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I’ve just been searching for the good
Liam & Rayon
Szenen-Informationen
Charaktere Gast
Datum 25 Juni 1822
Ort Bordell in Silvestre
Tageszeit Vormittag
Crewmitglied der Sphinx
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dabei seit Feb 2016
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#1
I’ve just been searching for the good
Because at my best I’m a filthy sinner
And at my worst I’m misunderstood

Vormittag des 25. Mai 1822
Rayon Enarchea, Liam Casey



Das Blau der Hämatome auf seinem Körper wechselte allmählich zu Gelb und war somit zumindest im Gesicht ein wenig unauffälliger als die letzten Tage. Auch die Platzwunden verheilten langsam und verrieten nur noch auf den zweiten Blick, dass er vermutlich in etwas hineingeraten war, das nicht sonderlich erstrebenswert gewesen war. Den anderen gegenüber hatten sie insgesamt nicht viel erwähnt. Aber Liam hatte sich die letzten Tage auch meist eher mit eigenen Erledigungen beschäftigt und die Nachmittage dazu genutzt, die verlorene Zeit mit Alex wieder in Tavernen und dem Umland aufzuholen. So entging er nicht nur unliebsamen Fragen möglichst galant, sondern auch der noch immer eher angespannten Situation um Skadi. An diesem Morgen war er der letzte, der das Zimmer verließ, welches er sich mit der Nordskov und Talin teilte. Kaum, dass die beiden Frauen aufgebrochen waren, hatte er sich den Prellungen zuliebe erst einmal mit einer Katzenwäsche begnügt und behielt den Gedanken im Hinterkopf, im Laufe des Mittags das Bad aufzusuchen – dann, wenn der Betrieb im Bordell nicht mehr ganz so geschäftig war.

Das Frühstück war inzwischen von der restlichen Crew mehr oder minder geplündert worden. Ein Schmunzeln zuckte auf seinen Lippen, als er das Schlachtfeld sah. Er hatte nichts anderes erwartet. Kurzerhand packte er sich eine kleine Auswahl an Obst in einen Beutel, suchte sich in seiner Ecke im eigenen Zimmer eine Lektüre und verließ gemeinsam mit seiner Ginsterkatze den Trackt, in dem man ihnen ihre Herberge hergerichtet hatte. Im Innenhof suchte er sich ein ruhiges Fleckchen außerhalb des Sichtfeldes der Allgemeinheit, setzte sich auf die Wiese und begann zu lesen. Sineca stellte indes halbherzig einem Schmetterling nach und tollte über das Gras.
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#2
Silvestre war ungefähr das Gegenteil eines Ortes, an dem Rayon sich wohlfühlte. Den überwältigenden Großteil seines Lebens hatte er entweder in seinem Heimatdorf verbracht, das kaum mehr als zwei Dutzend Häuser zählte, oder auf hoher See verbracht. In beiden Fällen hatte ihn stets der Blick auf den weiten, freien Horizont begleitet. Das war in einer Hafenstadt wie dieser völlig anders, und obwohl er das geschäftige Treiben der Stadtbewohner, die Märkte und die Architektur der Gebäude durchaus interessant fand, fand er es in erster Linie ermüdend. Schließlich hatte er all das auch schon auf Calbota gesehen, als er auf der Suche nach den Piraten im Dienste der Tarlenns gewesen war, die seine Insel von den Plünderern der Marine befreit hatten.

Der Dunkelhäutige war deshalb ganz froh, wenn es einmal nichts für ihn zu tun gab und er sich in eine ruhigere Ecke verziehen und sich von den Strapazen ihres Landganges erholen konnte, die ihm viel mehr zusetzten als die harte Arbeit an Bord der Sphinx. Erschwerend hinzu kam, dass er zwar in der Küche des Bordells half, aber keineswegs die Entscheidungsgewalt darüber hatte, was wie gekocht wurde. Im Endeffekt war er eine bessere Küchenhilfe, und wirklich erfüllend war diese Aufgabe ganz und gar nicht. Abgesehen davon gab es für ihn nur die Möglichkeit, so gut wie möglich bei der Reparatur ihres Schiffes mitzuhelfen. Dabei kam ihm zwar sein handwerkliches Geschick zugute, aber da er letztlich kein Zimmermann war, konnte er auch hier nur unterstützen, und das auch nur bei einfacheren Tätigkeiten.

Rayon streckte sich ein wenig, als er in den Innenhof trat, machte einen tiefen Atemzug und verzog unbefriedigt das Gesicht. Sie mochten sich hier zwar in einer Hafenstadt aufhalten, trotzdem vermisste er die raue, erfrischende Meeresluft, die hier nur im Ansatz zu spüren war. Ein Zwitschern auf seiner rechten Schulter holte ihn glücklicherweise schnell wieder aus seinen Gedanken und er drehte den Kopf zur Seite, um Cirah liebevoll mit der Nase anzustupsen. Dabei fiel sein Blick eher zufällig auf Sineca, die über die Wiese lief und einem Schmetterling hinterherzujagen schien. Wo die Ginsterkatze war, konnte ihr Besitzer nicht weit sein, weshalb er die Augen suchend über den Innenhof schweifen ließ, bis sie endlich Liam entdeckt hatten, der sich mit einem Buch in einem etwas abgeschotteteren Bereich der Örtlichkeit niedergelassen hatte. Seine Stimmung besserte sich schlagartig bei dem Gedanken, endlich ein wenig Zeit mit dem Künstler verbringen zu können, der in den letzten Tagen kaum greifbar und ständig unterwegs gewesen war. Kurz entschlossen setzte Rayon sich in Bewegung, überbrückte die Distanz zu seinem Freund (wobei er beinahe von Seneca über den Haufen gelaufen wurde) und ließ sich neben ihm im Gras nieder. Cirah zwitscherte ihm vergnügt zu und der Schiffskoch lächelte ihn an.

