13.03.2021, 12:10
We're heading for what we both need
Mittag des 30. Mai 1822
Lucien Dravean & Shanaya Árashi
Fast ein wenig aufgeregt tänzelte Shanaya durch die Gassen, folgte mit einem leisen Summen auf den Lippen dem Weg zur Werft. Die Nacht hatte ihre Spuren hinterlassen, Müdigkeit zog sich durch jeden Knochen der jungen Frau. Und trotzdem hatte sie sich eine kleine Überraschung nicht nehmen lassen. Nach dem frühmorgentlichen Treffen mit Greo hatte sie, fast wie erwartet, keine Ruhe gefunden, hatte sich einfach noch die Beine vertreten, bevor sie zurück ins Bordell gewankt war. Dort war ihr eine spontane Idee gekommen, über sie sie nicht einmal lang nachdenken musste. Nun war sie auf dem Weg zur Werft, in einer Hand einen Korb, dessen Inhalt mit einem Tuch bedeckt war. Sie hatte zwei linke Hände, was Handwerk anging, und so würde sie den Arbeitern in der Werft keine große Hilfe sein. Also tat sie etwas, was sie wirklich konnte, wo ihr niemand das Wasser reichen konnte. Jetzt ruhte also ein deftiger Braten in ihrem Korb, bestimmt für eine Person… gut. Und für sich selbst.
Die Werft kam in Sicht und Shanaya wurde ein wenig langsamer, ließ den blauen Blick kurz über die Umgebung schweifen, ehe sie ihren Weg unbeirrt fortsetzte. In weiser Voraussicht hatte sie ihre Bluse auf der Sphinx gelassen, hatte sich nur das rote Tuch umgebunden, dessen Knoten ihre Brüste nun verbarg. Und mit den ersten Schritten durch das große Tor der Werft zahlte sich diese Idee aus, die Hitze, die ihr wie das letzte Mal entgegen schlug, war so etwas einfacher zu ertragen. Die Blicke, die ihr möglicherweise zugeworfen werden würden, interessierten sie nicht wirklich. Hatten sie nie. Sollten sie ruhig gaffen. Ihr heller Blick suchte jedoch schon nach Lucien, entdeckte ihn wieder auf dem Gerüst und blieb damit stehen. Noch einmal huschte ihr Blick durch den großen Raum, entdeckte in der Nähe einen Tisch. Erst dann nahm sie den Korb hinter sich, verbarg ihn so mit ihrem Körper, ehe sie die Stimme hob. „Ohhhhhh Captain, mein Captain!“ Mit diesen Worten, die von einem glücklichen Lächeln untermalt wurden, bewegte die Schwarzhaarige sich rückwärts, direkt auf den Tisch zu. Dabei ließ den blauen Blick jedoch nach oben gewandt.
Unter dem ausladenden Dach der Werft war es beinahe heißer, als die Tage zuvor. Zwei gewaltige Bottiche mit flüssigem Teer hingen am Südende der Halle über großen Feuern, deren Hitze und Dämpfe den gesamten Raum erfüllten. Und kein Lüftchen regte sich, um das Ganze durch die großen Tore übers Meer hinaus zu treiben. Erst morgen, wenn sich der Staub der Schleifarbeiten gelegt hatte, würden die Werftarbeiter damit beginnen, die zähe Flüssigkeit auf den unteren Rumpf der Sphinx aufzubringen. Bis dahin würden die Feuer noch ihre drückende Hitze verbreiten und der Geruch reizte jedem in der Nase, der den Bottichen zu nahe kam. Lucien hatte sich das Hemd ausgezogen – wie immer, wenn er arbeitete – hatte es sich, wie die meisten anderen auch, in den Gürtel gesteckt und nutzte es hauptsächlich dafür, um sich den Schweiß aus dem Nacken zu wischen, auch wenn ihm das nur mäßig Linderung verschaffte. Immerhin war seine Nase für den beißenden Geruch nach Teer längst blind geworden und er ohnehin zu konzentriert darauf, die nur notdürftig geflickten Fehlstellen aus der Reling zu brechen, die der Tischler im Anschluss daran erneuern würde, um auch nur entfernt über etwas so belangloses nachzudenken, wie den Gestank während der Arbeit. Oder über überhaupt irgendetwas. Er arbeitete einfach und dachte dabei ans Arbeiten.
