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We are the last of us
Enrique & SKadi ✓✓
Szenen-Informationen
Charaktere Gast
Datum 4 April 1822
Ort auf der Sphinx
Tageszeit spät in der Nacht
Crewmitglied der Sphinx
für 250 Gold gesucht
dabei seit Apr 2016
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#1
We are the last of us
You and me - last gang in town
It feels like we are one

4. April 1822 |Enrique & Skadi | nachts auf der Sphinx


Sie war vor Stunden aufgebrochen, als die Sonne untergegangen war. Hatte sich bei einem der Anwesenden im Vorbeigehen mit den Worten „Bin gleich wieder da.“ abgemeldet und war mit einem kleinen Beiboot aufs Festland verschwunden. Von Enrique fehlte jedoch weiterhin jegliche Spur. Fast war ihr, als hätte sie bereits jeden Stein und jeden Halm umgedreht und ausgerupft. Nirgends konnte sie den Dunkelhaarigen auftreiben, der sich zu verstecken schien wie eine Ameise. Selbst der letzte Hinweis eines Passanten hatte nichts genutzt – seine Aussage war ebenso vage gewesen, wie jede andere zuvor. Es lagen Stunden zwischen dem Gesehenen und jetzt. De Guzmán konnte demnach überall sein! Sichtlich genervt kletterte Skadi die Leiter zum Schiff hinauf. Fuhr sich durch den losen Haarschopf, kaum dass sie auf dem leeren Deck stand und blickte in die gähnende Dunkelheit des Horizonts. Das konnte wohl echt nicht wahr sein. Wieso hatte sie nicht direkt nach ihrem Fluchtversuch nach ihm gesucht?! Wenn er jetzt irgendwo verletzt in einem Verlies lag… energisch schüttelte die Nordskov den Kopf. Verdrängte damit jeglichen Gedanken an das blutverschmierte Gesicht, das sich so gut in die Toten ihrer Heimat einreihte.

Wandte sich bereits zum Gehen, als ein seltsamer Laut ihre Ohren erreichte. Vom aufkommenden Wind getragen, umspielte es ihr Gesicht, als sie sich Richtung Bug wandte und mit zusammengezogenen Augenbrauen im Schein der wenigen Lampen an Deck versuchte, jemanden zu erkennen. Doch es zeichnete sich keine Silhouette im Halbdunkel ab. Nur das seltsame Geräusch blieb über, das ihr seltsam bekannt und fremd zugleich vorkam.
Mit schnellen Schritten überquerte sie die dunklen Planken, huschte die äußere Treppe hinauf und stand nun perplex auf der Anhöhe. Erst jetzt erblickte sie die Gestalt, die von der Dunkelheit verschluckt im Bugspriet lag und mit dem Gesicht in den Himmel starrte.

“Enrique?“

Fast zaghaft glitt sein Name über ihre Lippen, spiegelte den verwirrten Ausdruck auf ihrem Gesicht, der zwischen Erleichterung, Verwunderung und Sorge schwankte. Sie hatte ihn noch nie SO gesehen. Es musste etwas Schlimmes vorgefallen sein.

“Was ist los?“

Sie näherte sich nur langsam an ihn heran, hob fast schon abwehrend die Hände, sollte er sich auf die Füße schwingen und zu ihr hinüber hechten. Ein reiner Selbstschutz, der sie überkam wann immer sie mit einem Betrunkenen zu tun hatte. Doch Enrique machte keine Anstalten sich von seiner Position zu bewegen – geschweige denn ihr deutlich zu signalisieren, dass er sie gehört hatte.
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#2
Die äußere Finsternis hatte sich seiner inneren angeglichen. Wann hatte er nicht bemerkt. Eigentlich nicht einmal das sie es hatte.
Genau genommen hatte er, seit dem er getan hatte, was getan werden konnte, gar nichts mehr mitbekommen. Vielleicht schon vorher nicht. Rayon hatte versucht mit ihm zu sprechen, doch mehr als mechanische, ausdruckslose Antworten hatte er nicht bekommen. Auch Lucien nicht, den er über alles informiert hatte. Danach war Enrique verschwunden, zunächst unter Deck, dann irgendwann ins Krähennest, schließlich in die Netze unter dem Bugsprit. Und dort lag er noch immer.
Hatte er getrunken? Hatte er sich betrunken? Geschlafen? Sich erleichtert? Geweint? Er wusste es nicht, wusste nichts. Jegliches Körpergefühl und Denken war ihm für den Moment abhanden gekommen. Blicklos starrte seine schwarzen Augen in den Himmel.

Gewaschen hatte er sich jedenfalls nicht, das konnte Skadi sehen. Seine Hände wirkten pechschwarz, dunkle, verschmierte Flecken bedeckten Unterarme, die nackte Brust und das Gesicht, das Haar glich einer vertodderten Wolke und klebte ebenfalls dort und an den Tauen. Seine Arme schienen wie kraftlos in den Maschen hängen geblieben, seine Erscheinung glich insgesamt dem Bild eines Meermanns, der sich im blutigen Netz eines Robbenfängers verstrickt hatte und jetzt leblos darin festhing. Sein Unterleib verschwand in der Dunkelheit, die von der Bugreling hervorgerufen wurde, was den Eindruck noch weiter verstärkte und über die die junge Frau sich gerade beugte.
Und jetzt wusste sie auch, was der Wind ihr gelegentlich, über dem Geruch der See, in die Nase spielte:
Den alten Blutes.