"Also... willst du erzählen, was passiert ist?", fragte er, deutete mit einer Hand auf sein eigenes Gesicht und nickte dabei in Liams Richtung. Diese Frage stellte er sich schon, seitdem er Liam das erste Mal in ramponiertem Zustand gesehen hatte.
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#3
Er hatte das Glück, dass er recht schnell in seiner eigenen Welt versinken konnte, ohne noch groß auf seine Umgebung zu achten. Er liebte es, dieses Gefühl von Freiheit und Sorglosigkeit. Seit er mehr auf See als an Land unterwegs war, waren die Momente selten geworden. Auf der Sphinx herrschte Trubel, selbst wenn er selbst seine freie Schicht hatte. All die Wanderungen quer über die verschiedenen Inseln an der Seite seiner Freunde kamen ihm da im Nachhinein sogar unheimlich friedlich vor. Auch jetzt fühlte er sich fast dorthin zurückversetzt – lauschte dem Zwitschern der Vögel. genoss das angenehm warme Gefühl der vormittaglichen Sonne auf seiner Haut und vergaß dabei fast, dass er sich im Innenhof eines Bordells befand. Das Fast war allerdings der Grund, weshalb er nicht aufsah, als sich Schritte nährten. Die leichtbekleideten Damen wuselten auch hier durch den Garten und gingen ihren Tätigkeiten nach – er rechnete schlicht nicht damit, dass es jemand auf ihn abgesehen hatte. Daher runzelte er lediglich die Stirn, als sich ein weiterer, bisher nicht dagewesener Vogelruf in die Geräuschkulisse mischte und Sineca plötzlich gegen sein Knie stieß, nachdem sie dem herankommenden Mann ausgewichen war. Die Ginsterkatze schlüpfte in das Innere seines Schneidersitzes und funkelte den Zaunkönig auf der Schulter des Älteren aufmerksam an. Liam blinzelte und sah erst auf, als Rayon bereits bei ihm angekommen war und sich neben ihm im Gras niederließ.

„Hm, was?“ Das begrüßende Lächeln ging schnell in einen eher verwirrten Gesichtsausdruck über. Tatsächlich brauchte Liam einen Augenblick, bis er verstanden hatte, worauf der Dunkelhäutige abzielte. Nicht, weil er ungeschickt versuchte, um das Thema herumzuschiffen, sondern weil er wirklich nicht mehr so präsent vor Augen hatte, wie demoliert er aussah. Sein Freund half ihm aber unmissverständlich auf die Sprünge. „Ach das.“ Sein Lächeln wurde wieder etwas breiter, ein wenig verlegen vielleicht, ehe er abwinkte, weil es für ihn keine große Sache war. „Sagen wir: Zur falschen Zeit am falschen Ort.“

Letztlich war es im Grunde genau das – wäre ihnen dieser Nathan nicht über den Weg gelaufen, hätte er womöglich auch die zweite Begegnung mit diesem Flint wunderbar verhindern können. Flint, dessen Stolz nun noch mehr gedemütigt war, als es hätte sein müssen. Auch im Nachhinein fiel es ihm schwer, nachzuvollziehen, wie sehr Leute an ihrem Ruf im Ring hingen. Besiegt von einer Frau – keine Schande, wie er fand. Vor allem nicht, wenn man dabei von Skadi sprach, die vermutlich jedem einzelnen an Bord der Sphinx überlegen war.

„Ich habe Bekanntschaft mit einem der höheren Tiere des hiesigen Untergrunds gemacht. Und er war nicht sonderlich erfreut darüber.“ Liam zuckte mit der Schulter. Er bereute es noch immer nicht. Ihm war es wichtiger, zu seinen Worten zu stehen und anderen zur Hilfe zu eilen, statt unbeschadet und feige aus Situationen zu entkommen. Außerdem hätte er ansonsten womöglich gar nicht herausgefunden, dass Alex ebenfalls hier war. „Ich weiß jetzt jedenfalls wieder, weshalb ich mich im Normalfall mit dem Wetten zufrieden gebe, statt selbst in den Ring zu steigen.“
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#4
Rayon zog eine Augenbraue in die Höhe, als Liam die Gründe für seine Verletzungen erklärte. Grundsätzlich schien das durchaus zu ihm zu passen. Liam war nicht gerade dafür bekannt, keine Risiken einzugehen, ohne vorher gründlich darüber nachzudenken - sich in einen Straßenkampf verwickeln zu lassen, ohne dass es dafür einen triftigen Grund gab, war jedoch etwas, das den Schiffskoch nichtsdestotrotz aufhorchen ließ. Sie hatten in letzter Zeit eine ganze Menge Kämpfe durchmachen müssen, viele Mitglieder ihrer Crew hatten immer noch mit ihren Blessuren zu kämpfen, aber ganz offensichtlich hielt sie das nicht davon ab, sich direkt wieder in die nächsten Probleme zu stürzen. Piraten..., dachte der Dunkelhäutige und grinste innerlich, weil ausgerechnet er, der umsichtige, bedächtige Koch, zu eben dieser Truppe gehörte und manchmal an ihr verzweifelte.

Ihm war außerdem nicht verborgen geblieben, dass Liam zwar gesagt hatte, was passiert war - aber nicht, warum er in diese Situation geraten war. Man machte nicht einfach so Bekanntschaft mit dem Untergrund, geschweige denn mit einem, der dort etwas zu sagen hatte. Schon gar nicht innerhalb weniger Tage. Auch nicht als Pirat - in ihrem Berufszweig hatte man zwar durchaus einige zweifelhafte Kontakte, aber dabei handelte es sich üblicherweise um andere Piraten und nicht um irgendwelche städtische Schurken. Nein, auf irgendeine Art und Weise musste man es darauf anlegen, damit dieser Jemand sich überhaupt mit einem abgab, sich für einen interessierte. Und Rayon konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Liam mit dem Vorhaben durch die Stadt spaziert war, einem der ortsansässigen Kriminellen eine ordentliche Tracht Prügel zu verpassen. Trotzdem hätte der Dunkelhäutige unter anderen Umständen vielleicht nicht nachgebohrt, sondern die Sache auf sich beruhen lassen. In diesem Fall hielten ihn davon zwei Dinge ab: Zum einen lag ihm einiges an Liam, und wenn dieser sich in Gefahr befand, wollte er davon erfahren, um ihm im Notfall beistehen zu können. Zum anderen würden sie sich noch einige Zeit in Silvestre aufhalten, denn die Reparatur eines Schiffes war keine Sache von Tagen oder sogar wenigen Wochen. Wenn ihnen also möglicherweise Ärger bevorstand...

