Inselwelten

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Testing the Limits

Nachmittag des 13. Juni 1822
Shanaya Árashi & Soula Veniel


Für die lange Zeit auf See war es vielleicht ratsam sich Beschäftigung zu beschaffen. Soula hatte sich darüber Gedanken gemacht, wie sie das umsetzen wollte. Sie brauchte auf jeden Fall ein Notizbuch, Feder und Tinte. Glücklicherweise hatte ihr Onkel ihr einiges an Geld mitgegeben, sodass sie bisher noch kein Problem sah, auch wenn sie damit nicht um sich schmiss. Eine Unterkunft mit Verschwiegenheit war schließlich auch nicht billig. Ihre Schritte lenkten sie in den Buchladen, den sie schon bei ihrer Ankunft gesehen hatte. Sie war aber bisher nicht drin gewesen. Als sie eintrat, war sie gleich schon etwas besser gelaunt und ihre Mundwinkel hoben sich etwas. Sie liebte diesen Geruch. Sie begrüßte den Buchhändler, anschließend huschte ihr Blick über die Regale. Sie wollte etwas lernen, etwas Sinnvolles. Für den Kampf war sie nicht kräftig genug, glaubte sie, deswegen musste es etwas anderes sein. Ihre Hand strich über ein Buch, das von Medizin handelte. Medizin war wichtig, die Zutaten aber auch. Kräuter und die verschiedenen Zusammensetzungen auch, es war ein breites Feld. Grundlagen bildeten aber definitiv die Pflanzen und Kräuter und welche Eigenschaften sie hatten. Das war auch eines der ersten Bücher, das sie aus dem Regal zog und durch das sie blätterte.

Shanaya saß nun schon eine ganze Weile an dem einzigen Tisch, der sich zwischen all den Regalen befand, die mit Büchern voll gestopft waren. Ein Bein über das andere geschlagen, lehnte die Schwarzhaarige nach vorn gebeugt, den hellen Blick auf das Buch vor sich gerichtet. Morgen war es soweit, sie würden diese Insel endlich wieder verlassen und weiter segeln. Die letzten Wochen hatte sie sich schon ausgiebig mit den Gewässern um Calbota herum bekannt gemacht, hatte sich umgehört und jede Information aufgesaugt, die sie bekommen konnte. Nun hatte sie noch einmal eines dieser Bücher vor sich aufgeschlagen, studierte die Umgebung. Ihre Konzentration lag zwar mehr bei dem nächsten Morgen, an dem sie ablegen würden, aber so konnte sie diese Zeit sinnvoll hinter sich bringen. Immer wieder betraten neue Menschen die Buchhandlung, aber Shanaya hob meist nur kurz den Blick, achtete nicht wirklich auf sie und richtete ihre Aufmerksamkeit meist schnell wieder auf das Buch. So erkannte sie auch Soula nicht, die sich ebenfalls den Büchern widmete.

Die ersten Bücher hatte sie sich schon aus dem Regal gezogen und wollte noch ein bisschen darin herumblättern, um sicher zu sein, dass sie sie mitnehmen wollte. Dafür ging sie mit dem kleinen Stapel zu dem einzigen Tisch, an dem eine Frau saß, die sie am Anfang gar nicht so sehr wahrgenommen hatte. Als sie sich dem Tisch dann näherte, erkannte sie aber Shanaya, die zu ihrer neuen Crew gehörte. Sie schmunzelte, hatte schon mehr oder weniger gute Erfahrungen mit ihr gehabt. In der Taverne, mit der gesamten Gruppe, war sie eigentlich eine ganz angenehme Gesellschaft. Soula war gespannt, wie sich das ganze so entwickeln würde. Sie tat sich aber etwas schwer, passende Worte zu finden, ohne, dass sich die beiden Frauen wieder mit Worten battleten. Es war nicht so, dass Soula sich nicht darauf einlassen würde, aber sie wollte eine angenehme Atmosphäre schaffen. „Hey, was ließt du denn spannendes?“, fragte sie also mit fröhlicher Stimme und warf ihr ein freundliches Lächeln zu. „Darf ich dir Gesellschaft leisten? Ich bin noch nicht sicher, welche ich von denen mitnehmen möchte.“