Wieder ertönte der seltsame Laut. Ein halbersticktes Luftholen, das in ein Stöhnen überging, wie bei jemandem, der nur schwer Atem in seine Lunge bekam.
Er schien sie nicht zu bemerken, genauso wenig wie ihre Fragen. Sie würde wohl zu ihm müssen, so sie eine Reaktion von ihm wollte, über die Reling, ein Stück des fast waagerechten Mastes und damit über den Abgrund, die sie von der löchrigen, instabilen Unterlage trennten, auf der er lag:
Ein paar verflochtene Stricke über der endlosen, rauschenden, dunklen Tiefe der nächtlichen See.
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#3
Er antwortete nicht. Lag nahezu leblos in den Seilen, die ihn davor bewahrten in die Tiefen des Meeres abzutauchen und stieß aus leicht geöffneten Lippen einen Laut aus, der Skadi ungewollt eine Gänsehaut auf Arme und Nacken trieb. Man musste kein Genie sein, um die Dunkelheit zu erkennen, die ihn ob des fehlenden Tageslichts umgab. De Guzmán versank ganz offensichtlich in einer Depression und wirkte, wie ihr einstiges Spiegelbild. Der dumpfe Schmerz, der durch seine Brust und seine Lungen heulte, war auch einmal der ihre gewesen. Und Skadi wusste, was diese Leere in ihr über all die Jahre angerichtet hatte. Man hätte den Dunkelhaarigen spielend leicht von seinem Leid erlösen und ertrinken lassen können - so wie Enrique dort unten lag, glaubte Skadi, dass er nicht einmal Einwände dagegen gehabt hätte. Doch sie erdolchte jeden, der es wagte.

Tief sog sie die kühle Nachtluft ein, ehe sie sich über die Reling schwang und einer Katze gleich über den Bugspriet kletterte. Auf dem glatten Holz drohten ihre Füße immer wieder abzurutschen, doch der schmale Körper der Nordskov glitt unaufhaltbar über ihn hinweg. Und nur wenig später hockte sie, die Finger fest in den Seilen verkeilt und darauf hoffend, dass sie das Gewicht ihrer Leiber vertrugen, neben dem ehemaligen Leutnant. Erst jetzt bemerkte sie den Dreck, der an seinem Körper klebte und allmählich abzubröckeln begann. Erkannte die Anzeichen von Blut an seiner Kleidung und seinen Händen - sie hatte also Recht behalten, als ihr der erste Gedanke um Cornelis in den Kopf gekommen war?
Eine Weile starrte sie dem Älteren wortlos entgegen. Sog seine Stimmung in sich auf und rollte sich wenig später neben ihm zusammen. Den Kopf weiterhin in seine Richtung gewandt, die Augen halb geschlossen.
Er sollte spüren und wissen, dass sie da war. Musste nicht sprechen, wenn er nicht wollte. Sie selbst hätte es nicht gekonnt - auch wenn ihr damals ohnehin keine andere Wahl geblieben war. Stattdessen begann sie leise zu summen, durchbrach irgendwann die Stille, indem sie ein altes Lied aus ihrer Heimat anstimmte. Ein Lied zum Abschied für den alten Mann, dessen Ableben de Guzmán wohl betrauerte. Anders konnte sie sich den beängstigenden Zustand Enriques nicht erklären.
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#4
In ihm war es genau so wüst und leer, wie die äußere Welt für ihn geworden war. Dort hatte ihn die See bereits geschluckt und hinabgezogen, hatte ihn mit Vergessen und Stille tief in die Dunkelheit gelockt, bot ihm Schutz und Geborgenheit vor seinem Schmerz und schlang Tentakel um Tentakel besitzergreifend um ihn, nur um ihn noch tiefer zu ziehen.
Es kümmerte ihn nicht. Zu schwach war die Erinnerung daran, dass er dort draußen nicht alleine war. Der Frost in seinem Herzen verdrängte jegliches Denken an diese Anderen, deren Gefühle, ja sogar an sein eigenes Wohlbefinden.
'Keine Sorge, ich bin hinter dir. Wohin du auch gehst, immer nur einen Schritt hinter dir.'
Wieder und wieder hallten die Worte durch seinen Geist. Warum hatte er sie nicht umgesetzt? Es war doch eh alles gleich und es wäre so viel einfacher!
So sehr der 26jährige sich das allerdings auch wünscht, ein Teil von ihm war noch nicht besiegt, wollte immer noch leben:

Sein junges, damaliges ich, in dem das Herz des unzähmbaren, wilden Wolfes noch immer kräftig schlug, dessen Verstand immer frei gewesen war und der nie unter der Tyrannei anderer gelitten hatte, dieser Junge, der er in seinen Träumen immer noch war, lag betäubt und angekettet zu den Füßen des Eisblockes, der sein älteres Ich von der Außenwelt abtrennte, dort, am Grunde dieser seltsamen See.
Bliebe er in diesem Zustand, so würde sich das bald ändern, denn bereits jetzt hatte das Eis angefangen Kettenglied um Kettenglied mit Frost zu überziehen und mit eisigen Fingern nach ihm zu greifen.

Als Skadi in das Netz glitt, wirkte das Schaukeln wie ein Tropfen, der in die stillen See seines erstarrten, ausgehöhlten Verstandes fiel und leicht Wellen schlug. Jemand oder etwas war zu ihm gekommen.
Der Ältere zog sich noch mehr in sich zurück, wollte nicht gestört werden. Wie die Stacheln eines Seeigels spreizte der Block Eiszapfen ab.
Der Junge von damals erschauderte zunächst unter der Wucht der Kälte, die plötzlich um ihn toste. Als er darin jedoch die Welle spürte, regte er sich überrascht, fragte sich, wer es wohl wäre. Mühsam versuchte er die Augen zu öffnen und die Dunkelheit zu durchdringen. Überrascht stellte er jedoch fest, dass er selbst dann, wegen eines schimmernden Kästchens, was er an sich gedrückt hielt, nichts sehen konnte.
'Was ist das?'
Eine wage Erinnerung sagte ihm, dass das, was auch immer darin war, ausreichen würde, die Kälte zu vertreiben, doch er wusste nicht was noch wie die Schatulle zu öffnen.
Knarrzen ließ ihn sich herumdrehen und sehen, wie nah das Eis ihm schon war, und wie dick es um diesen Fremden sich gebildet hatte, mit dem ihn die Ketten verbanden.
Wer war das? Und warum ließ er ihn nicht einfach gehen?
Aufgestört von der Angst, genau so zu erfrieren, zog der Junge verzweifelt an seinen Fesseln, doch je mehr er sich wehrte, um so schneller wuchs ihm das Eis entgegen.

