Inselwelten

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A Matter of Trust

Mittag des 16. Juni 1822
Rayon Samuel Enarchea & Shanaya Árashi


Rayon hatte sich auch nach mehreren Tagen auf See noch nicht satt gesehen an dem neuen Glanz, in dem die Sphinx seit ihrem Aufenthalt auf Calbota erstrahlte. Auch wenn für ihn selbstverständlich die Instandsetzung der Küchenschränke und das Auffüllen der Vorräte die größte Priorität genossen hatte, musste er doch feststellen, dass er sich durch die Reparaturen an ihrem Schiff mehr wie ein ernstzunehmender Pirat fühlte als zuvor. Die neuen, nach wie vor blutroten Segel trugen zum durchaus furchteinflößenden Anblick der Sphinx den größten Teil bei, aber auch die neuen Kanonen waren für eine seriöse Gruppe gefährlicher Freibeuter definitiv nützlich. Der Smutje schmunzelte bei dem Gedanken. Die Crew bestand definitiv aus zu vielen... eigenwilligen... Persönlichkeiten, um sich seriös nennen zu können. Und genau das mochte er an ihr.
Lässig an die Borwand gelehnt, seinen Sonnenhut tief ins Gesicht gezogen, blinzelte er in Richtung der Sonne, die immer mal wieder hinter der ansonsten recht dichten Wolkendecke hervorlugte. Es wäre nicht verkehrt, endlich mal ein wenig Ruhe zu genießen - und nicht direkt wieder ins nächste Abenteuer zu trudeln. Das war umso mehr der Fall, als sich ihnen in Silvestre einige neue Gesichter angeschlossen hatten, von denen einige den Eindruck machten, noch nie zuvor auf See gewesen zu sein. In ihrem Sinne hoffte er, dass sie sich erst einmal an das raue Leben auf einem Schiff gewöhnen konnten, dessen Crew es mit der Gesetzestreue nicht allzu streng hielt.


Mit einem genüsslichen Seufzen streckte Shanaya die Arme in dem Moment in die Höhe, als sie aus der Dunkelheit des Schiffrumpfes trat. Einige Wolken zogen am Himmel vorbei, trotzdem wärmte die Sonne mit unbändiger Kraft. Die junge Frau hatte sich also ihrer Bluse entledigt, das rote Tuch so gebunden, dass es genug ihrer Brüste verdeckt, der Wind ihre restliche Haut etwas abkühlen konnte. Es würde vermutlich noch etwas dauern, bis sie sich an diese Wärme gewöhnt hatte. Die kurze Zeit, die sie immer Mal wieder mit dem Schiff ihrer Eltern unterwegs gewesen war, hatte dazu wirklich nicht gereicht.
Die Arme wieder sinken lassend setzte die Schwarzhaarige sich wieder in Bewegung, wollte sich auf den Weg zum Bug des Schiffes machen, blieb auf halber Strecke jedoch stehen. Mit einem kurzen, skeptischen Blick betrachtete sie den großen Mann, der sich gegen die Bordwand lehnte. „Gehörst du nicht hinter den Herd?“ Ein etwas schräges Lächeln lag auf den Lippen der jungen Frau, ihre Stimme klang jedoch höchst amüsiert.


Die Mundwinkel des Schiffskochs zogen sich zu einem Schmunzeln nach oben, als Shanaya das Deck betrat und ihn in ihrer typischen Manier ansprach. Er hob den Sonnenhut ein wenig an, um sie besser ansehen zu können, und zuckte dann mit gespielter Theatralik die Achseln. "Ich würde nichts lieber tun, als den ganzen Tag lang zu kochen, aber wenn ich das täte, wären wir innerhalb kürzester Zeit nur noch als die fetteste Piratenbande der acht Welten bekannt. Kein besonders vorteilhafter Ruf, wenn du mich fragst", erwiderte er und sein Schmunzeln verbreiterte sich noch. "Außerdem... so viel kannst nicht mal du essen." Es war unnötig, zu erwähnen, dass sie in dem Fall auch binnen weniger Tage sämtliche Vorräte aufgebraucht hätten - wobei die Sphinx ohnehin niemals wirklich lange auf See zu bleiben schien, bevor sie - zwangsläufig oder freiwillig - den nächsten Hafen (oder die nächste gottverdammte verlassene Insel) anlief. Nicht selten, um das Schiff zu reparieren oder vernünftig in Schuss zu bringen. Rayon hoffte inständig, dass ihr letzter Ausflug in dieser Mission auch für eine Weile der letzte bleiben würde.