Rayon war jedoch auch Geschichtenerzähler. Und ob Liam ihm nun bewusst den Grund für die Auseinandersetzung verschwiegen hatte oder ihn einfach nicht für erwähnenswert befand - der Smutje hatte gelernt, dass es so gut wie immer andere Zungen lockerte, wenn er zunächst von seinen eigenen Erlebnissen erzählte.

"Ah, ja... ich bin auch mal in so einen Ring gestiegen, damals, als ich auf der Suche nach dem Freibeuterschiff der Tarlenns war. Irgendwann wollte mir niemand mehr die Informationen geben, die ich brauchte, abgesehen von einem ehemaligen Piraten, der durch einige Aufeinandertreffen mit der Marine in den Zwangsruhestand geschickt worden war."

Er dachte an den Mann zurück, der, obwohl er nicht mehr hatte laufen können, immer noch eine äußerst furchterregende Präsenz an den Tag gelegt und sehr viel Respekt in der Unterwelt genossen hatte.

"Dieser Kerl organisierte Kämpfe, und er war so erpicht darauf, mich kämpfen zu sehen, dass er mir die von mir benötigten Informationen versprach, wenn ich den Wettkampf gewinnen würde. Das war eine... interessante Erfahrung."

Er stieß ein kurzes Lachen aus. Das war ihm damals nicht so gut gelungen, nachdem er sich gefühlt alle Rippen gebrochen hatte.

"Gewonnen habe ich nicht, der unbestrittene Champion der Arena hat mich im letzten Kampf windelweich geprügelt, aber besagter Pirat war von meinem Auftritt dennoch so angetan, dass er mir letztendlich den Ankerplatz des Schiffes verriet."

Er warf Liam einen forschenden Seitenblick zu.

"Was ich damit sagen will... Wenn man kein fester Bestandteil der Unterwelt ist und Kämpfe zum Alltag dazugehören, um sich Respekt zu verschaffen, kämpft man normalerweise aus einem bestimmten Grund..."

Der Schiffskoch stellte die Frage zwar nicht explizit, aber dennoch war die Intention hinter seinen Worten eindeutig.
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#5
Er war schon immer eher bescheiden gewesen. Ein Träumer, dem es in seiner eigenen, kleinen Welt nie zu einsam wurde, während er sich gleichzeitig gut mit dem Trubel der Realität abfinden konnte. Liam war niemand, der sich für besonders spannend hielt – nicht umsonst war das Prahlen mit ihren Abenteuern meist komplett an Alex hängengeblieben, während der jüngere Lockenkopf die Dinge eher nüchtern und beiläufig betrachtete. Zum einen, weil er mittlerweile gemerkt hatte, dass viele die fantasievolle Art, mit der er die Welt oftmals betrachtete, eher schräg vorkam. Zum anderen, weil er absolut niemand war, der mit Hämatomen und Verletzungen prahlte, weil Gewalt für ihn dann doch eher eine recht primitive Art und Weise der Kommunikation war. Leider aber war diese Sprache für manche die Einzige, die sie verstanden; und Liam jemand, der zu seinen Worten und Taten stand und vor allem niemanden alleine oder wissentlich im Nachteil zurückließ. Man hatte ihn Anstand gelehrt. Anstand und Moral. Und das bedeutete manchmal eben auch, sich in weniger schöne Situationen zu bringen, um mit sich selbst im Reinen zu bleiben – und um Leuten zu helfen, die keine andere Hilfe hatten. Egal, wie nah oder fern er ihnen war. Egal, ob für ihn dabei etwas heraussprang oder nicht.

In diesem Falle enthielt er Rayon also nicht absichtlich die Antwort auf das, was den Dunkelhäutigen beschäftigte. Er implizierte es schlichtweg nicht in die Frage, die ihm gestellt worden war. Weil es für ihn eben nicht allzu wichtig war. Als sich sein Freund neben ihm niederließ, klappte er das Buch in seinen Händen zu und ließ lediglich einen Finger zwischen den Seiten liegen, um den Punkt zu markieren. Rayon galt ein etwas kritischer Blick, als er ihm von seinen Erlebnissen erzählte. Kritisch, aber keineswegs ungläubig, immerhin war der Größere allein von der Statur her schon weitaus besser für den Ring geeignet als Liam selbst. Letztlich stieß er in das Lachen mit ein und schüttelte angedeutet den Kopf. Er konnte sich recht gut vorstellen, wie sich Rayon nach dieser Erfahrung gefühlt haben musste.

„Furchtbar, wenn sich die Leute nicht mehr damit zufrieden geben, sich unter den Tisch trinken zu lassen, hm?“

Eine Disziplin, in der er, zugegeben, auch weitaus besser war als in handgreiflichen Auseinandersetzungen. Flint wäre zwar vermutlich allein seiner gorillaartigen Statur wegen kein einfacher Konkurrent gewesen, doch Liam konnte sich als Musiker und Künstler auf einiges an Erfahrung und Übung verlassen. Sein Blick war ein wenig nachdenklich über den Teil des Gartens geschweift, den sie von hier aus sehen konnten, ohne die leicht bekleideten Damen wirklich wahrzunehmen. Nicht, weil sie nicht sehenswert gewesen wären, sondern weil man sich hier in den letzten Tagen bereits zur Genüge an die Normalität dieses Anblicks gewöhnt hatte. Erst, als er Rayons Blick auf sich spürte, sah er wieder auf und blinzelte. Der Wink mit dem Zaunpfahl war definitiv nicht überflüssig gewesen. Er erwiderte den Blick des Dunkelhaarigen, schmunzelte, als er verstand, worauf er hinauswollte und holte Luft.

