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Where do We go?
Talin & Lucien ✓✓
Szenen-Informationen
Charaktere Gast
Datum 30 März 1822
Ort Handelsviertel von Mîlui
Tageszeit Vormittags
Crewmitglied der Sphinx
für 0 Gold gesucht
dabei seit Nov 2015
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#1
Where do We go?
Talin & Lucien
30. März 1822 | Vormittags | Handelsviertel von Mîlui


Dafür, dass die Sphinx ein bemerkenswert kleines Schiff war, hatte es erstaunlich lange gedauert, bis er seine Schwester fand. Am Anfang seiner Suche war er dabei fast hektisch geworden. Immerhin wollte er die anderen nicht ewig warten lassen, während sie das Beiboot bereit machten. Doch als er Talin schließlich fand, konnte er sich den kleinen Moment ungläubiger Belustigung nicht verwehren.
Sie arbeitete in der Kombüse. Ganz in die Zubereitung einer frischen Kanne Kaffee vertieft, musste sie sein Kommen über die Geräusche des Schiffes hinweg wohl überhört haben. Denn als Lucien sich mit einem kleinen Schmunzeln um die Mundwinkel mit der Schulter gegen einen der Stützpfeiler lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte, wandte sie sich nicht zu ihm um. Also gönnte er sich die paar Augenblicke, ihr dabei zuzusehen, und fragte sich gleichzeitig, warum er nicht gleich hier nach ihr gesehen hatte. Der Kaffeeverbrauch, den sie an den Tag legte, war ihm in der kurzen Zeit schließlich nicht entgangen.
Es mochte nicht so ganz in das Bild passen, das er von seiner kleinen Schwester hatte, doch er nahm diese neue Angewohnheit gutmütig hin. Auf geradezu kindlich niedliche Art machte es sie irgendwie charmant. Kostspielig zwar, aber charmant. „Na? Verbrauchst du den restlichen Kaffee, damit du neuen kaufen kannst?“ Er durchbrach die Stille letztlich nur, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, auch wenn er nichts dagegen gehabt hätte, ihr noch ein paar Augenblicke lang zuzusehen. Vielleicht, bis sie ihn von selbst bemerkte. Doch ein Teil von ihm dachte nach wie vor an das Beiboot, das auf sie wartete. „Ein paar der anderen setzten an Land über. Hast du Lust, mich in die Stadt zu begleiten?


Das eintönige und mahlende Geräusch der Kaffeemühle in ihrer Hand füllte die Stille der Kombüse. Talin überraschte es, einmal vollkommen allein hier zu sein, aber Rayon meinte nur, er vertraue ihr so weit, dass sie nicht ans Essen gehen würde, nur an ihren heißgeliebten Kaffee und damit war er verschwunden. Nun stand sie an der Kochstelle und mahlte gedankenverloren die Bohnen, sodass der intensive Geruch die Luft füllte. Zufrieden schloss sie die Augen und atmete ganz tief ein. Das Aroma versetzte sie in eine Zeit zurück, in der sie den Geschmack des Getränkes noch nicht zu würdigen wusste, als sie beim allerersten Mal das Gesicht angewidert verzogen hatte. Erst als sie aufgrund von Alpträumen kaum eine Nacht hatte durchschlafen können, hatte sie Gefallen an dem dunklen Gebräu gefunden und es einfach weiter getrunken.
Mit einem leichten Lächeln öffnete sie wieder die Augen, als sie hörte, wie die letzte Bohne gemahlen wurde und sah hinab auf ihr leise kochendes Wasser. Flink stellte sie die Mühle ab und nahm im gleichen Atemzug einen Becher, in den sie das Pulver füllte. Als sie sich leise summend, schwungvoll umdrehen wollte, um das Wasser zu holen, zuckte sie erschrocken bei Luciens Stimme zusammen. Sie legte sich eine Hand auf die Brust und blieb ihm zugewandt stehen. „Erschrick mich doch nicht so“, meinte sie grummelig und blickte einen Moment finster drein, bevor sie ihre Tätigkeit schließlich beendete und Wasser auf das Kaffeepulver goss. Nochmals sah sie – diesmal sanfter – zu ihrem Bruder hin und überlegte, wie lange er ihr wohl schon zugesehen, bevor er etwas gesagt hatte. Es hätte ihr fast peinlich sein können, also nahm sie nur schweigend ihre Tasse in beide Hände, während sie ihre Gedanken seiner Frage zu wandte. Lange überlegen musste sie nicht, denn sie wusste, was sie antworten würde.  „Anscheinend brauche ich Kaffee, also würde ich mit in die Stadt kommen. Was brauchst du?