Bis ihn die anzüglichen Pfiffe, die durchdringend über die alltäglichen Geräusche hinweg tönten, aus seinem Trott rissen. Das war also das erste, was er von Shanayas Auftritt mitbekam, noch bevor ihre Stimme zu ihm hinauf klang und ihm ein Schmunzeln entlockte. 'Oh Captain, mein Captain'? Wie... theatralisch. Er warf einen Blick über die Schulter, fand die schlanke Gestalt schließlich am Fuße des Gerüsts, auf dem er hockte und hob unwillkürlich eine Augenbraue. Womit sich ihm auch die Pfiffe erklärten, die ihr folgten. Lucien erhob sich aus der Hocke, ließ das Werkzeug in den Kasten fallen, der dafür bereit stand und trat an die Brüstung, die ihn vor einem Absturz bewahrte. Mit einem amüsierten Zucken um die Mundwinkel stützte er sich mit den Unterarmen darauf ab und sah zu der Schwarzhaarigen hinunter. „Bist du dir sicher, dass du dich nicht im Haus geirrt hast, kleine Sirene?“, fragte er unschuldig. In diesem Aufzug passte sie viel besser in das Bordell, in dem sie gerade wohnten, als auf die Straßen von Silvestre. Oder gar in eine Werft.
Die Hitze umhüllte sie mit dem ersten Schritt, den Shanaya in die Werft setzte. Genau wie das Geräusch der lauten Pfiffe. Natürlich. Sie hatte nichts anderes erwartet und trotzdem genoss sie die Blicke. Selbst wenn sie wusste, wie außergewöhnlich sie war – davon bekam sie so schnell nicht genug. Sie ließ den Blick ruhig über die Männer schweifen, von denen einige neugierige Blicke in ihre Richtung warfen. Erst als eine vertraute Stimme erklang blieben die blauen Augen an einem Punkt hängen, während die besagten Worte ihr ein lautes Schnaufen entlockten. „Ich dachte mir, dass es vielleicht nicht die klügste Idee ist, mit nackten Brüsten durch die Stadt zu laufen. Sonst hätte ich dir sicher auch halbnackt Essen serviert.“ Die kleine Information in diesem Satz ließ ihr Lächeln ein wenig breiter werden. Gut, hätte sie das rote Tuch weg gelassen, wäre die Frage des Mannes noch berechtigter gewesen. „Wenn dir das lieber ist, bekleide ich mich nächstes Mal natürlich ganz...“ Ironie schwang deutlich in ihrer Stimme mit. Hätte sie eine Bluse an, würde das nur dazu führen, dass sie doch so herum rannte wie Lucien selbst es tat.