„Darauf wolltest du also hinaus?“, fragte er rein rhetorisch, während sein Blick kurz auf das Buch in seiner Hand fiel. „Ich sag‘ ja – zur falschen Zeit am falschen Ort. Oder andersrum. Ganz wie man’s nimmt.“

Das Lächeln auf seinen Zügen war ehrlich. Für Nathan war er vermutlich zur richtigen Zeit da gewesen. Und für Skadi auch, selbst wenn es nur noch mehr Probleme mit sich gebracht hatte.

„Josiah und ich haben Shanaya ein bisschen Auslauf gegönnt, als sich irgendein lebensmüder Taschendieb ausgerechnet ihre Tasche als Tagesverdienst ausgesucht hat. Natürlich sind wir ihm gefolgt, doch statt ihn einzuholen, war uns ein anderer Mann zuvorgekommen. Jedenfalls hatte er Shanayas Tasche. Von diesem Dieb fehlte jede Spur.“ Wie die Geschichte weiterging, konnte sich Rayon vermutlich erst einmal vorstellen – er kannte Shanaya inzwischen auch lange genug, um zu wissen, dass sie so etwas nicht auf sich sitzen lassen würde. „Das allerdings hat sie natürlich nicht davon abgehalten, diesen Dieb eigenhändig zum Pfeffer jagen zu wollen. Ich wiederum bin diesem Mann gefolgt, weil ich kein gutes Gefühl dabei hatte. Hätte auch einfach eine gute Masche von ihm sein können – erst selbst stehlen und dann den guten Samariter spielen, um eine Belohnung einzuheimsen.“

Er erinnerte sich gerade daran, dass er weder Josiah noch Shanaya je danach gefragt hatte, ob sie fündig geworden waren. Er war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen. Musste er nachholen. Wenn er daran dachte.

„Ob’s tatsächlich so war, weiß ich nicht. Allerdings stellte sich heraus, dass nicht nur ich ihm gefolgt war, sondern auch zwei Handlanger dieses Untergrundgorillas, der auch nicht sonderlich gut auf unsere neue Bekanntschaft zu sprechen war. Irgendwas Unanständiges mit seiner Tochter oder so.“

Liam winkte mit einem Grinsen ab, wollte Rayon diese amüsante Nichtigkeit der Geschichte aber nicht vorenthalten.

„Letztlich… ‚Bot‘ er ihm an, im Ring seinen Mann zu stehen, um ‚die Sache zu vergessen‘. Eine recht einseitige Kampfkonstellation, wie du dir bestimmt vorstellen kannst. Und da dieser Mann zur Selbstüberschätzung neigt, war er sich auch für einen Kampf gegen uns beide nicht zu schade, immerhin könne ich so ja auch meine ‚Dreistigkeit‘ wieder wettmachen.“

Liam runzelte kurz die Stirn. Davon hatte er Rayon noch gar nicht erzählt. Also holte er abermals Luft und setzte zum letzten Puzzleteil dieser Geschichte an.

„Ich hatte ihm einen Tag vorher den Spaß vermasselt, eine Frau zu misshandeln, weil ich zufällig vorbei kam.“

Skadis Namen hielt er raus. Nicht wegen Rayon, sondern weil er ihrer schlechten Laune derzeit keinen Zündstoff geben wollte.
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#6
In der Tat war Rayon damals nicht sonderlich begeistert von der Idee gewesen, sich um die gewünschten Informationen prügeln zu müssen. Angesichts seiner durchaus einschüchternden Größe und Statur konnten Menschen, die ihm zum ersten Mal begegnen, oftmals kaum glauben, dass hinter diesem äußerlichen Eindruck ein überaus sanftmütiger Mann steckte, der nur dann zu Gewalt griff, wenn ihm keine andere Wahl blieb - oder wenn jemand in Gefahr war, der ihm viel bedeutete. Auch er verstand sich deshalb zwar mehr aufs Trinken als aufs Kämpfen, insbesondere mit den Fäusten, aber er war dem Großteil seiner Gegner in besagten Ringkämpfen schlichtweg zu überlegen gewesen. Viele von ihnen hatten nicht sonderlich viel Muskelkraft besessen, weil sie schlicht zu ausgemergelt waren, und die meisten waren zu dämlich gewesen, um diesen Mangel durch ausgefeilte Technik auszugleichen. Das hatte ihm in die Karten gespielt, aber Spaß hatte es ihm ganz sicher nicht bereitet, diese bemitleidenswerten Kleinkriminellen auf die Bretter zu schicken. Er hatte für solch barbarische Methoden, Konflikte zu lösen, wahrlich nicht viel übrig.

Liams Worte ließen ihn dementsprechend breit grinsen, denn genau diesen Gedanken hatte er damals auch gehabt. Alternativ hatte er sogar vorgeschlagen, im Austausch für die Informationen eine Woche lang für die ganze Bande zu kochen, auf eigene Kosten. Aber die Prioritäten lagen auf der Straße anscheinend schlichtweg woanders.

Interessierte hörte der Dunkelhäutige seinem Freund dann zu, als dieser ihm verriet, wie genau es zu dieser Auseinandersetzung gekommen war. Dass es ihm dabei darum gegangen war, die Ehre einer Frau - und die Habseligkeiten Shanayas - zu verteidigen, passte zu ihm. Es hätte Rayon auch stark gewundert, wenn Liam sich einfach so aus Spaß an der Freude auf diese Art und Weise die Hände schmutzig gemacht hätte. Die Geschichte klang in jedem Fall nach einer Verkettung unglücklicher Ereignisse, je nach Blickwinkel. Für die Frau, die Liam vor der Misshandlung gerettet hatte, war er sicherlich zum absolut richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen, für Liam selbst und damit auch den Rest der Crew hieß das im Zweifelsfall jedoch, dass er unter Umständen eine Menge Aufmerksamkeit erregt hatte. Das hing ganz davon ab, ob der Mistkerl, mit dem er sich angelegt hatte, viele Kontakte in der Unterwelt hatte. Und ebenfalls davon, wie nachtragend er war. Rayon wusste nur zu gut, dass es unklug war, sich darauf zu verlassen, dass offene Angelegenheiten tatsächlich sich durch so etwas restlos aus der Welt schaffen ließen. Weniger besorgt war er deshalb nicht, aber er konnte Liam beim besten Willen keinen Vorwurf machen. An seiner Stelle hätte er vermutlich genauso gehandelt.