Das Lächeln auf seinen Lippen vertiefte sich ein wenig. Er hatte nicht vorgehabt, sie zu erschrecken – aber er wäre auch kein guter großer Bruder gewesen, wenn er das nicht ein kleines Stück weit genossen hätte. Selbst die Tatsache, dass sie dabei ein ganz kleines bisschen grummelig klang.
Talin drehte ihm erneut den Rücken zu, goss sich eine Tasse Kaffee auf und der intensive Geruch erfüllte die gesamte Kombüse, quoll in jede Ritze und verdrängte den Geruch von Salzwasser, Algen und Essen. Wie von selbst atmete Lucien tief ein, genoss diese kleine Abwechslung in den Lungen sichtlich, schwieg aber noch und beobachtete mit aller Seelenruhe seine Schwester, bis sie sich endlich gänzlich zu ihm umwandte und seine Frage zurück gab. Der Dunkelhaarige stieß sich leicht von seiner Stütze ab, löste die verschränkten Arme und deutete mit einer ausladenden Geste auf – alles von sich. „Ich könnte mal eigene Kleidung gebrauchen, meinst du nicht?

***


Die Stadt war erfüllt von Geschrei, fröhlichem Lachen und einer ausgelassenen Stimmung, obwohl alle ihrer Arbeit nachgingen. Das Frühlingsfest musste vorbereitet werden und die Aufregung auf die Feierlichkeiten war fast mit Händen zu greifen. Talin sog diese Stimmung förmlich in sich auf und die düsteren Gedanken und Gefühle, die sie auf dem Schiff noch beschäftigt hatten, verflogen. Sie nahm Lucien bei der Hand und zog ihn mit sich durch das Gedränge. „Wir sollten dir zuerst was zum Anziehen suchen. Willst du was bestimmtes?

Das Frühlingsfest stand bevor. An jeder Ecke konnte man es sehen. Er hatte es vergessen. Genau genommen hatte er noch immer kein Gefühl dafür, wie die Tage vergingen. Dass der März sich dem Ende neigte und der April bevor stand. Erst jetzt erinnerte ihn der Trubel in der Stadt an das, was unmittelbar bevor stand.
Im ersten Moment musste Talin ihn mit sich ziehen und Lucien bewegte sich nur deshalb vorwärts, weil sie nicht locker ließ. Ein Teil von ihm reagierte sogar mit derart großem Widerwillen auf diese Massen an Menschen, dass er sich beinahe – einem ersten Impuls folgend – gesträubt hätte. Doch dann gewann sein Verstand und nach einigen wenigen Herzschlägen passte er sich Talins Tempo an, beschleunigte seine Schritte sogar, sodass die Spannung, die auf ihren Armen lag, nachließ und er zu seiner Schwester aufschloss. Selbstverständlich erst, nachdem er sich mit einem missbilligenden Blick seitlich zwischen einer Gruppe Hausfrauen hindurch gequetscht hatte, die den halben Weg vor einem kleinen Stand blockierten. „Vor allem will ich aus diesen Menschenmassen raus.“, knurrte Lucien schließlich leise als Erwiderung auf Talins Frage – obwohl er wusste, dass sie das nicht meinte.
Sie passierten einen weiteren Stand mit geräumiger Auslage, auf der Obst in jeder Form und Größe zu riesigen Bergen aufgestapelt worden war. Auch hier drängten sich Menschen, überwiegend Bedienstete, und als sie sich an diesen vorbei schoben, griff der Dunkelhaarige kurzerhand nach einem der großen, blutroten Granatäpfel, die unbeaufsichtigt auf einem Karren neben dem Stand lagen. „Leihst du mir dein Messer?“, wandte er sich an seine Schwester und hielt demonstrativ den Granatapfel in die Höhe, ohne dabei auch nur eine Miene zu verziehen. „Lass uns jemanden fragen, wo es einen passablen Schneider gibt. Ich schätze, ich brauche einmal alles.


Als er zu ihr aufschloss, sah sie seinen finsteren Blick und musste sowohl darüber, als auch über seine Worte lachen. Während er die Menschenmassen hasste, liebte sie diesen Trubel. Die bösen Blicke von anderen nahm sie gar nicht wahr, denn es interessierte sie einfach nicht. Sie mochte die geschäftige und geschwätzige Atmosphäre auf Märkten, die Geräusche von lauten Händlern, die versuchten einander zu übertönen und meistens mochte sie auch die Gerüche, obwohl sie gewöhnungsbedürftig waren. Und diese hektische, aufgeregte Betriebsamkeit für das Fest, machte sie einfach glücklich. Anscheinend das völlige Gegenteil von dem was Lucien empfand.
Als sie das nächste Mal zu ihm sah, hatte er auf einmal einen Granatapfel in der Hand. Kurz stutzte Talin, bevor sie mit einem kleinen Seufzer nach ihrem Messer griff und es ihm hinhielt. Allerdings konnte sie sich einen Kommentar nicht verkneifen. „Gut zu wissen, dass ich nicht die einzige mit einer Sucht bin.“ Und schweren Herzens dachte sie an den Becher Kaffee, den sie zurücklassen musste. Hätte sie ihn mitgenommen, hätte sie den Inhalt mehr auf sich und die anderen im Beiboot verschüttet, als etwas davon zu trinken.
Talin riss sich aus ihren wehleidigen Gedanken und sah sich noch einmal um, bevor sie Luciens Hand losließ und auf eine Gruppe von mittelständischen Damen zu hielt, die sie naserümpfend musterten. „Entschuldigt bitte, aber mein Bruder und ich suchen einen anständigen Schneider, könnt Ihr mir sagen, wo wir so einen finden.“ Wie von selbst hatte sie ihr zuckersüßestes Lächeln aufgesetzt und sah die Frauen wie ein kleiner Engel an. Obwohl diese ihre Kleidung immer noch skeptisch anschauten, hob eine von ihnen die Hand und deutete auf eine größere Gasse. „Geht dort entlang, meine Liebe. Dann einmal nach links und dann noch einmal. Dort befindet sich die Schneiderei von Chiaro. Er ist ein wenig exentrisch, aber sehr gut und kostengünstig. Sagt ihm, Danni hat euch geschickt, dann macht er euch ein gutes Angebot.“ Die Ältere lächelte freundlich, wodurch sich kleine Lachfältchen um ihre braunen Augen bildeten. Talin konnte nicht anders, als das ihr eigenes Lächeln ein klein wenig erwärmte. „Ich danke Euch sehr. Einen schönen Tag noch!“ Damit drehte sie sich zu Lucien um und bedeutete ihm mit einem Blick, wohin sie gehen würden.