Rayon reagierte nicht groß, schob bloß seinen Hut etwas hoch und schaute sie genauer an. Seine Worte lockten dann einen grüblerischen Ausdruck auf die Züge der jungen Frau. Ganz von dem zur Neige gehenden Proviant, war der Gedanke, immer Zugang zu feinstem Essen zu haben, unglaublich verlockend. Aber dafür hatte sie sich vermutlich den falschen Lebensweg ausgesucht… „Fordere mich nicht heraus, mein Lieber. Mit genug Bewegung und Auslastung wird mein Magen zu einem Fass ohne Boden.“ Und denen, die ernsthaft der Arbeit auf dem Schiff nachgingen, sollte es kaum anders gehen. Neben dem Hünen kam die Schwarzhaarige an der Reling zum Stehen, stützte beide Hände auf dem Holz ab und reckte die Nase in den erfrischenden Wind. „Und wenn du Mal nicht am Herd stehst, starrst du Löcher in den Horizont?“ Ein amüsierter Blick galt Rayon von der Seite.

Das habe ich schon gemerkt, dachte Rayon erheitert angesichts Shanayas treffendem Vergleich, und wandte sich dann ebenfalls in Richtung des Meeres, als die Schwarzhaarige sich zu ihm gesellte. Einige Momente lang genoss er den Wind ebenso wie die junge Frau neben ihm - dann wurde sein Schmunzeln noch breiter, als sie auf seine momentane... nun... Tätigkeit?... zu sprechen kam. "Eine wichtige Aufgabe! Wenn ich nur genug starre, können wir vielleicht irgendwann durch eines hindurchsegeln", sagte er und versuchte dabei, möglichst ernst zu klingen, was ihm jedoch nicht sonderlich gut gelang. "Und du? In welcher glorreichen Mission bist du gerade unterwegs?" Möglicherweise in einer wichtigeren als er, aber trotzdem konnte er sich den amüsiert-ironischen Unterton nicht verkneifen.

Mit einer ruhigen Bewegung einer Hand ordnete Shanaya ihre Haare ein wenig, hob dann mit leicht grüblerischer Miene eine Augenbraue und musterte den Dunkelhäutigen. „Und wohin führt uns ein von dir erdachtes Loch?“ Wer wusste schon, was für dunkle Gedanken Rayon möglicherweise hatte. Die Frage des Mannes ließ sie dann tief und schwer seufzen, ehe sie mit einer Hand in die Richtung des Steuers deutete – und tunlichst jeden Blick in diese Richtung vermied. „Mir die Zeit vertreiben, bis meine nächste Schicht beginnt und hoffen, dass der Kurs dann noch passt.“ Sie wollte gar nicht wissen, wer jetzt ihren Platz eingenommen hatte. Vielleicht, hoffentlich, war es Lucien. Aber so oder so kribbelte es ihr in den Fingern, endlich selbst wieder das Steuer zu übernehmen.