Ein sanftes Lächeln legte sich auf Rayons Lippen und er klopfte seinem Freund anerkennend auf die Schulter.

"Weißt du, Typen wie du werden irgendwann noch einmal der Grund dafür sein, dass niemand sich mehr vor Piraten fürchten wird", sagte er und lachte, im vollen Bewusstsein, dass er auch so ein Typ war.

Grundsätzlich bestand die Crew der Sphinx größtenteils aus beeindruckend aufrichtigen Menschen, die aus den verschiedensten, oftmals kuriosen Gründen auf das Schiff gekommen waren. Er selbst war da definitiv keine Ausnahme, ganz im Gegenteil. Der Grund, warum er überhaupt Pirat geworden war, war schließlich die selbstlose Hilfe der Besatzung der Siréne gewesen, die sein Heimatdorf von den Überfällen der Marine befreit hatte.

"Eines musst du mir aber noch verraten...", setzte der Schiffskoch an, und sein Lächeln wandelte sich in ein verschmitztes Grinsen. "Hast du den Kampf denn wenigstens gewonnen? Oder wurdet ihr windelweich geprügelt?"

Die Tatsache allein, dass Liam durchaus Spuren von diesem Kampf davongetragen hatte, sagte schließlich noch nicht viel über sein Ergebnis aus. Sowohl Sieger als auch Verlierer gingen äußerst selten unbeschadet daraus hervor.
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#7
Bei aller Sanftheit, die Rayon aufbrachte, zuckte der Musiker dennoch in böser Voraussicht zusammen. Sein Körper schmerze noch immer an jeder erdenklichen Stelle und war übersät mit Hämatomen und Prellungen. Eine Schlägerei forderte ihren Tribut, doch letztlich war es das allemal wert gewesen. Liam bezweifelte, dass Nathan diese Nacht allein überlebt hätte. Schwach atmend in irgendeiner Ecke entsorgt, bis er seinen Verletzungen erlag – und ohne Alex, Lucien und Skadi hätten sie vermutlich auch zu zweit so enden können. Der Gedanke allerdings war so flüchtig, dass er ihm nicht länger nachhing. Er lebte nicht in der Vergangenheit – sein Blick lag auf dem Sein und dem, was da noch kommen wollte, bis seine Zeit gekommen war.

„‚Wir‘ meinst du bestimmt. ‚Typen wie wir‘.“, korrigierte er den Dunkelhäutigen mit einem ehrlichen Grinsen. „Wobei du dich vermutlich mehr damit identifizieren darfst als ich. Denn, sind wir mal ehrlich -“ Liam räusperte sich, atmete hörbar belustigt, ehe er den Blick wieder zu seinem Freund herumwandte. „Ich bin ein ziemlich mieser Pirat.“

So sehr es auch als Scherz gemeint war, so viel Wahrheit steckte auch in seiner Aussage. Der Lockenkopf war viel mehr ein Mitreisender, ein Geduldeter, wenn man ihn fragte. An den meisten Tagen machte ihm das überhaupt nichts aus. An anderen Tagen zog das Fernweh seine Gedanken dafür umso weiter fort. Aber mal ehrlich: Ein Pirat, der sich davor scheute, Leute zu ermorden, Menschen zu verkaufen, Schiffe zu überfallen und sich sinnlosen Prügeleien hinzugeben? Er passte weder in das düstere Bild, das die Gesellschaft von Piraten zeichnete, noch in das romantische – stark, unbesiegbar, entschlossen, unabhängig und furchtlos. Aber das war okay. Er war wie er war und bislang war er ganz glücklich mit seinen Entscheidungen gewesen. Er machte halt das beste aus dem, was man ihm gab. Das beste aus der Zeit, die sich unaufhörlich weiterdrehte, bis sie früher oder später zum Erliegen kommen würde.

Auf Rayons Nachfrage hin lächelte er erneut hörbar und wog den Kopf langsam von einer Seite zur anderen. Der Hüne hatte heute ein Talent dafür, Fragen zu stellen, die er weder mit ‚ja‘ noch mit ‚nein‘ beantworten konnte.

„Sowohl als auch.“, antwortete er deshalb und warf seinem Freund ein entschuldigendes Lächeln zu. „Wären Alex, Lucien und Skadi nicht gewesen, hätten wir vermutlich Glück gehabt, wenn irgendwer unsere Teile von der Straße aufgesammelt hätte. Denn wie du dir bestimmt denken kannst, ging es natürlich nicht mit fairen Dingen zu.“

Liam machte eine kurze Gedenkpause, ehe er mit der Pointe rausrückte.

Ich habe es mir leider erst gedacht, als es bereits offensichtlich war.“ Aber obwohl er das noch immer schmerzlich büßte, war ihm kein Lachen auf seine Kosten zu schade. Außerdem lenkt es ab. „Aus ‚Zwei gegen Einen‘ wurde also recht bald ein ‚Drei gegen Zwei‘. Und dann herrschte Chaos und es war ein ‚Jeder gegen Jeden‘, das uns vermutlich den Hals gerettet hat. Also Nathan und mir jedenfalls. Nathan, so hieß er Kerl, mit dem ich in den Ring steigen durfte.“

Gedanklich ließ er den Abend Revue passieren und kam nicht umhin, wieder zu bemerken, wie groß der Zufall gewesen war, ausgerechnet Alex dort zu begegnen. Allein sein Freund hatte ihre Chancen drastisch erhöht. Nicht nur, weil Alex im Vergleich definitiv eher der Typ für den Ring gewesen wäre, sondern auch, weil sie gemeinsam bislang aus so gut wie jeder brenzligen Situation gekommen waren. Unruhe stiften, Chaos nutzen, den Vorteil ziehen. Doch dieses Mal drängten sich zwangsläufig immer wieder Lucien und Skadi mit hinein – ungewohnt. Weil es in jeder Geschichte mit Alex immer nur sie beide gegeben hatte. Und später Lubaya.