Lucien verzog die Lippen zu einem amüsierten Schmunzeln. In den tiefgrünen Augen blitzte Belustigung auf, die sie auf diese Entfernung wahrscheinlich nur schwer erahnen konnte. Doch seine Stimme trug ihr das zu, was sie mit einem Blick vielleicht nicht erhaschen konnte. „Ich bin mir sicher, für die meisten zählt das schon als halb nackt. Aber, bitte, mach dir wegen mir keine Umstände.“ Die reinste Unschuld schwang in seinem Unterton mit. Dass der Dunkelhaarige für möglichst viel nackte Haut immer zu begeistern war, war ja nun auch kein Geheimnis mehr. Und ganz sicher nicht für Shanaya. Und als müsste er genau das noch einmal betonen, ließ er den Blick genüsslich über ihren schlanken Körper wandern, blieb vielleicht einen Moment länger als schicklich an den Rundungen hängen, die das rote Tuch gerade so notdürftig verbarg, bevor er mit einem bedeutungsvollen Nicken in Richtung ihrer hinter dem Rücken verborgenen Hände wies und sich diesem Thema widmete, als wäre sonst nichts weiter gewesen. „Was hast du da?“
Luciens Stimme, und sein folgender Blick, mit dem er sie ausgiebig musterte, verrieten der jungen Frau genug, damit ihr Lächeln noch ein wenig breiter wurde. Und auch der ein oder andere Fremde warf ihr gelegentlich einen neugierigen Blick zu. Diesen Männern schenkte Shanaya jedoch keinerlei Beachtung – sollten sie ruhig gaffen und im Stillen vor sich hin sabbern. Auf Luciens Worte erwiderte die Schwarzhaarige ein unschuldiges Zucken ihrer Schultern. „Vermutlich, genug gaffende Blicke gab es jedenfalls.“ Nichts, was sie störte oder was sie dazu bringen würde, sich nächstes Mal anders zu verhalten. Die Frage ihres Captains ließ sie dann den Kopf etwas zur Seite neigen, einen schelmischen Ausdruck auf dem Gesicht. „Es ehrt mich ja fast, dass du so fasziniert von meinem Anblick bist, dass du mir nicht einmal zuhörst.“ Sie lachte, genoss diesen Moment, ehe sie weiter sprach. „Etwas zu essen für dich. Ich bringe es dir aber nicht hoch. Sonst werde ich noch aufgefressen.“ Damit huschte ihr Blick zu einem der Männer, die sie seit Beginn sehr eindeutig musterte.
Shanayas Antwort entlockte ihm ein vielsagendes Schnauben, doch er beließ es dabei. Nicht, weil er daran zweifelte, was sie ihm erzählte, sondern vielmehr, weil er wusste, dass ihr ihre Wirkung auf Männer vollkommen bewusst war und sie es genoss, sie wie stumpfsinnige Idioten dastehen zu lassen. Doch gleich mit dem nächsten Satz verschwand der leise Spott von seinen Zügen und Lucien hob in einem Anflug von Verwirrung eine Augenbraue. Einen Moment lang versuchte er, sich ins Gedächtnis zu rufen, was Shanaya zuvor gesagt hatte, musste aber recht bald einsehen, dass er sich an den genauen Wortlaut nicht mehr erinnerte. Prompt erschien ein feistes Grinsen auf seinen Lippen. „Was soll ich sagen? Ich kann auch nicht gaffen und zuhören gleichzeitig.“ 'Essen' jedenfalls ließ er sich nicht zwei Mal – oder drei Mal, in diesem Falle – sagen. „Warte, ich komm runter.“ Lucien stieß sich von der Brüstung ab und machte sich auf den Weg nach unten, wobei er die letzte Etage des Gerüsts wie immer kurzerhand nach unten sprang. Auf dem Boden angekommen zog er sein Hemd aus dem Gürtel, wischte sich Holzstaub und Schweiß aus Gesicht und Nacken, während er auf die Schwarzhaarige zusteuerte. „Wie komme ich denn zu der Ehre?“, fragte er gut gelaunt und machte, kaum dass er ihr nahe genug war, Anstalten, an ihr vorbei zu spähen. „Und was gibt’s?“
Voller Geduld, und einem sachten Lächeln auf den Lippen, wartete Shanaya auf eine Reaktion des Mannes, der nach wie vor über ihr stand. Seine Worte entlockten der Schwarzhaarigen schließlich ein herzliches Lachen, mit dem sie kurz prüfend an ihrem Körper hinab blickte. „Vollkommen verständlich, bei diesem Anblick.“ Als Lucien verkündete, dass er zu ihr herunter kam, entlockte er ihr jedoch nur ein ruhiges Nicken, womit sie den Blick von dem Dunkelhaarigen abwandte und über das Schiff schweifen ließ. Bald würde es weiter gehen. Sie hatte die Hoffnung, dass es nicht mehr all zu lang dauern würde. Als der halbnackte Mann von dem Geländer sprang, Shanaya verkniff mit aller Selbstbeherrschung, sich auf die Lippe zu beißen, und in ihr Blickfeld trat, richteten sich die blauen Augen jedoch wieder direkt auf ihn. „Ich habe, was Handwerk angeht, einfach zwei linke Hände“ Der hoch amüsierte Blick, der Lucien galt, war mehr als eindeutig „ich unterstütze euch also so, wie ich es am besten kann.“ Ihr Lächeln wurde ein ganzes Stück sanfter, sie ließ ihren Captain jedoch nicht aus den Augen. „Etwas, wonach du dir die Finger lecken wirst.“ Mit diesen Worten und einem lockenden Blick, wandte Shanaya sich wieder herum, trat mit ruhigen Schritten auf den Tisch zu. Einen Moment durchatmen und sich auf das konzentrieren, was ruhig in ihrem Korb herum lag.