Shanayas Frage weckte prompt den Geschichtenerzähler in ihm. Wohin mochte ein Loch im Horizont wohl führen? Da gab es unzählige Möglichkeiten! Vielleicht zum Ende der Welt, wo unzählige Schätze auf ihren Entdecker warteten? Vielleicht in eine gänzlich andere Welt, in der sich die Dinge völlig anders verhielten als hier? Vielleicht würde man aber auch einfach nur durch es hindurchstürzen und fallen, immer und immer weiter, bis in alle Ewigkeit... Es dauerte einige Sekunden, in denen Rayon solchen Gedanken nachhing, ehe er sie wieder in Richtung Gegenwart bugsierte. "Wohin auch immer wir wollen - schließlich ist es doch von mir erdacht, oder?", antwortete er schließlich mit einem abenteuerlustigen Funkeln in den Augen. Schade, dass daraus keine Realität werden würde. Die Reaktion der jungen Frau auf seine Frage ließ ihn kurz die Stirn runzeln. Shanaya hatte ein nicht zu verachtendes schauspielerisches Talent und einen Hang zur Dramatik, aber ihr tiefer Seufzer war ganz offensichtlich nicht gespielt - zumindest nicht nur. "Hab ein bisschen Vertrauen in den Rest der Crew. Das sind fähige Seemänner und Seefrauen." Er stockte kurz und dachte an die Neuzugänge, die sie kürzlich aufgegabelt hatten und von denen einige in der Tat noch nicht sehr viel Erfahrung aufwiesen. "Nun, zumindest die meisten von ihnen. Und sicher würde es niemand ohne fundierte Kenntnisse auf dem Gebiet der Navigation wagen, sich an deinem Steuer zu vergehen!" Rayon konnte sich tatsächlich sehr gut vorstellen, wie Shanaya ein Mitglied der Crew zurechtstutzte, weil es während ihrer Pause völlig vom Kurs abgekommen war, und fand den Gedanken daran durchaus amüsant.

Shanaya konnte ein Auflachen nicht unterdrücken, musterte Rayon dann mit prüfendem Blick. „Wow… du bist so selbstlos, dass du uns dahin schickst, wohin wir wollen? Beachtenswert.“ Bei ihr, so sicher war sie sich, würde es dort hin gehen, wo sie hin wollte. Daraus musste sie allerdings auch kein Geheimnis machen. Was er dann nach einer kurzen, dramatisch nachdenklichen Pause auf ihre Worte antwortete, ließ die Schwarzhaarige leise schnaufen. Die junge Frau hob eine Augenbraue, wollte etwas erwidern, als Rayon selbst seine Worte noch einmal ergänzte. Gerade nochmal gerettet. „Solange man mir nicht bewiesen hat, was man kann und was man nicht kann, habe ich kein Vertrauen in Niemanden.“ Klare Worte, die mit einem sicheren Blick untermalt wurden. Was brachte einem Vertrauen, wenn man es nur mit Idioten zu tun hatte? „Derjenige wäre auch so schnell weg vom Steuer, dass er es nicht einmal merken würde.“ Ein erneutes Schnaufen. Sie erinnerte sich gut genug an Gregory, der sie belagert und nicht verstanden hatte, dass er mit so verzweifelten Versuchen bei ihr auf Granit biss.

"WIR schließt MICH doch mit ein, nicht wahr?", erwiderte er unverändert schmunzelnd. "Außerdem wüsste ich gar nicht, wohin dieses Loch mich führen sollte. Ich bin hier an Bord der Sphinx sehr zufrieden." Das war er tatsächlich. Zwar vermisste er einige seiner ehemaligen Kameraden auf der Sirène durchaus, aber der Übergang auf das neue Schiff war ihm deutlich leichter gefallen, weil Gregory und Trevor sich gemeinsam mit ihm der Rettungsaktion Luciens angeschlossen hatten, und mittlerweile hatte er den Großteil seiner neuen Crew ins Herz geschlossen. Zudem war das Leben als Pirat genau das, was er sich für den Rest seiner Existenz auf dieser Welt vorstellte. Shanayas nächste Worte ließen das Schmunzeln auf seinen Lippen einem eher schiefen Lächeln weichen. Er kannte solche Aussagen von ihr und eigentlich wusste er, dass er mit seiner ab und an etwas belehrenden Art bei ihr auf Granit stieß, aber trotzdem konnte er es sich gelegentlich nicht verkneifen, ihren bisweilen etwas engstirnig anmutenden Ansichten etwas entgegenzusetzen. "Vertrauen zu haben ist keine Schwäche", sagte er deshalb. "Wenn Greg, Trevor und ich nicht zumindest ein wenig Vertrauen in Talin gehabt hätten, obwohl wir sie nicht kannten, hätten wir uns vermutlich nicht ihrer Crew angeschlossen. Und wenn du nicht in irgendeiner Art und Weise ein wenig Vertrauen in mich gehabt hättest, hättest du eigentlich niemals mein Essen probieren dürfen." Die letzten Worte brachten das Grinsen zurück auf sein Gesicht.

