass sie ihn mit Haut und Haaren verspeiste. „So? Das könnte passieren?“, fragte er skeptisch, in der vollkommenen Überzeugung immun gegen solcherlei Gesang zu sein und runzelte bei der Vorstellung die Stirn. „Nah. Eher nicht.“ Er hielt ihr als Themenwechsel die Hand hin. „Bekommst du das raus?“ Er hätte sich sonst im Zweifel an Gregory gewandt, wenn er ihn denn dann gefunden hätte. Aspens jüngeren Bruder behelligte er lieber nicht, der war noch so angeschlagen.

Auf die Nachfrage des Dunkelhaarigen neigte Shanaya leicht den Kopf zur Seite, musterte ihn ein wenig abschätzend, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. „Also… weißt du… so gern ich dich auch habe. Aber… du bist eben ein Mann. Und genau auf die haben sie es ja abgesehen.“ Die Schwarzhaarige grinste ihm munter entgegen, blinzelte dann aber etwas überrascht, als er ihr seine Hand hin hielt. Zuerst verstand sie nicht, was er meinte, blickte dann genauer hin und musste dann etwas auflachen. „Wie zum Teufel hast du das denn angestellt?“ Sie nahm die Hand ihres Freundes in ihre, betrachtete genauer das Holz. „Lass uns zu etwas mehr Licht gehen, dann sehe ich mir das Mal genauer an.“

Zwar klappte er den Mund auf, um zu erwidern, dass seine Männlichkeit an dieser Stelle doch kein ausschlaggebendes Argument war, musste sich dann aber beim zweiten Überlegen eingestehen, dass da vielleicht ein winziges bisschen was dran war. Ob er sich jetzt komplett einlullen ließ oder nicht: ein Kerl und damit potenzielles Ziel war er. Wobei: er glaubte schon wirklich an Sirenen. Da trieb doch höchstens eine dicke Seekuh im Wasser. „Mach das.“, erwiderte er ein wenig erleichtert, weil er nicht wusste, ob seine Feinmotorik ausreichte, sich selbst zu verarzten. Sie liefen ein Stück, bis sie eine bereits erleuchtete Lampe fanden, die beim Aufgang zum Achterdeck hing. Greo hielt die Hand in den flackernden Schein. „Das erinnert mich an irgendwas.“ Er schaute angestrengt drein. „Da ging es doch auch ums Nähen… wobei, das ist sicher nicht nötig, oder?“

Greo wollte etwas erwidern, so viel konnte Shanaya sehen. Es kam aus seinem geöffneten Mund jedoch kein einziger Ton – ein Sieg, den sie sich zuschrieb. Aber dagegen konnte er eben auch sagen, was er wollte. Und der Blick, den der große Mann dafür erntete, sprach ebenso Bände. Dafür war das Thema für sie aber auch schon wieder fast vergessen und sie begleitete ihren Freund zu etwas mehr Licht, um sich seine Hand einmal genauer anzuschauen. Noch einmal nahm sie seine Hand, betrachtete den Splitter und seufzte. „Nie kann man dich alleine lassen!“ Ein Schmunzeln huschte über ihre Züge. „Ich weiß nicht, was du meinst. Woran erinnert dich das?“ Auf ihrem Gesicht lag mit Greos nächsten Worten ehrliche Verwirrung. An was genau erinnerte ihn das? „Aber ich denke, das muss nicht genäht werden. Tut sicher trotzdem weh. Ich würde sagen, ich hole ich eine kleine Zange, mit den Fingern ist das eher schwierig… und ein bisschen Alkohol zum Säubern.“ Damit drehte sie sich schon zum Gehen, warf Greo jedoch noch einen kurzen Blick zu.