Ein kleines, amüsiertes Schmunzeln umspielte seine Mundwinkel, als er Talins Blick bemerkte und er das dargebotene Messer entgegen nahm. „Das ist keine Sucht. Es ist eine Notwendigkeit!“ Ihm war klar, dass sie das gleiche über ihren Kaffeekonsum behaupten würde und vollkommen widersprechen konnte er dem Vergleich wahrscheinlich nicht. Sein Verlangen nach der süß-herben roten Frucht in seiner Hand konnte mit dem ihren nach dem schwarzen Gebräu vermutlich locker mithalten. „Außerdem war die Gelegenheit günstig“, fügte der 21-Jährige deshalb an, als ob das irgendetwas gerechtfertigt hätte. Sanfte Belustigung lag dabei in seiner Stimme.
Aber sie waren nicht zum Essen in die Stadt gekommen – ausnahmsweise mal. Daran erinnerte ihn seine Schwester in diesem Moment. Lucien blieb stehen, als sie seine Hand los ließ, folgte ihrem Blick und entdeckte die Gruppe Damen, auf die Talin nun zusteuerte. Er selbst blieb jedoch, wo er war und machte sich daran, den Granatapfel zu zerteilen, während sie ihre Erkundigungen einholte. Routiniert nahm er das Messer in die Linke und schnitt einen Kreis um den großen Strunk herum. Fast sofort lief ihm der dunkelrote Saft der kleinen, zerteilten Kerne über die Finger. Doch er störte sich nicht daran, ließ das runde Stück Schale achtlos auf den Boden fallen und hob kurz den Blick, um zu sehen, wie weit seine Schwester war.
Sie verabschiedete sich gerade mit einem herzlichen Lächeln und wandte sich bereits herum, um zu ihm zurück zu kehren. Als sie ihn erreichte, hielt er ihr ein Stück des geachtelten Granatapfels entgegen und lächelte sanft. „Und? Konnten sie uns jemanden empfehlen?


Sie spürte noch den Blick der Frauen in ihrem Rücken, wusste, sie würden sie den Mund zerreißen, sobald sie vollkommen außer Hörweite war. Wie konnte so ein junges, unverheiratetes Ding so einen tiefen Ausschnitt tragen? War sie nicht doch eher eine Dirne? Und der Mann bei ihr, nicht ihr Bruder, sondern ein Liebhaber. Auf Kitar waren ihre solche Unterstellungen immer wieder über den Weg gelaufen. Anfangs hatte sie es sich vielleicht noch etwas zu Herzen genommen, aber sehr schnell gemerkt, dass es vollkommen egal war, was andere Menschen dachten. Genau wie in ihrer Kindheit. Sie hatte nur wieder lernen müssen, die Menschen so zu nehmen, wie sie waren.
Deshalb hatte Talin die Damen auch schon wieder vergessen, als sie bei Lucien ankam und die dargebotene Frucht sah. Ihr Blick fiel auf seine andere Hand und sie rümpfte ein wenig die Nase, als sie den Saft sah. Dennoch nahm sie das angebotene Stück mit einem leichten Lächeln und einem leichten Herzschlag entgegen. Es gab wirklich wichtigere Dinge, über die sie nachdenken musste, als über das Gerede von gelangweilten Ehefrauen.
Natürlich konnten sie das. Vermutlich hoffen sie darauf, ich würde mir züchtigere Kleidung kaufen.“ Sie schnaubte leise, während sie ein paar Kerne des Granatapfels in ihren Mund verschwinden ließ. Als sie auf die kleinen Früchte biss, verzog sich kurz ihr Gesicht bei dem säuerlichen Geschmack. „Aber vielleicht sollte ich wirklich mal nach etwas neuem gucken.“ Wie von selbst hakte sie sich bei ihm unter und dirigierte ihn leicht in die Richtung, in die die Frau gedeutet hatte. „Du solltest dir aber vorher die Hände waschen, wenn du Kleidung willst. Ich glaube nicht, dass dich irgendein Schneider seine Ware anfassen lässt, wenn du Blutflecken hinterlässt“, meinte sie mit reichlicher Belustigung in der Stimme.