Zum dritten Mal las Shanaya nun diese Seite, die erste des Kapitels um die Küsten von Calbota. Sie wollte jede kleine, noch so bedeutungslose Information heraus filtern und sich ins Gedächtnis brennen. So hob sie, als sie angesprochen wurde, nur einen Finger, um ihrem Gegenüber klar zu machen, dass sie einen Moment warten sollte. Zwei Zeilen, dann hatte sie die Seite beendet. Für diese Momente ließ die junge Frau den Finger erhoben, bis ihre Augen sich von dem letzten Wort der Seite abwandten und sie den Kopf ein wenig anhob. Soula. Sie hätte die Frau an ihrer Stimme nicht erkannt, so konzentriert sie gelesen hatte. Umso schwieriger war es nun, sich zu erinnern, was die Dunkelhaarige gesagt hatte. Zwei Herzschläge lang grübelte Shanaya, wog dann den Kopf etwas zur Seite. Es hatte garantiert etwas mit Büchern zu tun. „Ich glaube, ich könnte jedes Buch mitnehmen, wenn ich auf dem Schiff genug Platz dafür hätte.“ Vielleicht passte das ja zu dem, was Soula gesagt hatte.

Etwas verdutzt sah sie dabei zu, wie Shanaya ihren Finger hob und konzentriert weiter auf die Buchseite starrte, die sie aufgeschlagen hatte. Wäre das nicht der einzige Tisch, würde sie sich sicher auch einen anderen Platz suchen, aber Soula war sich noch nicht sicher, ob sie wirklich unerwünscht war. Notfalls würde sie sich in einer Ecke auf den Boden setzen und da die Bücher durchstöbern. Dafür war sich Soula auch nicht zu schade. Eine Antwort erhielt sie aber auch erst nach einer kurzen Zeit. Soula schmunzelte. „Jedes? Hast du so viele Interessen?“ Wenn es so war, dann war es wirklich beeindruckend. Ein oberflächliches Wissen war schließlich auch gut, aber längst nicht alles. Shanaya schien aber als Navigatorin ihre Spezialität schon gefunden zu haben. „Seit wann bist du Navigatorin? Hat dich das schon als Kind interessiert?“, fragte sie. Shanaya schien nicht sehr viel älter als sie selbst. Irgendwo musste sie doch ihr Wissen her haben.

Immerhin schien ihre neue Gesellschaft zu verstehen, dass sie noch einen Moment still sein sollte. Das hinderte die junge Frau zumindest schon einmal daran, sie weg zu schicken. Und was ihr Gegenüber auf die Worte Shanayas antwortete, als diese den Kopf gehoben hatte, ließ die Schwarzhaarige amüsiert lächeln. Sie hatte also doch alles richtig in Erinnerung behalten! „Ich bin der festen Überzeugung, dass Wissen Macht ist.“ Das konnte man nun auslegen, wie man wollte, aber die Schwarzhaarige war sich dessen ziemlich sicher. Als die andere Frau sich dann nach der Navigation erkundigte, hob Shanaya kurz eine Augenbraue, fragte sich still ein, zwei Fragen, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. „Seit ich denken kann, ja. Sobald ich lesen konnte, habe ich jedes Buch dazu förmlich verschlungen.“ Von den Beobachtungen, die sie auf anderen Schiffen getätigt hatte, schwieg sie vollkommen bewusst.

Leise lachte Soula, als sie dann die Worte von Shanaya hörte. „Wenn ich ehrlich bin, dann glaube ich das ganz genau so“, meinte sie und schmunzelte. „Wie ist da so der Schnitt in eurer Crew? Sehen das noch mehr so?“ Wollte sie dann wissen. Sicher gab es da unterschiedliche Meinungen, es schien aber gerade fast so, als könnte Soula mit Shanaya Wissen austauschen. Vorausgesetzt die Navigatorin hatte an so etwas Interesse. Aktuell war sich Soula mit ihr einfach absolut unsicher. Die Diebin war zwar sehr direkt bei dem, was sie sagte und traf damit sicher auch nicht immer die Meinung ihre Gesprächspartner, aber sie war trotzdem darauf bedacht, dass man sie mochte. Es war für sie schwer zu akzeptieren, wenn man sie nicht mochte, aber jeder hatte Schwächen. Soula nickte anerkennend, als sie hörte, dass Shanaya schon ihr Leben lang ein großes Interesse an der Navigationskunst besaß. „Wow, dann hast du sicher ein sehr umfangreiches Wissen auf diesem Gebiet.“