Erneute glitten Wellen sacht durch die Leere als sie sich neben ihm zusammenrollte. Tränen standen in den Augen des Jungen, jene, die der ältere nicht weinen konnte.
Dann drangen sacht die ersten Töne herab.
Die kannte er doch! Oder? Und die Frau, die da summte auch?
Ein Zucken ging sowohl durch den Körper im Eis, als auch durch den des Knaben. Sehnsucht nach verlorenem stellte sich ein und durchdrang wie ein Hauch die Finsternis, entfernte Erinnerungen traten schemenhaft an den Horizont. Früher hatte das jemand für sie getan. Auch eine Frau. Nein, zwei. Eine ältere und ein Mädchen. Doch es war keine von beiden.
Dennoch versuchte der Junge verzweifelt nach ihr zu greifen, sich an Licht und Wärme zu klammern und so der kalten Finsternis zu entfliehen, in die Enrique sich so bereitwillig gestürzt hatte.

Nach außen drang wenig von diesem Kampf:
Ein leises Stöhnen, ein zucken der Hand vor Skadi, ein silbernes Glitzern, als sich ein einzelner Tropfen salziger Flüssigkeit aus dem Augenwinkel löste und kurz darauf in der Nacht unter ihnen verschwand.
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#5
Er rührte sich nicht. Ließ nur dieses leise Stöhnen erklingen, das Skadis Körper mit eisigem Griff packte und ihr sämtliche Härchen aufstellte. De Guzmán hatte jeglichen Glanz verloren, den er einst besaß. Seine Augen waren trüb und leer. Schimmerten unter der Träne, die die Jägerin beim Anheben ihres Kopfes in der Dunkelheit nur erahnen konnte. Ihr schnürte sich schlagartig die Kehle zu bei diesem Anblick. Alles in ihr Rang mit dem Impuls wieder auf das Schiff hinauf zu klettern und dem Leutnant die Zeit zu geben, die er brauchte, um sich zu fangen. Sie wollte nicht in diesen Schlund aus Gefühlen hinein gezogen werden. Wollte nicht spüren, was sie selbst über Jahre hinweg versuchte zu verarbeiten. In dem Wissen, dass diese Wunden zwar dick vernarbt waren, doch nur eine falsche Bewegung sie für alle Zeit wieder  aufreißen konnten. Skadi wünschte sich  die Distanz zurück, die sie davor schützte ihren Plan aus den Augen zu verlieren. Die es unmöglich machte, dass ihr etwas wichtiger werden konnte als die Blutrache, die sie Ihrer Familie wegen begonnen hatte. Doch sie war nicht mehr der ruhige Sergeant Kaladar, dessen Kleiderordnung wenig mit Etikette denn mit Tarnung zu tun hatte. Sie war befreit von der Last der Morgenwind, die sich all die Jahre wie ein Wurm durch ihre Empathie gefressen hatte. Es gab nur noch ihn. Den einzigen Menschen auf dieser Welt, dem sie nach allem was war tatsächlich noch vertraute. Der eine Familie besaß, die auf ihn wartete. Eine Tochter, die nicht ohne ihn aufwachsen sollte, weil er sich im Selbstmitleid und dem Tod seines Freundes suhlte. Denn so wie Skadi den Älteren musterte, war ihr bewusst, dass sich Enrique nicht selbst aus diesem Strudel herausziehen konnte. Er brauchte sie. Jetzt mehr als je zuvor.

Ihr Gesang verstummte jäh, als sie sich aufrichtete. Die braunen Augen fest auf das Gesicht fixiert, das so unwirklich und falsch aussah. Nur langsam schob sich der schmale Körper über die großen Maschen des Netzes voran. Schlüpfte unter dem ausgestreckten Arm Enriques hindurch und kam dicht neben ihm zur Ruhe. Mit einem tiefen Atemzug bettete Skadi ihre Stirn an seinem Gesicht. Umfasste mit der flachen Hand seine zitternde Brust und begann erneut ihm sanfte Worte zuzuflüstern. Eine alte Weise aus ihrer Heimat.

“Ich bin hier... Enrique... ich bin hier.“
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#6
Je länger die Unbekannte sang, um so mehr beruhigte sich der Fremde im Eis wieder, doch die Kälte wich nicht zurück. Es schien dem Jungen, als dulde sie nur, dass leichte Wellen den See durchdrangen, weil sie wüsste, dass das Ihren Sieg nur verzögern aber nicht aufhalten würde.
Und ja, so etwas Gleichbleibendes, Fernes verlief sich nach und nach in der Dunkelheit der Tiefe.
Warum also musste der Junge die Melodie immer wieder aus der Trübe hervorholen? Sie stören?
Vergessen wäre so viel einfacher:
Vergessen, dass die Ältere Frau jetzt wahrscheinlich nie wieder zu erreichen war und dass das Fieber ihm die junge auf ewig entrissen hatte.
Wütend hielt sie das dem Knaben vor:

"Sie ist nicht die, an die du dich erinnerst! Die sind nicht hier, haben uns verlassen! Was willst du mit einer Fremden? Woher willst du wissen, dass das für uns ist?
"Und selbst wenn:
"Dass sie nicht geht, wie die Anderen auch?!"


"Nein! Nein!", schrie der Junge, "Das ist nicht wahr! Ich will das nicht hören!"

Doch das Flüstern der Kälte war übermächtig laut in seinem Herzen.

Dann verschwand für einen Moment der Gesang. Fast hätte der Enrique von damals das Kästchen verloren, weil er so verzweifelt versuchte etwas zu greifen, das nicht mehr da war und das Eis sprang ihn förmlich an.

Skadi konnte sehen, dass der Schwarzhaarige unruhig wurde, nicht genug, um sich zu regen, aber doch so, als lausche er in die Stille, um den Gesang vielleicht aus einer anderen Richtung wieder zu hören ...

Nur gerade so schaffte der Knabe es, die Schatulle wieder zu packen, bevor der schwarze Schlamm sie vielleicht für immer verschlungen hätte.
Zitternd rollte er sich darum zusammen. Was auch immer es war, so lange seine Finger noch ein kleines bisschen Kraft hatten, so lange würde er es nicht fahren lassen.