Lucien entging der kritische Blick seiner Schwester nicht, mit dem sie seine saftbeschmierten Finger bedachte, tat allerdings so, als bemerke er ihn nicht. Sie nahm das Granatapfelstück entgegen und er brach ein weiteres Achtel heraus, aus dem er nur noch mit den Zähnen die Kerne heraus knabberte. Ein Stück der unangenehm bitteren weißen Haut verirrte sich dabei in seinen Mund, das er jedoch gewohnheitsmäßig zur Seite ausspuckte, als wäre nichts gewesen. Dann huschten die tiefgrünen Augen mit einem vergnügten Ausdruck zurück zu seiner Schwester. „Haben wir denn überhaupt genug Gold dabei? Oder planst du, den Schneider auszurauben?
Gelassen nahm er hin, dass sie sich bei ihm einhakte und überließ ihr die Führung. An die Frauengruppe, die sie nach dem Weg gefragt hatte, dachte er schon nicht mehr. Nicht einmal mehr, als sie an ihnen vorbei gingen und das leise Getuschel ihnen folgte.
Auf Talins leisen Tadel hin hob der Dunkelhaarige nur eine Augenbraue, warf ihr einen gespielt skeptischen Seitenblick zu und steckte sich, nachdem er sein Granatapfelstück restlos entkernt und die übrige Schale entsorgt hatte, die beschmierten Finger einen nach dem anderen in den Mund. „So besser?“, fragte er zwischendrin und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.


Talin beobachtete Lucien aus dem Augenwinkel, bis er die Hand hob und sich jeden Finger einzeln in den Mund schob. Ungläubig sah sie ihn erst an, bevor sie laut lachte, was ihr ein paar pikierte Blicke einbrachte. Wieso nur durfte ein Mensch nichts auf der Straße tun? Er durfte nicht tragen, was er wollte, nicht so laut lachen, wie er mochte. Immer gab es Regeln, die der Rest der Gesellschaft einem aufzwang. Und da wunderten sich alle, warum sie lieber frei auf dem Meer lebte. Ts.
Sie konzentrierte sich wieder auf Lucien und seine Finger. Am liebsten wäre sie ihrem ersten Impuls gefolgt, um ihn ein bisschen zu ärgern, aber sie widerstand dem Drang. Stattdessen sah sie von seiner Hand wieder auf in sein Gesicht. „Ja, natürlich. Das ist viiieeeel besser.“ Sie schüttelte belustigt den Kopf, als sie ihn um eine Ecke führte, die zu einem kleinen Platz führte. Und als hätte jemand ihren Wunsch erhört, sprudelte da ein kleiner Brunnen glücklich vor sich hin.
Auch wenn es viel besser ist, glaube ich, dass Wasser noch ein bisschen mehr hilft.“ Sie fummelte ein Tuch aus ihrem Rockbund und hielt es ihm auffordernd hin. „Und um deine frage von vorhin noch zu beantworten: Ich dachte mir, wir machen es davon abhängig, wie nett der Herr zu uns ist. Ich habe Gold bei, aber auch keine Skrupel es zu behalten.“ Dem hinterher schickte sie ein engelsgleiches Lächeln. „Oder willst du den Armen gleich ausnehmen?"


Ihr ungläubiges Gesicht, dicht gefolgt von dem kindlich amüsierten Lachen entlockte dem Dunkelhaarigen ein freches Grinsen. Da war es ja, das Mädchen, das er am Kai zurückgelassen hatte. Das Mädchen, das er so furchtbar vermisste. Selbst ihre belustigte Antwort erinnerte ihn mehr denn je an die kleine Schwester, die sie einmal gewesen war. Ts.
Sie konnte froh sein, dass er sie nicht wie früher mit den Kernen bespuckte. Schließlich, als sie den kleinen Platz betraten und die tiefgrünen Augen Talins Blick zu einem kleinen Brunnen folgten, seufzte er gespielt enttäuscht. „Spielverderber!
Doch der 21-Jährige trat gehorsam an das Becken heran, ließ den übrig gebliebenen halben Granatapfel auf dem Rand liegen und tauchte die Hände in das Kühle Nass. „Hm, mir gefällt dein Plan. Wahrscheinlich ist es schlauer, nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen.“ Er wusch sich die Hände gründlich, bevor er das angebotene Tuch entgegen nahm und sich abtrocknete. Sein Blick huschte derweil zurück zu seiner Schwester. „Also, wo soll dieser Schneider jetzt sein?


Abwartend und immer noch mit einem Schmunzeln auf den Lippen hielt sie ihm das Tuch hin, während sie auf den halben Granatapfel hinabsah, den er so achtlos auf den Brunnenrand gelegt hatte. Nachdem er das Tuch genommen hatte, nahm sie wie zufällig die Frucht an sich, während sie sich einmal auf dem Platz umsah. „Freut mich, dass er dir gefällt. Im Moment sollten wir so wenig Aufmerksamkeit auf uns ziehen, wie möglich. Und deshalb“, sie hielt den Granatapfel hoch, „ist der beschlagnahmt. Nicht, dass du noch auf Ideen kommst.
Unschuldig grinste sie ihn an und deutete zeitgleich auf ein Gebäude hinter ihm. „Das da sollte er sein. Bitte. Nach dir.“ Sie stubste ihn leicht an der Schulter, damit er sich zu einem Gebäude mit knallroter Fassade umdrehte. Dunkelgrüne Markisen spendeten Schatten vor der Eingangstür, aus der gerade ein junges Ehepaar mit drei Tüten trat.
Vielleicht müssen wir doch ein wenig tricksen. Scheint so, als würde es unser Limit übersteigen, wenn wir dich neu einkleiden wollen.