Shanaya schüttelte bei den Worten des Dunkelhäutigen nur leicht den Kopf über ihn, schluckte ihre Antwort dazu jedoch herunter. Das war etwas, wo sie sich vermutlich viel zu lange im Kreis herum drehen konnten – und was er als nächstes sagte, war so oder so viel mehr eine Antwort wert. Sein Lächeln wurde etwas schräger und Shanaya seufzte mit einem amüsierten Blick auf diese Veränderung. „Ich habe ja auch nie gesagt, dass das eine Schwäche ist, oder? Ich überlasse es nur jedem selbst, ob ich ihm vertraue, oder nicht. Entweder jemand erweist sich als würdig oder eben nicht. Aber allein, weil viel zu viele wieder verschwinden, wäre es mir zu viel Aufwand, in jeden Neuankömmling Vertrauen zu stecken. Ich hebe mir das für die auf, die es auch wirklich verdienen.“ Was er dann zu seinem Essen sagte, entlockte der jungen Frau ein leises Lachen. „Soso. Ich sollte mein Essen also demnächst vorkosten lassen, hm? Das ist eine andere Art von Vertrauen. Du hättest mich ja aus der Kombüse geprügelt, wenn ich versucht hätte, mir jeden Tag selbst Essen zu zubereiten.“ Ein eindeutiger Blick galt dem Älteren.

Nein, die junge Frau hatte diesen Charakterzug in der Tat nicht als Schwäche bezeichnet, aber es war offensichtlich, dass sie sehr darauf bedacht war, anderen Menschen zumindest keinen Vertrauensvorschuss zu geben. Das war schade - aber hatte vermutlich seine Gründe. Schließlich war er selbst in seinem Leben bereits an dem Punkt gewesen, an dem er zu überhaupt nichts mehr Vertrauen hatte - weder in sich selbst, noch in andere Menschen, noch in die Welt als Ganzes. Er verdankte es vor allem den Tarlenn, dass sich das wieder geändert hatte, aber aus eben diesem Grund konnte er verstehen, wenn andere so dachten. Vielleicht war Shanayas Urvertrauen ebenfalls auf erschütternde Art und Weise enttäuscht worden. Vielleicht war sie auch einfach nur eine überzeugte Pessimistin? Zudem musste er ihr zugestehen, dass sie durchaus Recht damit hatte, dass sie bereits einige Crewmitglieder hatten kommen und gehen sehen (wobei die meisten eher unfreiwillig gegangen waren). Sie leitete aus diesem Umstand schlichtweg eine andere Entscheidung ab als er. Als die Schwarzhaarige auf seine Andeutung bezüglich des Essens antwortete, entwich ein tiefes, schallendes Lachen seiner Kehle. "Ich würde mich niemals trauen, dich aus der Kombüse zu prügeln, ich bin doch nicht lebensmüde! Aber du hast schon Recht - meine Kombüse ist für mich vermutlich, was für dich das Steuer ist." Sein Lachen ging in ein verschmitztes Grinsen über. "Und bisher habe ich genauso wenig versucht, dich zu vergiften, wie du uns absichtlich auf ein Riff hast auflaufen lassen, richtig?" Sein Grinsen wurde noch ein wenig breiter. "Aber es ist schön zu hören, dass du zumindest... eine gewisse Art Vertrauen in mich hattest."