"Habe ich es dir nicht gesagt? Sie geht fort. Sie gehört nicht zu uns.

"Sieh. Es. EIN!"


Der junge Enrique widersprach nicht, weinte nur erneut bittere Tränen, die zu Eis erstarrten, sowie sie sich von seinem Gesicht lösten. Und die Kälte kroch weiter auf ihn zu.

Hätte der Offizier die Kraft gehabt, so hätte er sich ebenfalls auf die Seite gedreht und zusammengekrümmt, so aber erbebte sein Körper nur leicht und es zuckte ein wenig in Armen und Beinen, das Alles begleitet von einem leisen Stöhnen.

Dann plötzlich war sie da.

Schon fast schmerzhaft heiß brannte sich die Berührung durch dass Eis und ließ den Älteren zurückweichen. Blind schlug er um sich und traf mit seiner Wut und Verzweiflung doch nur den Jungen und sich selbst. Sengende Pein bohrte sich in seine Brust und die Stacheln seines Panzers sprossen nur noch dichter hervor.
Er wollte nicht. Wollte einfach nicht noch mehr verletzt werden und wehrte sich deshalb so verzweifelt gegen das, was der Junge umso begieriger annahm:
Nähe.
Dem Kind war egal, wer es tröstete. Alles was es wusste war, dass die Zuneigung Wärme brachte und gut tat.
Gut, da war auch dieser Schmerz, aber den würde sie schon irgendwie weggehen lassen. Das würde sie doch, oder? Und ihn nicht mit noch schlimmerer Pein zurücklassen, wie die frostige Stimme behauptete? Oder?!?

Enrique fuhr unter Skadis Berührung kaum merklich zusammen und stieß einen schwachen, schmerzhaft klingenden Laut aus. Fahrig versuchte er mit dem freie Arm sie von sich zu stoßen, doch nur um ihn erschöpft zurücksinken zu lassen, noch ehe er mehr geschafft hatte als sie flüchtige mit der Hand zu berühren.


Abermals wollte die Kälte das Kind anschnauzen, als die Worte kamen. Leise, wie aus weiter Ferne klangen sie herüber, berührten sanft das blutende Herz und schmolzen das Eis dort.
Ein Riss bildete sich in der eisigen Präsenz und ließ sie für den Moment verstummen.
Die Fremde war tatsächlich wegen ihm hier, stellte der Knabe verwundert fest und zog dieses Wissen wie eine Decke um sich, während der Ältere die Quelle mit blinden Augen ansah.
'Ich bin hier.'
Doch es waren nicht ihre Worte, die bei ihm ankamen sondern seine Eigenen.
'Ich bin hier.'
Wo hatte er das zuletzt gesagt? Wem hatten sie gegolten?
Mit einem Schlag kehrte die Erinnerung zurück. Beinahe grell stand Cornelis Gesicht vor seinem geistigen Auge — und mit ihm das Wissen über seinen tot.

"Natiao ..."

Das Flüstern drang kaum über seine Lippen. Seine Hände verkrallten sich im Netz, sein ganzer Körper versteifte sich, spannte sich für einen Augenblick an.

"¿Por qué?", kam es erstickt.

Der Schwarzhaarige holte gepresst Luft. Weg. Er musste weg. Das alles war einfach zu viel. Tränen schossen in sein Augen und er fing an, sich zusammenkrümmen, Skadi den Rücken zudrehen zu wollen, doch selbst wenn sie ihn freigäbe und nicht mit ihrem Körper unten hielte, so warf ihn ihr Untergrund doch wieder auf den Rücken, und ihr Gewicht zog ihn weiter, so dass ihm nichts anderes blieb, als der Schwerkraft zu folgen, während er sich einrollte, bis er gegen sie stieß und sein Oberkörper, mit dem Gesicht zu ihr, schwer auf ihrem Unterarm zu liegen kam. Dabei drang abermals die geflüsterte Frage über seine Lippen:

"¿Por qué ...?"
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#7
Er jagte ihr mit jedem Laut und jeder Regung seiner Glieder eine unangenehme Gänsehaut über Arme und Beine. Noch nie hatte sich Skadi so seltsam gefühlt wie in diesem Moment. Gefangen zwischen dem akuten Wunsch davon zu rennen und dem Drang laut aufzuschreien, um den Dunkelhaarigen in die Realität zurück zu holen. Für einen Moment war sie gefangen in diesem Zwiekampf. Unterdrückte das schwere Schlucken, den flachen Atem, das Zucken ihrer Lungen, die sich schmerzlich unter den zitternden Rippenbögen zusammenzogen. Komm zu dir verdammt… tu endlich etwas! Wie eine regungslose Puppe rollte sich der hochgewachsene Leutnant zusammen und ergab sich dem Schmerz, der seinen Körper beherrschte. Wagte erst die Flucht in die entgegengesetzte Richtung und konnte doch nicht gänzlich gegen die Schwerkraft ankämpfen, die ihn zurück holte. Wortlos beobachtete ihn die Nordskov bei seinem kläglichen Versuch. Spürte bereits dieses brennende Gefühl in  ihrem Magen aufsteigen, das sie beim ersten Laut seiner Stimme vollkommen entfesselte. Fest umschlossen die dünnen Arme den kalten Körper. Ignorierten die aufkommende Gegenwehr, die sie nur noch fester an den Älteren heran rücken ließ. Starr, beinahe verbissen lugten die dunklen Augen über die breite Schulter. Wie selbstverständlich bettete sich ihr Kinn darauf und ließ Enrique keine Möglichkeit mehr, sich in sich selbst zurück zu ziehen. Was glaubte er eigentlich wer er war, dass er sich das hier erlauben konnte? Hatte er denn vollkommen vergessen, dass es Menschen gab, zu denen er verdammt noch eins zurück musste?! Die auf ihn warteten?

“Enrique… hörst du mich?“

Ihre Lippen berührten fast seine Ohrenspitze. Hauchten ihm ungefragt ihren warmen Atem gegen den Ansatz seiner dunklen Mähne und ließen die eindringlichen Worte fast einem Mantra gleich in die dunkle Nachtluft.