In den tiefgrünen Augen zeigte sich ein sanft-spöttisches Funkeln. „Und wie, glaubst du, hetzt uns ein Granatapfel die Marine auf den Hals?“ Seine Tonlage machte deutlich, dass diese Frage eher rhetorischer Natur war. Eher vermutete er, dass sie die süß-saure Frucht für sich selbst behalten wollte. Lucien erwartete also keine Antwort, warf stattdessen einen Blick über die Schulter und bemerkte wie auch seine Schwester das Pärchen, das voll bepackt den Laden verließ.
Er stieß ein leises Schnauben aus. „Ich werd versuchen, mich zurück zu halten. Also los..“ Damit reichte er seiner Schwester ihr Tuch zurück, hielt ihr schließlich wieder den Ellenbogen hin, damit sie sich einhaken konnte und wartete, bis sie so weit war. Dann setzte er sich wieder in Bewegung und steuerte das knallrote Gebäude an. „Wie hoch genau ist denn überhaupt unser Limit?


Ihr Blick wanderte für einen Moment von ihm zum Granatapfel und dann mit einem zweifelnden Ausdruck in den Augen wieder zu ihm. Es war, als könnte sie seine Gedanken lesen, aber sie wollte die Frucht nur zur Hälfte für sich allein. Sie hatte viel mehr Angst dass er, weil er Lust darauf hatte, mitten im Laden mit den Kernen um sich warf und der Besitzer ihnen vor Wut die Stadtwache auf den Hals hetzte. Schneider waren mit ihrer Ware immer so empfindlich und wenn ihnen ein beliebtes Geschäft in der Stadt gehörte, erst recht. Aber sie teilte Lucien ihre Meinung nicht mit, sondern nahm nur mit einem leicht belustigten Kopfschütteln ihr Tuch zurück und hackte sich bei ihm ein.
Ich dachte auch nicht, dass du jetzt den ganzen Laden aufkaufen willst.“ Sie verlangsamte ihrer beide Schritte etwas, in dem sie ihn am Arm zurückhielt. Sie wollte nicht im Laden mit ihm besprechen, wie ihre finanzielle Lage aussah. „Einiges an Geld war für die Reparatur der Sphinx. Dann deine vergnüglichen Stunden im Freudenhaus – was ich dir wirklich nicht verübeln kann, die Mädchen dort sind sehr gut. Sagen wir unser Limit befindet sich einiges unter 50 Achter. Aber vielleicht ist die Kleidung hier ja billig.
Sie schaute selbst zweifelnd drein, auch wenn die Damen vorhin meinten, dieser Laden wäre der beste. Vor der Tür blieb sie stehen, weil sie erneut aufging und zwei munter schwatzende Mädchen herauskamen, die Talin und Lucien ansahen und dann mit einem mädchenhaften Kichern ihrer Wege zogen. Die Blonde schüttelte den Kopf und hielt die Tür auf. „Wollen wir, liebster Lucien?“ Sie grinste frech.


Als Talin spürbar langsamer wurde, passte er sich mit einem verwunderten Blick zu ihr hinüber automatisch dem Tempo an. Er verstand jedoch schnell, was sie dazu bewogen hatte und der Ausdruck wich gelassener Belustigung. „Ich würde dir wirklich gern versichern, dass das nie wieder passiert, aber...
Seine Gedanken huschten viel zu schnell zu eben jenen Mädchen zurück, von denen sie sprach und Talin kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er dieses Versprechen nie und nimmer ernst meinen würde. Sie nahm es ihm jedoch auch nicht übel, das war kaum zu überhören. Eins der wenigen, positiven Dinge, die er ihrer Zeit im Freudenhaus der Tarlenn abgewinnen konnte, war ihr geradezu schwesterliches Verständnis für die Frauen, die dort arbeiteten. Das war eine Eigenschaft, die ihm an ihr ausgesprochen gut gefiel. Und um sich dafür erkenntlich zu zeigen, würde er sie zumindest jetzt nicht arm machen.
Mehr als zwei Hemden und Hosen werde ich für's Erste ohnehin nicht brauchen“, versicherte er ihr gut gelaunt und wandte sich dem Gebäude zu, aus dem nun zwei junge Mädchen traten. Sie musterten die Geschwister neugierig, wandten sich dann kichernd ab und Luciens Blick folgte den beiden für einige Herzschläge, ehe Talins Stimme ihn zurück rief. Liebster Lucien... er verkniff sich ein Schnauben, warf ihr einen tadelnden Blick zu und trat einen halben Schritt vor, um ihr die Tür aufzuhalten.
Eine Glocke ertönte irgendwo hinten im Laden, gedämpft von zahllosen Kleiderstangen voller Anzüge, Hemden, Westen und Kleidern, Korsagen, Strumpfhosen, Unterröcke und Krawatten für jeden erdenklichen Anlass. Jede freie Fläche schien mit neuer Garderobe behangen zu sein. Nur in einer Ecke, durch weitere Kleiderstangen vom Eingang abgeschirmt, stand ein gewaltiger, mannshoher Spiegel und ein Podest, auf dem an einem Kunden Maß genommen werden konnte. Ein wirklich seriös klingendes Ich bin gleich bei Ihnen. erklang aus einem Durchgang in den hinteren Teil des Ladens, den Lucien bei der Menge an Stoff im ersten Moment gar nicht gesehen hatte.