Rayons Antwort ließ das Schmunzeln der jungen Frau noch einen Hauch breiter werden. Lebensmüde war wohl die richtige Wortwahl – auch wenn sie sich natürlich an die Carta hielt. Aber… Unfälle passierten eben. Amüsiert über diesen Gedanken neigte die Schwarzhaarige nachgebend den Kopf bei Rayons Antwort. Das war ein gutes Argument, gegen das sie nichts erwidern konnte. „Ich unterscheide da in verschiedene Kategorien – ich vertraue dir vielleicht, was das Essen angeht. Mein Leben würde ich dir aber nicht anvertrauen, wenn es darauf ankommt. Wobei ich das bisher hier bei… sehr wenigen tun würde.“ Vor ihrem inneren Auge flackerten kurz einige, bekannte Gesichter auf. Wie weit würde sie ihnen vertrauen? Irgendwann würde sie das sicher heraus finden. An erster Stelle vertraute sie noch immer sich selbst am meisten, und daran würde sich so schnell auch nicht unbedingt etwas ändern. Sie klopfte dem Dunkelhäutigen kräftig gegen die Schulter. „Dazu musst du uns noch eine ganze Weile treu bleiben.“ Damit galt Rayon noch einmal ein vielsagender Blick.

Das Lächeln verblieb auf seinem Gesicht, auch wenn Shannys Worte an jemand anderen gerichtet durchaus das Potenzial gehabt hätten, zu verletzen. War es nicht beinahe schon notwendig, das eigene Leben in die Hände der Crewmitglieder zu legen, wenn es darauf ankam? Und warum hatte er sich dieses Vertrauen nicht schon längst verdient? So aber war Rayon schlichtweg froh, zu hören, dass sie ihm zumindest in seiner Kernkompetenz vertraute. Vermutlich war diese Aussage aus dem Mund der Schwarzhaarigen ein unschätzbar großes Lob, und er beschloss, es genau als solches zu sehen. "Nun, wenn ich dich in dieser Kategorie schon überzeugt habe, wird mir das auch in allen anderen noch gelingen", sagte er in einem möglichst überzeugend klingenden Tonfall. "Wobei ich nichts dagegen hätte, dir den Beweis, dass du mir dein Leben anvertrauen kannst, für immer schuldig zu bleiben. Ich habe es nicht allzu gern, wenn Leute um mich herum fast sterben." Das darauffolgende Bild musste für einen unbeteiligten Beobachter durchaus amüsant wirken. Eine zierliche, nicht sonderlich großgewachsene Frau, die einem Hünen wie Rayon auf die Schulter klopfte (und ihren Arm dabei nicht unwesentlich in die Höhe strecken musste). Der Schiffskoch nickte und führte seine rechte Hand zur Stirn, um mit plötzlich todernstem Gesicht vor ihr zu salutieren. "Zu Befehl, M'lady!", sagte er laut, konnte die Fassade aber nicht sonderlich lang aufrechterhalten und gluckste stattdessen vergnügt. "Ich habe nicht vor, die Sphinx zu verlassen. Es gibt keine Heimat, in die ich zurückkehren wollte, und kein Schiff, auf dem ich lieber wäre. Meistens zumindest." Er zwinkerte der jungen Frau zu. "Und du klingst so, als würdest du auf diesen nicht mehr ganz so morschen Brettern hier alt und schrumplig werden wollen."