“Du musst kämpfen verdammt. Sei der Mann für den ich dich immer gehalten habe und kämpfe. Wenn nicht für dich.. oder für mich… dann für deine Tochter.“

Skadis Kehlkopf zitterte bei den letzten Worten. Beinahe versagte ihr die Stimme unter der Anspannung und dem bitteren Gefühl, das sich neben ihre Wut schlich.

“Sie wartet auf dich… auf ihren Vater. Sie braucht dich, Enrique…“

So viele Worte blieben in jenem Moment unausgesprochen. Worte, von denen sie wusste, dass sie ihn nur noch tiefer in dieses Loch gestoßen hätten, in das er sich zu verziehen gedachte. Doch sie würde es nicht zulassen. Selbst wenn es bedeutete all ihre anerzogenen Werte über den Haufen zu werfen. Skadi hatte verstanden – weitaus früher als zu jenem Zeitpunkt – dass es Menschen gab, die anders waren als sie. Die im Selbstmitleid unter dem Verlust einer geliebten Person versanken und keinen Weg mehr heraus fanden. Wieder einmal war sie stark für eine andere Seele. Wich nicht von ihrer Seite, weil es ihr endgültiger Untergang gewesen wäre.
Fast schon liebevoll fuhren die langen Finger ihrer Rechten an den verfilzten Hinterkopf und schoben Enriques Miene mit sanfter Gewalt an ihre Schulter.

“Ich werde nicht von deiner Seite weichen… das habe ich dir versprochen. Weißt du noch? Und ich halte mein Wort. Ich beschütze dich, Enrique. Vor allem was sich dir und deiner Tochter in den Weg stellt. Egal was kommt.“
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#8
Gefangen im Eisblock schrie der Ältere bei dieser Erkenntnis auf. Cornelis hatte ihn verlassen und würde nie wieder zu ihm zurückkehren.

Tot.

Enrique hatte das alles zwar schon an der Seite des Rotbarts mitbekommen und auch die logischen Konsequenzen waren ihm in den Sinn gekommen aber sein Verstand hatte sie achtlos bei Seite geschoben und erst jetzt realisierte er es, brannte sich diese Erkenntnis eisig durch seinen Körper und ließ ihn zittern.
Dieses Mal blieb ihm nicht die Illusion, er könnte jederzeit in der Tür stehen oder die Gangway herabschreiten. Nein. Es war endgültig vorbei, nach knapp zwei Wochen wiederfinden und schmerzhaftem Zusammenraufen. Sie hatte nicht einmal Gelegenheit gehabt, wie damals, einfach nur unbeschwert gemeinsam zu lachen und von der Zukunft zu träumen, war doch jeder gemeinsame Augenblick mit der Enthüllung düsterer Vergangenheit durchzogen gewesen, nie frei von Erinnerungen und Trauer.
Und dann all die Versprechen und Zusagen:
Nie gemeinsam an Deck der Onyx stehen, nie gemeinsam nach Hause zurückkehren, nie gemeinsam wirklich frei sein.
Alles was er jetzt noch für seinen Bruder tun konnte, war dessen sterbliche Hülle gebührend der See zu übergeben und nicht einmal sie wiederzusehen, geschweige denn die geliebte Stimme zu hören, die sanfte Berührung seiner Hand in den Haaren zu spüren oder von den starken Armen vor Freude fast erdrückt zu werden.
Wie sollte er ohne all das leben, wo es ihm doch gerade erst versprochen worden war, dass er das jetzt wiederhaben würde?

Es gab keine Antwort auf diese Frage. Nichts gab es mehr, nur schmerzhafte, endlose Leere, die nichts und niemand je füllen würde können. Vielleicht würde diese Qual irgendwann nachlassen und er könnte einsam in diesen Hallen stehen und die Scherben dieser Zeit ohne Tränen betrachten, vielleicht sogar über das eine oder andere Lächeln, aber ganz würde er nie wieder werden.
Es war die zweite Narbe dieser Art, die er tragen würde:
Die andere gehörte seiner Schwester und auch sie öffnete ihre Schleusen um den alten Schmerz zu dem neuen zu ergießen, denn wo Cornelis war, da waren auch seine Schwester und seine Mutter nicht fern.
Davon blieb ihm jetzt allerdings nur noch Nahia, irgendwo fern hinter dem Horizont, unerreichbar.
Kurz flackerte die Erinnerung an Peio auf, seinen Halbbruder. In seinem jetzigen Zustand sehnte er sich sogar nach ihm, obwohl es zwischen ihnen nichts als Neid und Wettstreit gegeben hatte. Es war egal, es wäre etwas Vertrautes gewesen. Doch auch der war fort.
Nur nach seinem Vater sehnte er sich nicht. Kaum dass er an ihn dachte regte sich Wut in ihm, ehe sie und das Bild Don Jorges von der Verzweiflung hinweggeschwemmt wurde.

Mit einem tiefen, klagenden Seufzen glitt das alles aus ihm heraus, ließ die Erregung nach und kehrte die Erschöpfung zurück. Bis auf das Beben, das mit jedem schwachen, erstickten Atemzug seinen Körper durchlief, lag der ehemalige Offizier für einen Moment leblos in Skadis Armen.

Und auch der Leib des Mannes im Eisblock hing wieder erschlaffte in den Ketten, ungerührt vom der Verzweiflung des Jungen, der sich panisch zusammenkrümmte und den Kopf unter seinen Armen barg.

Doch die Fremde ließ sie nicht in Ruhe sondern warf ihre Worte wie gleißende, blendende Strahlen in die Tiefe, ihre Berührung brannte auf der Haut beider und gab sie nicht frei, ließ nicht zu, dass sie vergaßen. Abermals bäumte sich der älteren auf, wehrte sich, wollte sich nicht mit der Außenwelt beschäftigen, schrie stumm in das Eis, das ihn umgab und verfluchte die Gleichgültigkeit, die ihn nicht mehr schützte.

"Ja! JA! Ich höre dich!", rief der Knabe und rappelte sich, taub vor Frost, noch einmal auf.