Seinen tadelnden Blick kommentierte sie mit einem Luftkuss, als er ihr auch schon die Tür aufhielt. Als sie eintrat, erschlug sie das vorhandene Angebot förmlich. Egal wohin sie sah, Stoffe in allen möglichen Farben und Formen sprangen sie an und für einen Moment vergaß sie fast, aus welchem Grund sie hier waren. Einige der Kleider, Röcke und Blusen wollte sie unbedingt selbst anprobieren. Die Stimme, die sich von irgendwo zwischen den ganzen Stoffen meldete, brach den Bann. Talin beugte sich zu ihrem Bruder rüber, während sie warteten. „Ich habe das Gefühl, du kommst hier nicht so einfach mit nur zwei Hemden und Hosen raus.
Einen Herzschlag später kam auch schon hinter dem Podium ein etwas untersetzter Mann mit Halbglatze und dafür viel Schnauzer im Gesicht hervor. Sein Erscheinungsbild wirkte nicht besonders ansehnlich, aber seine Augen blickten sie herzlich und freundlich auch, auch wenn einen kurzen Moment Missfallen darin aufblitzte. Talin fühlte sich spontan in ihre Kindheit zurückversetzt und unterdrückte nur schwer das Bedürfnis, sich den Rock zu glätten und den Staub abzuschlagen. Wie kann ich Ihnen helfen? fragte der Mann mit weicher Stimme, als er vor den beiden stehen blieb.
Wir suchen neue Sachen für meinen Bruder hier.
Der Schneider richtete seinen Blick auf Lucien, nahm jeden noch so kleinen Fehler in seinen Sachen auf und wieder schienen seine Augen etwas zu sagen wie: Wundert mich nicht. Um seinen Mund hingegen bildete sich ein kleines Lächeln, als zu Lucien auf ins Gesicht blickte. Was stellt Ihr euch denn vor? Wie ihr seht, habe ich eine Menge im Angebot. Damit machte er eine allumfassende Geste in den Raum hinein.


In einer Mischung aus Faszination und Unglauben wanderte Luciens Blick über das Angebot. Er war zu pragmatisch, um sich wirklich für Kleidung zu interessieren. Für die Wirkung verschiedener Stoffe und Accessoires, für den Umstand, ob etwas nur passte oder wirklich maßgeschneidert war. Für Schnitte, Farben, Goldgarne und Silberknöpfe – gut, letzteres lohnte sich vielleicht einzustecken, aber sicher nicht zu kaufen und dann zu tragen. Doch allein die Masse an unterschiedlichen Kleidungsstücken hatte etwas Erschlagendes an sich. Warum genau... musste es so viel Auswahl überhaupt geben?
Talins Stimme lenkte seine Aufmerksamkeit auf sie zurück und er wollte gerade antworten, als der Ladenbesitzer aus den Unmengen an Stoff auftauchte und sie mit sanfter Stimme begrüßte. Seine Schwester übernahm es, ihm ihr Anliegen zu erklären – während Lucien sich unvermittelt dem kritischen Blick eines Schneiders ausgesetzt sah und für einen Sekundenbruchteil in das schuldbewusste Gewand eines kleinen Jungen zu rutschen schien, der wusste, dass er gerade beurteilt wurde und nicht besonders gut dabei abschnitt. Er schüttelte das Gefühl ab, schenkte dem alten Mann ein geradezu entschuldigendes Lächeln – erklärte sich jedoch nicht, sondern antwortete nur: „Etwas Praktisches. Wir verbringen den Großteil unserer Zeit auf See, ich muss also darin arbeiten können. Hemden, die sich hochkrempeln lassen, Hosen aus robustem Stoff...“ Der Dunkelhaarige warf seiner Schwester einen kurzen Blick zu, der zu fragen schien 'Was noch?'. Doch da nickte der Schneider bereits und winkte ihn zu sich, während er mit der anderen Hand auf einen hellen Vorhang etwas rechts hinter dem großen Spiegel wies. Das ist ein Anfang, ein Anfang... Bitte, seien Sie so gut und legen Ihre alte Kleidung ab. Ich bringe Ihnen gleich eine Hose, die Ihren Ansprüchen genügen sollte.
Lucien tat mit einem kleinen Zögern, wie ihm geheißen. Wobei ihm die Worte 'ein Anfang' wie die drohende Bestätigung für Talins Aussage erschienen. Sie würden hier nicht nur mit ein paar Hemden und Hosen raus gehen. Wieder, dieses Mal etwas skeptisch, huschte sein Blick zu seiner Schwester, bevor er den Vorhang zur Seite schob und in dem Separee dahinter verschwand, um das alte, schmuddelige Hemd und die ebenso verkommene Hose abzulegen.