„Lucien und Skadi waren wohl zum Vergnügen dort.“, sprach er schließlich aus, aus sich ihm gedanklich so aufdrängte, allerdings ohne es irgendwie zu bewerten.
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#8
Rayon bemerkte die Reaktion des Künstlers und ließ seine Schulter sofort los. Stirnrunzelnd ruhte sein Blick für einen Moment auf seinem Gegenüber, der eindeutig lädierter zu sein schien, als sein Gesicht den Anschein erweckte. In Anbetracht der Geschichte, die er erzählt hatte, hätte der Schiffskoch sich das allerdings auch denken können.

"Entschuldige", sagte er deshalb unvermittelt und hob die Hände zum Zeichen, dass Liam sich keine Sorgen mehr wegen unangenehmer Berührungen machen musste. "Ich werde daran denken, dich erst einmal mit Seidenhandschuhen anzufassen."

Er lächelte verschmitzt und nickte seinem Freund dann zu.

"Es ist auf jeden Fall gut, dass du dich hier im Innenhof ein wenig ausruhst und nicht irgendwo auf den Straßen unterwegs bist. Ein bisschen Erholung wird dir gut tun."

Ihm war bewusst, dass er sich manchmal gefährlich nah an der Grenze zur Überfürsorge aufhielt und seinen Kameraden damit durchaus auf die Nerven gehen konnte. Gerade in der Piraterie gab es genug Menschen, die sehr darauf bedacht waren, ihre Souveränität zu bewahren und äußerst empfindlich auf alles reagierten, was im Entferntesten nach Bevormundung aussah. Liam kannte ihn jedoch mit Sicherheit gut genug, um die aufrichtige Sorge, die ihn umtrieb, nicht damit zu verwechseln. Und wenn es ihm doch einmal zu weit ging, war Rayon auch nur ein bisschen verletzt, wenn er zurechtgewiesen wurde. Ein Gefühl, mit dem er durchaus umgehen konnte.

Auf Liams Erwiderung reagierte Rayon mit schallendem Gelächter, das ihm einen oder zwei überraschte Blicke der Damen einbrachte, die sich in ihrer Nähe aufhielten.

"Genau das habe ich gemeint", sagte er gut gelaunt und grinste breit. "Auch wenn ich mir viel darauf einbilde, unglaublich furchterregend auszusehen, wenn ich brüllend mit der Axt wirbelnd auf jemanden zugerannt komme!"

Dass er lieber mit der Axt kämpfte als mit Schießpulver, lief seiner friedliebenden Natur eigentlich zuwider. Im Zweifelsfall war die Sauerei, die man damit anrichtete, deutlich größer als mit einem gezielten Schuss in ein lebenswichtiges Körperorgan - und die Grausamkeit im Zweifelsfall ebenso. Rayon wusste nicht genau, woher diese Abneigung gegen Schusswaffen und die Vorliebe für Beile kam, und da er ohnehin lieber auf Kämpfe verzichtete - oder zumindest versuchte, seine Gegner lieber außer Gefecht zu setzen, als ihnen Körperteile abzuschlagen -, hatte er sich darüber bisher auch noch keine großartigen Gedanken gemacht.

Sein Blick wurde für einen Moment nachdenklich, als Liam das Selbsturteil sprach, ein mieser Pirat zu sein. Was machte einen guten Piraten überhaupt aus? Dass auch er selbst keiner war, hatten die beiden eben schon festgestellt, aber das Klischee eines Piraten zu erfüllen, wie er im Buche stand, fand Rayon auch keinesfalls erstrebenswert.

"Du bist ein guter Mensch", meinte er schließlich und blickte Liam dabei ernst an. "Und das ist, worauf es ankommt."

Er lächelte aufmunternd und hörte dann wieder gespannt zu, als der Künstler seine Frage beantwortete - durchaus auf zufriedenstellende Weise. Dass Auseinandersetzungen in der Gosse auf diese Art und Weise endeten, war nicht ungewöhnlich. Vermutlich war es sogar bei den meisten so.

"Also eine richtig zünftige Gruppenprügelei. Wunderbar", sagte er mit einer gehörigen Portion Sarkasmus. "Zumindest, wenn man sich schadlos aus der Affäre ziehen will und dementsprechend eine willkommene Gelegenheit."

Dass der Schlag von Mensch, mit der Liam, Alex, Lucien und Skadi sich hatten abgeben müssen, jede auch nur ansatzweise passende Gelegenheit wahrnahm, um sich gegenseitig die Birnen einzuschlagen, hatte er bereits mehrfach beobachtet. Vermutlich hatten sie nicht viel mehr, wofür es sich zu leben lohnte - was durchaus tragisch war.

"Ich hätte gedacht, dass du in deinem Leben schon in genug zwielichtigen Hafengegenden umhergewandert bist, um zu wissen, dass Ehre und Anstand in der Unterwelt ungefähr so viel Wert sind wie das Leben der Unterweltler selbst", fügte der Schiffskoch noch hinzu, jedoch ohne Vorwurf in der Stimme. Es war eher eine Art Frage, oder eine vorsichtige Feststellung mit der Bitte um Korrektur. Er wusste, dass Liam schon lange zur See fuhr, deshalb lag diese Vermutung nahe. Genauso war es aber natürlich auch möglich, dass er solche Gegenden auf Landgang bisher gemieden hatte. Dreckige Hafengassen waren auch einfach kein sonderlich schönes Motiv.