Mehr und mehr glaubte der Junge sich an sie zu erinnern. Freude regte sich langsam in seiner Trauer, während sich die Erkenntnis bei dem Älteren tiefer und tiefer in den Körper fraß, dass er sie kannte, und hätte er in die Knie gehen können, er wäre. So flehte er nur erstickt:

"Hör auf! So hör doch auf! Bitte! Zwinge mich nicht dazu, mich an dich zu erinnern! Du sagst es zwar, doch alles wird mir entrissen. Wenn du mich nicht im Stich läßt, dann wird dir das gleiche widerfahren und wenn ich dich mögen sollte, so zerbreche ich dann. Warum meine Qual also unnütz verlängern?!"

Im Netz über den Wassern mischte sich ein Wimmern in die unartikulierten Laute des Dunkelhäutigen. Mühsam wandte er sich unter Skadis Gewicht, hatte jedoch mit diesem jämmerlichen Versuchen keinerlei Chance die junge Frau abzuschütteln.


Überrascht stellte der Enrique von damals fest, dass es jetzt der Ältere war, der Angst zu haben schien, fragte sich in seiner Unwissenheit und Unschuld, was denn so schlimm daran sein könnte, wenn jemand Nettes für einen da wäre und einem half, den Schmerz zu vergessen.
Zögernd trat er auf den Eisblock zu, die Schatulle auf den Armen, und versuchte den Mann dort näher zu betrachten und der Frost wich zurück.

"... dann für deine Tochter ... Tochter — Tochter — Tochter ... "

Wieder und wieder halten die Worte durch die Dunkelheit. Die Kälte kreischte auf, dann dröhnte ihr flüstern abermals in den Herzen:

"Glaub mir, du willst dich nicht erinnern. Zu viel ist da, was dich bedrängen würde, so wie diese Frau. Bleib hier und verbirg dich! Lass mich meine Dunkelheit um dich hüllen, dein Herz mit Eis wieder verschließen und alles wird gut. Nichts wird dich mehr berühren, nichts braucht dich mehr zu kümmern. Nur du und ich und friedliche Stille."

"Sie wartete auf dich — dich — dich ..."

"Nein! Hör nicht hin! Vergiss das! Das wird dir nur Schmerzen bringen."

Verzweifelt versuchte der Ältere ihren Anweisungen zu folgen, sich weiter zurückzuziehen, sein Gefängnis wieder zu verschließen und zum ersten Mal seit Cornelis Tod wagte der junge es ein Wort an ihn zu richten:

"Aber das ist doch gut, wenn jemand auf einen wartet. Das heißt doch, es ist jemand für einen da."

Bei den Worten trat er noch einen Schritt vor, und auch wenn das Eis an den Ketten schmolz, so warf sich doch die Kälte zwischen sie und knurrte ihn an:

"Nicht wenn du diese Person absichtlich versetzt hast, nicht genug getan hast, um zu ihr zu kommen. Wenn du dein Versprechen ihr gegenüber nicht eingehalten hast", zischelte sie.
"Dann ist diese Person sauer auf dich und wird dich nicht willkommen heißen, wenn du zu ihr gehst. Dann ist es besser du bleibst ihr fern und vergisst sie."

"... ihren Vater — Vater — Vater ...
"braucht — braucht — braucht ...
“dich — dich — dich ... "


'Der Ältere ist ein Vater?', wunderte sich der Junge und die Schatulle knackte. Ein Riss zog sich über die Vorderseite und Licht strahlte heraus.

"Meine Tochter? Vater? Ich—"

Schamesröte färbte das blasse Gesicht des Mannes.

"Nein! Hör nicht hin. Hör auf mich. Ich bin deine Erlösung", flüsterte die Einsamkeit, aber dieses Mal war es nur ein ängstliches Flehen.

'Fürchtet sie sich davor? Davor, dass der Mann sich erinnert? Aber warum, wenn er ein so schrecklicher Vater ist, dann müsste die Kälte das doch gut finden, wenn er sich erinnert? Oder nicht?'
Zögernd wagte er es, sich selbst eine verdrängte Wahrheit ins Gesicht zu sagen:

"Weißt du, du da im Eis, wer auch immer du bist, auch wenn mein Vater auch nicht der beste ist, ich wünsche mir trotzdem, dass er für mich da ist. Also musst du zu ihr zurück. Das Einzige, was sie wirklich enttäuschen würde ist, wenn du nicht zurückkommst. Egal wie lange es dauert."

Langsam senkte sich der Blick des einen Enriques und traf den des Anderen.

"Außerdem ist da diese Frau, die für uns da ist. Ich gehe nämlich auch nicht weg. Auch nicht wenn du diese Dinger hier löst."

Der Knabe hob die Hände, und damit die Schatulle, an, um auf die Schellen an seinen Gelenken aufmerksam zu machen. Vielleicht würde der andere wenigstens ihm glauben, wo er ihn ja sehen könnte.
Dessen Augen wanderten weiter hinab, doch sahen sie nicht die Ketten. Denn im Gegensatz zum Jungen erkannte er das Kästchen, seinen Schatz, sofort.

"Isabella ..."

Mit einem deutlichen Klacken sprang die kleine Truhe auf, das Licht stieg daraus hervor und flog zu ihm hin, bis es mit dem Enrique von heute verschmolz.
Sein jüngeres Ich rechnete mit einem lauten Knall, einer Explosion oder etwas anderem, ähnlich spektakulären. Doch das war nicht der Fall. Das einzige, was geschah, war, dass der Ältere anfing zu weinen.