Solche Gespräche waren wirklich einfacher, wenn noch jemand drittes dabei war. Mit Lucien und der Frau neben ihr war es nicht so anstrengend gewesen. Sie hoffte einfach, dass sie nicht mit irgendeinem Weiberkram um die Ecke kam, so lange konnte Shanaya sich sicher zusammen reißen. Vielleicht konnte sie die ganzen Frauen auf dem Schiff unauffällig verschwinden lassen? Außer Talin natürlich. Die einzige bisher, die sie von sich überzeugt hatte. Gut, andernfalls wäre sie nicht auf der Sphinx… aber sie driftete schon wieder ab. „Naaaah, ich glaube, eher nicht wirklich.“ Es gab natürlich immer Ausnahmen… aber dann war da zum Beispiel Trevor. „Sagen wir… gut gemeint etwa die Hälfte.“ Gut, sie ging da vielleicht eher nach Sympathie und bei manch einem war es ihr einfach egal… aber… ja. Dass sie zu den Klügsten Personen auf dem Schiff gehörte stand vollkommen außer Frage. „Ich erreiche alles, was ich will. Und das gehört eben auch dazu.“ Ihre Stimme behielt den ruhigen Ton bei, nur der helle Blick der jungen Frau blieb Soula gegenüber abschätzend. Sie war gespannt, was sie für ein Typ Frau war. Wenn sie sich zusammen riss, würde Shanaya ja die nächsten Wochen Zeit haben, um genau das heraus zu finden. „Und du willst dir Wissen über die Seefahrt aneignen?“

Anerkennung legte sich in ihren Blick, als Shanaya meinte, dass die Hälfte der Crew daran glaubte, dass Wissen tatsächlich Macht war. Damit hätte sie ehrlich gesagt nicht gerechnet. Wieder etwas, was sie der Mannschaft zugutehalten musste. Sie glaubte eigentlich immer mehr, dass die Crew voller besonderer Menschen war und Soula hoffte, dass sie die Mitglieder bald näher kennenlernen konnte. Das ging bestimmt, auf einem Schiff, auf dem man sich wenig Raum teilte. Vermutlich war es echt so, dass ihr irgendwann alle auf die Nerven gingen. Hoffentlich rastete Soula dann nicht aus… „Ich bin beeindruckt.“ Ihr Schmunzeln blieb immer noch dort, wo es hingehörte und sie musterte die Schwarzhaarige aufmerksam. Shanaya war… interessant. Interessant in ihrem Verhalten, wie sie sich gab. Von dem, was sie beobachten konnte, schien sie dem Captain sehr zugeneigt zu sein, ob es nur einfach eine stinknormale Zuneigung war, die man eben empfand, wen man jemanden sympathisch fand, konnte sie nach der kurzen Zeit noch nicht sagen. Soula lachte leise, als sie Shanayas nächste Worte hörte. „Dann möchte ich dir bei dem Erreichen deiner Ziele nicht im Wege stehen“, meinte sie und lächelte freundlich. Sie selbst teilte diese Einstellung, allerdings mit deutlich weniger Euphorie. Soula konnte auch hin und wieder eine Zweiflerin sein. „Das sollte ich wohl, oder? Allerdings werde ich mir in der kurzen Zeit vermutlich sowieso das falsche Wissen aneignen und wertvolle Zeit verschwenden, um sie sinnvoller nutzen zu können. Oder hast du eine Buchempfehlung für mich?“ Das war eine ziemlich ernst gemeinte Frage. Würde Soula in ihrem Unwissen ein Buch über die Seefahrt aus dem Regal ziehen, wäre es sicher eines, das ihr erst mal nicht sehr viel bringen würde. Dann tippte sie auf ihren kleinen Bücherhaufen. „Ich interessiere mich für Pflanzen und Kräuter. Auf verschiedenen Inseln wachsen unterschiedliche Arten und Gattungen, darüber möchte ich mich informieren.“ Soula war kein Neuling mehr auf diesem Gebiet, sie würde nur nicht mal ansatzweise behaupten, dass sie sich gut damit auskannte. Es gab dabei so vieles zu beachten, doch sie wollte ihr Wissen vertiefen.