Rayons Züge nahmen einen neugierigen Ausdruck an, als Liam nebenbei seine Vermutung bezüglich der Anwesenheit von Skadi und Lucien ausdrückte. Über dieses Thema hatte er mit seinem Freund ohnehin schon länger sprechen wollen. Der Dunkelhäutige war ein empathischer Mensch, der die Stimmung der Menschen um ihn herum meist sehr gut einschätzen konnte. Ihm war deshalb durchaus aufgefallen, wie gut die beiden sich verstanden - und dass irgendetwas zwischen ihnen vorgefallen sein musste, denn das Verhältnis der beiden schien kürzlich merklich abgekühlt zu sein. Es waren nur subtile Hinweise, die ihn darauf brachten, Hinweise, die jemandem, der auf solche Dinge nicht ein besonderes Augenmerk richtete, kaum aufgefallen wären. Sie hatten jedoch ausgereicht, um sein Interesse zu wecken. Er bemühte sich deshalb, die Neugier in seinen Augen zu verbergen, als er - ebenso nebensächlich wie Liams Kommentar es gewesen war - versuchte, eine möglichst unverfängliche Frage zu stellen.

"Skadi ist... eine bemerkenswerte Frau, nicht wahr?"

Aus den Augenwinkeln musterte er den Künstler aufmerksam. Falls er nicht darüber reden wollte, würde ihn vielleicht irgendetwas anderes verraten. Vielleicht lag Rayon aber auch schlichtweg vollkommen daneben.
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#9
„Alles gut. Ich weiß selbst noch nicht genau, was geht und was nicht.“

Er grinste seinem Freund ein wenig mitgenommen zu und ließ die Schultern kurz kreisen. In seinem Nacken krachte es leise, woraufhin er sich dazu entschied, sich doch besser einfach wieder zurückzulehnen. Wenn er länger saß, verliefen sich die schmerzenden Muskeln und der schwache Druck der Schwellung in seinem Gesicht. Umso schlimmer rächte es sich dann allerdings wieder, wenn er aufstehen und sich bewegen musste.

„Weil du hier besser auf mich aufpassen kannst als da draußen?“, fragte er mit einem interessierten Seitenblick gen Rayon und seufzte theatralisch. „Du musst dir keine Sorgen machen, wirklich nicht. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, zwei, nein, drei Tage hintereinander in ungünstige Situationen zu geraten? Selbst für mich wäre das ein neuer Rekord. Und glaub‘ mir – für heute werde ich sowieso lieber einen Bogen um zwielichtige Menschen machen.“

Er wusste die Fürsorge seines Freundes allerdings hörbar zu schätzen. Ein Piratenschiff war ein Ort, an dem man sich schnell alleine fühlen konnte. Die Sphinx bewies immer wieder, dass sie anders war – und das lag nicht zuletzt an den Leuten, die die Crew zu dem machten, was sie war. Der Lockenkopf hielt viel von Nächstenliebe und gegenseitiger Fürsorge. Ein eingespieltes Team konnte mehr erreichen als ein Haufen zusammengewürfelter Egoisten, die nur auf ihren eigenen Vorteil aus waren. Man konnte Vorteile ausspielen, Risiken eingehen und diejenigen schützen, die über sich selbst hinausgewachsen waren, bevor sie draufgingen. Die Dankbarkeit, die er dem Dunkelhäutigen allein seiner Anwesenheit wegen empfand, lag deutlich in der Stimme des Jüngeren. Und Rayon wusste wohl, dass seine sanfte Seite in Liams Gegenwart niemals fehl am Platz war. Er durfte sein, wie er war. Ihm gegenüber musste niemand seinen starken, unberechenbaren Mann stehen.

„Solange die anderen nicht wissen, dass du dich allein mit dem furchterregenden Aussehen zufrieden gibst, ist doch alles paletti.“, grinste er zurück. „Ich für meinen Teil würde auch lieber Reißaus nehmen, statt am eigenen Körper zu erfahren, wie ernst du es meinst. “

Als Rayon fortfuhr, wurde das Lächeln auf Liams Lippen wärmer. Es war offensichtlich, dass der Dunkelhäutige in dieser Situation die richtigen Worte gefunden hatte. Er fand es überflüssig, dieses Kompliment in diesem Moment zurückzugeben. Auch, wenn Liam eher der bescheidene Typ war, der Komplimente generell zu relativieren versuchte, konnte er sie inzwischen hin und wieder einfach annehmen. Dass es nicht immer das gewünschte Ziel brachte, ein guter Mensch zu sein, war eine andere Sache. Aber letztlich mussten sie alle mit sich leben und Liam für seinen Teil war lieber mit sich selbst im Reinen als ein mächtiges Arschloch zu sein.

„Du hast es erfasst. Genau das war unser sehr einfacher, spontaner Plan.“, nickte er mit gespieltem Stolz und hörbarem Lachen in der Stimme. „Naja…“, fuhr er dann fort, wog den Kopf schuldbewusst zur Seite und zuckte angedeutet mit der Schulter. „Was soll ich sagen – Manche Dinge lernt man nie. Andere will man einfach nicht lernen. Außerdem muss man ja nicht alles gut finden, was die anderen tun, oder, mein lieber Rayon?“

Er war sich sicher, dass es dem Älteren diesbezüglich genauso ging wie ihm. Dieses Mal war es immerhin wieder einmal gut gegangen und Liam wusste mit hundertprozentiger Sicherheit: Er würde das nächste Mal nicht anders handeln.
Welches Wespennest er schließlich anstach, bemerkte er gar nicht. Er hatte nur einer Frage zuvorkommen wollen, die er Rayon durchaus zugemutet hätte. Als er Luciens und Skadis Anwesenheit erwähnt hatte, war sein Blick von seinem Freund aus in den Innenhof gewandert und folgte drei jungen, leichtbekleideten Frauen, die vom Haupthaus aus ins Badehaus schlenderten. Dass Rayon schließlich explizit Skadi herausnahm, fiel ihm gar nicht so bewusst auf. Sein Kopf schob es automatisch darauf, dass Frauen eher seltener Kundschaft in den Untergrundkämpfen waren. Er schnaubte mit einer Mischung aus freudloser Belustigung und Frust ohne aufzusehen.