Draußen, in der Nacht, passierte das gleiche:
Kraftlos und fahrig griffen die Hände nach Halt und klammerten sich schwach an Skadi fest, unter qualvoller Anstrengung holte der Offizier Luft, nur um sie als erstickte Schluchzer wieder auszustoßen, während die Tränen anfingen in Strömen zu fließen und den Stoff ihres Oberteils durchtränkten.
Und es war offensichtlich, dass sie nicht so schnell wieder aufhören würden ...
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#9
Bei jedem zitternden Atemzug senkte sich der dunkle Haarschopf tiefer in seine Halsbeuge. Hoffte dass er endlich wieder in die Realität zurückkehrte und aufhörte ihr so eine scheiß Angst einzujagen. Es fühlte sich an als hielte sie einen steifen, von der physischen Welt abgeschnittenen Körper in ihren Armen. Einen Körper der sie nicht wahrnahm. Der sich in sich selbst verloren hatte und kaum mehr die Kraft besaß zurück zu kehren. Fast erleichtert registrierte sie die Finger an ihrem Rücken, die sich Hilfe suchend in den Stoff ihres Oberteils krallten. Über die ledernen Teile ihres Wams kratzten und ihr ungewollt eine unangenehme Gänsehaut auf die Arme jagte. Enrique war zurück und stieß einen so herzzerreißenden Laut aus, dass es Skadi augenblicklich die Kehle zuschnürte. Noch nie hatte sie ihn so gesehen. Noch nie hatte sie irgendjemanden so gesehen. Tränen sicherlich. Auch solche, die vor Wut aus dunklen Augenpaaren quollen oder in tiefer Trauer an die Oberfläche traten. Doch das hier ging weitaus tiefer. Rüttelte an den Ketten ihrer Selbstbeherrschung und offenbarte ihr, dass der Enrique, den sie glaubte zu kennen, nicht wirklich der Mensch gewesen war, der auf der Morgenwind gedient hatte. In ihren Armen lag ein Häufchen Elend, das schwere Erfahrungen mit sich herum schleppte und beinahe daran zu Grunde ging. Ein Mann, der so viele Gefühle in sich trug und es sich aus unbekannten Gründen zur Aufgabe gemacht hatte, sie unter einer Maske aus Gleichgültigkeit und Wut zu verstecken. Just in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass auch sie selbst eine Teilschuld daran trug. Dass sie ihn in all jenen Augenblicken zurückgewiesen hatte, in denen er ihr mit Mitgefühl und freundschaftlicher „Zuwendung“ begegnet war. Unter einem schweren Seufzen umklammerte sie den weinenden und zitternden Körper fester. Lauschte dem verstörenden Klang, der sich nach etlichen Minuten mit den leichten Wellen vermischte, die sanft gegen den Bug schlugen.

“Es tut mir so leid Enrique...“, wisperte sie leise gegen sein Ohr. Strich ihm unablässig durch die dichten dunklen Strähnen und schloss die Augen. “so unfassbar leid.“
Crewmitglied der Sphinx
für 250 Gold gesucht
dabei seit Nov 2016
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#10
Da der Ältere sich seiner Trauer ergab, hatte sein jüngeres Ich, für einen Weile, die Herrschaft über den Körper im Netz, dabei spürte der Junge mehr und mehr, wie es in dem Erwachsenen aussah und wollte einfach nur noch weinen und sich trösten lassen. Denn dann würde schon alles gut werden.
Doch der Knabe wusste nicht, was er da alles aufwühlte, während er sich an das Licht der junge Frau drückte. Denn während er das tat, strebten weitere Lichter aus der Schatulle auf den Älteren zu und schmolzen, genau wie Skadis Worte und Berührungen, mehr und mehr Eis, mit dem der Offizier sich umgeben hatte.
Wäre es nur das gewesen, es wäre in Ordnung gewesen.
Doch jedes Licht war von seinem eigenen Schatten begleitet, harte Fakten, unschöne Umstände und ausstehende Katastrophen:
Seine Tochter war nicht mehr sicher, seine Schwester tot, seine Mutter hatte die Taten seines Vaters zugelassen, Cornelis ihn damals im Stich gelassen und tat es jetzt wieder.
Alles löste Gefühle aus, unverarbeitete, heftige Gefühle.
Irgendwo im Hinterkopf war dem 26-jährigen klar, dass er das negative in seiner derzeitigen Stimmung gnadenlos überbewertete, doch das war eine müßige, logische Herangehensweise an emotionale Probleme, die plötzlich und unkontrolliert über ihn hereinbrachen, mit einer Gewalt, die Enrique nicht mehr gewohnt war und die in ihm panische Angst auslöste. Denn ihm fehlte inzwischen das blinde Vertrauen des Kindes daran, dass schon alles irgendwie wieder gut werden würde.
Auf diese Erkenntnis schien weitere Düsternis in der Schatulle nur gewartet zu haben. Sie erhob sich mit Macht, griff mit sengenden Berührungen nach ihm und verbrannte ihn mit alten Schmerzen.

Skadi konnte beobachten, wie de Guzmán ihre Nähe suchte, sich geradezu in ihre Arme flüchtete, dabei heftiger und heftiger bebte, wie mehr und mehr Tränen flossen.
Und dann — wie er sich plötzlich versteifte.


Denn Enrique erkannte nur all zu deutlich, dass die Schatulle all seine Gefühle beinhaltete, die er seit dem Tot seiner Schwester von sich geschoben hatte und die er, seit dem er Isabella anerkannt hatte, irgendwie hatte kontrollieren müssen, dass das Eis seine Lösung gewesen war, das alles von sich fern zu halten und dass er für seine Tochter dieses Kästchen erschaffen hatte, damit er sie nicht mit all dem Übel erdrückte, bevor sie überhaupt ahnte, dass die Welten grausam waren, hatte er doch für sie und mit ihr fühlen wollen.
Es waren keine guten Lösungen gewesen.
Die düstere, alles verschlingende Wut, die abgrundtiefe trauer, der ätzende, ungezügelte Hass, all jene Gefühle, die ganz klein begonnen hatten gärten nun mitunter schon seit über einem Jahrzehnt vor sich hin und waren zügellos, weil verdrängt, bis zur Unkontrollierbarkeit angeschwollen.
Jetzt kehrten sie zu ihm zurück. Und je mehr davon aus dem Kästchen herausstieg, um so kürzer wurden die Ketten, die ihn mit sich selbst verbanden; um so mehr drohte er verloren zu gehen, denn ein Kind, und damit er, war er doch, was Gefühle zu verarbeiten betraf, kaum älter als sein zwölfjähriges Ich, würde daran zerbrechen. Ließe er zu, dass sie in ihnen versanken, es wäre ihr Ende, denn er konnte sie nicht beide retten.
'Nein! So nicht!'
Die Wut, die in jenem Moment seinen äußeren Körper versteifte, gab ihm hier, am Grunde seines Selbst, die Hände frei, seine Entschlossenheit ließ ihn seine harte Schale akzeptieren und in sich aufnehmen. Mit all seiner Wildheit riss er die Entscheidungsgewalt wieder an sich und war plötzlich frei, sich zu bewegen.
De Guzmán hatte geschworen erst aufzuhören, wenn sein Kind sicher und seine Feinde tot wären.
Und das waren sie noch nicht.
Mit lautem Aufbrüllen stürzte er sich auf sein jüngeres selbst, entriss ihm die Schatulle, drückte mit aller Kraft den Deckel herunter, stopfte seine Erinnerungen zurück in das kleine Gefäß, verschloss sich vor ihnen und den damit verbundenen Gefühlen und bediente sich dabei hemmungslos den Kräften der Kälte in und um sich, bis ein Klacken verriet, dass das Schloss des Kistchens eingerastet war. Dann nahm er es und schleuderte es mit Schwung in die Düsternis unter sich.