Wovon Soula nun beeindruckt war, hinterfragte Shanaya nicht weiter. Vielleicht von der Crew, die sie nicht kannte oder von ihr. Erst bei dem Lachen und den Worten der Gleichalten hob Shanaya eine Augenbraue, lächelte. Ein deutliches Versprechen lag dabei auf ihren Zügen. „Glaub mir, du willst mir bei nichts im Weg stehen.“ Sie war niemand, der irgendwelche Leute umbrachte, weil ihr ihre Nasen nicht passten, aber… sie hatte es noch nie leiden können, wenn sich jemand vor sie stellte und ihr den Weg versperrte, egal, auf welche Art und Weise. Was die Dunkelhaarige dann sagte, ließ Shanaya leicht eine Augenbraue heben. Sah sie aus wie eine Fremdenführerin, eine gute Samariterin? „Frag ihn da drüben.“ Mit einem Nicken deutete sie in die Richtung eines älteren Mannes, der sich mit einem Stapel Bücher beschäftigte. Es war nicht ihr Problem, wenn die Dunkelhaarige keine Ahnung von dem hatte, was sie auf einem Schiff erwarten würde. Das war es erst, wenn sie wirklich mit ihnen auf die Sphinx kam. Und Fehler würde sie dann schon zu spüren bekommen. „Ich habe keine Lust, mich um solche Problemchen zu kümmern, ich muss eine Abreise vorbereiten.“ Und das bedeutete, noch einmal die Karten der Insel studieren, sich jede kleine Information wieder und wieder einzuprägen. Ihre Stimme klang nicht abwertend, nicht verscheuchend, einfach nur… neutral. Das war eine Tatsache, die nicht einmal unbedingt mit Soulas Person zu tun hatte. Ganz im Gegenteil zu ihrer Tonlage, die auf die nächsten Worte der Frau folgte. Dieses Mal schlich ein Hauch echten Interesses darin mit, immerhin war die Dunkelhaarige an dem interessiert, was Menschen um sie herum konnten. Auch, wenn ihre Wortwahl womöglich nicht unbedingt die beste war. „Kannst du damit irgendetwas sinnvolles herstellen?“

Aufmerksam musterte Soula Shanaya. „Dummheiten gibt es immer, glaub mir. Auch wenn du in dem Moment vielleicht nicht glaubst, dass es eine ist“, prophezeite sie. Immerhin hatte Soula genau das schon erlebt und das hatte sie hierhergeführt. Sie konnte sich definitiv auch etwas Besseres vorstellen, als mit dem nächste besten Schiff davonzusegeln. Wobei… ob ihr Leben auf Calbota so viel Gutes zu bieten gehabt hätte, wusste sie auch nicht genau. Aber das spielte sowieso keine Rolle mehr. „Ob ich dann diejenige bin, die dir da reinquatschen muss, sei mal dahin gestellt. Dafür kenne ich dich eh nicht gut genug und ich lass dich deinen Mist gerne noch selbst machen.“ Soula hob beschwichtigend die Hände, um zu signalisieren, dass sie Shanaya in der aktuellen Situation definitiv NICHT vor Dummheiten bewahren würde. Das durfte die Schwarzhaarige nun so auffassen, wie sie wollte. Sich selbst sprach sich davon auch nicht frei, niemand war perfekt und niemand wusste, ob Soula sich nicht doch irgendwann wieder in einer ähnlichen Situation befinden würde. Sie fand es nicht schlimm, dass Shanaya keine Empfehlung aussprach. Vielleicht hatte sie in diesem Laden auch einfach keinen Blick dafür gehabt, was vollkommen in Ordnung war. Soula nickte, würde später vermutlich wirklich noch danach fragen.
Soula hatte Respekt vor dem, was Shanaya tat und sicher was das auch eine herausfordernde Aufgabe, die nicht leichtfertig vorbereitet sein mochte. Sie verstand das also und wollte Shanaya demnach eigentlich auch nicht länger stören, nur vermittelte sie Soula nicht das Gefühl, als würde sie stören. Zumindest nicht wirklich, denn ihr Tonfall war unvoreingenommen. Als sie dann auf Soulas eigene Interessen zu sprechen kamen, glaubte sie ein gewisses Interesse aus Shanayas Worten herausgehört zu haben. Sie lächelte und nickte dann. „Ob es für die Crew sinnvoll ist, wird sich noch zeigen. Aber ich könnte zum Beispiel Flüssigkeiten mit verschiedenen Eigenschaften herstellen: Beruhigend, Kreislauf anregend, Bewusstseinsverändernd“, zählte sie auf. „Auch auf medizinischer Basis ist da einiges möglich. Manche Pflanzen helfen bei Verbrennungen oder offenen Wunden und Krankheiten.“ Gift lag ihr als nächstes Beispiel auf der Zunge, weil sie sich dafür einfach auch interessierte. Mehr als Selbstschutz. „Gegengifte wären vielleicht auch noch ein Beispiel. Aber dafür braucht man ein tiefes Wissen zu verschiedenen Kombinationen und Eigenschaften der Pflanzenarten. So weit bin ich noch nicht“, gab sie ehrlich zu. Aber was nicht war, konnte noch werden und würde auch kommen, da war Soula sich sicher. „Versuchskaninchen sind immer gerne gesehen“, meinte sie grinsend und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen.