Lucien verkniff sich ein Grinsen. Er sollte das nächste Mal daran denken, ihr ohnehin schon beträchtliches Ego nicht noch mit Komplimenten zu befeuern. In diesem Sinne hob er also eine Augenbraue, warf ihr einen gespielt skeptischen, aber eigentlich eher amüsierten Seitenblick zu und begleitete sie zu dem von ihr auserwählten Tisch, um sich unmittelbar neben ihr und ihrem Korb rücklings auf die Tischplatte hochzustemmen und die Beine baumeln zu lassen. „Es gibt also etwas, das du nicht kannst?“, fragte er unschuldig und verzog die Lippen zu einem Schmunzeln. „Ich meine, außer werfen?“ Wie gut erinnerte er sich noch an ihren Versuch, ihm mitten im Dschungel einen Stock zuzuwerfen – aus nicht einmal fünf Schritt Entfernung. Recht schnell jedoch wanderte sein Blick zu Shanayas Korb, den er von seiner Position aus nun gut einsehen konnte. Zu gespannt darauf, was dieses 'Etwas, nach dem er sich die Finger lecken würden' wohl sein mochte. „Ich hoffe nur, du erwartest nicht, dass ich dieses Essen jetzt mit der kompletten Werftbelegschaft teilen soll. Würde ich vielleicht mit dir. Aber auch nur aller höchstens.“ Ein kleinjungenhaftes Grinsen stahl sich auf seine Lippen, als er flüchtig zu Shanaya aufsah.
Mit einer ruhigen Bewegung hob Shanaya den Korb auf den Tisch, konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als Lucien sich auf den Tisch setzte und es scheinbar kaum erwarten konnte. Bei seinen Worten hob sie dann, ohne jede Vorwarnung, eine Faust und knuffte ihm kräftig in die Seite, warf ihm dabei noch einen vorwurfsvollen Blick zu. „Auch mit zwei linken Händen kann man erreichen, was man will. Aber manches kann man eben besser als anderes!“ Das Thema ‚werfen‘ ließ die Schwarzhaarige bewusst unkommentiert, aber es gab ja auch etwas, mit dem sie davon ablenken konnte. Den Blick des Mannes erwiderte sie mit einer amüsierten Miene, lachte auf und blickte sich dann kurz verschwörerisch um. „Wenn irgendjemand fragt, war das Essen eigentlich für jeden aus unserer Crew gedacht. Und wir haben es einfach aufgegessen.“ Viele Mäuler konnte man damit nicht stopfen, und das war auch nicht wirklich ihr Gedanke dahinter gewesen. Ehrlich gesagt wusste sie in diesem Moment auch nur von Lucien, der mit an der Sphinx arbeitete. Und hauptsächlich war sie ja wegen ihm hier. Nun griff sie also in den Korb, holte unter dem Tuch zuerst eine Flasche Rum hervor, die sie neben dem Korb abstellte. Erst dann hob sie das Tuch an, warf Lucien ein warmes Lächeln zu und schob den Korb in seine Richtung – nicht jedoch ohne selbst einen hungrigen Blick auf das Fleisch zu werfen. „Hier, bedien dich!“