Zielstrebig bahnte sich der Schneider einen Weg zu einem der Kleiderstangen und fuhr dabei in sanfter Tonlage fort: „Ich habe bereits einige Stücke im Sinn, die ich dem jungen Mann gleich zur Anprobe reichen werde. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht...“, dabei sah er Talin über einige Hemdbügel hinweg an und lächelte herzlich, „...leihe ich mir auch das Auge der Dame für eine Einschätzung? Haben wir die passenden Stücke gefunden, nehme ich an dem Herrn Maß.

Talin drehte sich mit einem Frosch im Hals von ihrem Bruder weg. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und räusperte sich wie verrückt, nur um nicht laut zu lachen. Wie Lucien sich vor den Blicken des Schneiders verhielt, war einfach zu komisch, fast schon niedlich. Als würde er sich für sein Aussehen schämen, obwohl es ihm nicht wichtig war.
Schnell räusperte sie sich noch einmal, bevor sie sich wieder umdrehte und den Blicken ihres Bruders begegnete. Sie sah ihn an, lächelte und zuckte dann mit den Schultern. Was sollte sie schon für ihn tun? Er war als Opfer ausgewählt worden und darin musste er sich jetzt wohl oder übel fügen. Immer noch mit einem belustigten Schmunzeln auf den Lippen, lief Talin an einer Stange mit Kleidern entlang und ließ eine Hand über die Stoffe gleiten, während Lucien in das Separee ging, um sich auszuziehen. Die Stimme des Schneiders riss sie schließlich aus ihrer Trance. Mit einer Hand auf einem dunkel blauen Seidenstoff, deutete sie mit dem Zeigefinger ihrer anderen Hand auf sich selbst. „Ich? Ich soll ihnen bei der Auswahl helfen?
Der Schneider nickte immer noch mit seinem herzlichen Lächeln und Talin zuckte ergeben mit den Schultern. Sie ließ den Seidenstoff los und kam zu ihm hinüber, um einige der Hemden anzuheben. Ein Unterschied wie Tag und Nacht, wenn sie an die Kleider aus Musselin und Seide auf der anderen Seite des Ladens dachte. Mit einem Schmunzeln zog sie ein dunkelgrünes Hemd heraus, was gut zu Luciens Augen passte und reichte sie dem Mann neben ihr. Mit einem Nicken bestätigte sie seine Auswahl. Es war faszinierend, wie präzise er das gefunden hatte, was ihr Bruder suchte. Sie war zumindest nicht mehr erstaunt, warum die Dame sie hierher geschickt hatte.
Der Schneider nickte zufrieden und ging schwungvoll zu dem großen Spiegel hinüber. Über eine dort befestigte Stange, drapierte er die Kleidungsstücke, behielt aber ein Hemd und eine Hose in den Händen. Er ging zum Separee hinüber und blieb davor stehen.


So, der Herr. Wir haben eine Auswahl getroffen“, er zwinkerte Talin verschwörerisch zu, „Probiert die bitte an, dann können wir Maßnehmen“, meinte er und reicht durch den Vorhang die beiden Kleidungsstücke.

Ein Opfer, ganz genau. Das war der Eindruck, der sich still und heimlich in sein Unterbewusstsein schlich. Noch war zwar nichts passiert – aber irgendwie hatte Lucien das ungute Gefühl, dass er sich in wenigen Augenblicken als Versuchsobjekt auf einem Podest wieder fand, an dem dieser gruselig nette alte Schneider zusammen mit seiner eigenen Schwester neue Kleidungsstücke ausprobieren konnte. Und sie, Talin, schien sich darüber auch noch teuflisch zu amüsieren.
Was genau draußen in den Ladenräumen vor sich ging, konnte der Dunkelhaarige nicht wissen, aber er hörte durchaus, was gesprochen wurde und quittierte das Ganze mit einem leisen Seufzen, bevor er sich daran machte, die einfachen Stiefel abzustreifen, die ihm eigentlich auch nicht wirklich passten. Seiner Hose hatte er sich schnell entledigt und gerade, als er sich dem Saum seines Hemdes widmen wollte, das ihm immerhin bis zur Mitte der Oberschenkel reichte, näherten sich vor dem Vorhang Schritte.
Der Schneider verkündete das Ende ihrer Suche und reichte dem 21-Jährigen durch den Vorhang eine schlichte, dunkelbraune, fast schwarze Stoffhose, die ihm immerhin auf Anhieb gefiel, und ein helles Leinenhemd mit langen Ärmeln aus dünnem, aber robusten Stoff und hervorragender Verarbeitung.
Etwas überrascht nahm er die Kleidung entgegen, zog sich um, und verließ nach kaum zwei Minuten barfuß das Separee. Das Hemd steckte bereits in der dunklen Hose, nur am Kragen nestelte Lucien noch ein wenig herum und warf dem Schneider dabei einen Seitenblick zu. „Eigentlich gar nicht schlecht“, stellte er fest und klang dabei noch immer ein wenig verwundert.
Der alte Mann wies lächelnd auf das Podest und der Dunkelhaarige folgte seiner Aufforderung, bis er sich selbst im Spiegel sehen konnte. Dabei wandte er dem Eingang des Ladens und auch seiner Schwester den Rücken zu. Nur ihr Abbild erschien auf der reflektierenden Oberfläche.
Er war immer noch etwas zu dünn. Das war das erste, was er feststellte.
Ich schätze, Ihr benötigt auch neue Stiefel, mein Herr?, war das erste, was der Schneider feststellte. Im Spiegel erhaschte Lucien einen Blick auf das Gesicht seiner Schwester, ehe er leicht nickte. „Ich befürchte schon. Und ist es Euch möglich, beim Maßnehmen etwas mehr Spielraum zu lassen? Ich habe in letzter Zeit... viel Gewicht verloren.“ Der Alte, der bereits eine Schatulle mit Stecknadeln herbei schaffte, nickte gutmütig. Selbstverständlich.