Shanaya seufzte bei den Worten der anderen Frau deutlich. „Dann brauchst du mich ja auch nicht über irgendwelche Dummheiten belehren, von denen du glaubst, dass ich sie begehen werde.“ Ein eindeutiger Blick galt der Dunkelhaarigen, der ihr hoffentlich deutlich machte, dass sie sich dazu nicht weiter äußern brauchte. Sie täte einfach besser daran, sich ihr nicht in den Weg zu stellen, ob sie sie nun kannte oder nicht.
Als die Andere schließlich etwas von ihrem Wissen erzählte, hörte Shanaya mehr oder weniger aufmerksam zu. Es würde sich zeigen, ob sie mit ihnen segelte, so unerfahren wie sie war. Aber für diesen Fall wusste Shanaya immerhin schon ein wenig über sie, konnte dahinter einen Haken machen. „Und du glaubst, damit könntest du der Crew nützlich genug sein, damit du mit uns segeln kannst?“ Abwartend hob Shanaya eine Augenbraue, musterte die andere Frau mit fester Miene. Ein kleiner Test und sie war gespannt, wie sie abschneiden würde. Immerhin hatte sie das Glück, nicht wie Skadi getestet zu werden. Aber vielleicht konnte Shanaya sich das irgendwann auch nicht mehr verkneifen.


Shanaya war zu ernst, zu engstirnig, zu angespannt. Ein bisschen lockerer zu sein, konnte Shanaya auf jeden Fall nicht schaden, fand Soula. Sie lachte leise, auf den Kommentar für ihre Belehrung und Shanaya konnte sich nun aussuchen, ob es nur amüsiert war oder Soula sie nicht sogar ein wenig auslachte. Harmonie war für sie zwar unglaublich wichtig, aber Shanaya gab sich wenig Mühe und Soula rannte sicher niemandem hinterher. Aktuell amüsierte sie sich aber tatsächlich sehr über Shanayas Verhalten. Für ihr eigenes Vorhaben mit den Büchern schien Shanaya ein gewisses Interesse zu entwickeln, was Soula ein bisschen überraschte. „Da bis jetzt noch niemand davon weiß, außer dir, ist dir vielleicht klar, dass ich überhaupt nichts von der Nützlichkeit erwarte. Darüber kann man vielleicht mal nachdenken, wenn sich meine Fähigkeiten gefestigt haben. Ob da jemand Vertrauen reinsteckt, muss dann jeder für sich selbst entscheiden.“ Da Soula bereits ein Teil der Crew war, machte sie sich keine Gedanken darüber, ob sie mit dem Wissen nun nützlich sein konnte oder nicht. Vielleicht konnte sie es irgendwann sein, vielleicht auch nicht. Warum sollte sie sich jetzt schon damit befassen? Vielleicht fabrizierte sie auch nur Mist? Dafür brauchte man ein gewisses Gespür und sie würde von sich selbst sicher noch nicht behaupten, dass sie das besaß.