Shanaya legte bei den Worten des Dunkelhäutigen den Kopf ein wenig zur Seite, musterte ihn mit einem prüfenden Lächeln. Ob er das schaffen würde? Eine Frage, die sie sich vielleicht eine lange Zeit stellen würde… und bei der sie erst eine Antwort erhalten würde, wenn es wirklich zu diesem Fall kam. Sie vertraute nicht vielen und jeder, dem ehrliches Vertrauen entgegen gebracht wurde, durfte sich vermutlich glücklich schätzen. Als Erwiderung warf sie dem Älteren noch einmal ein vielsagendes Lächeln zu. „So schnell bin ich auch nicht klein zu kriegen, du solltest also noch etwas Zeit dafür haben.“ Vielleicht so lang, bis Bláyron einen Kampf gewann, von dem die junge Frau hoffte, dass er nie gewinnen würde. Als Rayon salutierte, festigte die Schwarzhaarige ihren Körper, nickte dem Mann mit ernster Miene – und nur dem Anflug eines Lächelns – zu. Bei seinen Worten wog sie den Kopf schließlich zustimmend hin und her, ehe sie sich eine Hand an die Wange legte und ein überzeugtes Grinsen auf ihren Zügen erschien. „Alt vielleicht, aber meinst du, dieser Körper wird jemals schrumpelig werden?“ Sie übertrieb, und das vollkommen bewusst und offensichtlich. „Aber ja, das trifft es ganz gut.“ Ihr Blick wurde deutlich sanfter, mehr Wärme lag darin. „Ich denke, ich habe hier die Heimat gefunden, die ich für mich gesucht habe.“

Dieser prüfende Blick war etwas, an das Rayon sich langsam gewöhnte. Ganz anders als an ihr Lächeln - daran musste er sich nicht gewöhnen. Der Schiffskoch mochte das Lächeln der jungen Frau, weil es ihr Gemüt so offensichtlich widerspiegelte, wie es selten bei Menschen der Fall war. Und auch wenn die Schwarzhaarige durchaus Charakterzüge hatte, die Rayon nicht unbedingt schätzte (wer hatte die nicht?), war es doch vor allem dieses Gemüt, das sie ihm sympathisch machte. "Das hoffe ich", erwiderte er und erwiderte ihr vielsagendes Lächeln, zog dabei aber auch die linke Augenbraue hoch, als würde er ihr damit bedeuten wollen, dass er sie beim Wort nahm. Die Reaktion Shanayas auf seine schauspielerische Einlage ließ sein Lachen beinahe schon unpassend wirken, doch glücklicherweise behielt sie ihre ernste Miene nicht allzu lange bei, sondern stellte stattdessen ihr grenzenloses Selbstbewusstsein zur Schau, das dem Schiffskoch manchmal ein wenig übertrieben vorkam. Er mahnte sich zu dem Gedanken, dass es dafür sicherlich gute Gründe gab, und spielte mit. "Die Götter mögen es verhindern", rief er aus und verkniff sich jeglichen weiteren Kommentar, der an dieser Stelle vermutlich unpassend gewesen wäre. Die darauffolgenden Worte der jungen Frau waren ohnehin viel spannender. "Das klingt, als hättest du vorher nie so etwas wie eine Heimat gekannt", sagte er, während sein Blick mit ernster Miene auf ihr ruhte. Er wusste wenig über ihre Vergangenheit, was schade war, weil nahezu jeder Mensch sehr interessante und aufschlussreiche zu erzählen hatte. Vielleicht war sie ja jetzt in der Stimmung, ein wenig von sich preiszugeben - insofern sie ihm dafür genug vertraute, selbstverständlich. Oder das jemals tun würde. Rayon grinste innerlich bei diesem Gedankengang.

Shanaya kommentierte die Worte des Mannes mit einem vielsagenden Lächeln. Sie beließ es dabei, bedurfte es hier wohl nicht noch vieler, weiterer Worte. Die Frage, die der Dunkelhäutige dann jedoch stellte, ließ Shanaya einen Moment nachdenken. Nicht darüber, was sie ihm sagen sollte, sondern viel mehr, ob sie ihm darauf überhaupt antworten sollte. Die Antwort war denkbar einfach, aber sie gab nicht gern viel von sich preis. Sie würde es also vorerst bei den Informationen belassen, mit denen der Koch nichts weiter würde anfangen können – außer, dass er ein bisschen mehr über sie erfahren würde. „Hatte ich auch nicht wirklich. Um ehrlich zu sein, nicht einmal ansatzweise. Mein ‚zu Hause‘ war nie meine Heimat. Das musst eich mir also selbst suchen.“ In ihrer Stimme schwang kein Hauch von Bitterkeit mit, wie sie darüber sprach, machte nur deutlich, dass das für sie kein Problem war. Jeder hatte seine Vergangenheit und sie hatte schon früh genug beschlossen, im Hier und Jetzt zu leben. Egal, was sich in ihrer Vergangenheit abgespielt hatte.