Sie beobachtete einen Augenblick länger den Schneider, wie er ihrem Bruder die Sachen reichten, bevor sie sich wieder den Kleidungsstücken zuwandte. Ein aufwändiges Kleid, dass weit weniger Stoff als alle anderen besaß, bannte ihre Aufmerksamkeit. Es sah nicht nach etwas aus, was sie aus der ersten Welt kannte. Nicht wie die hochgeschlossenen Kleider der Hofdamen und des Hohen Adels, auch nicht wie die manchmal etwas flegelhaften Sachen der Kurtisanen in den Häfen. Einfach...anders. Es juckte sie in den Fingern es anzuprobieren, aber in dem Moment ertönte eine Stimme hinter ihr. Sie ließ den durchsichtigen Stoff fallen und drehte sich zu ihrem Bruder um. Den Unterschied erkannte sie sofort. Die Kleidung, die sie ihm aus dem Fundus der ehemaligen Crew gegeben hatte, hatten gar nicht gepasst, sondern waren nur eine Übergangslösung gewesen.
Jetzt stand ein Mann vor ihr, der - vielleicht immer noch ein wenig mitgenommen – versprach ansehnlich zu werden. Sie spürte die Jahre, die sie nicht mit ihm verbracht hatte, noch viel deutlicher, als die letzten Wochen. Als wäre das dort drüben nicht mehr ihr Bruder, sondern wirklich und wahrhaftig ein völlig Fremder. Talin schluckte, bevor sie den Gedanken schließlich verscheuchte. Es hatte keinen Sinn, sich darüber schon wieder den Kopf zu zerbrechen. Er war ihr Bruder und kein Fremder. Er war Lucien und würde das immer bleiben.
Sie trat näher, während die beiden darüber fachsimpelten, wie der Stoff am besten geschnitten werden musste. Mit einem Schmunzeln dachte Talin daran, dass er auf einmal gar nicht mehr so sehr wie ein Opfer wirkte, sondern, als wäre er in seinem Element. „Das steht dir gut. Ich glaube, dass sollten wir auf jeden Fall nehmen.
Während der Schneider ein Band nahm, um routiniert Luciens Maß nahm, hob er kurz den Kopf und lächelte sie bestätigend an. Mit dem Gedanken schon wieder bei seinem Kunden, sprach er trotzdem noch einmal zu der Blonden. Sehen Sie sich ruhig um und probieren sie an, was sie gerne haben möchten. Talin wollte sofort losstürmen, schüttelte aber schließlich nur den Kopf.


Mit einer gesunden Portion Misstrauen in den grünen Augen beobachtete Lucien, wie die Schatulle mit den Stecknadeln näher kam. Ein Anflug irrationaler Panik trieb seinen Puls in die Höhe, doch der Schneider arbeitete mit präzisen Stichen und geübten Bewegungen, die von jahrelanger Praxis sprachen, sodass die Spitzen ihn nicht ein einziges Mal berührten. Und nach zwei Nadeln lenkte Talin ihn ohnehin von den Vorgängen an seiner Taille ab, sodass er den Blick hob und im Spiegel nach dem ihren suchte – immerhin durfte er sich ja nicht umdrehen und den Meister bei seiner Arbeit stören. „Es ist doch nur Kleidung.“, winkte er ihr Kompliment sanft ab, konnte sich ein flüchtiges Lächeln aber nicht verkneifen.
Der Schneider, der Talin gerade noch angeboten hatte, sich selbst umzusehen, widersprach ihm unvermittelt – ohne auch nur kurz den Blick zu heben. Es ist niemals nur Kleidung, junger Mann.
Das brachte Lucien zum Verstummen. Wenn auch mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen. Der Mann war Schneider – irgendetwas in der Art musste er wohl einfach sagen. Was auch immer das jetzt bedeuten sollte. Er ließ ihn also seine Arbeit machen, sah durch den Spiegel hindurch wieder zu seiner Schwester und lächelte wieder. Sanft amüsiert dieses Mal. „Willst du wirklich nichts anprobieren? Niemand hat gesagt, dass nur ich hier Geld ausgeben darf.


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