Soula lachte – und Shanaya ignorierte es vollkommen. Himmel. Sie suchte sich extra einen „Beruf“ in dem die Anzahl der Männer dominierte… und trotzdem musste sie dieses ganze Geweibs um sie herum ertragen. Was sich mit den nächsten Worten der anderen Frau nur noch einmal verdeutlichte. Ein Test – und die Dunkelhaarige bestand ihn nicht einmal im Ansatz. „Schade. Genau die langweilige Antwort, die ich erwartet habe.“ Ein erneutes, theatralisches Seufzen verließ die Lippen der jungen Frau. Die richtige Antwort wäre so einfach gewesen, damit flaute Shanayas Interesse aber auch schon wieder ab. Jemand, der nicht komplett von dem überzeugt war, was er tat, würde ihr Denken vermutlich sowieso nicht verstehen. „Dann arbeite das Mal schön aus, vielleicht wirst du dann ja irgendwann nützlich.“ Ein vielsagendes, gut gelauntes Grinsen galt ihrem Gegenüber.

Die Antwort war also langweilig gewesen? Soula war definitiv nicht darauf bedacht gewesen hier irgendwelche tollkühnen Antworten loszuwerden. Sie musterte ihre Gegenüber, zog die Augenbrauen in die Höhe und grinste dann. „Als würdest ausgerechnet du irgendeine Tinktur runterkriegen, die ich dir vorsetzte.“ Das glaubte die junge Frau doch wohl selber nicht. Von da her wären ihre Fähigkeiten für Shanaya definitiv NICHT nützlich und genau das wollte Soula damit auch ausdrücken. Shanaya brauchte nicht mal mehr so tun als ob, sie zeigte ihren schlechten Charakter sehr deutlich. Soula wusste selbst, dass sie gerade am Anfang nicht wirklich hilfreich sein würde und trotzdem trafen sie die Worte von Shanaya, auch wenn sie dieses Gefühl nicht nach außen trug. Ihre Antwort hatte nichts damit zu tun gehabt, dass sie nicht von dem, was sie tat, überzeugt war. Es war lediglich so, dass sie nicht für andere entscheiden konnte, ob sie Soula nun vertrauten oder nicht. Das musste jeder für sich entscheiden, aber das verstand die Dunkelhaarige an der Stelle wohl nicht. Oder sie wollte es nicht verstehen oder gar nicht erst so weit denken. Was es auch war, inzwischen interessierte es Soula nicht mehr wirklich. Was brachte es denn auch? Soula war nicht hier, um irgendwem irgendetwas zu beweisen, schon gar nicht der Frau, die vor ihr stand und bei der es ihr schwer fiel sie wirklich ernst zu nehmen. Wer keinen Respekt hatte, hatte auch von Soula keinen verdient. „Das werde ich tun“, meinte sie dazu, dass sie ihre Bücher durcharbeiten würde. Über das andere zu diskutieren, ergab mit Shanaya keinen Sinn und Soula wollte hier weder Kraft noch Geduld reinstecken, die sie lieber in andere Dinge investierte. „Dann halte ich dich auch nicht länger ab.“ Soulas Stimme klang immer noch freundlich und sie erinnerte sich nur daran, was sie zuvor noch über Respekt gedacht hatte und dass Shanaya ihn eigentlich nicht verdient hatte. Sie bekam ihn trotzdem und damit wandte Soula sich ab.

Shanaya hob bei der Antwort der anderen Frau leicht eine Augenbraue, zeitgleich mit dem wissenden Lächeln, dass ich auf ihre Lippen schlich. Ob ihr Gegenüber genervt, verletzt oder sonst irgendetwas war… Shanaya achtete nicht darauf. Soula war nicht vollkommen von dem überzeugt, was sie tat. Also kümmerte Shanaya sich nicht darum. Wenn sie sich ihrer selbst ein wenig sicherer geworden war, durfte sie wieder kommen, bis dahin war das ganze für die junge Frau selbst eher uninteressant. „Wunderbar!“ Shanaya antwortete auf den ‚Abschied‘ der anderen Frau mit nur einem kurzen Wort, die blauen Augen waren schon wieder auf das Buch vor ihr gerichtet. Ein zufriedenes Seufzen drang ihr über die Lippen, mit dem ein älterer Herr, der in ihrer Nähe Bücher herum räumte, ihr einen kurzen Blick zu warf, den Shanaya jedoch nicht für voll nahm und sich ganz dem Buch zu wandte.