„Vier Jahre als Mann bei der Marine gehen nicht spurlos an einem vorbei. Und wenn man nicht überzeugend ist, fliegt man auf.“

Sie hatte also gar keine andere Wahl gehabt, als zwangsläufig irgendwann Freude daran zu empfinden. Liams Augen wurden etwas schmaler, während die drei Gestalten hinter einem der Zierbäume verschwanden und er damit nicht mehr so tun konnte, als würde er sie beobachten. Skadi war bemerkenswert. Undurchsichtig, unberechenbar, jähzornig. Verletzlich. Stolz. Liam hatte ihr Problem noch immer nicht wirklich begriffen, aber verstanden, dass es nichts brachte, danach zu fragen, wenn er es nicht schlimmer machen wollte.

„Was ist mit dir, Rayon? Irgendwelche Pläne für den Tag? Aufträge von den Captains?“
Crewmitglied der Sphinx
für Gold gesucht
dabei seit May 2017
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#10
Rayon warf dem Künstler einen halb ertappten, halb entschuldigenden Blick zu. Seine Worte spiegelten zwar nicht die ganze Wahrheit wieder, trafen zumindest seine Sorgen um den Mann neben ihm aber sehr präzise. Solche Gefühle waren schlichtweg nicht zu vermeiden, wenn man wie er als älterer Bruder - und später auch als Vaterfigur - aufgewachsen war. Sie trieb ihn um, bei allem, was er tat, zumindest, wenn er Menschen um sich herum hatte, die ihm etwas bedeuteten. Und das war beinahe immer der Fall, schließlich suchte er sich sein Umfeld entsprechend aus. Nur in der verhältnismäßig kurzen Phase seines Lebens, nachdem er seine Heimat verlassen und bevor er auf der Sirène angeheuert hatte, war er auf sich allein gestellt gewesen und hatte keine Verpflichtungen, tatsächlich oder selbst auferlegt, anderen gegenüber gehabt. Das war ungewohnt gewesen. Und irgendwie einsam.

"Ich weiß, dass du auf dich aufpassen kannst, Liam", sagte er schließlich aufrichtig und grinste den Künstler an. "Dass ich mich besser fühle, wenn ich dir im Zweifelsfall zur Seite stehen kann, ändert daran nichts."

Die Dankbarkeit in Liams Stimme entging ihm derweil nicht, und sie wärmte sein Herz wie es kaum etwas anderes vermochte. Der Künstler gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die sich hinter einer Mauer aus geheuchelter Härte verstecken musste. Er war zwar mutig und ging Risiken ein, aber Rayon hatte nie das Gefühl, dass er das tat, nur um anderen zu beweisen, wie stark und dominant er war. Und nur diese... Echtheit erlaubte es Menschen überhaupt, eine tiefere Bindung zueinander aufzubauen, wie es sie im Piratenhandwerk vermutlich nur selten gab. Bei Gregory und Trevor hatte Rayon dieses Gefühl bereits gehabt, und bei Liam hatte er es auch.

Der Schiffskoch lachte laut bei Liams nächsten Worten und streckte theatralisch die Brust heraus.

"Arrr, das will ich dir auch geraten haben", rief er etwas lauter als nötig, wobei sein schelmisches Grinsen die imposante Erscheinung, die er dabei abgab, nicht nur ein wenig manipulierte.

Er kehrte jedoch schnell wieder zu seiner entspannten Haltung zurück, als Liam weiter auf die kürzlichen Ereignisse einging. Der Dunkelhäutige nickte mit aufrichtiger Anerkennung im Blick, als der Künstler bestätigte, dass sie diese Situation zumindest nicht völlig unbewusst herbeigeführt hatten. Auf der Straße - gerade den zwielichtigeren der Welt - war ein wacher und findiger Verstand mindestens ebenso viel wert wie körperliche Kraft. Vermutlich sogar deutlich mehr. Und an Kreativität mangelte es dem Mann neben ihm sicherlich nicht.

"Das ist wahr", erwiderte Rayon auf die eher rhetorische Frage seines Gegenübers und runzelte dabei leicht die Stirn. "Aber wenn gewisse Leute gewisse Dinge partout nicht lernen wollen, müssen sie sich nicht wundern, wenn sie sich eines Tages zu ihrem eigenen Wohl an den Hauptmast gefesselt wiederfinden."

Das Lächeln auf seinen Lippen verriet, dass es sich dabei um eine gänzlich leere Drohung handelte, doch die subtile Ernsthaftigkeit in seiner Stimme deutete gleichzeitig darauf hin, dass er allzu abenteuerlichen Unternehmungen in der Tat skeptisch gegenüberstand. Prompt meldete sich die Stimme in seinem Kopf, der nur allzu bewusst war, dass Rayon an Liams Stelle vermutlich ganz ähnlich gehandelt hätte. Immerhin war es um das Wohlergehen anderer gegangen.

"Ach, was rede ich. Dann müsste ich mich vermutlich selbst gleich mit anbinden."

Er warf Liam ein weiteres warmes Lächeln zu und signalisierte ihm damit, dass er die Entscheidungen des Künstlers in dieser Hinsicht nicht weiter in Frage stellen würde. Ohnehin galt sein Interesse nun einem ganz anderen Thema, und umso ärgerlicher war es, dass Liam seinen Wink mit dem Zaunpfahl anscheinend entweder völlig übersah oder absichtlich ignorierte. Er kommentierte seine Anspielung auf Skadi zwar kurz - und bemerkenswert sachlich -, wechselte daraufhin jedoch prompt wieder das Thema. Rayon würde also einen anderen Weg finden müssen, um seinen Freund vorsichtig zur Rede zu stellen.

"Nein, es scheint, als gäbe es für einen alten Seemann auf Landgang heute nichts weiter zu tun", antwortete er mit gespielter Entrüstung, zuckte mit den Schultern und streckte die Arme in die Luft. "Insofern habe ich den ganzen Tag Zeit, um dich vom Lesen abzuhalten", sagte er vergnügt und musterte den Künstler erneut eindringlich, während er seine nächsten Worte wählte. "Es sei denn, du hast noch andere, wichtigere Verabredungen...?"


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