Der Zwölfjährige starrte ihn entgeistert an. Das konnte der Mann doch nicht ernsthaft getan haben!
Aber er hatte.

Die Anspannung blieb erhalten. Enriques Hände bekamen Skadis Schulter und ein Ende zu fassen. Was war ihm egal, denn er bekam es nicht mit, er brauchte nur etwas zum festhalten. Einen Augenblick lang verspannte er sich, wurde sein Griff schmerzhaft, hielt er den Atem an — dann sackte er erschöpft zurück in die Arme, die ihn nach wie vor hielten, rang mit sich, bis er sich nach und nach beruhigte und aufhörte zu weinen.

Stück für Stück verschloss der Schwarzhaarige sein Herz wieder mit Eis und weigerte sich, seine Vergangenheit zu betrachten. Würde er das jetzt tun, er würde nicht zu seinem Schwur zurückkehren.
'Dann lieber ohne jedes Gefühl und ohne jede Erinnerung.'
Nur zwei Lichter schloss er darin ein, um nicht gänzlich zu erfrieren. Sie beinhalteten wenig genug Schatten, dass er schon irgendwie mit den Emotionen, die sie hervorriefen, klarkommen würde. Da er sein Herz damit auch vor seinem Bruder verschloss, dessen Zuneigung und Wünsche mit Vorwürfen von sich hielt, verschwand damit auch das Gewicht auf seiner Brust, es rutschte an den Fesseln hinab, verhakte sich irgendwo im aufgewühlten Schlamm an den Ketten, die ihn noch immer banden und machte die unsichtbare Last dort noch größer.
Aber die war er gewohnt.
Außerdem musste er sich ihr so nicht stellen.
Je mehr er sich dadurch beruhigte, um so mehr legte sich auch der Sturm in ihm.
Und um so näher rückte der Frost dem Knaben. Hilflos schlang der die Arme um sich und sah flehend zu seinem älteren Gegenstück auf.
Wie sollte er denn so warm bleiben, wenn der Mann ihm nichtmal ein kleines bisschen Hoffnung ließ?
Der schaute zurück:

"Ich muss leben. Auch wenn ich dazu zunächst mich und meine Gefühle vergessen muss. Du hast recht. Ich muss zu ihr zurück. Ich werde sie, im Gegensatz zu unserem Vater, nicht verraten und allein lassen."

Er verharrte, den Blick auf den Jungen gerichtet, die schlanke, hochgewachsene Gestalt schwankte in der Betrachtung, das schwarze Haar, wie eine Wolke aus Tinte um seinen Kopf, beobachtete, wie die Kälte seine Jugend erfrohr und wusste, er verlor. Es war egal das er sich gerade bewußt so entschieden hatte, er verlor. Er hätte noch weit schlimmer verloren, hätte er sich anders entschieden, doch das machte es für de Guzmán nicht angenehmer.
Vielleicht könnte er das hier später zurückgewinnen. Vielleicht war das hier tatsächlich die beste Entscheidung. Er hoffte es inständig.
Und dennoch:
Er verlor.

"Für mich reicht meine Kraft gerade nicht. Später, wenn ich es geschafft habe, für sie da zu sein, dann kann ich mich auf mich besinnen ...", flüsterte er.

Vielleicht.
Vielleicht auch nicht. Aber jetzt war es zu spät. Einem Insekt in Bernstein gleich, schimmernd, verschwommen und unerreichbar, hing seine Kinderzeit in diesem frostigen Block.
Würde er zu ihr wollen, dann würde er zunächst die Schatulle wiederfinden und meistern müssen. Und die lag in der Schwärze seiner Dämonen versunken. Um zu ihr zu gehen, würde er durch seine ganz private Hölle müssen.
Aber jetzt, jetzt musste er seine spärlichen Kräfte darauf ausrichten, zu Skadi und damit zu Isabella zurückzukehren. Es wurde Zeit.
Und dazu musste er das restliche Chaos um sich herum (in sich? Auf einmal war dieser Ozean um ihn herum nicht mehr so klar wie vorher) akzeptieren.
Die Welt um ihn verschwamm weiter, die Erinnerung an sie verblasste, nur seine Entscheidung würde er mit ins Wachen hinüber nehmen können.

Zitternd und schweißgebadet entkam er aus diesem Albtraum, spürte all das, was freigekommen war, in sich hineinsinken und arbeiten. Enrique hatte das Gefühl, daran zu ersticken. Wütend schob er es bei Seite und zwang Luft in seine Lunge, atmete gepresst. Seine Augen öffneten sich, er blinzelte heftig, doch sie blieben noch verschleiert und unfokussiert. Eine plötzliche, undefinierte Woge von Trauer ließ die Tränen zurückkehren. Nicht nur die See rauschte in seinen Ohren. Noch immer waren seine Sinne verstopft, und so bekam er noch immer nicht mit, wo er sich befand oder dass er sich wieder verzweifelt und voller Angst an Skadi festhielt, geschweige denn, wie sehr er ihre Nähe gerade suchte und brauchte.


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