Rayon nickte nachdenklich. Diese wenigen Worte, auch wenn sie keine Details preisgaben, sagten trotzdem eine Menge über Shanayas Herkunft aus, und auch über ihre Kindheit. Zumindest erlaubten sie Rückschlüsse, bei denen es sich zwar auch um Trugschlüsse handeln konnte, die dem Schiffskoch aber zumindest zu einem Bild verholfen, das hoffentlich nicht allzu weit von der Wahrheit abwich. Dass sie ihr Zuhause nicht ihre Heimat nannte - und das Wort "Zuhause" zudem besonders betont hatte -, deutete darauf hin, dass sie keine sonderlich glückliche Kindheit erlebt hatte. Vermutlich hatte sie sich früh davor schützen müssen, indem sie entweder eine harte Schale aufgebaut hatte, die ihren weichen Kern schützen sollte - oder indem sie direkt ihren Kern gehärtet hatte. Was davon zutraf, konnte der Dunkelhäutige noch nicht beurteilen. Die Nüchternheit, mit der die junge Frau darüber sprach, sprach dafür, dass sie sich das zu Herzen genommen hatte, was die meisten Piraten taten, wenn sie auf ihrem ersten Schiff anheuerten. Sie ließen ihre Vergangenheit hinter sich. Wenn sie das tatsächlich geschafft hatte, war das beeindruckend. Rayon hatte dafür deutlich länger gebraucht. "Nun, der Vorteil daran ist, dass niemand kommen kann, um diese Heimat zu zerstören", sagte er schließlich nach einer längeren Pause. "Der Nachteil ist, dass man zu früh erwachsen wird. Und dass einem Dinge auf der Seele lasten, von denen man sie erst wieder befreien muss." Er blieb damit bewusst vage. Wenn seine Worte zumindest einen Teil ihrer Geschichte berührten, würde sie vielleicht das Gefühl haben, dass er sie verstehen könnte. Andernfalls hatte er schlichtweg seine eigene Vergangenheit ein wenig aufgerüttelt, doch das passierte ohnehin regelmäßig, und er hatte gelernt, damit umzugehen.

Ohne sich diese stille Frage anmerken zu lassen, fragte Shanaya sich, was wohl die Gedanken des Dunkelhäutigen zu ihren Worten waren. Vielleicht stempelte er sie als eine dieser typischen Seelen ab, die ach so viel Leid in ihrer Vergangenheit erlebt hatten und daran zerbrochen waren. Er ließ sich jedenfalls etwas Zeit für seine Antwort, sodass Shanaya den Blick kurz schweifen ließ und sich erst wieder zu Rayon herum wandte, als dieser zu sprechen begann. „Nah, glaub mir, auf meiner Seele lastet nichts. Ich habe Frieden mit meiner Vergangenheit geschlossen und lebe im Hier und Jetzt. Unsere Vergangenheit formt uns vielleicht, das war es aber auch. Sich darauf auszuruhen und damit alles zu untermauern wäre ziemlich… schwach und langweilig.“ Kein Wunder, dass sie es nicht lang in der Gesellschaft von denen aushielt, die sich ständig über ihr Erlebtes beschwerten und ohne Pause jammerten. „Auch wenn die meisten glauben, ich würde aufgrund meines Charakters nur eine Maske tragen.“ Die junge Frau zuckte mit den Schultern, grinste dabei amüsiert. „Umso größer ist der Schock, wenn sie verstehen, dass ich bin, wie ich bin. Ohne mich zu verstellen oder dergleichen.“